Kaffeekrise in der DDR


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Die Kaffeekrise in der DDR war das Ergebnis von Versorgungsschwierigkeiten mit Kaffee Ende der 1970er-Jahre in der DDR.

Situation

Um 1977 kam es in der DDR zu Problemen bei der Versorgung des Binnenhandels mit dieser nur gegen Devisen auf dem Weltmarkt erhältlichen Ware. Der Versorgungsengpass führte zu einem Ausmaß an Bürgerprotesten und Unmut, der jegliche regierungskritischen Proteste der DDR-Geschichte – bis 1989 – überschattete. Der Skandal nahm für DDR-Verhältnisse ungewöhnliche Ausmaße an.<ref>Gábor T. Rittersporn, Malte Rolf, Jan C. Behrends (Hrsg.): Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Zwischen partei-staatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten. Frankfurt am Main 2003.</ref> Mittelbar führte die DDR-Kaffeekrise zu Veränderungen im weltweiten Kaffeemarkt.

Außenpolitisch markierte die Kaffeekrise eine Neuorientierung der DDR-Außen- und Entwicklungspolitik<ref name="Wirz">Afrika und das andere: Alterität und Innovation Von Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland Jahrestagung, Heike Schmidt, Albert Wirz Veröffentlicht von LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster, 1998, ISBN 3-8258-3395-X</ref> hin zu einer deutlich stärkeren Ökonomisierung.<ref name="Döring Diss">Hans-Joachim Döring: Entwicklungspolitik und Solidarität in der DDR, dargestellt an Beispielen der staatlichen Zusammenarbeit mit Mosambik und Äthiopien und der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit unabhängiger Gruppen (PDF; 797 kB) Diss., TU Berlin 2007.</ref> Insbesondere wurden Tauschgeschäfte von Waffen und LKW aus der DDR gegen Rohkaffee und Energierohstoffe aus den Partnerländern angestrebt.<ref name="Döring">Hans-Joachim Döring: „Es geht um unsere Existenz“. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien. (Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Ch. Links Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-86153-185-2, S. 115 ff.</ref>

Vorgeschichte

Ähnlich wie fast im gesamten Nachkriegseuropa war Kaffee nach 1945 in der SBZ Mangelware. Die ersten Kaffeeimporte der DDR erfolgten über die Sowjetunion. Die Einstellung dieser Lieferungen 1954 führte zu einer der ersten Versorgungskrisen und intensivierte die Bemühungen, notwendige Devisen zum Ankauf des begehrten Rohstoffs zu erwirtschaften. Ab 1957 wurde in der DDR Röstkaffee unter der Marke Röstfein hergestellt.

Kaffee entwickelte sich bis in die 1970er-Jahre zu einem der wichtigsten Posten im Budget der DDR-Privathaushalte, wobei Geschenke westdeutscher Verwandter etwa 20 Prozent des Bedarfs deckten.<ref>Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989. Econ & List, München 1999, S. 328 ff.</ref> Ab den 1960er-Jahren war in der DDR zwar die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gesichert, Luxus- und Konsumgüter sowie Delikatessen waren aber kaum verfügbar.<ref>Volker Wünderich: Die „Kaffeekrise“ von 1977. Genußmittel und Verbraucherprotest in der DDR. In: Historische Anthropologie 11 (2003), S. 240–261.</ref> Dies führte indirekt, neben einem deutlich erhöhten Verbrauch von Genussmitteln wie Süßwaren, Tabak und alkoholischen Getränken, zu einem erhöhten Verbrauch an Bohnenkaffee (3,6 Kilogramm pro Kopf und Jahr) in den 1970er-Jahren.

