ITER
International Thermonuclear Experimental Reactor | |
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ITER participants | |
ITER participants | |
An ITER nehmen 35 Nationen teil | |
Motto | The way to new energy |
Sitz | 13115 St. Paul Lez Durance, Frankreich |
Generaldirektor | Bernard Bigot<ref>Bernard Bigot, Director-General. Abgerufen am 14. August 2015 (english). </ref> |
Gründung | 24. Oktober 2007 |
Website | iter.org |
ITER (Apronym: englisch für International Thermonuclear Experimental Reactor, lateinisch für Weg) ist ein seit 2007 im Bau befindlicher Kernfusionsreaktor nach dem Tokamak-Prinzip und ein internationales Forschungsprojekt mit dem Fernziel der Stromerzeugung aus Fusionsenergie. Der Standort ist beim südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache.
Forschungsschwerpunkte sind verschiedene Methoden und Konstruktionen zur Plasmaheizung, -diagnostik und -kontrolle und die Erprobung verschiedener Konzepte zum Erbrüten von Tritium. Es soll ein Brennen des Plasmas erreicht werden, also eine weit größere Fusions- als Heizleistung, und Brenndauern von bis zu einer Stunde. Dazu wird ITER im Vergleich zu seinem Vorgänger JET wesentlich größer und mit supraleitenden Magnetspulen ausgestattet.
Falls sich mit ITER und der parallel durchgeführten Werkstoffforschung an der International Fusion Materials Irradiation Facility (IFMIF) zeigen sollte, dass das Tokamak-Design in den Gigawatt-Bereich vergrößert werden kann, soll ein Nachfolgeprojekt namens DEMO ab etwa 2050 Strom ins Netz einspeisen und einen geschlossenen Tritium-Kreislauf demonstrieren.<ref>iter.org: ITER & Beyond, 2013. Abgerufen am 2. Januar 2013.</ref>
ITER wird als gemeinsames Forschungsprojekt der sieben gleichberechtigten Partner Europäische Atomgemeinschaft, Japan, Russland, Volksrepublik China, Südkorea, Indien und USA entwickelt, gebaut und betrieben. Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem Projekt ausgestiegen, Kanada ist seit 2004 nicht mehr dabei. Zwischen der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und dem ITER-Projekt wurde 2008 eine Zusammenarbeit auf Expertenebene vereinbart.<ref>ITER, IAEA sign deal to move nuclear fusion research forward. In: Energy Daily, 13. Oktober 2008. Abgerufen am 8. Mai 2011.</ref> Frankreichs Ex-Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete das Vorhaben als das größte Wissenschaftsprojekt seit der Internationalen Raumstation.
Inhaltsverzeichnis
Funktion
ITER funktioniert nach dem Tokamak-Prinzip. Die Spulen, die das ringförmige Vakuumgefäß umschlingen, erzeugen darin ein starkes Magnetfeld in Umfangsrichtung (Toroidalfeld). In das Gefäß wird dann ein knappes Gramm Gas eingelassen und darin eine Gasentladung gezündet, bei der ein Ringstrom das Plasma vollständig ionisiert und auf viele Millionen Grad aufheizt. Die Elektronen und Ionen bewegen sich unter der Lorentzkraft auf engen Schraubenbahnen um die Feldlinien. Das bewirkt den magnetischen Einschluss. Stöße untereinander erlauben aber eine Drift quer zum Feld. Teilchenbahnen an der Oberfläche des Plasmas enden jenseits einer Feldeinschnürung auf Divertoren in der Nähe von Pumpenöffnungen. Die Oberflächen der Divertoren sind die am stärksten wärmebelasteten Teile des Reaktors. Ihre Oberfläche ist aus Wolfram.<ref>C. Thomser et al.: Plasma Facing Materials for the JET ITER-like Wall. Fusion Science and Technology 62, 2012, S. 1–8 (PDF).</ref>
Der Ringstrom verbessert die magnetohydrodynamische Stabilität des Plasmas. Sein Magnetfeld überlagert das toroidale Feld und bewirkt eine schraubenförmige Verdrillung. Die Feldlinien schließen sich dadurch nicht nach einem Umlauf, sondern bilden konzentrische, mechanisch stabilere Schichten. Der Ringstrom wird nach dem Prinzip des Transformators getrieben, indem ein Strom um die zentrale, vertikale Achse immer weiter erhöht wird. Der Anstieg kompensiert den Spannungsabfall am ohmschen Widerstand des Plasmas. Die Entladung muss unterbrochen werden, wenn der Strom in der Zylinderspule (Solenoid) seinen Grenzwert erreicht hat.
