Hermann Heimpel


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Hermann Heimpel (* 19. September 1901 in München; † 23. Dezember 1988 in Göttingen) war ein deutscher Historiker, der das Spätmittelalter erforschte. Vor allem arbeitete er über die Reichs- und Kirchenreform des Spätmittelalters. Heimpel lehrte als Professor für mittlere und neuere Geschichte an den Universitäten Freiburg (1931–1934) und Leipzig (1934–1941), an der Reichsuniversität Straßburg (1941–1945) und an der Universität Göttingen (1946–1955). In den Jahrzehnten nach 1945 prägte Heimpel wesentlich die deutsche Mediävistik. Zugleich wirkte er in der Nachkriegszeit maßgeblich in der Wissenschafts- und Bildungspolitik. Heimpel betrieb in den 1950er Jahren erfolgreich die Gründung des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte und war von 1957 bis 1971 dessen erster Direktor. Dadurch gelang es ihm, neben der Universität eine zweite einflussreiche Einrichtung für die Mediävistik zu etablieren. Göttingen stieg zu einem Zentrum der Mittelalterforschung auf. Heimpel gehörte zu den wenigen Historikern, die über ihre Verstrickungen in der NS-Zeit öffentlich reflektierten. Seit dem Frankfurter Historikertag von 1998 wird sein Verhältnis zum Nationalsozialismus in der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert.

Leben

Frühe Jahre

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Theresien-Gymnasium München

Die väterlichen Vorfahren von Hermann Heimpel kamen aus Lindau, die Vorfahren der Mutter stammten aus den Niederlanden.<ref>Hartmut Boockmann: Der Historiker Hermann Heimpel. Göttingen 1990, S. 8.</ref> Heimpel wurde in München als Sohn eines Eisenbahningenieurs in eine protestantische Familie hineingeboren. Sein Vater gehörte zu den Pionieren der Elektrifizierung der Eisenbahn. Von Murnau nach Oberammergau baute er die erste elektrifizierte Strecke der Bayerischen Lokalbahn AG.<ref>Gerald Wiemers: Hermann Heimpel 19. IX. 1901 – 23. XII. 1988. In: Jahrbuch Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (1987/88), S. 213–219, hier: S. 218.</ref>

Als 1901 Geborener zählte Heimpel zur „Kriegsjugendgeneration“.<ref>Ernst Schulin: Weltkriegserfahrung und Historikerreaktion. In: Wolfgang Küttler u.a. (Hrsg.): Geschichtsdiskurs. Bd. 4: Krisenbewußtsein, Katastrophenerfahrung und Innovationen 1880–1945. Frankfurt am Main 1997, S. 165–188.</ref> Er gehörte damit einer Generation an, die in ihrer Kindheit den Ersten Weltkrieg von zu Hause miterlebte. In der bedeutsamen Phase ihrer Sozialisation konnte sich diese Generation nicht an männlichen Vorbildern orientieren, da ihre Väter an der Front kämpften. Nach dem viel zitierten Buch von Ernst Günther Gründel aus dem Jahr 1932 war eine direkte Folge „die ungewöhnlich frühe Erschließung der Kindesseele für das große Ganze, für völkische, gesellschaftliche und schließlich auch internationale Belange und für das kollektive Erleben überhaupt“.<ref>Ernst Günther Gründel: Die Sendung der Jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise. München 1932, S. 32.</ref> Daraus sei eine neue Generation der „Sachlichkeit“ entstanden, die Sachliches über Persönliches gestellt habe.<ref>Ernst Günther Gründel: Die Sendung der Jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise. München 1932, S. 31–35, 81ff. Ulrich Herbert: „Generation der Sachlichkeit“. Die völkische Studentenbewegung der frühen 20er Jahre in Deutschland. In: Frank Bajohr u.a. (Hrsg.): Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Hamburg 1991, S. 115–144.</ref>

