Fiktionale Gewalt


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Fiktionale Gewalt beinhaltet die Darstellung von Gewalt im Rahmen der Fiktion, im Unterschied zur Dokumentation realer Gewaltszenen. Im Fokus der Kontroverse und der wissenschaftlichen Untersuchungen bezüglich der Thematik stehen vor allem die Medien Film, Printmedium und Computerspiel (daher auch die Bezeichnung Mediengewalt). Ziel der wissenschaftlichen Untersuchungen ist es, die Wirkung solcher Darstellungen auf den Menschen offenzulegen. Erforscht werden die Wirkungen von den Forschungsfeldern Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Rechtswissenschaft sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft (dort insbesondere in der Medienwirkungsforschung).

Darstellung von Gewalt

Die hauptsächlich von Gewaltdarstellungen betroffenen Medien sind Filme, Printmedien und Computerspiele. In den letzten Jahren stehen besonders Computerspiele mit Gewaltdarstellungen in der Kritik, da hier aufgrund des interaktiven Charakters der Spieler selbst an virtuellen Gewalthandlungen teilhaben kann und selbst entscheidet, wie er handelt. Weitgehend etabliert haben sich hingegen gewaltdarstellende Filme, die heute allgemein nicht mehr so heftig kritisiert werden wie in der Vergangenheit. Bei Filmen und Printmedien wird nicht selbst gehandelt, sondern ein Verhalten wird vorgegeben. Problematisch ist dies, da der Konsument die Handlungsweise nicht selbst steuert. Somit haben diese Werke eine Vorbildfunktion, welche das Handeln des Konsumenten beeinflussen kann.

Computerspiele

In vielen Computerspielen soll durch eine möglichst realistische Darstellung der Spielewelt eine besondere Spielatmosphäre geschaffen werden. In Spielen mit Kampf- oder Kriegsszenarien schließt dies auch die Darstellung von Gewalt ein. Mit zunehmender technischer Entwicklung wird auch die Gewalt immer realistischer dargestellt.

Gewalt kommt vor allem in Ego-Shootern vor, in denen der Spieler die virtuelle Welt aus der Ich-Perspektive sieht. Der Grad der Gewaltdarstellung variiert dabei: Während bei Shootern wie Doom oder Quake fast ausschließlich das Töten von Gegner dargestellt und oft eindrucksvoll inszeniert wird, stellen andere Spiele wie Call of Duty, Battlefield oder Medal of Honor eine realistische Wiedergabe von Kampfgeschehen inklusive taktischen Manövern in den Mittelpunkt. Bei sogenannten Taktikshootern, z.B. Tom Clancy’s Rainbow Six oder Operation Flashpoint, im Extremfall Tom Clancy’s Splinter Cell (Stealth-Shooter), liegt der Schwerpunkt auf taktischen Bewegungen mit der Absicht, Gegner zu überlisten oder seine Ziele zu erreichen, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen.

Ein ähnlicher Grad an Gewalttätigkeit lässt sich bei manchen Spielen aus dem Beat ’em up-Genre finden, wie zum Beispiel bei der Mortal-Kombat-Reihe.

Auch viele Echtzeit-Strategiespiele, wie die bekannte Command-&-Conquer-Reihe, stellen Gewalt dar, aufgrund einer anderen Spielperspektive jedoch nicht so explizit wie Ego-Shooter. Hier kommandiert der Spieler eine Kriegspartei und muss dabei üblicherweise mit taktischem Geschick eine oder mehrere andere Mächte besiegen.

Kritisiert wird vor allem der unreflektierte Umgang mit Gewalt, also ohne dass beleuchtet oder in Frage gestellt wird, wieso der Einsatz von Gewalt für das Erreichen des Spielziels notwendig war, und ob ein bestimmtes Problem nicht auch ohne Gewalt hätte gelöst werden können.