Mit steigender Temperatur sinkt der Stoßquerschnitt. Das verringert die radiale Drift und verbessert den Einschluss, senkt aber auch den Widerstand in den Mikroohmbereich und begrenzt damit die Heizwirkung des Ringstromes. Ergänzende Methoden der Plasmaheizung sind notwendig, um die Temperaturen zu erreichen, über 100 Millionen Grad, bei denen die Fusionsreaktion zwischen Deuterium und Tritium einsetzt. Die dabei entstehenden schnellen Neutronen tragen etwa 80 % der Fusionsleistung aus dem Plasma fort. Die restlichen 20 % der Fusionsleistung treten als Rückstoßenergie der in der Reaktion entstandenen Helium-4-Atomkerne auf; sie wird an das Plasma abgegeben und trägt erheblich zu dessen Heizung bei. Mit einer zur Steuerung nötigen äußeren Heizleistung von etwa 50 Megawatt (MW) „brennt“ das Plasma kontinuierlich weiter.
Details der Konstruktion
Plasmavolumen
In nominaler Geometrie hat das Plasma einen großen Torusradius von 6,2 m, einen kleinen Radius von 2 m (das heißt, es erstreckt sich von 4,2 bis 8,2 m von der vertikalen Symmetrieachse), ist 6,7 m hoch und hat ein Volumen von 837 m³.
Blanket
Da ITER eine Versuchsanlage und kein Fusionskraftwerk ist, besteht sein Blanket im Wesentlichen nur aus der „Ersten Wand“, die den Plasmaraum begrenzt und die hohe Wärme- und Neutronenbelastung aufzunehmen hat. Es ist aus 440 etwa 1 m×1,5 m großen, etwa 0,5 m dicken Segmenten mit je bis zu 4,6 Tonnen Masse zusammengesetzt; die Gesamtmasse beträgt 1530 t. Die Segmente bestehen aus Stahl und Kupfer und haben austauschbare Oberflächenelemente aus Beryllium. Die Blanket-Oberfläche wird stark durch Teilchenbeschuss beansprucht. Dabei droht es nicht nur zu schmelzen, sondern erodiert auch durch Sputtern, und das Plasma wird durch Atome aus der Oberfläche verunreinigt. Je höher deren Ordnungszahl Z ist, umso stärker werden Energieverluste durch Bremsstrahlung.<ref>Eugenio Schuster: Nuclear Fusion and Radiation. Vorlesungsskript.</ref> Beryllium führt mit Z = 4 kaum zu Strahlungsverlusten. Es hat außerdem einen hohen Schmelzpunkt und leitet Wärme gut. Zudem dringen energiereiche Ionen höherer Atommasse in ein Material mit geringerer Atommasse tief ein, und Beryllium ist geeignet, sie dort festzuhalten.
In einem späteren, größeren Fusionsreaktor wären Strahlungsverluste weniger kritisch, ja sogar erwünscht, denn ihre gleichmäßige Verteilung belastet die Wand weniger als der unter Umständen konzentrierte Teilchenbeschuss.
Im Betrieb mit Deuterium und Tritium hat das Blanket auch die Aufgabe, die Neutronen abzubremsen und zu absorbieren. Dieser Wärmestrom ist weit größer als der Wärmestrom von der Oberfläche. Weitere Wärme entsteht durch Kernreaktionen im Blanket. Die gesamte Wärme wird mit 6,2 t/s<ref>T Hirai (ITER Organization): Engineering of In-vessel Components forITER. PFMC-13, Rosenheim, Mai 2011.</ref> Kühlwasser bei Temperaturen zwischen 70 und 240 °C abgeführt, jedoch bei ITER nicht zur Stromerzeugung verwendet. In den Blankets zukünftiger Fusionsreaktoren wird zudem Tritium erbrütet, indem die Neutronen in Beryllium oder Blei vermehrt werden und mit Lithium-6 zu Helium-4 und Tritium reagieren. Verschiedene Konstruktionen dafür sollen in einer späteren Phase von ITER getestet werden.