Heimpel erhielt seine schulische Ausbildung am Theresien-Gymnasium München. Dort freundete er sich mit Albrecht Haushofer an. Im April 1920 kämpfte Heimpel im „Freikorps Epp“ im Ruhrgebiet gegen die Rote Ruhrarmee. Er studierte von 1920 bis 1924 Geschichte, Germanistik und Staatswissenschaften an den Universitäten München und Freiburg. Den Putschversuch von Adolf Hitler am 8. November 1923 im Münchener Bürgerbräukeller erlebte er als Augenzeuge mit.<ref>Hermann Heimpel: Traum im November. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 32 (1981), S. 521–525.</ref> In München waren Siegmund Hellmann und Rudolf von Heckel als akademische Lehrer für Heimpel besonders prägend. Bei Heckel erwarb er Kenntnisse in Paläographie, Editionstechnik und Mittellatein. Hellmann ebnete Heimpel durch persönliche Empfehlungsschreiben den Weg nach Freiburg.<ref>Josef Fleckenstein: Gedenkrede auf Hermann Heimpel. In: In memoriam Hermann Heimpel. Gedenkfeier am 23. Juni 1989 in der Georg-August-Universität. Göttingen 1989, S. 27–45, hier: S. 31.</ref> Dort knüpfte er enge Kontakte mit Arnold Berney und Rudolf Stadelmann. Bei dem nationalkonservativen Professor für Mittlere Geschichte Georg von Below wurde Heimpel 1924 in Freiburg mit noch nicht 23 Jahren mit einer wirtschaftsgeschichtlichen Studie zum Gewerbe der Stadt Regensburg im Mittelalter promoviert. Die Dissertation wurde in erweiterter Fassung 1926 veröffentlicht.<ref>Hermann Heimpel: Das Gewerbe der Stadt Regensburg im Mittelalter. Stuttgart 1926.</ref> Below war ein entschiedener Feind der Demokratie. Heimpel versicherte später, dass Below „die Studenten mit seinen politischen Überzeugungen und Kämpfen“ verschont habe.<ref>Hermann Heimpel: Aspekte. Alte und neue Texte. Hrsg. von Sabine Krüger. Göttingen 1995, S. 174.</ref> Völlig wirkungslos blieb die politische Haltung des Lehrers auf seine Studenten aber wohl nicht, denn sie forderte zur Zustimmung oder Distanzierung heraus.<ref>Eduard Mühle: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung. Düsseldorf 2005, S. 33.</ref>

Nach seiner Promotion wechselte Heimpel zu Heinrich Finke, bei dem er auch vier Jahre lang wohnte.<ref>Hartmut Boockmann: Der Historiker Hermann Heimpel. Göttingen 1990, S. 14.</ref> Von 1924 bis 1927 arbeitete er an Finkes Edition der Akten des Konzils von Konstanz (Acta Concilii Constantiensis) mit. 1927 habilitierte er sich bei Gerhard Ritter, Georg von Below und Heinrich Finke für Mittlere Geschichte an der Universität Freiburg mit der Arbeit König Sigismund und Venedig. Die Arbeit blieb unveröffentlicht. Heimpel heiratete am 11. April 1928 die promovierte Pädagogin Elisabeth Michel. Sie war eine Tochter des Geheimen Justizrats und Vorstandsmitglieds der I.G. Farben Oskar Michel. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor, darunter der Professor der Medizin in Ulm Hermann Heimpel (1930–2014). Ebenfalls 1928 wurde Heimpel Assistent von Ritter in Freiburg. Dank seiner rhetorischen Fähigkeiten übte er mit seinen Vorlesungen eine große Wirkung aus. Noch vor seinem dreißigsten Lebensjahr wurde er 1931 in Freiburg als Nachfolger von Erich Caspar auf den Lehrstuhl seines Lehrers Georg von Below berufen. 1932 erschien Heimpels großes Werk über Dietrich von Nieheim. Ein Jahr später veröffentlichte er eine Edition von Dietrichs Dialog über Union und Reform der Kirche 1410 (De modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio universali).

