Ganggrab
Das Ganggrab ist eine Bauform jungsteinzeitlicher Megalithanlagen, die aus einer Kammer und einem baulich abgesetzten, lateralen Gang besteht. Diese Form ist primär in Deutschland und Skandinavien, sowie vereinzelt in Frankreich und den Niederlanden zu finden. In Polen gehören nur Anlagen aus erratischen Blöcken (nicht jedoch aus Platten) in die Megalithkategorie, wobei Ganggräber nicht vorkommen. Das Ganggrab entstand zwischen 3500 und 2800 v. Chr. als Megalithanlage der Trichterbecherkultur (TBK). Neolithische Monumente sind Ausdruck der Kultur und Ideologie jungsteinzeitlicher Gesellschaften. Ihre Entstehung und Funktion gelten als Kennzeichen der sozialen Entwicklung.<ref>J. Müller In: Varia neolithica VI 2009, S. 15</ref>
Inhaltsverzeichnis
Grundrisse der Kammer
Die entweder ovalen, polygonalen, rechteckigen oder trapezförmigen, auch gebauchten (schwach D-förmig) oder mit parallelen Lang- und stumpf eingewinkelten Schmalseiten versehenen Grundrisse der Kammern sind nahezu stets (nicht beim Ganggrab Lovby Kirketomt) deutlich länger als breit. Die Megalithanlage von Ebendorf in Barleben bei Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt hat als einzige ein verschobenes Parallelogramm als Grundriss. Das Großsteingrab Bakenhus hat eine 23 Meter lange, bootsförmige Kammer. Anlagen die axiale Zugänge aufweisen, gelten in Deutschland als Dolmen.
Nach der Terminologie von Ewald Schuldt (vgl. Typen der mecklenburgischen Megalithgräber) unterscheidet es sich von den Dolmen durch den (lateralen) Zugang auf einer der beiden Längsseiten. Die neue deutsche Forschung sieht in ihm eine Variante des Dolmens, die regional beherrschend in der Provinz Drente (Niederlande), im westlichen Niedersachsen (als emsländische Kammer) und ansonsten in Holstein, als "holsteiner Kammer" und im angrenzenden Mecklenburg, im östlichen Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt und Skandinavien als größere oder kleinere Minderheit auftritt.<ref>Glyn Daniel: The megalith builders of Western Europe. Penguin, Harmondsworth 1963</ref>
Nomenklatur und Abgrenzung
Das Ganggrab heißt in Dänemark Jættestue („Riesenstube“), in Schweden Gånggrift, in Frankreich Dolmen à couloir. Britisch-irische Anlagen haben zwar (übersetzt) den gleichen Namen (Passage grave), sehen baulich jedoch völlig anders aus.
Typologie
Der Zugang des Ganggrabes liegt quer zur Längsachse der Kammer. Eine generell abweichende Festlegung gilt in Schweden. Quadratische oder runde Anlagen (im oberen Bild rechts) werden ansonsten in der Regel zu den Dolmen gerechnet. Es gibt im Verbreitungsgebiet einige ungewöhnlich kleine Ganggräber mit nur zwei Decksteinen (z. B. Amelinghausen-Sottorf in der Lüneburger Heide, Klein Stavern im Emsland). Andererseits gibt es westlich der Weser mit bis zu 29 Metern, sehr lange Kammern. Östliche der Weser bilden die im Elbe-Weser-Dreieck gelegenen Anlagen Lehnstedt 82 und 83 (11,2 und 9,3 m) und die Steinkammer bei Dohnsen (16 m) in der Kammeränge die Ausnahmen. Obwohl die Tragsteine von Ganggräbern (anders als bei Urdolmen) bereits auf ihrer kleinsten Fläche aufrecht stehen, sind einige Ganggräber in Gruben errichtet worden (Steinkammer von Deinste in Niedersachsen). Sie stellen vermutlich früheste Exemplare dar. Das so genannte Trapgraf (Treppengrab - D13 in Gieten Eext) - in der niederländischen Provinz Drente ist eine Besonderheit.