Vakuumgefäß
Das Vakuumgefäß schützt das Plasma gegen Verunreinigung von außen und das Äußere vor Kontamination mit Tritium. Zwischen seinen doppelten Wänden aus Stahl zirkuliert Kühlwasser. Es hat einen D-förmigen Querschnitt mit 6 m innerer Breite, einen Außendurchmesser (ohne Anbauten) von gut 19 m, eine Höhe von 11 m und wiegt etwa 8000 t. Zahlreiche rechteckige Öffnungen erlauben den Zugang zum Inneren für die verschiedenen Heiz- und diagnostischen Einrichtungen, für Pumpen und Wartungsarbeiten. Die Öffnungen sind in drei Reihen angeordnet, 18 oben, 17 in der Mitte, 9 unten, und mit langen Stutzen versehen, die zur nächsten Umhüllung reichen. Die Öffnungen sind möglichst neutronendicht geschlossen mit sogenannten Port Plugs (Stöpseln).<ref>U. Fischer et al.: Neutronic Analysis of ITER Diagnostic Components In: Ingrid Pleli (Hgb): Nuclear Fusion Programme: Annual Report of the Association KIT/EURATOM 2012. KIT-SR 7647, 2013, ISSN 1869-9669, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.</ref> Diagnostische Instrumente z.B. sitzen teils vor, teils eingebettet in wassergekühlte Stahlteile, die das Volumen des Plugs ausmachen. Auf der rückwärtigen Seite ist der Plug mit einem Flansch vakuumdicht auf dem Stutzen befestigt. Drei der Flansche sind für die Montage von Brutblanket-Testmodulen vorgesehen.
Spulen
Das toroidale Feld (TF) von 5,3 T im Zentrum des Plasmas, bei R = 6,2 m, wird erzeugt von 18 TF-Spulen, die das Vakuumgefäß im nominalen Abstand von 50 mm umgeben (für mechanische Toleranzen und dynamische Verformungen). Die maximale Feldstärke von 11,8 T tritt direkt an den Spulen auf. Das supraleitende Material Nb3Sn, 23 t pro TF-Spule, ist bei der Arbeitstemperatur von 12 bis 13 K bis 13 T belastbar. Der Arbeitsstrom beträgt 9,1 MA, verteilt auf 134 Windungen. Das supraleitende Kabel enthält einen zentralen Kühlmittelkanal, einen Kupferanteil, der notfalls den Strom übernimmt, ein äußeres Stahlrohr und eine Polyimid-Isolierung. Es ist in beidseitig genutete Tragprofile eingelegt und mit Epoxy vergossen, zusammen 110 t. Viel größer als das Eigengewicht sind jedoch die magnetischen Kräfte. Die Energie im Toroidalfeld beträgt 41 GJ und würde stark sinken, wenn die TF-Spulen auseinanderweichen. Die entsprechende radiale Kraft beträgt pro TF-Spule 403 MN, die vierfache Gewichtskraft des Eiffelturms. Obere und untere Spulenhälfte streben mit 205 MN auseinander. Daher hat jede TF-Spule ein stabiles Gehäuse mit einem Stahlquerschnitt von über 0,5 m², und die 18 TF-Spulen werden untereinander mit Spannbändern verbunden. Die Belastung ist dynamisch in Fällen von Plasmainstabilitäten oder von Quenches. Das Design basiert auf der Forderung, dass die Toroidalfeldspulen zehn Quenches aushalten müssen ohne unbrauchbar zu werden.<ref>N. Mitchell et al.: The ITER Magnets: Design and Construction Status. IEEE Trans. Appl. Supercond. 22, 2012, doi:10.1109/TASC.2011.2174560.</ref>
Je zwei TF-Spulen, 2×298 t, werden mit einem Segment des Vakuumgefäßes vormontiert an ihren Platz gehievt. Innen sind die TF-Spulen geradlinig und aneinander gepresst. Sie lassen einen zylindrischen Hohlraum für den zentralen Solenoid (CS). Dieser ist 18 m hoch und besteht aus sechs gleichen Modulen mit je 549 Windungen. Der maximale Strom beträgt 45 kA, die Feldstärke 13 T, die Feldenergie 7 GJ. Um das Feld des Solenoids schnell zu ändern, sind hohe Spannungen nötig. Seine Isolation ist auf bis zu 29 kV Durchschlagsfestigkeit getestet. Der Solenoid „ruht“ auf den inneren Füßen der TF-Spulen, seine oberen Module allerdings nicht freiwillig – Spannelemente verhindern das Abheben. Der Solenoid wiegt samt Strukturelementen 954 t.