In den 1970er-Jahren gaben DDR-Bürger 3,3 Milliarden Mark pro Jahr für Kaffee aus, fast ebenso viel wie für Möbel und nahezu doppelt so viel wie für Schuhe.<ref>Annette Kaminsky: Illustrierte Konsumgeschichte der DDR. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 1999, ISBN 3-931426-31-9.</ref>

Kaffeekrise 1977

Eine eigentliche Kaffeekrise begann 1976. Damals waren die Weltmarktpreise für Kaffee aufgrund einer Missernte in Brasilien dramatisch angestiegen und zwangen die DDR, statt etwa 150 fast 700 Millionen Valutamark bzw. etwa 300 Millionen Dollar am Weltmarkt<ref>DDR: Die Bürger werden aufsässig. In: Der Spiegel. Nr. 43/1977, S. 46 ff./S. 53.</ref> für Kaffeeimporte auszugeben. Die SED-Führung drosselte die Importe von Nahrungs- und Genussmitteln insgesamt, um parallel dringend benötigte Devisen für die Einfuhr von Erdöl zur Verfügung zu haben.<ref>André Steiner: Bundesrepublik und DDR in der Doppelkrise europäischer Industriegesellschaften Zum sozialökonomischen Wandel in den 1970er Jahren. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History. Online-Ausgabe, 3 (2006) H. 3.</ref> Parallel kamen die Auswirkungen der Ölkrise aufgrund der im Fünfjahresmittel des Weltmarktpreises festgelegten RGW-Verrechnungspreise erst Mitte der 1970er-Jahre in der DDR an.<ref>Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: Faktor Öl: Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859–1974. 1. Auflage. C. H. Beck, 2003.</ref>

Die von Alexander Schalck-Golodkowski empfohlene Einstellung der Kaffeeproduktion konnte das ZK-Mitglied Werner Lamberz mit Rüstungs- und Tauschgeschäften der Machart „Blaue gegen braune Bohnen“,<ref>Blaue gegen braune Bohnen Die Stadt Luckenwalde will den DDR-Chefideologen Werner Lamberz mit einer Erinnerungsstelle würdigen ARIANE MOHL Märkische Allgemeine 22. Mai 2007</ref> etwa mit Äthiopiens Diktator Mengistu, noch abwenden. Jedoch wurde die bis dahin angebotene preiswerteste Kaffeesorte „Kosta“ eingestellt und nur noch die um 12,5 bzw. 25 Prozent teureren Sorten „Rondo“ und „Mona“ angeboten.<ref>Mitteilung des Ministeriums für Handel und Versorgung vom September 1977, Berlin (ADN): »Das Ministerium für Handel und Versorgung hat sich erneut mit der Frage befaßt, wie trotz der außerordentlichen Preissteigerung auf dem Weltmarkt die Versorgung mit Kaffee in Zukunft gesichert werden kann. Dabei mußte es von der Tatsache ausgehen, daß im Vergleich zum Jahre 1975 die Weltmarktpreise für Rohkaffee um das Vier- bis Fünffache gestiegen waren und gegenwärtig noch das Drei- bis Vierfache betragen. Gleichzeitig ist bis Mitte September der Kaffeeverbrauch in der DDR - trotz der seit August weggefallenen Sorte „Kosta“ - um 2290 Tonnen, das sind 8,5 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, gestiegen. Der Jahresverbrauch 1977 wird 56.000 Tonnen Rohkaffee betragen. Die DDR gibt also im Jahre 1977 300 Millionen Dollar für den Import von Kaffee aus. Die ungewöhnlichen Preissteigerungen für Rohkaffee auf dem Weltmarkt zwingen heute alle Länder, die nicht über ein eignes Kaffeeaufkommen verfügen, dieser Situation durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen. In vielen Ländern ist infolge der Erhöhung der Einzelhandelskaufpreise der Verbrauch von Kaffee erheblich zurückgegangen, in den USA sogar um 40 Prozent. Dafür wird in vielen kapitalistischen Ländern im verstärkten Maße Mischkaffee bzw. Tee angeboten und getrunken. Durch die gegenwärtig günstige Entwicklung des Außenhandels ist das Ministerium in der Lage, daß die bekannten Kaffeesorten "Mona" und "Rondo" zum bisher üblichen Preis überall angeboten werden. Gleichzeitig werden in der nächsten Zeit in den Delikatgeschäften bzw. in gleichgestellten Spezialgeschäften weitere ausgewählte Kaffeesorten zu den entsprechend höheren Preisen angeboten. Die Qualität der Mischkaffeesorte "Kaffee-Mix" wird verbessert und künftig zum Preis von 4,- Mark pro 125-g-Packung im Einzelhandel verkauft. Ihre Qualität entspricht bereits jetzt der in anderen Staaten angebotenen Sorten, sie kann jedoch bisher noch nicht in allen Kaffeemaschinen eingesetzt werden. Der Verkauf von "Malzkaffee" erfolgt weiterhin zu dem bisherigen Preis von -,25 Mark pro 250 Gramm, "Im Nu" für 100 g 2,- M und "Kaffeeersatzmischung" für -,22 Mark pro 250-g-Packung.«</ref> Außerdem kam mit dem „Kaffee-Mix“ eine Mischkaffeesorte mit 50-prozentigem Ersatzkaffeeanteil auf den Markt. Von einer Kontingentierung wurde abgesehen. Man ging davon aus, die Bevölkerung sei in der Lage, sich über Verwandte in der Bundesrepublik mit Kaffee zu versorgen. Die steigende Nachfrage für das typische Gegengeschenk der Ostdeutschen, den Dresdner Christstollen, bescherte der DDR-Wirtschaft ebenfalls Probleme, da Zutaten wie Mandeln, Korinthen und Orangeat ebenfalls nur für Devisen erhältlich waren. Alexander Schalck-Golodkowski konnte sich aber 1978 mit einem – ernsthaft geplanten – Stollenschenkverbot<ref name="Sigmund" /> nicht durchsetzen.

