Myokarditis
Klassifikation nach ICD-10 | ||
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I09.0 | Rheumatische Myokarditis | |
I40 | Akute Myokarditis | |
ICD-10 online (WHO-Version 2013) |
Die Myokarditis ist eine Sammelbezeichnung für entzündliche Erkrankungen des Herzmuskels mit unterschiedlichen Ursachen. Obwohl eine Vielzahl der Myokarditiden symptomlos verläuft, kann sie Auslöser für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen sein und zum plötzlichen Herztod führen. Sind auch die Herzinnenhaut (Endokard) und der Herzüberzug (Epikard) betroffen, spricht man von einer Pankarditis.
Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie
Die Epidemiologie der Myokarditis ist aufgrund der variablen Symptomatik weitgehend unbekannt. In den USA wird die Inzidenz auf 1–10/100.000 Einwohner und Jahr geschätzt. Bei 1–5 % der Patienten mit einem viralen Infekt wird eine myokardiale Beteiligung angenommen.<ref name="Naegeli">Barbara Naegeli: Myokarditis: Diagnostik und Verlauf. In: Kardiovaskuläre Medizin. 2004;7, S. 248–257 PDF</ref>
Ursachen
Infektiöse Formen
In Europa und den USA werden in über 50 % der Fälle Enteroviren, besonders Coxsackie-Viren B1-B5, für eine Myokarditis verantwortlich gemacht. Ein ursächlicher Zusammenhang ist außerdem bei einigen Serotypen der Coxsackie-A-Viren und der ECHO-Viren erwiesen. In weiteren Fällen konnten Parvovirus B19, Adenoviren, Influenzaviren und Mumpsviren aus dem Myokard isoliert werden.
Bakterielle Erreger, unter anderem Brucellen, Corynebacterium diphtheriae, Mycobacterium tuberculosis und Pneumokokken, sind bei Patienten mit intaktem Immunsystem selten.
Das Protozoon Trypanosoma cruzi, Erreger der Chagas-Krankheit, ist in Südamerika der Haupterreger der Myokarditis, spielt aber in Europa keine Rolle.
Weitere Erreger sind Spirochäten (Borrelia burgdorferi und Leptospira), Rickettsien, Parasiten und Pilze (Aspergillen, Candida).
Gelegentlich kann eine Virusinfektion der Mutter während der Schwangerschaft eine Myokarditis beim Kind auslösen, welches dann mit einer Herzinsuffizienz zur Welt kommt.
Toxische Formen
Hierzu zählen Myokarditiden bedingt durch Alkoholkonsum (am häufigsten) und Schwermetalle. Weitere Fälle werden auf die toxische Wirkung von Medikamenten, insbesondere Chemotherapeutika (Anthrazykline, Cyclophosphamid, Fluorouracil), sowie Barbiturate und Antipsychotika zurückgeführt.
Autoimmune Formen
Bei einigen Autoimmunerkrankungen, unter anderem der Sarkoidose, dem systemischen Lupus erythematodes, der Sklerodermie und bei Vaskulitiden, kann das Myokard beteiligt sein.
Symptomatik
Ein spezifisches Leitsymptom existiert nicht. Im Krankheitsverlauf bleiben viele Myokarditiden symptomlos. Bei den übrigen Patienten stehen unspezifische Symptome wie Müdigkeit, allgemeines Unwohlsein, Palpitationen, Fieber und Atemnot im Vordergrund. In bis zu 60 % geht ein grippaler Infekt, meist der oberen Luftwege, voraus.
Bei den symptomatischen Patienten tritt in 10–30 % ein akuter Thoraxschmerz auf, der nicht von dem eines akuten Koronarsyndroms zu unterscheiden ist. Bei 5–15 % der Patienten manifestiert sich die Erkrankung in Form von Herzrhythmusstörungen; bei 60–70 % als Herzinsuffizienz und bei 5–10 % als kardiogener Schock.<ref>A. Salvi et al.: Clinical presentation and evolution in treated and untreated myocarditis. In: G. Baroldi, F. Camerini, J. F. Goodwin (Hrsg.): Advances in cardiomyopathies. Springer, Berlin 1990, ISBN 0-387-51068-0, S. 316–324.</ref> Andere Herzerkrankungen mit dem gleichen klinischen Bild sollten deshalb diagnostisch ausgeschlossen werden.