Film und Fernsehen

Von besonderem Interesse ist die Wirkung von Gewalt im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche, da diese beeinflussbarer sind als Erwachsene. Kinder und Jugendliche sind noch dabei, sich Werte und Normen anzueignen (Modelllernen von Albert Bandura). Ihnen fehlt ein feinsinniges Moralverständnis, um mit aufsehenerregender Fernsehgewalt umgehen zu können. Zudem können Kinder erst ab einem Alter von sechs bis sieben Jahren Fiktion und Realität unterscheiden. Besonders schwer fällt dies Kindern, wenn sie sich mit dem aggressiven Charakter identifizieren, und je realistischer die Gewaltdarstellungen sind. Zum einen findet beim Fernsehen ein sozialer Lernprozess statt – Kinder lernen hier neue Verhaltensweisen. Zum anderen findet eine Desensibilisierung gegenüber Gewalt statt, d.h. dass durch die wiederholte Konfrontation mit Mediengewalt die emotionale Empfänglichkeit für gewalthaltige Szenen reduziert wird.<ref>Krahé, B. "The social psychology of aggression". Hove: Psychology Press. (2013)</ref> Weiter kann ein Realitätsverlust verzeichnet werden. Gewalt wird als legitimes Mittel auf der Seite der „Guten“ gezeigt, und Kinder sehen Gewalt nun als gerechtfertigt. Es kommt zu einem verzerrten Bild der Welt.

In den 1960er Jahren wurde in Feldstudien ein Zusammenhang zwischen Fernsehgewalt und aggressivem Verhalten festgestellt. Aus einem Zusammenhang lässt sich allerdings noch kein kausaler (ursächlicher) Schluss ziehen. Der Effekt lässt sich so beschreiben: Kinder, die viel Gewalt im Fernsehen konsumieren, verhalten sich aggressiver als Kinder, die selten fernsehen. Allerdings lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass das Schauen von Gewalt im Fernsehen aggressives Verhalten verursacht. Verschiedene Variablen, sogenannte Drittvariablen, könnten beides, das viele unkontrollierte Konsumieren von Gewalt und das aggressive Verhalten verursachen, z. B. fehlende elterliche Aufsicht, oder ein niedriger sozialer Status. Aggressive Kinder wählen zudem eher ein gewalthaltiges Fernsehprogramm. So kann man von einem sich gegenseitig beeinflussenden Prozess ausgehen. Gewalt macht Kinder aggressiver (Sozialisationshypothese), und aggressivere Kinder schauen eher Gewalt (Selektionshypothese).<ref>Coie, J.D. & Dodge, K.A. (1998)</ref>

Erklärungsansätze und Motive für die Nutzung von Mediengewalt

Für den Konsum von Mediengewalt und Medienhorror gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Kunczik und Zipfel fassen den aktuellen Forschungsstand der verschiedenen Ansätzen in ihrem Studienhandbuch „Medien und Gewalt“ zusammen.<ref>Michael Kunczik, Astrid Zipfel: Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch. Köln 2006.</ref> Da die Gründe und der Konsum von medialen Gewaltdarstellungen rezipientenabhängig ist, können die folgenden Ansätze die Nutzung violenter Inhalte nicht ausschließlich erklären, jedoch einander ergänzen.<ref>Kunczik & Zipfel 2006, S. 75.</ref>

Ästhetische Funktion

Dieser Ansatz geht davon aus, dass mediale Gewaltdarstellungen eine ästhetische Funktion erfüllen. Es wird vermutet, dass Gewaltszenen unabhängig vom Kontext durch Geräusche, Bewegungen und Farben als angenehme Sinneseindrücke empfunden werden. Die These ist empirisch jedoch nicht belegt.<ref>Vgl. Kunczik et al. 2006: 61f.</ref>

Evolutionstheoretische Ansätze

Im Rahmen dieses Ansatze wird vermutet, dass der Reiz des Neuen und Ungewöhnlichen den Konsum von Mediengewalt begründet. Manche Autoren sprechen von einer „morbiden Neugierde“<ref>Valkenburg & Cantor 2000: 247, zit. n. Kunczik & Zipfel 2006, S. 63</ref> an Gefahr, Verletzung und Tod. Andere Autoren machen Voyeurismus oder die im Alltagsleben ungewöhnliche Verletzung sozialer Normen als Motiv für den Konsum von gewalttätigen medialen Inhalte verantwortlich.<ref>Vgl. Kucznik et al. 2006, S. 63</ref>

Mood-Management

Die Mood-Management Theorie geht davon aus, dass die Nutzung und Auswahl von Medieninhalten der Stimmungsregulierung dient. In diesem Zusammenhang kann der Konsum von medialer Gewalt dazu genutzt werden, um ein zu geringes Erregungsniveau zu steigern und so zur Erreichung eines optimalen Erregungsniveaus beitragen. <ref>Vgl. Kunczik & Zipfel 2006, S. 64</ref>