Forschung und Lehrtätigkeit im Nationalsozialismus (1933–1945)

Da Heimpel bereits vor 1933 Professor war und sich auch in einer gefestigten beruflichen Position befand, war er zu keinen größeren politischen Zugeständnissen gegenüber dem NS-Regime gezwungen.<ref>Marcel vom Lehn: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle? Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45–1960). Göttingen 2012, S. 61.</ref> Der NSDAP trat er nicht bei, doch war er Mitglied des NS-Dozentenbundes. Heimpel hatte zwar kein Parteibuch, zählte aber nicht zu den Regimegegnern. Er begrüßte die Machtübernahme der Nationalsozialisten. In seinen Vorträgen feierte er 1933 die „nationale Revolution“.<ref>Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970. Göttingen 2005, S. 27.</ref> In seiner 1933 gehaltenen und dem Freiburger Rektor Martin Heidegger gewidmeten Rede Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal ordnete er das Mittelalter in die nationalsozialistische Ideologie ein. Der politische Wille des Dritten Reiches nehme vom Klang des mittelalterlichen Reiches „das auf, was der Gegenwart Reich sein soll: Einheit, Herrschaft des Führers, abendländische Sendung“.<ref>Zitiert nach Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie. Stuttgart 1996, S. 253.</ref> Heimpel sah das „Dritte Reich“ der Nationalsozialisten als die legitime Fortsetzung des „mittelalterlichen Reiches“<ref>Hermann Heimpel: Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal. In: Ders.: Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal. Zwei Reden. Freiburg 1933, S. 5–34. Vgl. dazu Otto Gerhard Oexle: „Zusammenarbeit mit Baal“. Über die Mentalitäten deutscher Geisteswissenschaftler 1933 – und nach 1945. In: Historische Anthropologie 8 (2000), S. 1–27, hier: S. 10, sowie Ewald Grothe: Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900-1970. München 2005, S. 237.</ref> und des deutschen Kaiserreichs<ref>Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie. Stuttgart 1996, S. 262.</ref> an. Am 14. November 1933 erklärte er in einer Vorlesung Deutsche Geschichte im späteren Mittelalter vor seinen Freiburger Studenten Adolf Hitler zu ihrem „Führer zur Freiheit, zu einem neuen Deutschland, zu einem neuen Abendland“.<ref>Otto Gerhard Oexle: Zur 'longue durée' mentaler Strukturen. In: Hansjörg Siegenthaler (Hrsg.): Rationalität im Prozess kultureller Evolution. Rationalitätsunterstellungen als eine Bedingung der Möglichkeit substantieller Rationalität des Handelns. Tübingen 2005, S. 235–265, hier: S. 250.</ref> Heimpel sah Deutschland in seiner Geschichte als Opfer Frankreichs an. Er meinte, die Politik der mittelalterlichen deutschen Könige sei nicht aus expansionistischen Bestrebungen „imperialistisch“ gewesen; vielmehr hätten sie aus „Sorge für den Glauben, für die Reinheit der Kirche an Haupt und Gliedern“ und aus „Sorge für den gottgewollten Zustand der Welt“ gehandelt. Die französische Politik seit dem 12. Jahrhundert hingegen deutete er als „Ausbreitungspolitik gegen Deutschland“, die nun ihr Ende erreicht habe.<ref>Otto Gerhard Oexle: „Zusammenarbeit mit Baal“. Über die Mentalitäten deutscher Geisteswissenschaftler 1933 – und nach 1945. In: Historische Anthropologie 8 (2000), S. 1–27, hier: S. 24.</ref> „Das den Terror verherrlichende Pathos Hermann Heimpels“ nannte Johannes Fried diese „Vorreden“ gegenüber den Studenten zu Beginn des Wintersemesters 1933/34.<ref>Eröffnungsrede des Vorsitzenden des Verbandes der Historiker Deutschlands, Johannes Fried. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 869–874, hier: S. 873.</ref> Josef Fleckenstein deutete Heimpels 1933 gehaltene Rede Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal als Höhepunkt von dessen Annäherung an das NS-Regime.<ref>Josef Fleckenstein: Gedenkrede auf Hermann Heimpel. In: In memoriam Hermann Heimpel. Gedenkfeier am 23. Juni 1989 in der Georg-August-Universität. Göttingen 1989, S. 27–45, hier: S. 35.</ref> Gegen Fleckenstein hat Frank Rexroth darauf hingewiesen, dass es auch aus späteren Jahren ähnliche Äußerungen Heimpels gibt.<ref>Frank Rexroth: Geschichte schreiben im Zeitalter der Extreme. Die Göttinger Historiker Percy Ernst Schramm, Hermann Heimpel und Alfred Heuß. In: Christian Starck, Kurt Schönhammer (Hrsg.): Sie befruchtet und ziert. Die Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Berlin u.a. 2013, S. 265–299, hier: S. 288.</ref>