Die TF-Spulen haben außen Flansche, um ringförmige Spulen tragen zu können, die die ganze Anordnung wie Breitengrade umfassen. Sie formen zusammen mit dem Solenoid die poloidale Komponente des Magnetfeldes (PF) und – parallele Ströme ziehen sich an – den Querschnitt des Plasmas. Es sind sechs große PF-Spulen mit 45 kA und 18 Korrekturspulen mit 16 kA. Korrigiert werden sowohl Fertigungs- und Montagetoleranzen der großen Spulen als auch Plasmainstablitäten, mit einer Grenzfrequenz der Regelung von 100 Hz. Anders als die TF-Spulen und der Solenoid sind die schwächeren PF- und Korrekturspulen aus NbTi, die Arbeitstemperatur beträgt 6 K.
Kryostat
Der Kryostat ist ein kesselförmiges Vakuumgefäß, das mit 29 m Durchmesser und Höhe auch die Spulen umschließt. Er wird in vier Teilen eingebaut. Die Bodenplatte ist mit 1250 t das schwerste Einzelteil überhaupt. Der Kryostat ist evakuiert, denn die heliumkalten Spulen müssten sonst einzeln isoliert werden, sowohl wegen der Wärmeleitung durch Konvektion als auch gegen die Kondensation von Gasen. Der luftdichte Abschluss nach außen ist zudem eine zweite Barriere gegen Austritt von Tritium. Der Kryostat hat zahlreiche große Öffnungen mit nach innen gerichteten Stutzen, die die Stutzen des Vakuumgefäßes umschließen.
Kälteversorgung
Die Supraleiter werden mit Helium gekühlt, mit hohem Druck und einer Eintrittstemperatur von 4,5 K. Dieser Zustand ist überkritisch – die Dichte ist etwas, die Viskosität viel geringer als flüssiges Helium bei Normaldruck hätte (Siedepunkt 4,15 K). Die supraleitenden Kabel für die TF-, CS- und PF-Spulen haben einen zentralen Kühlkanal, Durchfluss 8 g/s pro Spule. Parallel wird das Strukturmaterial gekühlt, mit einigen kg/s. Die abzuführende Wärmeleistung stammt während des Fusionsbetriebs von Neutronen (bei 500 MW Fusionsleistung etwa 14 kW), vorher und nachher von Wirbelströmen im Strukturmaterial (kurzzeitig viel mehr, im Mittel jedoch ebenfalls 10 bis 20 kW).
Ebenfalls mit flüssigem Helium gekühlt werden Kryopumpen, die im Vakuumgefäß und im Kryostaten für das Hochvakuum sorgen und, vor allem im Bereich unterhalb der Delimiter, Deuterium und Tritium wiedergewinnen. Die gesamte verfügbare Kühlleistung auf dem 4,5-K-Niveau beträgt 65 kW.
Mit gasförmigem Helium auf einem Temperaturniveau von 80 K werden Wärmeschilde gekühlt, die kältere Teile vor Wärmestrahlung schützen. Auf diesem Temperaturniveau stehen 1300 kW Kühlleistung zur Verfügung.