Die "Holsteiner Kammer" oder "norddeutsche Langkammer" ist eine rechteckige Form des Ganggrabes, die vorwiegend in Holstein vertreten ist. Mit 58 Anlagen (68 %) ist diese so genannte Südgruppe (südlich der Eider) in Schleswig-Holstein doppelt so stark vertreten wie die annähernd ovale Kammer der Nordgruppe, mit der sie sich im Raum Eckernförde überschneidet. Die Länge der Kammern schwankt hier zwischen 3,0 und 8,5 m, wobei Anlagen zwischen 3,0-5,5 m etwa zwei Drittel ausmachen, während solche über 6,0 m das restliche Drittel bilden. Die Breite schwankt zwischen 1,0 und 2,25 m. 60 % der Kammern erreichen eine Breite von 1,5 m. Gewöhnlich haben die Anlagen drei, häufig jedoch vier bis sechs Decksteine. Bei fast der Hälfte konnte ein kurzer Gang aus ein bis zwei Steinpaaren nachgewiesen werden. Eine exzentrische Lage des Ganges bzw. der Kammeröffnung zur Kammerlänge tritt bei 40 % der Anlagen auf, während die Mittellage (20 %) vornehmlich bei langen Kammern vorkommt. Der Rest ist so gestörte, dass eine Aussage über die Lage des Ganges nicht gemacht werden kann. Auch die ursprüngliche Form des Hügels ist nur bei 50 % der Anlagen bestimmbar. Danach überwiegen im Norden die Rundhügel, im östlichen und westlichen Verbreitungsgebiet dagegen die Langbetten, und zwar jeweils um das Doppelte.
- Klekkende Høj.jpg
Der Klekkende Høj, Doppelganggrab bei Røddinge auf Møn
- GrosssteingrabSidd1.jpg
- Grosssteingrab Steinofen 02 (RaBoe).jpg
Steenaben trapezoides Ganggrab bei Lamstedt
Während das Steinmaterial zumeist aus den erratischen Blöcken der Eiszeit (Findlingen) besteht, sind einige wenige Anlagen aus anderem Steinmaterial (Lübbensteine) erstellt. Eine weitere Sonderform bietet das "multikulturelle" Gräberfeld von Wartin. Hier ist ein Ganggrab in einem Hünenbett aus Steinplatten erstellt worden (E. Kirsch 1993) denn auf der Terrasse des Urstromtales der Randow stehen keine Großgeschiebe zur Verfügung.
Kammer und Gang
Das Breiten/Längenverhältnis der Ganggräber liegt im Allgemeinen zwischen 1:1,2 bis 1:6. Dieses Verhältnis überschreiten nur die langen Emsländischen Kammern mit bis zu 1:14 deutlich (De hoogen Stener in Werlte, annähernd 30 m lang). Der in der Regel kurze, mitunter aber auch bis zu zehn Meter lange Gang kann mittig oder nach einem Ende hin versetzt, in die Kammer münden. Versetzte Gänge sind in Holstein besonders häufig und führten zu der Bezeichnung "Holsteiner Kammer" Bei den kurzen Ganggräbern ist dafür die Tragsteinanzahl (gerade oder ungerade) auf der Zugangsseite verantwortlich. Die "Lüneburger Gruppe" der Großsteinanlagen zeigt laut Friedrich Laux den schnellen Übergang von den Dolmentypen zum Ganggrab. Dort gibt es:
- zwei Urdolmen
- zehn kammerlose Hünenbetten
- fünf erweiterte oder Rechteckdolmen
- über 90 Ganggräber
Ob es indes eine Aufeinanderfolge von Dolmen und Ganggräbern, wie sie die frühe dänische Forschung postulierte, überhaupt gab, ist mittlerweile umstritten. Siehe Bautrupptheorie.
Deckenausbau
Während es beim Ganggrab anfangs nur Deckenkonstruktionen gibt, die ihre Statik aus der Tragfähigkeit einer Dreipunktauflage (im Bild oben) gewinnen, ist der finale architektonische Schritt im Bau mit Findlingen, die Jochkonstruktion. Bei ihr sind drei Steine (ein Joch) trilithenartig als statische Komponente im Gesamtkonzept verbaut. Weil diese "Zweipunkt-Auflage" bei unbearbeiteten Natursteinen jedoch höchst instabil ist, stützen sich die Decksteine der Joche seitlich aneinander ab. Die beiden Enden solcher Jochreihen bestehen allerdings immer aus Dreipunktauflagen, da nur sie der gesamten Konstruktion den nötigen Halt verleihen. Ein Detail ist die gelegentlich belegte Auflage der Decksteine auf das Zwischenmauerwerk. Decksteine sind neben Gangsteinen, die bei der Zerstörung von Kammern zuerst entfernten Steine.