Excitation-Transfer

Die Excitation-Transfer-Theorie steht im Zusammenhang mit der ebenfalls von Dolf Zillmann entwickelten Mood-Management-Theorie. Sie basiert auf der Annahme, dass Erregungszustände die Intensität von Gefühlen verstärken, die nicht mit dem eigentlichen Stimulus verbunden sind. Demnach kann ein durch mediale Gewaltdarstellungen bedingter Zustand erhöhter Erregung dazu führen, dass die Erleichterung über den Ausgang der angstauslösenden Situation intensiver wahrgenommen wird.<ref>Vgl. Kunczik & Zipfel 2006, S. 64f.</ref>

Dispositionstheorie

Die Dispositionstheorie fußt auf der Annahme, dass auf Medieninhalte genauso reagiert wird wie auf Ereignisse der Realität. Bei dem Konsum von Medieninhalten bauen die Zuschauer Sympathien und Antipathien zu den Protagonisten auf. Erfahren unsympathische Protagonisten Gewalt, wird dies vom Zuschauer positiv wahrgenommen, da dies beispielsweise als „gerechte Bestrafung“ empfunden wird.<ref>Vgl. Kunczik & Zipfel 2006, S. 65</ref>

Sensation-Seeking

Nach dem von Marvin Zuckermann entwickelten Ansatz des Sensation-Seeking gibt es Individuen, die eine starke Neigung zur Suche nach neuen, intensiveren und risikoreichen Reizen und Erfahrungen haben. Der Konsum gewalttätiger Medieninhalte kann dazu dienen, das optimale Erregungniveau zu erreichen und führt somit zu einer Gratifikation. Der Zusammenhang von Sensation-Seeking und Mediengewaltkonsum ist bisher nicht wissenschaftlich bewiesen.<ref>Vgl. Kunczik & Zipfel 2006, S. 66f.</ref>

Gruppenzugehörigkeit und Identitätsbildung

Weitere Ansätze zu den Motiven des Konsums von Mediengewalt können den Begriffen Gruppenzugehörigkeit und Identitätsbildung untergeordnet werden. Sie stützen sich auf die Bedeutung von Peer-Groups und beziehen sich vor allem auf Jugendliche. Demnach befriedigt der Konsum von Gewaltfilmen einerseits das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Durch die Kenntnis wird Mut bewiesen und es kann über den Inhalt gesprochen werden. Andererseits sorgt der gemeinsame Konsum gewalttätiger Inhalte für eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls.<ref>Kunczik & Zipfel 2006, S. 69</ref>

Angstbewältigung und Angstlust

Als weiteres Nutzungsmotiv für mediale Gewaltdarstellung wird die Bewältigung von Angst bzw. die Angstlust diskutiert. So stellte zum Beispiel Schachter<ref>Schachter 1959, S. 26, zit. n. Kunczik & Zipfel 2006, S. 70</ref> fest, dass Fernsehen als Instrumentarium zur Angstreduktion genutzt werden kann.

Aggressive Prädisposition

Der Zusammenhang zwischen aggressiver Persönlichkeit und Mediengewaltkonsum wurde in verschiedenen Studien bestätigt. Eine aggressive Prädisposition des Rezipienten kann also für den Konsum medialer Gewalt genutzt werden. Allerdings konnte nicht festgestellt werden, ob Mediengewaltkonsum eine aggressive Haltung begünstigt oder umgekehrt. Es wird daher von einer Wechselwirkung beider Faktoren ausgegangen.<ref>Vgl. Kunczik & Zipfel 2006, S. 74f.</ref>

Rahmenbedingungen (Deutschland)

Rechtsgrundlagen In Deutschland wird der Zugang zu Gewalt darstellenden Werken formal durch das Jugendschutzgesetz eingeschränkt, falls die Möglichkeit besteht, dass durch Gewaltdarstellungen die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen beeinflusst werden kann. Dies wird mit dem Art. 2 Grundgesetzes (GG) begründet.<ref>Art. 2 Abs. 1 „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit </ref>

Jonathan Freedman<ref>vgl. Analyse: „Killerspiele“ nicht schuld an Jugendgewalt</ref> vom Department of Psychology der Toronto University untersuchte schon vor mehreren Jahren alle in englischer Sprache veröffentlichten Studien über Gewalt und Medien. Seine damalige Schlussfolgerung: Die Mehrheit der Studien arbeitet mit Belegen, die widersprüchlich waren oder sogar der Behauptung widersprachen, dass reale Gewalt durch Gewaltdarstellungen in Medien verursacht werde.