Diagnostik
Im Röntgen zeigt sich nur bei fulminanten Verläufen ein vergrößertes Herz. Im Elektrokardiogramm finden sich häufig AV-Blockierungen 1. Grades, selten höhergradige; supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien kommen in allen Formen vor, bis hin zur lebensbedrohlichen ventrikulären Tachykardie. Weiterhin können ST/T-Veränderungen und Herzenzymverläufe denen eines akuten Myokardinfarktes gleichen.<ref>J. Narula et al.: Recognition of acute myocarditis masquerading as acute myocardial infarction. In: N Engl J Med. 1993 Jan 14;328(2), S. 100–104, PMID 8416421</ref><ref>C. L. Miklozek et al.: Myocarditis presenting as acute myocardial infarction. In: Am Heart J. 1988 Apr;115(4), S. 768–776, PMID 3354405</ref> Echokardiografisch zeigt sich häufig eine diastolische Dysfunktion und bei 20 % der Patienten ein meist kleiner Perikarderguss. Die Größe der Herzkammer nimmt nur bei schweren Verlaufsformen schnell zu. Im Serum können bei viraler Myokarditis antimyolemmale und/oder antisarkolemmale Antikörper nachgewiesen werden. Die Myokardszintigrafie und die Magnetresonanztomografie des Herzens ermöglichen es, mit hoher Sensitivität eine Myokardnekrose zu erkennen, werden aber bisher noch nicht routinemäßig eingesetzt.
Die Koronarangiografie wird bei Patienten, welche sich als akutes Koronarsyndrom präsentieren, zum Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit notfallmäßig durchgeführt. Sie ist ebenfalls bei Patienten mit einer deutlich erniedrigten linksventrikulären Pumpfunktion indiziert. Die Myokardbiopsie ist immer noch der Goldstandard. Das entnommene Gewebe wird histologisch, immunhistologisch, elektronenmikroskopisch oder molekularbiologisch untersucht.
Verlauf
Die Mechanismen der unterschiedlichen Verläufe der Myokarditis sind nur teilweise geklärt. In der Hälfte bis zwei Drittel der Fälle heilt die Erkrankung spontan ab und es bleiben keine Symptome zurück.<ref>A. D’Ambrosio, G. Patti, A. Manzoli, G. Sinagra, A. Di Lenarda, F. Silvestri, G. Di Sciascio: The fate of acute myocarditis between spontaneous improvement and evolution to dilated cardiomyopathy: a review. In: Heart. 2001 May;85(5), S. 499–504, PMID 11302994.</ref> Die Vermutung, dass eine akute Myokarditis in eine dilatative Kardiomyopathie übergeht, wird zwar durch mehrere Studien unterstützt, der definitive Beweis hierfür steht aber noch aus. Eine günstige Prognose haben Verlaufsformen, welche sich als akutes Koronarsyndrom darstellen.<ref name="Sinagra">G. Sinagra, P. Maras, A. D’Ambrosio, D. Gregori, R. Bussani, F. Silvestri et al.: Polimorfismo clinico di presentazione e storia naturale della miocardite attiva: sperienza su 60 casi. In: G Ital Cardiol. 1997;27, S. 758–774, PMID 9312504.</ref><ref>P. Ammann, B. Naegeli, E. Schuiki, R. Mury, J. Frielingsdorf, O. Bertel: Long-term outcome of acute myocarditis is independent of initial cardiac enzyme release. In: Int J Cardiol 2003; 89, S 217–222, PMID 12767545.</ref> Ungünstig bezüglich der Mortalität sind hingegen die Erstmanifestation als Synkope,<ref name="Goldberg">L. R. Goldberg, J. Suk, K. K. Patton, M. J. Semigran, G. W. Dec, T. G. Di Salvo: Predictors of adverse outcome in biopsy-proven myocarditis (abstract). In: J Am Coll Cardiol. 1999;33(suppl A), S. 505 A.</ref> Zeichen einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz<ref name="Sinagra" /> oder eine deutlich eingeschränkte linksventrikuläre Funktion.<ref name="Goldberg" />