Stromversorgung
Der Energiebedarf für die Kühlanlagen, einschließlich der Umwälzpumpen für die Wasserkühlkreisläufe, macht etwa 80 % der etwa 110 MW aus, die die gesamte Anlage während der Betriebsphasen permanent benötigt. Während der Plasmapulse steigt der Bedarf für bis zu 30 Sekunden auf bis zu 620 MW.<ref>iter.org: Power Supply.</ref> Die Leistung wird aus dem öffentlichen Netz bezogen. Zu diesem Zweck hat Frankreich zwei redundante 400-kV-Leitungen zum 125 km entfernten Netzknoten bei Avignon samt Schaltanlagen errichtet. Die Leistungstransformatoren stammen aus den USA und aus China. Der kurzfristige Regelbedarf von 300 bis 400 MW erfordert eine enge Kooperation mit dem Netzbetreiber RTE.<ref>Robert Arnoux: Feeding the Beast. ITER Newsline 219, 20. April 2012.</ref>
Physikalische Ziele
Plasmastabilität
Die geladenen Teilchen bewegen sich wendelförmig um die magnetischen Feldlinien (Gyration). Diese sind aber bei den für die angestrebte Fusionsleistung nötigen Dichten nicht unveränderlich (Minimierung der Feldenergie bei gegebenem Fluss), sondern das Plasma wirkt mechanisch auf das Feld zurück. Plasmainstabilitäten treten auf, wenn sich viele Teilchen in ihrer Bewegung synchronisieren. Teilchen koppeln miteinander nicht nur über Schwingungen der Feldlinien, sondern auch elektrostatisch über Raumladungen. Für eine effektive Kopplung sorgen Resonanzen. Wegen der Nichtlinearität der Kopplungen müssen Frequenzen nicht (näherungsweise) gleich sein, sondern es reichen ganzzahlige Verhältnisse. Folgende Frequenzen spielen eine Rolle: die Gyrationsfrequenzen von Elektronen und Ionen und die Umlauffrequenzen von Elektronen, Ionen und von Plasmawellen um den kleinen und großen Torusumfang. Eine geschlossene Lösung ist nicht möglich, und die numerische Lösung ist ineffizient, da es sich um ein steifes Anfangswertproblem handelt. Es ist nicht nur der Frequenzbereich enorm groß, sondern auch die nötige räumliche Auflösung. Daher werden heuristische Vorschläge zur Stabilisierung des Plasmas in aufwändigen Experimenten realisiert und praktisch erprobt.
Eine Art von Plasmainstabilitäten, die im Betriebsbereich von Fusionsreaktoren nach dem Tokamak-Prinzip (H mode) enorm stören, sind Edge-Located Modes (ELMs). Dabei bilden sich in Bruchteilen von Millisekunden schleifenförmige Ausbuchtungen, entfernt ähnlich den Protuberanzen an der Sonnenoberfläche. Die zeit- und räumliche Konzentration (< 1 ms, < 1 m) eines Ausbruchs kann die Blanket-Oberfläche schmelzen lassen, und wiederholtes ELMen bedeutet für das Plasma enorme Verluste von magnetischer und thermischer Energie und von Partikeln. Verschiedene Ansätze sind in Erprobung, ELMs zu unterdrücken oder wenigstens in ihren Auswirkungen zu begrenzen (Betrieb im ELMing H mode). Die meisten Methoden erfordern eine Beobachtung von Plasmaparametern mit hoher zeitlicher Auflösung und schnelle Reaktionen, wie Stromänderungen in lokalen Spulen, Einstrahlung inkohärenter magnetischer Energie (Rauschleistung) im Frequenzbereich der Gyration der Ionen und Einschuss von Wasserstoff-Pellets.