Politisch engagierte sich Heimpel nicht. Nach Einschätzung Klaus P. Sommers könnte er der DDP, der DVP und im September 1930 der SPD seine Stimme gegeben haben.<ref>Klaus P. Sommer: Eine Frage der Perspektive? Hermann Heimpel und der Nationalsozialismus. In: Tobias Kaiser, Steffen Kaudelka, Matthias Steinbach (Hrsg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel. Studien zur Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaatlichkeit. Berlin 2004, S. 199–223, hier: S. 207.</ref> Heimpel selbst gab 1946 in alliierten Fragebögen an, die DVP im November 1932 und im März 1933 gewählt zu haben.<ref>Peter Herde: Die gescheiterte Berufung Hermann Heimpels nach München (1944–1946). In: Sabine Arend, Daniel Berger, Carola Brückner u.a. (Hrsg.): Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag. Bielefeld 2006, S. 695–737, hier: S. 705.</ref>

1934 wurde Heimpel ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Im selben Jahr wechselte er an die Universität Leipzig.<ref>Vgl. dazu ausführlich Johannes Piepenbrink: Das Seminar für mittelalterliche Geschichte des Historischen Instituts 1933–1945. In: Ulrich von Hehl (Hrsg.): Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952. Leipzig 2005, S. 363–383.</ref> Dort trat er die Nachfolge seines früheren Lehrers Hellmann an. In einem Brief an Heimpel erinnerte Hellmann an ein Gespräch in der Silvesternacht 1932/33. Hellmann hatte vorausgesagt, dass er im neuen Jahr nicht mehr lehren werde, und hatte Heimpel als Nachfolger gewünscht. Der jüdische Gelehrte wurde im Zuge des von den Nationalsozialisten am 7. April 1933 eingeführten sogenannten Berufsbeamtengesetzes entlassen. Hellmann musste 1935 Heimpel um ein Darlehen bitten. Der Kontakt zwischen ihnen endete mit Hellmanns Dank dafür.<ref>Hartmut Boockmann: Der Historiker Hermann Heimpel. Göttingen 1990, S. 54, Anm. 6.</ref> Hellmann lebte die nächsten Jahre zurückgezogen. 1942 wurde er deportiert und im KZ Theresienstadt ermordet. Anne Christine Nagel zufolge zählt Heimpels 1952 veröffentlichter Nachruf „zu den raren Eingeständnissen von Schuld und Scham über die Behandlung der jüdischen Kollegen während des Dritten Reichs“.<ref>Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970. Göttingen 2005, S. 31.</ref>

Heimpels Leipziger Antrittsvorlesung behandelte das Thema Alexander von Roes und das deutsche Selbstbewußtsein des 13. Jahrhunderts.<ref>Hermann Heimpel: Alexander von Roes und das deutsche Selbstbewußtsein des 13. Jahrhunderts. In: Archiv für Kulturgeschichte 26 (1936), S. 19–60.</ref> Ein Jahr nach seiner Berufung nach Leipzig wurde Heimpel am 5. Juni 1935 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.<ref>Gerald Wiemers: Hermann Heimpel 19. IX. 1901 – 23. XII. 1988. In: Jahrbuch Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (1987/88), S. 213–219, hier: S. 217.</ref> Bis 1941 lehrte er als Professor für Mittlere Geschichte in Leipzig. Ein enger Kontakt entstand in dieser Zeit mit Herbert Grundmann, dessen Interesse für spätmittelalterliche Geistesgeschichte Heimpel teilte. Gemeinsam bearbeiteten die beiden Gelehrten die Edition der Schriften Alexander von Roes' für die Monumenta-Reihe Staatsschriften des späteren Mittelalters.