Auf die Frage, warum also unwissenschaftliche Studien ebenso wie populistische Politiker die Schuld den Videospielen zuweisen, kommt der Bericht zum Ergebnis, dass damit nur die Täter ebenso wie das soziale Umfeld entschuldigt werden: „Wenn Jungs aus guten Gegenden Gewalt ausüben, dann scheinen sie eine ganz neue Generation von Jugendlichen zu sein, die nur von Videospielen und nicht von den gesellschaftlichen Umständen geprägt wurden … Mörder mit weißer, bürgerlicher Herkunft behalten ihren Status als Kinder, die leicht durch ein Spiel beeinflussbar und Opfer eines angeblich gefährlichen Produktes sind.“ Dieser Ansatz wird vermehrt seit 2005 von diversen Studien in Deutschland aufgegriffen und so kommen sowohl die Potsdamer Studie als auch eine Studie an der Helmut-Schmidt-Universität zu dem Fazit, dass zwar eine Korrelation zwischen aggressivem Verhalten und gewalthaltigen Computerspielen vorhanden ist, aufgrund der bidirektionalen Kausalität allerdings keine Aussagen über Ursprung und Folge getroffen werden können<ref>vgl. [Bockholt, Dennis(2008): „Mediale Viren“ im Kopf unserer Jugend? Studie zum Zusammenhang von Computerspielen und Gewalt. ISBN 978-3-89783-626-6 Roderer Verlag, Regensburg.]</ref>.

Kulturwissenschaft

In seinem Buch „MTV: Swinging On A (Postmodern) Star“ <ref>vgl. Fantasie und Realität</ref> äußert sich Lawrence Grossberg über die Möglichkeit, wie wissenschaftliche Erkenntnisse (oftmals auch im Bereich von „Gewalt in den Medien“) missbraucht und verfälscht werden können:

„[…] die akademischen Auseinandersetzungen zeigen, wie einfach es ist, empirische Unterstützung für viele Interpretationen der Welt zu finden; einen Aspekt der Realität isolierend, ihn aus seinem konkreten Zusammenhang heraus abstrahierend und sein spezifisches Wesen ignorierend, kann man bequem ‚Beweise‘ finden, mit ihrer absoluten Macht, die Welt zu definieren und zu interpretieren.“

Dennis Bockholt mit seinem Buch „ ‚Mediale Viren‘ im Kopf unserer Jugend“<ref>vgl. [Bockholt, Dennis (2008): „Mediale Viren“ im Kopf unserer Jugend? Studie zum Zusammenhang von Computerspielen und Gewalt. ISBN 978-3-89783-626-6 Roderer Verlag, Regensburg.]</ref>, sowie auch Jürgen Fritz und Wolfgang Fehr mit ihrem „Handbuch Medien“<ref>vgl. [Fritz, Jürgen/Fehr, Wolfgang (1999): Handbuch Medien:Computer-Spiele. Theorie, Forschung, Praxis. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.]</ref> kritisieren hierbei die uneingeschränkte Übertragung von Verhaltensthesen aus der Fernsehforschung auf die interaktiven Computerspiele. So gilt es z. B., so die Autoren, die für die Fernsehforschung eindeutig widerlegte Katharsisthese in Bezug auf Computerspiele erneut zu überprüfen.

Neurowissenschaft

Die Universität von Indiana<ref>vgl. Brutale Spiele machen „unlogisch“</ref> teilt die Meinung der Kritiker. Gewalttätige Spiele stimulieren die Hirnregionen für Gefühle und verringern die Reaktionen in den Zonen, in denen das logische Denken und die Selbstkontrolle angesiedelt sind. Ein Forscherteam der Universität von Indiana untersuchte für die Studie 44 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 Jahren ohne Verhaltensauffälligkeiten. Die eine Hälfte der Gruppe spielte in einem halbstündigen Spiel die Hauptfigur in einem extrem brutalen Kampf, die andere Hälfte spielte ein anspruchsvolles, gewaltloses Spiel. Bei der ersten Gruppe wurde eine gesteigerte emotionale Erregung gemessen, bei der zweiten Gruppe war der Hirnteil stimuliert, der für Konzentration und Selbstkontrolle zuständig ist.