Leistung
Es soll eine etwa 10-fache Leistungsverstärkung, also eine Fusionsleistung von etwa 500 MW erreicht werden. Damit ITER als erfolgreich gilt, muss dieser Zustand 400 Sekunden lang stabil bleiben. In einem anderen Betriebsmodus sind Brenndauern von bis zu einer Stunde vorgesehen bei einer Leistungsverstärkung von mindestens 5. Kurzzeitig und mit geringerer Heizleistung soll eine Leistungsverstärkung von über 30 erprobt werden, wie sie für kommerzielle Reaktoren vorgesehen ist.<ref name="Pitts">R. A. Pitts (ITER, Plasma Operations): The ITER Project, 2011.</ref><ref name="STAC">ITER Council/Science and Technology Advisory Committee: ITER Physics Work Programme 2009-2011. 2008.</ref>
Standort
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Lage von Cadarache, Frankreich |
Seit 2001 wurde über einen Standort für den ITER beraten. Standortbewerbungen kamen aus Frankreich, Spanien, Japan und Kanada. Bis 2003 gab es auch eine inoffizielle deutsche Bewerbung mit dem ehemaligen Kernkraftwerk „Bruno Leuschner“ Greifswald in Lubmin bei Greifswald. Damit wären die Anlagen für das weltgrößte Tokamak-Experiment in direkter Nachbarschaft zur Baustelle des weltgrößten Stellarator-Experiments errichtet worden. Der ITER-Förderverband Region Greifswald unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Alfred Gomolka reichte 2002 eine vollständige Standortbewerbung bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ein. Diese wurde jedoch vom zuständigen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff nicht weitergeleitet. Im Sommer des Jahres 2003 zog Bundeskanzler Gerhard Schröder die Zusage des ehemaligen Kanzlers Helmut Kohl zur Bewerbung um den ITER-Standort zurück.
2005 konkurrierten noch Frankreich mit seinem traditionellen Kernforschungszentrum in Cadarache und Japan mit Rokkasho um den Standort. Während die USA, Japan und Südkorea den Standort Rokkasho bevorzugten, stimmten die Europäische Atomgemeinschaft, die Volksrepublik China und Russland für Cadarache. Im November 2004 beschloss der EU-Ministerrat für die EURATOM einstimmig, ITER in Cadarache zu bauen, notfalls auch ohne die Beteiligung Japans, Südkoreas und der USA. Japan wurden Sonderkonditionen eingeräumt, falls der Reaktor in Europa gebaut werden sollte, woraufhin Japan seine Bewerbung zurückzog. Am 28. Juni 2005 entschieden die beteiligten Staaten gemeinsam, den Reaktor in Frankreich zu errichten, das sich damit zu umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur wie Straßen, Stromversorgung, Datenleitungen sowie Wohnungen für die zukünftigen Forscher und deren Familien verpflichtete.
Finanzierung
Am 21. November 2006 unterzeichneten die Projektteilnehmer im Élysée-Palast in Paris den endgültigen Vertrag, der auch die Finanzierung des Baus regelt. Teilnehmerstaaten sind neben der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) die Staaten China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA. Der Vertrag trat am 24. Oktober 2007 in Kraft. Als Ausgleich für die Wahl eines europäischen Standortes wurde Japan ein mindestens zehnprozentiger Anteil an den Aufträgen zur Ausstattung des Reaktors sowie die Förderung japanischer Forschung aus Mitteln der EURATOM zugesagt.
Während der Bauphase trägt die Europäische Union bzw. EURATOM 5/11 der Gesamtkosten (etwa 45 %), wovon Frankreich 40 % aufbringt (2/11 der Gesamtkosten). Die übrigen sechs Projektpartner tragen jeweils 1/11 der Gesamtkosten (etwa 9 %) und stellen damit die verbleibenden 6/11 der Mittel. Ein Teil davon wird von jeder Partei als Sachleistung erbracht, die unabhängig von den endgültigen Kosten der Beschaffung und Lieferung zu erbringen sind. Die Kosten des Betriebs und der Deaktivierung werden zu 34 % von EURATOM getragen.<ref name="KOM2010">Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: ITER: aktueller Stand und Zukunftsperspektiven. Brüssel, 4. Mai 2010, KOM(2010) 226 endgültig.</ref>
Die Errichtung sollte zunächst gut 5,5 Mrd. Euro kosten (5,896 Mrd. EUR in Preisen des Jahres 2008). Schon im Juni 2008 mehrten sich Stimmen, die eine deutliche Kostensteigerung ankündigten.<ref>Der Spiegel, 11. Juni 2008: Fusionsreaktor: "Iter" angeblich vor Kostenexplosion, aufgerufen 8. Mai 2013</ref> Im September 2008 erklärte der stellvertretende ITER-Direktor Norbert Holtkamp auf dem 25. Symposium zur Fusionstechnologie in Rostock, dass die ursprünglich geplanten Kosten um mindestens 10 Prozent steigen würden, eventuell sogar um 100 Prozent. Zurückzuführen sei dies auf die stark gestiegenen Preise für Rohstoffe und Energie sowie teure technische Weiterentwicklungen.<ref>Milliardenprojekt in Finanznot. Fusionsreaktor Iter wird deutlich teurer. Handelsblatt, 15. September 2008. Abgerufen am 8. Mai 2011.</ref>
Im Mai 2010 teilte die Europäische Kommission mit, dass sich laut einer aktuellen Kostenschätzung ihr Anteil an den Baukosten von ehemals geplanten 2,7 Milliarden Euro auf 7,3 Milliarden Euro verdreifachen wird.<ref name="KOM2010" /> Die EU deckelte daraufhin die EURATOM-Mittel bei 6,6 Milliarden Euro. Darüber hinausgehende Kosten will sie durch Umschichtungen aus dem Agrar- und dem Forschungsetat decken.
