Harmonium


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25px Dieser Artikel bezieht sich auf das Instrument, für die Band siehe Harmonium (Band).
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Harmonium
engl.: reed organ, harmonium / franz.: harmonium
Klassifikation Aerophon
Verwandte Instrumente Akkordeon, Mundharmonika

Das Harmonium (Plural: Harmonien traveled with the instrument from September 1811 until June 1812.”

„Im Juni 1811 wurde ein eigenartiges Instrument mit dem Namen Pan-Harmonicon nach Boston gebracht. Sein Erfinder war Maelzel, der normalerweise mit dem Metronom in Verbindung gebracht wird. William Goodrich wurde von ihm beauftragt, das Pan-Harmonicon aufzustellen und in New York und andern Städten vorzuführen. Er [...] reiste mit dem Instrument von September 1811 bis Juni 1812.“

Orpha Caroline Ochse: in: The History of the Organ in the United States (1975), S. 77.<ref>Orpha Caroline Ochse: The History of the Organ in the United States, Indiana University Press: Bloomington & London 1975, S. 77, Online hier</ref>

Die Physharmonika wurde 1821 in Wien von Anton Haeckl patentiert.

Greniés Landsmann, der bedeutende französische Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll (1811–1899) schuf um 1833 ein harmoniumartiges Instrument für den kammermusikalischen Gebrauch, die sogenannte „Poikilorgue“ (von altgriech. ποικίλος (poikílos) „mannigfaltig, vielgestaltig“, der Name bedeutet also soviel wie „Orgel mit mannigfaltigen dynamischen Möglichkeiten“).<ref>Cécile und Emmanuel Cavaillé-Coll: Aristide Cavaillé-Coll. Seine Herkunft, sein Leben, sein Werk. Deutsche Übersetzung von Christoph Glatter-Götz. Schwarzach 1982, S. 26.</ref> Alle wesentlichen Merkmale des heutigen Harmoniums finden sich schließlich in einem Instrument vereint, das der französische Orgelbauer Alexandre-François Debain (1809–1877) 1842 unter dem Namen Harmonium patentieren ließ, womit diese Bezeichnung das erste Mal erscheint.

Debains Harmonium war ein Druckwindinstrument, welche bis in die 1870er-Jahre die Harmoniumlandschaft dominierten. Das einfachere Saugwind-System war bereits 1836 von dem Berliner Physharmonika-Bauer Christian Friedrich Ludwig Buschmann erfunden worden, hatte sich jedoch zunächst in Europa nicht durchsetzen können. In den USA wurde seit den 1860er-Jahren die Entwicklung des Saugwindsystems vorangetrieben; als Erfinder der Saugwindbälge gilt dort James Cahart. Die amerikanische Firma Mason & Hamlin stellte 1861 ihr erstes Saugwindinstrument vor und gewann 1867 bei der Weltausstellung in Paris den ersten Preis mit einem solchen Instrument. Damit begann der weltweite Siegeszug der Saugwind-Harmonien.

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Pedalharmonium (Lindholm, 1928) mit 30-tönigem Orgelpedal sowie Tretschemeln oder wahlweise elektrischem Gebläse

Seit ca. 1860 wurden auch ein- und zweimanualige Harmonien mit Orgelpedal produziert und als Pedalharmonium (auch: Orgelharmonium) bezeichnet. Sie wurden vor allem als Orgelersatz in Sakralräumen oder als häusliches Übungsinstrument für Organisten verwendet. Später (nach 1900), mit dem Siegeszug der elektrischen Stromversorgung, erhielten vor allem diese Pedalharmonien elektrische Gebläse, da man nur schlecht gleichzeitig mit den Füßen die Tretschemel betätigen und Orgelpedal spielen kann; dafür entfiel jedoch dann die Möglichkeit, den Winddruck durch die Geschwindigkeit des Schemeltretens nuancieren zu können.

Blütezeit und Nachleben

Eine Blüte erlebte das Harmonium gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als es als eine Art Heimorgel und Hausinstrument des bürgerlichen Mittelstands, als Ersatz für Pfeifenorgeln in kleineren Kirchen, aber auch als veritables Konzertinstrument entdeckt wurde. Auch „Salonorchester“ haben regelmäßig das Harmonium genutzt. In der westlichen Welt wurden zeitweise (um 1900) doppelt so viele Harmonien wie Klaviere verkauft.

Auch in religiösen Versammlungen spielte das Harmonium eine Rolle (beispielsweise im Pietismus), weil es dem Klang der Orgel nahekam, aber billiger war und auch in kleineren Räumen aufgestellt werden konnte. In manchen pietistischen Gruppierungen ist der vom Harmonium begleitete Gesang religiöser Lieder geradezu zu einem Charakteristikum geworden.