Auch die Radiological Society of North America kommt in ihrer Studie zum Ergebnis, dass bestimmte Gewaltspiele sich kurzzeitig ganz anders im Gehirn festsetzen als gewaltfreie Spiele. Diese Gewaltspiele stimulieren kurzzeitig besondere Bereiche des Gehirns, die für emotionale Erregung zuständig sind, zugleich vermindern sie die Aktivitäten in Regionen der Selbstkontrolle. Eine generelle Bewertung von Gewaltspielen nimmt die Untersuchung zwar nicht vor, weist aber ausdrücklich auf die erhöhte emotionale Erregung der Probanden hin.

Kontroverse

Im Fokus der Kontroverse stehen hauptsächlich zwei Punkte. Einerseits wie sich Gewaltdarstellungen in Medien auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken, andererseits wie Gewaltdarstellungen in Medien mit echter Gewalt zusammenhängen.

Da diese Thematik stark polarisiert, gibt es dementsprechend extreme Meinungen. Zum einen gibt es Befürworter von Gewaltdarstellungen, welche eine gänzliche Freigabe fordern, da es keine negative Wirkungen gebe, und zum anderen gibt es Kritiker, welche das grundsätzliche Verbot solcher Werke fordern und schon den Besitz als Straftat ahnden wollen, da solche Werke vermehrt zu Amokläufen und Vergewaltigungen führen würden. Seltener finden sich Stellungnahmen, die Computerspiele mit Gewaltdarstellungen als Unterhaltungsmedium für Erwachsene verteidigen, zugleich aber auf das nicht auszuschließende Risikopotential für Kinder und Jugendliche hinweisen und strengere Kontrollen und Reglementierungen fordern als derzeit stattfinden.<ref>vergl. Wie Pornos Markus C. Schulte von Drach, Artikel in sueddeutsche.de</ref>

Allgemein

Die Bewertung von Gewalt in Computerspielen hängt in hohem Maße von den eigenen Wertvorstellungen ab. Argumentation oder Studien stützen sich daher oft nur scheinbar auf wissenschaftliche Beobachtungen, sollen jedoch tatsächlich eine bestimmte ethische Wertvorstellung vorgeben. Die häufigsten Argumente und Standpunkte, die in dieser Diskussion anzutreffen sind:

  • Eine relativ selten anzutreffende Position ist die Forderung, prinzipiell Verzicht auf Gewaltelemente zu üben. Hierbei ist problematisch, dass sie konsequenterweise auch auf andere Medien ausgedehnt werden müsste. In dem Zusammenhang bleibt zu klären, ob die Gewaltdarstellung oder die Gewaltinhalte problematisch sind. Sollte sich die Kritik auf Gewaltinhalte konzentrieren, stellt sich die generelle Frage nach dem Umgang mit Gewalt in Kultur und Medien; sollte die Gewaltdarstellung im Fokus stehen, stellt sich die Frage nach dem Vergleich unrealistischer Spielegrafik mit der optisch nicht von der Realität zu unterscheiden Gewalt in Film und Fernsehen. Um die daraus resultierende Diskrepanz zu eliminieren, wird Kritik häufig mit der Interaktivität von Computerspielen verknüpft. Die zugrundeliegende Überlegung lautet, dass durch die aktive Steuerung eine Identifikation mit der Gewalt ausübenden oder befehlenden Figur stattfindet, wie sie bei passivem Konsum nicht möglich ist oder wesentlich geringer ausfällt. Ein mögliches Gegenargument lautet, dass gerade hierdurch Gewaltanwendung subjektiv durch den Spieler kontrollierbar sei. Gegenwärtig liegen keine Studien vor, die den Grad der Identifikation mit Spielprotagonisten mit dem gegenüber beispielsweise Filmhelden vergleichen.

Während Kritiker die Gewalt häufig als Zweck eines Spiels betrachten, sehen sie Befürworter lediglich als Mittel. Es besteht die Möglichkeit, dass die Ziele der Aufmerksamkeit beim Spielen von denen beim Betrachten eines Films deutlich abweichen.