Während die ITER-Organisation keine Kostenschätzungen abgibt, könnte nach einem aktuellen Worst-Case-Szenario des DOE der US-Anteil auf 6,9 Milliarden US-Dollar steigen, was etwa einer weiteren Verdreifachung der Kosten entsprechen würde.<ref>David Kramer: US taking a hard look at its involvement in ITER. Physics Today 67, 2014, S. 20, doi:10.1063/PT.3.2271 (online).</ref>
Projekthistorie
Initiierung durch die Sowjetunion
Bei Gesprächen mit den Präsidenten Frankreichs und der USA, François Mitterrand und Ronald Reagan, wurden 1985 aufgrund eines Vorschlages des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow eine Zusammenarbeit bei der Kernfusions-Forschung und der gemeinsame Bau eines Reaktors beschlossen.<ref>The ITER story. Abgerufen am 13. Juni 2013 (english). </ref> Die Planungen begannen 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und führten 1990 zu einem ersten Entwurf des Versuchsreaktors. Bis 1998 wurde ein Design (ITER I) mit den Eckdaten 8,1 m großem Torusradius und 1500 MW Fusionsleistung ausgearbeitet.<ref name="IPP 2005">Max-Planck-Institut für Plasmaphysik: Der lange Weg zu ITER (PDF; 10,0 MB), 28. Oktober 2005. Abgerufen am 24. Juni 2013.</ref>
ITER-Vertrag
Nachdem der ursprüngliche Entwurf in eine kleinere (500 MW), kostenreduzierte Version von ITER mit geringeren technischen Anforderungen gewandelt wurde, gaben die teilnehmenden Parteien am 28. Juni 2005 nach langen Verhandlungen den Startschuss für den Bau von ITER<ref name="IPP 2005"/>. Der Beschluss umfasst den Bau eines Versuchsreaktors in Cadarache in Südfrankreich für insgesamt knapp 5 Milliarden Euro. Die Betriebskosten über die geplante Laufzeit des Reaktors von 20 Jahren würden ähnlich hoch sein. Am 21. November 2006 wurde in Paris der ITER-Vertrag von den sieben Partnern unter Teilnahme des damaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac unterzeichnet. Gleichzeitig fand die erste Sitzung des ITER Interim Council statt. Der Vertrag trat am 24. Oktober 2007 in Kraft, 30 Tage nachdem er vom letzten Vertragspartner China ratifiziert worden war.<ref>Entscheidung des Rates vom 27. März 2007 über die Errichtung des europäischen gemeinsamen Unternehmens für den ITER und die Entwicklung der Fusionsenergie sowie die Gewährung von Vergünstigungen dafür: 2007/198/Euratom Online.</ref>
Organisation
Jeder der sieben Partner richtet eine eigene nationale Organisation ein, welche die Aufgabe hat, die vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Landes gegenüber ITER zu erfüllen. Für die Europäische Atomgemeinschaft fällt diese Aufgabe der neu gegründeten Agentur Fusion for Energy – The European Joint Undertaking for ITER and the Development for Fusion Energy mit Sitz in Barcelona zu.
Von deutscher Seite am Projekt beteiligt sind das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, das Institut für Plasmaphysik (IEK-4) am Forschungszentrum Jülich und verschiedene Institute des KIT. Weitere wissenschaftliche Zentren liegen in San Diego (USA) und Naka (Japan).