Zur Benutzung in Feldgottesdiensten im Ersten Weltkrieg wurden kleine, robuste und vor allem leichte Kriegsharmonien gebaut.<ref> http://www.garnisonmuseum-ludwigsburg.de/dok/presse/LKZ_24062014_2Seiten.pdf.</ref>

Von den deutschen Harmoniumbau-Firmen sind insgesamt deutlich über eine halbe Million Instrumente hergestellt worden. Die wichtigsten deutschen Harmoniumproduzenten waren folgende Firmen (sortiert nach Gründungsdatum): Pianofortefabrik Schiedmayer in Stuttgart, gegründet 1853, produzierte bis in die 1950er-Jahre auch zahlreiche Harmonien; Philipp Trayser in Stuttgart, gegründet 1853, aufgelöst 1906; Firma Ernst Hinkel in Ulm, gegründet 1880, Harmoniumproduktion bis ca. 1975; Firma Theodor Mannborg in Leipzig, gegründet 1889, 1961 mit der Firma Lindholm vereinigt; Firma Hörügel in Leipzig, gegründet 1893, erloschen 1952; Firma Magnus Hofberg in Borna, gegründet 1894, 1930 von Firma Lindholm übernommen; Firma Olof Lindholm in Borna, gegründet 1894, Harmoniumproduktion 1990 eingestellt, aber heute noch Reparatur von Harmonien; Firma Bongardt in Wuppertal, gegründet 1897, Tochterfirma Bongardt & Herfurth in Wiehe gegründet 1920, aufgelöst 1991. In Österreich befand sich in Wien die Firma Teofil Kotykiewicz, die ausnahmslos Druckwindinstrumente herstellte.

Zu einem aus der Not geborenem Aufleben des Harmoniums kam es in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als aufgrund der zerstörten Kirchen eine Vielzahl von Gemeinden auf das Harmonium zurückgriff, um die musikalische Begleitung des Gemeindegesanges zu gewährleisten.

Mitte der 1950er-Jahre begannen die Mundharmonikahersteller Hohner und Koestler damit, kleine elektrifizierte Harmoniumvarianten unter Bezeichnungen wie Organetta oder Harmophon in ihre Produktpaletten aufzunehmen; in der DDR wurden ähnliche Instrumente unter dem Namen „Harmona“ bis in die 1970er-Jahre in Klingenthal produziert.

Mit dem Aufkommen elektronischer Klangerzeugung und spätestens seit der Verbreitung der elektronischen Orgeln ist das Harmonium aus dem Musikleben weitgehend verdrängt. Dazu haben sicherlich in erster Linie die vielfältigeren Klangmöglichkeiten der elektronischen Instrumente beigetragen. Sucht man beim Harmonium selbst nach Ursachen, lässt sich an das oft relativ laute Geräusch denken, das beim Treten des Gebläses entsteht. Ein anderer Grund dürfte sein, dass vor allem die tiefen Zungen im Bassbereich relativ lange brauchen, um einzuschwingen, und daher in ihrer Ansprache leicht verzögert sind. Diesem Nachteil ist man aber bei Druckwindharmonien damit begegnet, dass häufig ein sogenanntes „Perkussionsregister“ eingebaut wurde, das mit kleinen Hämmerchen, die auf die Zungen schlagen, diese präzise zum Erklingen bringt (bei Saugwindharmonien war der Einbau von Perkussionsregistern jedoch zu aufwendig).

Auf dem Antiquitätenmarkt sind Harmonien wegen ihrer weiten Verbreitung und der großen seinerzeit produzierten Stückzahl noch häufig anzutreffen. Da es jedoch heute nicht besonders gefragte Instrumente sind, haben sie oft keinen großen Handelswert, zumal eine fachgerechte Restaurierung beschädigter oder auch nur abgenutzter Stücke meist recht aufwendig ist. Allerdings besitzen viele Instrumente aufwendig gearbeitete Gehäuse im Stil des Historismus, so dass sie sehr dekorativ sind.

In der Populärmusik des 20. Jahrhunderts hat das Harmonium nur vereinzelt Gebrauch gefunden. Am intensivsten genutzt wurde es durch die deutsche Sängerin Nico, deren Hauptinstrument das Harmonium war, aber auch jüngere Bands wie Kaizers Orchestra verwenden es. Zudem erlebte das Harmonium nach der Jahrtausendwende zumindest in Fachkreisen eine gewisse Renaissance.