Einfassungen
Ganggräber kommen in der Regel schon aufgrund ihrer der großen Länge in vergleichsweise kurzen, rechteckigen oder ovalen Hünenbetten oder in Rundhügeln vor. Insbesondere unter Dänemarks etwa 500 erhaltenen Ganggräbern gibt es eine erhebliche Zahl die in Rundhügeln liegen. Aus dem Emsland sind Anlagen mit doppelter ovaler Einfassung (Lähden, Thuine) bekannt. Einige Ganggräber auf Lolland und Falster, die lange, schmale Kammern und einen kurzen Gang haben, sind von Hünen- oder Riesenbetten umschlossen, die ansonsten für Dolmen typisch sind. In Niedersachsen liegt das etwa 8 m lange Grab IV der Oldendorfer Totenstatt in einem 80 m langen, das von Drangstedt sogar in einem 90 m langen Bett. Ein Ganggrab in Holstein liegt in einem über 70 m langen Hünenbett. Noch längere Einfassungen sind in Deutschland nur für andere Typen von Megalithanlagen bekannt.
Das Ganggrab ist eine für die TBK charakteristische Megalithanlage, ihr wurde zunächst ein eigener Zeithorizont zugeordnet. Die Ganggrabzeit lag danach zwischen der Dolmen- und der Steinkistenzeit. In Dänemark sind etwa 700 von 2.800 erhaltenen Anlagen Ganggräber.
Nebenkammern
30 dänische, besonders in Jütland verbreitete Ganggräber haben Nebenkammern (dän. Jættestue med bikammer). 25 dieser Anlagen findet man in Jütland, insbesondere am Limfjord (z.B. Ettrup, Gadegård, Gamskær, Gundestrup Mark, Fjelsø, Lundehøj, Manstrup, Møllehøje von Kobberup, Mønstedt, Niels Jensens Høj, Nymark Brandhøj, Ormehøj, Rævehøj von Vester Egesborg, Stenshøj, Tustrup), Vashøj/Storvad Høj, sowie 3 auf Seeland (z.B. Hørhøj, Kornerup Mark), 2 auf Lolland (Bag-Hyldehøj, Torhøj), sowie Rogenstrup und Sødalshøj auf Falster.
Die verschieden angeordneten Nebenkammern wurden gleichzeitig mit der Hauptkammer aufgeführt. Dass sie eine besondere Funktion hatten, kann daraus abgeleitet werden, das anderenorts gleichzeitig Quartier-Anlagen entstanden, die eine noch differenziertere Aufteilung der Kammer zeigen. Die Nebenkammern liegen mehrheitlich etwa gegenüber dem Zugang. Ein Unikat ist der Visi- oder Hvisselhøj bei dem der Gang drei parallele Kammern erschließt, die in Art von drei jeweils kürzeren Brotlaiben hintereinander liegen.
Nebenkammern (nicht so genannte Vor- oder Seitenkammern) kennt man ansonsten hauptsächlich - und in weit größerer Zahl (pro Anlage) aus der Bretagne (franz. Dolmen à cabinets latéraux oder Dolmen transepté) und von den Britischen Inseln, (z.B. Loughcrew in Irland, La Hougue Bie auf den Kanalinseln und West Kennet Long Barrow, Stoney Littleton), nicht jedoch aus der Nordkteis der TBK.
Doppelganggrab
Einige Ganggräber wurden als Doppelanlagen (dänisch Dobbelt- oder Tvillingejættestue, schwedisch dubbelgånggrift genannt) errichtet, indem zwei Kammern an ihren benachbarten Schmalseiten gemeinsame Tragsteine aufweisen. Bei Röddinge auf Mön wurde der Klekkende Høj scheinbar aus einer überlangen Kammer errichtet, deren Achsen auf einer Linie liegen und nicht einen Winkel bilden, wie anderen Anlagen in Rundhügeln. Diese Abart hat parallele Zugänge.