Therapie
Virusmyokarditis
Da die Virusmyokarditis einerseits häufig spontan ausheilt, andererseits innerhalb kürzester Zeit bis zum plötzlichen Herztod führen kann, stehen in der Akutphase die strikte körperliche Schonung sowie Rhythmusüberwachung im Vordergrund. Kommt es zur Ausbildung einer Herzinsuffizienz, sollte diese adäquat behandelt werden. Bei Ausbildung einer Inflammatorischen Kardiomyopathie (dilatative Kardiomyopathie auf dem Boden einer Myokarditis)<ref name="Mewis.413-421" /> kann, nach Nachweis von Viren, eine Therapie mit Interferon-β versucht werden. In ersten Studien konnte hiermit eine vollständige Viruselimination sowie eine Verbesserung der Herzleistung erzielt werden,<ref>U. Kuhl, M. Pauschinger, P. L. Schwimmbeck, C. Lober, H. P. Schultheiss: Interferon-beta Therapie bei Patienten mit enteroviraler Herzmuskelerkrankung. In: Zeitschrift für Kardiologie 2000;89, S. 180.</ref><ref>U. Kühl et al: Interferon-beta treatment eliminates cardiotropic viruses and improves left ventricular function in patients with myocardial persistence of viral genomes and left ventricular dysfunction. In: Circulation. 107, Nr. 22, 10. Juni 2003, S. 2793–2798, PMID 12771005.</ref> ein Standard ist daraus noch nicht ableitbar.
Arrhythmien, die im Laufe einer Myokarditis auftreten, sind selten langfristig behandlungsbedürftig.
Chronische Myokarditis
Zur Therapie der chronischen Myokarditis werden ACE-Hemmer,<ref>books.google.com</ref> AT1-Antagonisten, Diuretika, Herzglykoside und Betarezeptorenblocker eingesetzt. Spezifischere Therapieansätze mit Verabreichung von Immunsuppressiva wie Prednisolon oder Azathioprin werden diskutiert.
Die intravenöse Verabreichung von Immunglobulinen zeigte in einer Studie mit 62 Patienten keine Verbesserung der Langzeitüberlebensrate.<ref>D. M. Mc Namara, R. Holubkov, R. C. Starling, G. W. Dec, E. Loh, G. Torre-Amione et al.: Controlled trial of intravenous immune globulin in recent-onset dilated cardiomyopathy. In: IMAC Trial. Circulation. 2001;103, S. 2254–2259, PMID 11342473.</ref>
Siehe auch
- Kardiomyopathie
- Stress-Kardiomyopathie (Broken-Heart-Syndrom)
- Perikarditis
Literatur
- S2k-Leitlinie Myokarditis der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK). In: AWMF online (Stand 2013)
- B. E. Strauer, et al.: [ Update 2001. Myocarditis–cardiomyopathy]. In: Medizinische Klinik. Band 96, Nummer 10, Oktober 2001, S. 608–625, ISSN 0723-5003. PMID 11715333.
- U. Kühl, H.-P. Schultheiss: Myokarditis: Frühzeitige Biopsie ermöglicht differenzierte regenerative Therapie. In: Dtsch Arztebl Int. Nr. 109(20), 2012, S. 361–368 (Übersichtsarbeit).
Weblinks
Einzelnachweise
<references> <ref name="Mewis.413-421"> Mewis, Riessen, Spyridopoulos (Hrsg.): Kardiologie compact – Alles für Station und Facharztprüfung. 2. Auflage. Thieme, Stuttgart/ New York 2006, ISBN 3-13-130742-0, S. 413–421. </ref> </references>
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