Heimpels Verhältnis zur nationalsozialistischen Ideologie in seiner Zeit als Leipziger Hochschullehrer blieb zwiespältig. Ohne Vorbehalte unterstützte er in Jena seinen Schüler Eberhard Otto, einen SS-Angehörigen und Propagator des Germanen- und Führerkultes, gegen Michael Seidlmayer, den er 1942 in einem Brief an Rudolf Stadelmann als „subalternen Zentrumskröterich“ bezeichnete. Zugleich förderte er Hermann Mau, der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand.<ref>Peter Herde: Die gescheiterte Berufung Hermann Heimpels nach München (1944–1946). In: Sabine Arend, Daniel Berger, Carola Brückner u.a. (Hrsg.): Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag. Bielefeld 2006, S. 695–737, hier: S. 696f. und 706; Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970. Göttingen 2005, S. 29, Anm. 23.</ref>

Seit 1936 gehörte Heimpel der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an. Seine Mitgliedschaft dauerte 52 Jahre und damit länger als die jedes anderen der 150 Mitglieder seit dem Gründungsjahr 1850.<ref>Horst Fuhrmann: Hermann Heimpel: 19.9.1901 – 23.12.1988. In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1989), S. 204–210.</ref> Anlässlich der 1936 mit großem propagandistischem Aufwand gefeierten tausendsten Wiederkehr des Todestages Kaiser Heinrichs I. veröffentlichte Heimpel einen Beitrag in der nationalsozialistisch ausgerichteten Zeitschrift Vergangenheit und Gegenwart. Dort fragte er nach den Bedingungen für die Entstehung des „Ersten Reiches“. Solche Beiträge gehörten zu den zeittypischen Schwerpunkten der Mediävistik. Noch zwei Monate vor Kriegsbeginn war Heimpel von der Friedfertigkeit der Außenpolitik Hitlers überzeugt.<ref>Vgl. dazu Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie. Stuttgart 1996, S. 251.</ref> Im selben Jahr zeigte er in einer am französischen Nationalfeiertag (14. Juli 1939) gehaltenen Rede seine Abneigung gegen Frankreich. Unter einer Huldigung des „Führers des Dritten Reiches“ bezeichnete er Frankreich als das Land einer „Fremde besonderer Art“, als „das Land der feindlichen, der bösartigen, der heimlich geliebten Brüder für eine fundierte Kenntnis vieler Bereiche des deutschen Spätmittelalters unentbehrlich sein wird.“<ref>Besprechung in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 93 (1985), S. 47.</ref> Eine umfassende Geschichte der spätmittelalterlichen Konzilien oder des Spätmittelalters legte Heimpel aber nicht vor. In den 1980er Jahren verfolgte Heimpel in mehreren Studien die Anfänge der herrscherlichen Evangelienlesung im Weihnachtsgottesdienst und bei der Krönungsmesse. Heimpel erwies sie als Neuerung des 14. und 15. Jahrhunderts.<ref>Hermann Heimpel: Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel. In: Norbert Kamp, Joachim Wollasch (Hrsg.): Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters. Festschrift Karl Hauck. Berlin 1982, S. 388–411; Hermann Heimpel: Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39 (1983), S. 131–206; Hermann Heimpel: Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung. In: Hubert Mordek (Hrsg.): Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift Friedrich Kempf zu seinem 75. Geburtstag und 50jährigen Doktorjubiläum. Sigmaringen 1983, S. 447–459.</ref>

Zur Bedeutung Heimpels trug auch sein sprachliches Ausdrucksvermögen bei, wie etwa seine Beschreibung des spätmittelalterlichen Reiches zeigt: „Um die vielfältigen Bilder adeligen und bürgerlichen Stolzes in einer innigeren Kunst, im Auf und Ab einer strotzenden Wirtschaft, in Reichtum und schreiender Armut pendelten die Gewichte der Macht ohne Ruhe“.<ref>Hermann Heimpel: Deutschland im späteren Mittelalter. In: Otto Brandt, Arnold Oskar Meyer, Leo Just (Hrsg.): Handbuch der Deutschen Geschichte. Bd. 1. Konstanz 1957, S. 1–159, hier: S. 2.</ref> Im Jahr 1985 erhielt er vor allem für Die halbe Violine (1949), die autobiographische Geschichte seiner „Jugend in der Haupt- und Residenzstadt München“, den Sigmund-Freud-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt für wissenschaftliche Prosa. Die halbe Violine war nach Horst Fuhrmann „vorgetragen in einer unnachahmlichen, packend-schwebenden Sprache, dicht am Geschehen und doch entfernt, privat-individuell und doch gemeingültig“.<ref>Horst Fuhrmann: Menschen und Meriten. Eine persönliche Portraitgalerie. München 2001, S. 276.</ref>