Die Bürger der DDR und nicht nur die Kaffeesachsen<ref>Hans-Joachim Döring 1999, a. a. O, S. 121.</ref> im Süden mit ihrer traditionellen Kaffeekultur, lehnten den Kaffee-Mix überwiegend ab und empfanden den Kaffeemangel als Angriff auf ein zentrales Konsumbedürfnis und einen wichtigen Bestandteil der Alltagskultur. Der Kaffeemix führte zu Ausfällen an Kaffeemaschinen in der Gastronomie, da der Mixtur u. a. Erbsenmehl beigemischt war. Das darin enthaltene Eiweiß quoll unter Druck und Hitze auf und verstopfte die Filter.<ref>Kaffee in der DDR (Memento vom 1. August 2010 im Internet Archive) </ref> Es kam zu zahlreichen Eingaben und empörten Reaktionen gegenüber verschiedenen Gremien sowie zu Protesten.<ref>Felix Mühlberg: Bürger, Bitten und Behörden. Geschichte der Eingabe in der DDR. (= Texte 11 der Rosa-Luxemburg-Stiftung) 2004, ISBN 3-320-02947-9.</ref> Als sich der Kaffeepreis nach 1978 mit der Entspannung auf dem Kaffeemarkt<ref>Kosta, Rondo, Kaffeemix – Honeckers Kaffeekrise MDR.DE Sendung vom 16. Januar 2007</ref> wieder normalisierte, blieb die Devisenbeschaffung für diesen Konsumartikel in den 1980er-Jahren in der DDR ein Problem, und die nach wie vor andauernden Versorgungskrisen führten zu Gesichtsverlusten der politischen Führung.

Es wird angenommen, dass 20 bis 25 Prozent des gesamten Kaffeeverbrauches in der DDR in den Jahren von 1975 bis 1977 als Bestandteil des klassischen Westpakets aus der Bundesrepublik kamen.<ref name="Sigmund">Kaffee in beiden deutschen Nachkriegsstaaten: Konsum, Diskurs, Deutung und Beziehungen. laufende Dissertation von Monika Sigmund, seit 2003 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, seit Juli 2007 Stipendiatin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur</ref> Dem Kaffee kam damit eine weit über die Rolle als Genussmittel und – nach Öl – wichtigstem Welthandelsprodukt<ref>kaffeeverband.de Reader des deutschen Kaffeeverbandes, Stand 2004, abgerufen August 2008.</ref> reichende Funktion als innerdeutschem Symbol zu.

