Kartografie
Kartografie (auch Kartographie) ist die Wissenschaft und Technik zur Darstellung von Himmelskörpern in topografischen und thematischen Karten, im einfachsten Fall Landkarten. Allgemeiner definiert, vermittelt und veranschaulicht sie raumbezogene Informationen (Geoinformation) mit analogen und digitalen Verfahren für unterschiedliche Medien. Die Hersteller dieser Medien heißen Kartografen.
Inhaltsverzeichnis
Definitionen
Darstellungsgegenstände der Kartografie sind die Erde und ihre Oberfläche, aber auch Planeten, Monde und andere Himmelskörper. Insbesondere die Erdoberfläche mit ihren vielfältigen Gegebenheiten (Gelände, Gewässer, Bewuchs, Verkehrswege, Landnutzung usw.), mit ihren geowissenschaftlichen und infrastrukturellen Sachverhalten und mit ihren sozialen, politischen und historischen Prozessen fordert die Kartografie zu großer Methodenvielfalt heraus.
Das Fachgebiet lässt sich nach unterschiedlichen Kriterien einteilen. Sinnvoll ist zumindest die Unterteilung in „theoretische Kartografie“ und „angewandte Kartografie“. Letztere (auch „praktische Kartografie“ genannt) lässt sich in „gewerbliche Kartografie“ (Kartenverlage) und „amtliche Kartografie“ gliedern. Aber auch andere Gliederungen, z. B. nach Themenbereichen, sind möglich und gebräuchlich.
In der Kartografie unterscheidet man verschiedene Veranschaulichungsmedien. An erster Stelle natürlich die Karte, aber auch mit ihr verwandte Darstellungsweisen, wie Globen, Panoramen oder Relief-Darstellungen des Geländes. Zu diesen traditionellen Veranschaulichungsmedien sind in letzter Zeit einige moderne hinzugekommen, z. B. GIS- und andere Computerprogramme, mit deren Hilfe raumbezogene Informationen als Grafiken, Bilder, Fotos, Filme oder als dreidimensionale Modelle statisch oder interaktiv präsentiert werden.
Alte, schmuckvoll ausgestaltete Karten, aber auch die Kunstfertigkeit der Topografen und Kartografen werden häufig auch unter künstlerischen Aspekten betrachtet.
Der Begriff „Kartografie“ hat sich um 1828 herausgebildet. Er setzt sich zusammen aus dem lateinisch-griechischen „charta“ = Urkunde und dem griechischen „graphëin“ = zeichnen, beschreiben. Die Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen (AdV) der deutschen Bundesländer und die Deutsche Gesellschaft für Kartographie e. V. (DGfK) schreiben weiterhin „Kartographie“, während sich in der Privatwirtschaft, in Österreich und im amtlichen Gebrauch der Schweiz die Schreibweise „Kartografie“ durchgesetzt hat.
Einführung
Die Hauptaufgabe und damit das Kernproblem der Kartografie bestehen darin, komplexe, im Originalraum – im Maßstab 1:1 – sich ereignende Phänomene, Sachverhalte und Prozesse auf einer maßstäblich erheblich verkleinerten Darstellungsfläche (Kartenblatt, Bildschirm) abzubilden und zu beschreiben. Um dies sinnvoll zu ermöglichen, müssen die Kartografen aus der Fülle der Originaldaten die wichtigsten oder typischen auswählen oder zusammenfassen und für die Darstellung generalisieren. Zur Veranschaulichung der darstellungswürdigen Informationen dient vor allem ein System kartografischer Zeichen (Signaturen). Das Generalisieren der Originaldaten und die Gestaltung und Anordnung der Signaturen müssen so ausgeführt werden, dass der Benutzer des kartografischen Produkts die zu vermittelnden Informationen leicht aufnehmen und verstehen kann. Letztlich soll vom Originalraum, z. B. einem Erdoberflächenausschnitt, ein Modell in Form des kartografischen Produkts erstellt werden, das es dem Nutzer ermöglicht, eine Vorstellung vom Original zu gewinnen und seine im Gedächtnis befindliche kognitive Karte zu erweitern oder zu korrigieren.