Prägung des Mittelalterbildes der Deutschen

Heimpel präsentierte den Deutschen das mittelalterliche Reich als die Macht, die vom 10. bis zum 12. Jahrhundert Europa dominierte, den anderen Völkern überlegen war und mit dem Kaisertum die höchste weltliche Würde vergab. Im Verlauf des Mittelalters hätten die Kaiser jedoch diese Machtstellung verloren. Dieses im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik u.a. von Karl Hampe geprägte Geschichtsbild wurde von Heimpel im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ unter dem Titel Deutschlands Mittelalter – Deutschlands Schicksal sprachgewaltig gebündelt. Gleich zu Beginn des Vortrags verkündete er: „Deutschlands Mittelalter ist Deutschlands Anfang in Macht, Größe und Weltruf , der sich zu seiner Schuld bekannt und darunter gelitten hat“.<ref>Arnold Esch: Über Hermann Heimpel. In: Winfried Schulze, Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1999, S. 159–160.</ref>

Bislang ist erst ein Teil der Akten und Nachlässe frei zugänglich. Eine 400-seitige Quellenedition mit 80 Seiten ungedruckter Texte aus Heimpels Nachlass legte 1995 Sabine Krüger vor.<ref>Aspekte. Alte und neue Texte. Hrsg. von Sabine Krüger. Göttingen 1995.</ref> Seine Personal- und Entnazifizierungsakte ist seit dem 23. Dezember 1998, Heimpels 10. Todestag, zugänglich. Zwei „Vorreden“, die Heimpel zu Beginn des Sommer- und Wintersemesters 1933 bzw. 1933/34 hielt, sind von Michael Matthiesen entdeckt und publiziert worden. Eine Biographie über Heimpel ist eine Forschungslücke, allerdings ist sein Nachlass in der Universitätsbibliothek Göttingen noch bis 2018 gesperrt. Ein einhellig akzeptiertes Gesamturteil über Heimpels Verhältnis zum Nationalsozialismus hat sich aus den bisherigen Forschungen nicht ergeben. Ursula Wolf (1996) sah Heimpels Weltbild „in hohem Maße von völkischem Gedankengut bestimmt“.<ref>Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie. Stuttgart 1996, S. 251.</ref> Michael Matthiesen sah ihn als „Mitläufer“.<ref>Michael Matthiesen: Verlorene Identität. Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923–1938. Göttingen 1998, S. 9.</ref> Für Helmut Heiber war er ein „Konjunktur-Aktivist“.<ref>Helmut Heiber: Universität unterm Hakenkreuz. Teil 1: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz. München 1991, S. 370.</ref> Die unterschiedlichen Urteile der Historiker über Heimpels Haltung zum Nationalsozialismus führt Otto Gerhard Oexle auf das Fehlen von angemessenen Beurteilungskategorien zurück.<ref>Otto Gerhard Oexle: ‚Staat‘ – ‚Kultur‘ – ‚Volk‘. Deutsche Mittelalterhistoriker auf der Suche nach der historischen Wirklichkeit 1918–1945. In: Peter Moraw, Rudolf Schieffer (Hrsg.): Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert. Ostfildern 2005, S. 63–101, hier: S. 79.</ref>

Schriften

Ein Schriftenverzeichnis bis 1972 erschien in: Eva Geuss, Herbert Geuss: Veröffentlichungen von Hermann Heimpel. In: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Bd. 3. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1972, ISBN 3-525-35346-4, S. 713–731.