  • Häufig wird auf die sportliche Dimension des Spielens hingewiesen, welche neben Hand-Augen-Koordination taktisches Denken und Reaktionsvermögen umfasst. Dies wäre jedoch auch bei Spielen mit vollkommen abstrakter „Gewalt“ (z. B. Schießen auf dreidimensional bewegte, in ihrer Aktion und Reaktion variable Schießscheiben) möglich. Tatsächlich wird häufig bei E-Sport-Wettkämpfen die Grafik auf eine abstrahierte Darstellung reduziert, um eine bessere Übersicht, Rechenleistung und Konzentration auf das Spielgeschehen zu ermöglichen (z. B. bei Quake III Arena üblich). Allgemein besteht daneben jedoch immer auch der Wunsch nach realistischer beziehungsweise grafisch aufwendiger Spieldarstellung.
  • Multiplayerspiele wie Counter-Strike, bei denen die Interaktion innerhalb der eigenen Gruppe und mit dem gegnerischen Team im Zentrum steht, weisen eine erhebliche soziale Dimension auf. Teamfähigkeit, Kommunikation und die Einhaltung von Regeln sind entscheidende Voraussetzungen für den Spielerfolg. Dies kann auch ins reale Leben (Real Life) getragen werden, etwa durch die Organisation von Clantreffen oder durch die Teilnahme an LAN-Partys. Kritiker halten dem entgegen, dass die sozialen Komponenten sich auch bei entsprechenden Spielen ohne jegliche Gewaltdarstellung ausbilden könnten.
  • Obwohl Computerspiele mit Gewaltdarstellung für ein erwachsenes Publikum produziert werden und die Mehrheit der Spieler volljährig ist, werden derartige Spiele auch von in einer entscheidenden Entwicklungsphase stehenden Jugendlichen gespielt. Negative Effekte und langfristige Auswirkungen sind umstritten.
  • Einige Autoren vergleichen die derzeitige Kritik an Computerspielen allgemein, und dabei besonders sogenannten „Killerspielen“, mit den Angriffen gegen neue Medienformen in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund der jeweils herrschenden Moralvorstellungen.<ref>Roland Seim, Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen. Eine medien- und rechtssoziologische Untersuchung zensorischer Einflußnahmen auf bundesdeutsche Populärkultur, Telos, 1997, ISBN 3-933060-00-1</ref> Diese richteten sich unter anderem gegen den Roman<ref>Polylux – Killerspiele – Interview mit Tilman Baumgärtner, Medienjournalist</ref>, das Fernsehen im Allgemeinen (in den 50er Jahren), Trickfilme (in den 70er Jahren), Videofilme (in den 80er Jahren), Jazz, Beatmusik, Rockmusik<ref>vgl. Roland Seim, Josef Spiegel, „Nur für Erwachsene“. Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen, Telos Verlag 2004, ISBN 3-933060-16-8, sowie Reto Wehrli, Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte, Telos, 2005, ISBN 3-933060-15-X</ref> und Comics<ref>vgl. Roland Seim, Josef Spiegel, Der kommentierte Bildband zu „Ab 18“ – zensiert, diskutiert, unterschlagen. Zensur in der deutschen Kulturgeschichte, Telos Verlag, 2. verbesserte Neuaufl., 2001, ISBN 3-933060-05-2</ref>. Ähnlich wie beim heutigen Schlagwort „Killerspiele“ wurden auch damals polemisierende Wortneuschöpfungen kreiert, so wurde beispielsweise in den 1930er Jahren Jazz als „Negermusik“ verhöhnt. Hierbei wurde regelmäßig unterstellt, der Konsum des jeweiligen Mediums würde zwangsläufig zu nachhaltigen Schäden bei den betroffenen Konsumenten führen, häufig verlief die Diskussion hierbei entlang der jeweiligen Generationsgrenzen. Die meisten dieser Medien werden heute gesamtgesellschaftlich akzeptiert und teilweise als Kunstformen wahrgenommen.<ref>vgl. Arne Hoffmann, Das Lexikon der Tabubrüche, Schwarzkopf&Schwarzkopf, 2003, ISBN 3-89602-517-1, sowie Roland Seim, Josef Spiegel, 'Ab 18' – zensiert, diskutiert, unterschlagen. Beispiele aus der Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Telos Verlag, 3., überarb. Auflage, Mai 2002, ISBN 3-933060-01-X und Stephan Buchloh, Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich: Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas. Frankfurt/Main u. a.: Campus-Verl., 2002. 488 S. ISBN 3-593-37061-1 (Berlin, Freie Univ., Dissertation 1999)</ref>