Ein weiteres Problem in der Kartografie ist die Dreidimensionalität der Erde. Um größere Ausschnitte der Erdoberfläche oder gar die gesamte Erdkugel in der zweidimensionalen Darstellungsfläche einer Karte abzubilden, bedarf es deshalb besonderer Verfahren der Kartenprojektion, denen sich die mathematische Kartografie widmet.
Zur räumlichen Festlegung (Geokodierung) der in der Karte darzustellenden Gegenstände und Sachverhalte wird in der großräumigen Kartografie mit geozentrischen Koordinaten, mit Längen- und Breitengraden gearbeitet, während die kleinräumige Kartografie bei der Darstellung geographischer Objekte mit einer Ausdehnung von unter 800 km in einer Richtung die Erdkrümmung noch vernachlässigen, oder mit Korrekturfaktoren ausgleichen kann. Dort, vor allem für einzelne Länder, kommen lokale, kartesische Koordinatensysteme zum Einsatz, wie etwa die Gauß-Krüger-Koordinaten in Deutschland. Auch das weltweite UTM-Koordinatensystem definiert, unterteilt in 800 km breite, vertikale Streifen, 60 kleinräumige, metrische Koordinatensysteme, die – sich teilweise überlappend – die Erde von West nach Ost umspannen.
Für die meisten Erwachsenen war die basis-kartografische Arbeit (Kartenverständnis und Kartennutzungsformen) in der allgemeinbildenden Schule (Heimatkunde- bzw. Sachkundeunterricht und Geographieunterricht). „Es sollte nie übersehen werden, daß die Einstellung zur Karte bzw. zur Kartennutzung im Leben maßgeblich während der Schulzeit geprägt wird“ (R. Ogrissek 1987, S. 267).
Geschichte der Kartografie
Antike und Mittelalter
Die ältesten Karten stammen bereits aus dem Neolithikum. Eine Wandmalerei zeigt eine Siedlung um 6200 v. Chr. mit ihren Häusern und dem Doppelgipfel des Vulkans Hasan Dağı Bedeutende frühe Zeugnisse stammen aus der babylonischen Zeit. Den ersten ernsthaften Versuch, eine brauchbare Karte unter mathematischen und geometrischen Kenntnisse anzufertigen, unternahm Anaximander, ein Schüler des Thales, um 541 v. Chr.
Als für die weiteren Epochen prägend sollte das Weltbild des Griechen Ptolemäus (um 100 n. Chr.) werden. In den ältesten Manuskripten seiner Kosmografie finden sich Handzeichnungen von Karten. Das Werk war jedoch im Kern ein Verzeichnis astronomischer Positionen mit der astronomischen Breite und astronomischen Länge. Die Werke von Ptolemäus, obwohl noch stark fehlerhaft, erfuhren nach über 1000 Jahren durch den einsetzenden Buchdruck um 1450 eine erhebliche Verbreitung. Erst die verstärkte weltweite Seefahrerei um 1500 und die Werke Gerhard Mercators läuteten eine Wende hin zu mehr Realitätsnähe bei der Kartografie ein.
Ferner ist aus römischer Zeit die Tabula Peutingeriana erhalten, eine von West nach Ost unnatürlich verzerrte Straßenkarte des römischen Reichs mit Angabe der Militärstationen und Entfernungsangaben in Meilen.
Im Mittelalter entstanden die ersten Kartenwerke von muslimischen Geographen, die auf der Grundlage neuerer Beobachtungen, Messungen und Entdeckungen das im 8. Jahrhundert ins Arabische übersetzte Werk des Ptolemäus korrigierten und die europäische Kartografie erheblich beeinflussten.<ref>Gudrun Krämer: Geschichte des Islam. C. H. Beck, München 2005, S. 312.</ref> Hervorzuheben sind hier al-Istakhris Karten aus dem 10. Jahrhundert, und die im Auftrag König Rogers II. von Sizilien 1154 angefertigte Weltkarte Charta Rogeriana von Abu Abdallah al-Idrisi (auch Weltkarte des Idrisi genannt).