  • Das Gewerbe der Stadt Regensburg im Mittelalter (= Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. Bd. 9). Kohlhammer, Stuttgart 1926.
  • Deutsches Mittelalter. Koehler & Amelang, Leipzig 1941.
  • Die halbe Violine. Eine Jugend in der Residenzstadt München. Koehler, Stuttgart 1949.
  • Der Mensch in seiner Gegenwart. Acht historische Essais. 2. erweiterte Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1957.
  • Deutschland im späteren Mittelalter. (= Sonderdruck aus Otto Brandt, Arnold Oskar Meyer, Leo Just: Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. I, Abschnitt 5). Akademische Verlags-Gesellschaft Athenaion, Konstanz 1957.
  • Kapitulation vor der Geschichte? 3., vermehrte Auflage (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Bd. 27/27a). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1960.
  • Zwei Historiker: Friedrich Christoph Dahlmann, Jacob Burckhardt (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Bd. 141). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1962.
  • Geschichtsvereine einst und jetzt. Vortrag gehalten am Tag der 70. Wiederkehr der Gründung des Geschichtsvereins für Göttingen und Umgebung (19. November 1962). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1963.
  • Drei Inquisitionsverfahren aus dem Jahre 1425. Akten der Prozesse gegen die deutschen Hussiten Johannes Drändorf und Peter Turnau sowie gegen Drändorfs Diener Martin Borchard (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 24). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969.
  • Die Vener von Gmünd und Strassburg 1162–1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 52). 3 Bde. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982, ISBN 3-525-35378-2.

Literatur

Nekrologe

  • Heinrich Appelt: Hermann Heimpel. Nachruf. In: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 139 (1989), S. 390–394.
  • Arnold Esch: Denken und doch Schauen, Schauen und doch Denken. Zum Tode von Hermann Heimpel. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1988, Darmstadt 1989, S. 153–158.
  • In memoriam Hermann Heimpel. Gedenkfeier am 23. Juni 1989 in der Aula der Georg-August-Universität (= Göttinger Universitätsreden. Bd. 87). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1989, ISBN 3-525-82641-9.
  • Josef Fleckenstein: Hermann Heimpel. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (1991), S. 158–166.
  • Horst Fuhrmann: Nachruf Hermann Heimpel. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45 (1989), S. 372–374. (Digitalisat)
  • Horst Fuhrmann: Hermann Heimpel: 19.9.1901 – 23.12.1988. In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1989), S. 204–210.
  • Heinrich Koller: Nachruf auf Hermann Heimpel. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 40 (1989), S. 96f.
  • Gerald Wiemers: Hermann Heimpel 19. IX. 1901 – 23. XII. 1988. In: Jahrbuch Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (1987/88), S. 213–219.

Darstellungen

  • Hartmut Boockmann: Der Historiker Hermann Heimpel (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. Bd. 1553). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1990, ISBN 3-525-33569-5.
  • Hartmut Boockmann: Versuch über Hermann Heimpel. In: Historische Zeitschrift 251 (1990), S. 265–282.
  • Hartmut Boockmann: Heimpel, Hermann. In: Walther Killy, Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). 1. Auflage. Band 4 (Gies – Hessel), K. G. Saur, München/Leipzig 1996, ISBN 3-598-23164-4, S. 585
  • Peter Herde: Die gescheiterte Berufung Hermann Heimpels nach München (1944–1946). In: Sabine Arend, Daniel Berger, Carola Brückner u.a. (Hrsg.): Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen. Bd. 48). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2006, ISBN 3-89534-608-X, S. 695–737.
  • Michael Matthiesen: Verlorene Identität. Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923–1938. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-36233-1.
  • Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970 (= Formen der Erinnerung. Bd. 24). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-35583-1 (Zugleich: Gießen, Universität, Habilitations-Schrift, 2003).
  • Frank Rexroth: Geschichte schreiben im Zeitalter der Extreme. Die Göttinger Historiker Percy Ernst Schramm, Hermann Heimpel und Alfred Heuß. In: Christian Starck, Kurt Schönhammer (Hrsg.): Sie befruchtet und ziert. Die Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge, Bd. 28). De Gruyter, Berlin u.a. 2013, ISBN 978-3-11-030467-1, S. 265–299.
  • Ernst Schulin: Hermann Heimpel und die deutsche Nationalgeschichtsschreibung (= Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 9). Winter, Heidelberg 1998, ISBN 3-8253-0765-4.
  • Klaus P. Sommer: Eine Frage der Perspektive? Hermann Heimpel und der Nationalsozialismus. In: Tobias Kaiser, Steffen Kaudelka, Matthias Steinbach (Hrsg.): Historisches Denken und gesellschaftlicher Wandel. Studien zur Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaatlichkeit. Metropol, Berlin 2004, ISBN 3-936411-23-9, S. 199–223.

Weblinks

Anmerkungen

<references />

24px Dieser Artikel wurde am 15. Mai 2015 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.