Doppelganggräber findet man in 57 Beispielen auf Seeland:
- Aldersro bei Værslev, Børnehøj in Roskilde, Djævelhøj von Tikøb, Drysagerdys bei Dalby Huse, Ettrup bei Ålestrup, Ganggräber von Græse bei Frederikssund, Gundsølille bei Kirkerup, Hyldedysse bei Rørby, Iglsø syd bei Skive, Kirkerup bei Slagelse, Korshøj bei Ubby, Lodden- oder Nordenhøj bei Rørby, Møllehøj im Hornsherred bei Hyllinge Kirke, Ølshøj oder Ullershøj bei Blistrup, Østrup bei Undløse, Ormshøj bei Årby, Måneshøj (auch Månehøj) auf der Svinø-Halbinsel, Slåenhøj bei Kalundborg Snogedysse bei Gentofte 1824 ausgegagen und Troldhøj (Stenstrup),
- vereinzelt auf Møn und Langeland (im Tvedeskov), Fünen, Ærø (Lindsbjerg Dysse) und Samsø (Rævebakken).
- Ein Dutzend dieser Anlagen sind aus Nordjütland (Ganggräber von Gundestrup, Snibhøj bei Hobro, Ettrup, Iglsø bei Skive und Langmosehøj südlich der Tulsbjerge), besonders aus dem südlichen Himmerland bekannt,
- drei liegen in Schonen in Schweden (Snarringe, Stenhögen Stora Kungsdösen).
In Aldersro bei Værslev auf Seeland liegen drei Ganggräber im selben Hünenbett. Mehrere Ganggräber in einer gemeinsamen Einfassung sind im Gegensatz zu Dolmen selten, kommen aber z. B. auch beim Grab Nr. 2 der Kleinenknetener Steine in Deutschland vor. Selten, wie Græse auf Seeland, öfter hingegen in Jütland (Ganggräber von Snæbum), liegen zwei Kammern unabhängig voneinander, aber aufeinander bezogen im selben Hügel.
Deutschland
Die Kleinenknetener Steine liegen nahe dem kleinen Ort Kleinenkneten südlich von Wildeshausen in Niedersachsen. Das Hünenbett II ist die einzige Anlage überhaupt in der drei Ganggräber (getrennt voneinander) innerhalb einer gemeinsamen Einfassung liegen, wobei der zugehörige Langhügel seit langem abgetragen ist.
Ganggrabkiste
Ganggrabkisten sind nach Hans-Jürgen Beier Ganggrab-Derivate. Sie sind wesentlich kleiner als Ganggräber, ggf. eingesenkt, aus Steinplatten errichtet und mit lateralen Zugängen versehen. Sie kommen besonders häufig am Unterlauf der Oder vor (Beeskow, Klein-Rietz, beide Landkreis Oder-Spree, Wartin 1 und 2 Landkreis Uckermark und Löwenbruch Landkreis Teltow-Fläming, alle in Brandenburg). In Mierzyn (dt. Möhringen) am Stadtrand von Stettin, liegt eine weitere Anlage.
Siehe auch
Literatur
- Deutsches Archäologisches Institut – Abteilung Madrid: Probleme der Megalithgräberforschung. Vorträge zum 100. Geburtstag von Vera Leisner. de Gruyter, New York, Berlin u. a. 1990, ISBN 3-11-011966-8 (Madrider Forschungen 16).
- Mamoun Fansa: Großsteingräber zwischen Weser und Ems. 3. veränderte Auflage. Isensee, Oldenburg 2000, ISBN 3-89598-741-7 (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 33).
- P. V. Glob: Vorzeitdenkmäler Dänemarks. Wachholtz, Neumünster 1968.
- Eberhard Kirsch: Funde des Mittelneolithikums im Land Brandenburg. Brandenburgisches Landesmuseum für Ur- und Frühgeschichte, Potsdam 1993, ISBN 3-910011-04-7 (Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg 1).
- Michael Schmidt: Die alten Steine. Reisen zur Megalithkultur in Mitteleuropa. Hinstorff, Rostock 1998, ISBN 3-356-00796-3.
- Ewald Schuldt: Die mecklenburgischen Megalithgräber. Untersuchungen zu ihrer Architektur und Funktion. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1972 (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg. 6, ISSN 0138-4279).
- Jürgen E. Walkowitz: Das Megalithsyndrom. Europäische Kultplätze der Steinzeit. Beier & Beran, Langenweißbach 2003, ISBN 3-930036-70-3 (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. 36).
Weblinks
- [1] unter anderem Plan des Ganggrabes von Gaarzerhof mit drei Jochen (Jochbauweise) in der Mitte.
- Grundplan des Møllehøj von Kyndeløse
Einzelnachweise
<references />