Das Aufsichtsgremium (IC, ITER-Council) hat seinen Sitz in Moskau.
Das zentrale Management (IO, ITER Organization) mit 500 direkten Angestellten und 350 externen Mitarbeitern residiert im nahe der Baustelle gelegenen Dorf Saint-Paul-lès-Durance.<ref>iter.org: ITER Organization</ref> Zusammen mit den nationalen Organisationen sind es 2000 Mitarbeiter.<ref name="BigotNature">Bernard Bigot (Generaldirektor): Nuclear physics: Pull together for fusion. Nature 522, S. 149–151, 11. Juni 2015, doi:10.1038/522149a.</ref> Alle zwei Jahre wird das Management einer externen Evaluation unterzogen.<ref name="Madia" />
Das Ergebnis der letzten Evaluation des Managements durch Madia & Associates fiel so vernichtend aus, dass die ITER-Organisation den Bericht unter Verschluss halten will.<ref>Daniel Clery (Science Editor): Updated: New Review Slams Fusion Project's Management, 28. Februar 2014.</ref> The New Yorker hat die Executive Summary des Berichts veröffentlicht.<ref name="Madia">Raffi Khatchadourian: How to Fix ITER. The New Yorker, 28. Februar 2014.</ref> Die ITER-Organisation zeigt auf die Projektpartner: Das Management würde dadurch erschwert, dass jeder der sieben Projektpartner mit Rücksicht auf die heimische Industrie lieber Teile konstruiert und liefert als Geld zu überweisen. In zähen Verhandlungen werden Entwicklungs- und Fertigungsaufträge zerstückelt, mit dem Risiko, dass die Teile bei der Montage nicht zusammenpassen.<ref>Alexander Stirn: Politik des Sonnenofens. Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2013.</ref>
Baufortschritt
Bei der Konstruktion der Fertigungsanlagen und des Reaktors selber sind große Verzögerungen aufgetreten, "one year delay for each year of the project",<ref name="Madia" /> mit entsprechenden Kostensteigerungen. Der Anfang 2015 angetretene Generaldirektor Bernard Bigot soll bis Jahresende
. 2014 wurden auch das Kontroll- und Verwaltungszentrum bezogen und die temporäre Halle errichtet, in der später die vier 30 m großen und 600 bis 1250 Tonnen schweren Teile des Kryostaten (Deckel, Boden und zwei Ringe) aus 52 von Indien gelieferten Einzelteilen zusammengesetzt werden.<ref>iter.org: kommentiertes Fotoalbum von der Großbaustelle.</ref>Betrieb
Der Reaktor wird in den ersten Jahren ohne Fusionsreaktionen mit einem Plasma aus normalem Wasserstoff und Helium arbeiten, um forschen zu können, ohne dass das Material durch Neutronen aktiviert wird.
Literatur
- Daniel Clery: ITER’s $12 Billion Gamble. Science 314, 2006, S. 238–242, doi:10.1126/science.314.5797.238.
- Rüdiger von Preuschen-Liebenstein: Internationale ITER-Fusionsenergieorganisation: Wegbereiterin der Energieerzeugung durch Kernverschmelzung. atw 2006, S. 622–625.
- N. Holtkamp: An overview of the ITER project. Fusion Engineering and Design 82, 2007, S. 427–434, doi:10.1016/j.fusengdes.2007.03.029.
Einzelnachweise
<references />
Weblinks
- ITER. The ITER Organization, abgerufen am 3. August 2008 (englisch, offizielle Homepage des Projekts).
- ITER Video. ITER Construction Video, abgerufen am 17. Dezember 2013 (englisch, Film über den Bau von ITER).
- Teilnahme an ITER. Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., abgerufen am 28. November 2015.
- Forschung für ITER. Forschungszentrum Jülich GmbH, abgerufen am 3. August 2008.
- Von Prof. McCray gesammelte Dokumente zur Frühphase von ITER (1979 – 1989) können im Historischen Archiv der EU in Florenz eingesehen werden.
Koordinaten: 43° 42′ 32,1″ N, 5° 46′ 42,5″ O{{#coordinates:43,708906|5,77846|primary
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