Im Zusammenhang mit Amokläufen

Seit dem Aufkommen von Computerspielen wird immer wieder kontrovers über die Darstellung von Gewalt in Computerspielen diskutiert. Dabei geht es in erster Linie darum, ob und in welchem Umfang ein Spieler durch die Darstellung von Gewalt in einem Computerspiel positiv oder negativ beeinflusst werden kann. An die Öffentlichkeit gelangt die Diskussion über die von ihren Gegnern so genannten „Killerspiele“ immer wieder nach Amokläufen von Jugendlichen in Schulen wie beim Schulmassaker von Littleton, dem Amoklauf von Erfurt, dem Amoklauf von Emsdetten oder dem Amoklauf von Winnenden. Hierbei werden immer wieder ähnliche Argumente ausgetauscht:

  • Einem kausalen Zusammenhang von Computerspielen als Auslöser von Amokläufern widerspricht die Tatsache, dass Amokläufe nicht erst seit der Verfügbarkeit derartiger Spiele existieren. Amokläufe gab es in der gesamten Geschichte der Zivilisation und zahlreiche dokumentierte Beispiele entstammen einer Zeit vor der Verfügbarkeit elektronischer Medien.
  • Es wird darauf hingewiesen, dass Kriegs- und Kampfspiele keine moderne Erfindung sind, sondern umgekehrt eine große Zahl traditioneller Spiele eine kämpferische Grundlage haben. Computerspiele wie Counter-Strike weisen strukturelle Ähnlichkeiten zu früher beliebten Fang- und Kampfspielen wie Räuber und Gendarm auf. Die durch die Technik neu hinzugekommene audiovisuelle Darstellung der interaktiven Tötungshandlungen bezieht sich unmittelbar auf die Darstellung von Gewalt in etablierten Medien wie dem Film und tritt zu diesen in Konkurrenz. „Die Gewaltdarstellung in Computerspielen ist nicht aus dem Nichts entstanden“, so der Medienwissenschaftler Mathias Mertens.<ref>http://www.bpb.de/themen/72C5C9,0,Die_ewig_neuen_Neuen_Medien.html</ref>
  • Medienberichte müssen sich häufig den Vorwurf gefallen lassen verfälschte oder erfundene Darstellungen der Spielinhalte zu vermitteln. Einflussreich war unter anderem ein Artikel in der FAZ vom 28. April 2002 mit dem Titel „Software fürs Massaker“, der zahlreiche Fehlinformationen enthielt, von denen viele noch immer im Umlauf sind.
  • Amokläufe sind im Vergleich zu anderen Jugendstraftaten sehr selten. Strengere Gesetze, die aufgrund dieser spektakulären Einzelfälle verabschiedet werden, betreffen jedoch die Entscheidungsfreiheit von Millionen Menschen. Im Vergleich dazu sind Todesfälle durch bewusste Gesetzesverstöße im Straßenverkehr (Geschwindigkeit, Alkohol,…) weit verbreitet, genießen jedoch gerade in wertkonservativen Kreisen eine gewisse Toleranz.
  • Die weite Verbreitung dieser Spiele mindert ihre Relevanz in Bezug auf die Taten von Amokläufern, welche sie ebenfalls gespielt haben. Der US-amerikanische Dokumentarfilm-Regisseur und Autor Michael Moore kritisierte die Tatsache, dass man das Columbine-Massaker fast ausschließlich dadurch erklärte, dass die beiden Täter die Musik von Marilyn Manson gehört hatten. In Anlehnung daran, dass sie vor der Tat bowlen gewesen wären, stellte er die Frage, ob es nicht genauso sinnvoll sei, Bowlen für die Tat verantwortlich zu machen. Hieraus leitet sich der Titel des Films Bowling for Columbine ab – in Wirklichkeit schwänzten die Täter den Bowlingkurs jedoch.
  • Ein hohes Maß an Fernseh- und Computerkonsum kann auch ein Zeichen von Vernachlässigung oder sozialer Isolation sein. In einem solchen Fall wären Computerspiele nur das sichtbare Symptom tiefer liegender sozialer Defizite. Die in den Gewaltmedien dargestellten Konflikte und menschlichen Situationen können allerdings mit der Isolation des Betrachters eine unheilige Allianz eingehen, wie es der offensichtlich „nachstellende“ Charakter einiger Amokläufe nahelegt.
  • Neben den oberflächlichen Ähnlichkeiten der Handlungen während eines Amoklaufes und eines Computerspiels gibt es auch wesentliche Unterschiede: Der Täter muss mit einer wirklichen Waffe umgehen können, es muss eine Tötungsmotivation vorliegen und die natürliche Hemmschwelle muss überschritten sein. Ob Computerspiele diese Hemmschwelle abbauen und die Vertrautheit mit realen Waffe steigern, ist umstritten. Sie stellen jedoch keinen Ersatz für die praktische Erfahrung und Übung mit realen Waffen dar, sondern trainieren allenfalls bestimmte Konfliktsituationen und Verhaltensmodelle.
  • Die Verbindung der Phänomene ist experimentell schwer nachzuprüfen, da herkömmliche Versuche insbesondere den langfristigen Einfluss nur unzureichend simulieren oder durch ethische Richtlinien begrenzt sind.
  • Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob ein tatsächlicher Trainingseffekt für das reale Leben existiert. Während die einen die Wirkung mit der eines Flugsimulators vergleichen, verweisen die anderen auf den fundamentalen Unterschied zwischen einer Tastatur oder Maus und einer tatsächlichen Waffe. Ein Trainingseffekt, bei dem ein entsprechend geneigter Betrachter trainiert, seine Umwelt auf eine bestimmte Art und Weise zu konstruieren und interpretieren, konnte bislang ebenfalls nicht ausreichend untersucht werden.