Das Harmonium in Indien

Datei:Harmonium.jpg
Indisches Harmonium

Das Harmonium (je nach Region baja oder peti genannt) ist aus der indischen Musik heute nicht mehr wegzudenken. Ursprünglich brachten es englische Missionare nach Indien, die damit als Orgelersatz über Land zogen. Daher rührt der Name „Missionarsorgel“. Alexandre Debains Modell von 1842 mit Fußbetrieb wurde zunächst hauptsächlich von Missionaren in Indien verbreitet. 1875 entwickelte der Instrumentenbauer Dwarkanath Ghose in Calcutta daraus ein Harmonium mit Handbetrieb, das für die indischen Bedürfnisse besser geeignet war und von einem am Boden sitzenden Musiker bedient wird. In den folgenden Jahrzehnten verschwand allmähnlich das europäische Harmonium vom indischen Markt und Dwarkanaths Harmonium wurde zum Standardmodell für Indien. Bis 1913 hatte sich Indien zum weltgrößten Produzenten für Harmonien entwickelt. Im Prinzip ist das indische Harmonium ein halbes Akkordeon, dessen Blasebalg mit einer Hand bedient wird, während die freie Hand die Melodie spielt. Seine einfache Handhabung hat es nicht nur zu einem populären Instrument in der volkstümlichen und der religiösen Musik aller Religionsgemeinschaften Indiens gemacht, sondern ihm auch einen festen Platz als Gesangsbegleitung in gewissen Genres der klassischen und halbklassischen nordindischen Musik wie Khyal und Thumri verschafft. Dort hat das Harmonium die Rolle der Streichlaute Sarangi übernommen. Dies trotz aller Einwände, die gegen das Harmonium vorgebracht wurden: Besonders Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Unterschiede zwischen indischer und westlicher Musik als unüberwindbar galten, gehörte das Harmonium zu den fremden, also unindischen Instrumenten. Ein zweiter Einwand ist, dass das Harmonium keine sanften Übergänge durch Zwischentöne spielen kann. Die Spieler arbeiten dieser, bei der korrekten Aufführung von Ragas hinderlichen Beschränkung durch das Auslassen bestimmter Raganoten und feine ornamentale Verzierungen der Melodie entgegen. Der dritte Einwand, das Harmonium sei für die indische Musik falsch gestimmt, konnte durch entsprechende Anpassungen weitgehend entkräftet werden.<ref>Matt Rahaim: That Ban(e) of Indian Music: Hearing Politics in The Harmonium. In: The Journal of Asian Studies, Vol. 70, No. 3, August 2011, S. 657–682, hier S. 658f</ref>

Das Harmonium in der Volksmusik

Als Instrument zur Interpretation traditioneller Musik hat sich das Harmonium kaum durchsetzen können. In manchen Regionen der britischen Inseln war es im 19. Jahrhundert üblich, Volksweisen damit zu begleiten. In Schweden hält sich diese Praxis bis heute, inspirierte sogar einige moderne Folkbands, es in ihr Instrumentarium aufzunehmen (z. B. „Triakel“). Als Begleitinstrument zur Geige für traditionelle keltische Tanzmusik wird es gelegentlich immer noch in einigen Gegenden der Kanadischen Atlantikküste verwendet (Prince Edward Island, Traditionelle Musik auf Cape Breton-Island). Auch in der Musik der Mittelalterszene beginnt es sich zu verbreiten, wie beispielsweise bei den Gruppen Faun aus Deutschland und Sandragon aus England.

siehe auch Liste von Harmoniumkomponisten

Literatur

  • Hartmann, L. [Hg.]: Das Harmonium. umfassend die Geschichte, das Wesen, den Bau und die Behandlung des Druck- und Saugwindharmoniums nebst einer Abhandlung über das Harmoniumspiel. Leipzig: Bernh. Friedr. Voigt. (Staatliches Institut für Musikforschung). 1913, e-Buch
  • Christian Ahrens, Gregor Klinke: Das Harmonium in Deutschland. Bau, wirtschaftliche Bedeutung und musikalische Nutzung. Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-923639-48-1.
  • Geisz, Martin, Musik im Gottesdienst "POUR ORGUE OU HARMONIUM", Berlin 2015, ISBN 978-3-73751-766-9.
  • Klaus Gernhard, Hubert Henkel: Orgelinstrumente – Harmoniums. Breitkopf & Härtel, 1. Aufl., 1984, ISBN 3-7651-0201-6.
  • Georg Kinsky: Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln Kleiner Katalog der Sammlung alter Musikinstrumente, Leipzig 1913 e-Buch [allgemeine Informationen zur Geschichte des Harmonium mit Katalogteil]
  • Robert F. Gellerman: The American Reed Organ and the Harmonium: A Treatise on its History, Restoration and Tuning, with descriptions of some outstanding Collections, including a Stop dictionary and a directory of Reed Organs. 2. Aufl., New York 1997, ISBN 1-8795-1112-6.
  • Gero Christian Vehlow: Studien zur Geschichte der Musik für Harmonium. Köln 1998, ISBN 3-7649-2635-X.

Siehe auch

Weblinks

Commons Commons: Harmonium – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary Wiktionary: Harmonium – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

<references />