Auswirkungen in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik führte die Preissteigerung bei Kaffee 1977 nicht zu Versorgungsengpässen. Es wurden aber im unteren Preissegment günstigere Kaffeesorten<ref name="Sigmund" /> verwendet. Surrogatmischungen<ref>Kaffee- und Teemarkt 6. Mai 1977 Seite 3, verweist auf ähnliche Entwicklungen in den USA</ref> wurden 1977 unter Markennamen wie „Caro mit“, „Jota-Sport“, „Aromata“ oder „Rogga halb & halb“ eingeführt, aber nur begrenzt angenommen. Die DDR-Führung hat diese Entwicklung sehr genau beobachtet.<ref>In den Akten des Büros Mittag im Bundesarchiv findet sich eine Anzeige für „Jota Sport“ von Jacobs wie das Protokoll einer Dienstreise (15. bis 16. April 1977) nach Zürich zu Gesprächen mit dem Jacobs-Management. Der Verwaltungsrat von Jacobs erklärte demzufolge, ein eigentlich notwendiger Marktpreis von DM 40,- pro kg sei nicht durchzusetzen. Daher würde der Konzern seit längerer Zeit die Herstellung eines Mischproduktes prüfen. Dieses sollte in der Bundesrepublik nicht als Jacobs „Cafe mit Zusatz“ (38 % Zichorie) - wie in der Schweiz - sondern unter dem bereits nach 1945 für Kaffeeersatz verwendeten Markennamen „Jota“ produziert werden (BArch, SAPMO, DY 30 / 2906, Bericht vom 17. April 1977)</ref>

Kaffeehändler wie Tchibo und später Eduscho begannen in den 1970er-Jahren, Kaffee zusammen mit Non-Food-Artikeln im Rahmen von Cross-Selling anzubieten; das kann ebenfalls den Auswirkungen der Krise am Kaffeemarkt im Westen zugeschrieben werden.<ref name="Sigmund" />

Einfluss auf die Kaffeeproduktion in Vietnam

Die Beziehungen zwischen der DDR und Vietnam waren außerordentlich eng, was bis heute eine – in Asien einzigartige – Verbindung zu Deutschland<ref>ihk-koeln.de IHK-Länderschwerpunkt Vietnam Stand 10/2003, demnach waren über 100.000 Vietnamesen zu Arbeit, Ausbildung und Studium in der DDR, die über 10.000 Akademiker machen einen bedeutenden Anteil der vietnamesischen Elite aus</ref> zur Folge hat. In Vietnam war bereits im 19. Jahrhundert in geringen Mengen Kaffee angebaut worden.

Ab 1975, weitgehend parallel mit der Kaffeekrise in der DDR, wurde mit dem systematischen Anbau von Robusta-Kaffeesorten begonnen. Diese wachsen schneller, enthalten mehr Coffein, lassen sich im vietnamesischen Hochland anbauen und leichter mechanisiert ernten. Gegenüber den Arabica-Kaffees ist die Qualität und das Preisniveau geringer.

Im Jahre 1982 wurde eine Regierungsvereinbarung zwischen Vietnam einerseits und der Sowjetunion, Bulgarien, der Tschechoslowakei und der DDR andererseits geschlossen<ref name="Trebel">M. Trébel: La caféculture vietnamienne = Coffee cultivation in Vietnam Plantations, Recherche, Développement, 3 (1), S. 5–14, 1996.</ref> und der Kaffeeanbau und die zugehörige Infrastruktur massiv ausgebaut, ab 1990 mit Weltbankmitteln.

Die DDR war besonders engagiert, erließ Schulden und stellte Maschinen und Expertenwissen in der Weiterverarbeitung wie im Anbau von Kaffee zur Verfügung. Vietnam gelang es, sich sehr bald auf dem Weltmarkt als zweitgrößter Anbieter nach Brasilien zu etablieren und insbesondere traditionelle afrikanische Kaffeeanbauländer vom Markt zu verdrängen. Hilfreich dabei war die Aufhebung des Handelsboykotts der USA gegenüber Vietnam. Zusammen führte dies 2001 – nun durch Überversorgung – zu einer weiteren globalen Kaffeekrise.

Laut den Länderinformationen des Auswärtigen Amts ist Deutschland (2008) vor den USA der größte Abnehmer vietnamesischen Kaffees.

Einzelnachweise

<references />