Siehe auch

Computerspiele
Filme
Printmedien
Gesetzestexte
Personen
  • Dave Grossman – Amerikanischer Ex-Militär, eine nicht-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema

Literatur

  • Tobias Bevc, Holger Zapf (Hrsg.): Wie wir spielen, was wir werden: Computerspiele in unserer Gesellschaft. UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, 2009, ISBN 3-86764-051-3.
  • Dennis Bockholt: „Mediale Viren“ im Kopf unserer Jugend? Studie zum Zusammenhang von Computerspielen und Gewalt. ISBN 978-3-89783-626-6 Roderer Verlag, Regensburg
  • Matthias Bopp: Rezension von: Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 2 (Veröffentlicht am 4. April 2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/12010170.html
  • Mark Butler: Would you like to play a game? Die Kultur des Computerspielens, Kulturverlag Kadmos, 2006, ISBN 3-86599-013-4
  • Jessica Eisermann: Mediengewalt. Die gesellschaftliche Kontrolle von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, 2001, VS Verlag für Sozialwissenschaften, ISBN 3-531-13540-6
  • Hartmut Gieselmann: Der virtuelle Krieg. Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. (Offizin) 2002. ISBN 3-930345-34-X
  • Dave Grossman, Gloria DeGaetano, Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht?, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2003, ISBN 3-7725-2225-4
  • Gerad Jones: Kinder brauchen Monster. Vom Umgang mit Gewaltphantasien. (Ullstein Tb) 2005. ISBN 3-548-36825-5
  • Thomas Hartmann: Schluss mit dem Gewalt-Tabu. Warum Kindern ballern und sich prügeln müssen. Eichborn Verlag, 2007, ISBN 978-3-8218-5663-6
  • Michael Kunczik, Astrid Zipfel: Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch,Utb, 5.vollst. überarb. Auflage, 2006, ISBN 3-8252-2725-1
  • Lawrence Kutner, Cheryl K. Olson: Grand Theft Childhood: The Surprising Truth About Violent Video Games and What Parents Can Do. Simon & Schuster, New York 2008, ISBN 978-0-7432-9951-0.
  • Manuel Ladas: Brutale Spiele(r)? Wirkung und Nutzung von Gewalt in Computerspielen, 2002, Peter Lang-Verlag, ISBN 3-631-50231-1. (Dissertation)
  • Georg Joachim Schmitt: Die Allmacht des Blickes. Die Debatte um Mediengewalt im zeitgenössischen Film. (edition nadir) 2001. ISBN 3-8311-2071-4
  • Manfred Spitzer: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung und Gesundheit. (Klett) 2005. ISBN 3-12-010170-2
  • Frithjof Staude-Müller: Gewalthaltige Computerspiele und Aggressionsneigung: Längsschnittliche und experimentelle Betrachtung konkurrierender Zusammenhangsannahmen. Kovac, Hamburg, 2010.

Einzelnachweise

<references />

Weblinks

Videos