Im späten Mittelalter entstanden die mappae mundi mit ihren bekanntesten Vertretern, der Ebstorfer Weltkarte (ca. 1235) und der Hereforder Weltkarte (ca. 1270). Parallel gab es bereits recht genaue Karten des Mittelmeeres, die sog. Portolankarten. Das Bild am Ende des Mittelalters zeigt der Globus des Nürnberger Gelehrten Martin Behaim von 1492.
Frühe Neuzeit
Deutliche Fortschritte machte die Kartografie ab dem 16. und 17. Jahrhundert. Allmählich vollzieht sich die Emanzipation von Ptolemäus, die Adaption bestimmter Kartenprojektionen, die Auswechslung fabelhafter und hypothetischer Ausfüllung mit den Ergebnissen neuer Entdeckungen im Bereich des asiatischen und amerikanischen Kontinents.
Im Jahre 1507 gab Martin Waldseemüller zusammen mit Matthias Ringmann einen Globus und eine Weltkarte sowie eine „Einführung in die Kosmografie“ heraus. Die Atlanten werden konzipiert, z. B. der von Gerhard Mercator († 1595), den dessen Söhne vollendeten, und derjenige von Abraham Ortelius („Theatrum Orbis Terrarum“, 1570). Die Niederländer gaben nun in der Kartografie den Ton an.
In der frühen Neuzeit kam es auch in der Kartografie benachbarten Sektoren zu Neuerungen, die vor allem für Reisende von praktischem Nutzen waren. Reisekarte (ein Vorläufer des Straßenatlas), Meilenscheibe (eine Frühform der Entfernungstabelle), Stadtplan und auch die Stadtansicht aus der Vogelschau eröffneten Druckern und Verlegern Verdienstchancen.
Im 18. Jahrhundert war der Landkartenstich, wie der Buchdruck, ein Gewerbe geworden. Bedeutend waren deutsche Zentren wie Nürnberg (Johann Baptist Homann) und Augsburg (Matthäus Seutter).
18. bis 20. Jahrhundert
Durch die an seine früheren geographischen Schriften angelehnte Herausgabe der Curieusen Gedancken von den vornehmsten und accuratesten Land-Charten wurde der Geograph und Universalgelehrte Johann Gottfried Gregorii alias MELISSANTES im Jahr 1713 neben Caspar Gottschling und etwas später Eberhard David Hauber<ref>Oehme, Ruthardt:Eberhard David Hauber (1695 – 1765), Ein schwäbisches Gelehrtenleben, Stuttgart 1976</ref> zum Mitbegründer der Kartenkunde<ref>Gottschling, Caspar:Versuch von einer HISTORIE der Landcharten, Halle 1711,Vorrede</ref> und initiierte endgültig die Aufarbeitung der Kartografiegeschichte.<ref>Lehmann, Edgar </ref> als „Basiskartografie für jedermann“ und als ehemaliges Pionierfeld der analogen Kartografie nimmt noch heute (2013) einen beachtlichen Platz in der Verlagskartografie ein.
Während in der DDR die Entwicklung der Schulkartografie zentral von der Volksbildung bzw. vom Schulwesen über den Volk und Wissen Verlag (Berlin) und den Verlag VEB Hermann Haack (Gotha) gesteuert wurde, wurden Schulbücher in Westdeutschland vor allem gemäß den Vorgaben von Verlagen hergestellt. In Gesamtdeutschland (ab 1990) wurde dieses Prinzip in der Herstellung von kartografischen Unterrichtsmitteln beibehalten, sodass heutzutage (im angebrochenen Zeitalter der Geomatik) auf der Grundlage von Rahmenlehrplänen vorwiegend durch einschlägige Schulbuchverlage in Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern und pädagogischen Beratern kartografische Medien entwickelt werden.
Als Schulbuchverlage, die Schulatlanten und Schülerhandkarten in Deutschland produzieren, sind beispielsweise Cornelsen/Volk und Wissen (Berlin), Klett-Perthes (Gotha) und Westermann (Braunschweig) zu nennen. Die Verlage Klett-Perthes und Westermann sind auch in der Entwicklung von Schulwandkarten führend.
Neue Entwicklungen
Neben den kostenpflichtigen Daten der kommerziellen Datenanbieter entstehen im Zuge der Weiterentwicklung der Internet-Dienstleistungen auch frei verfügbare Geodatenbanken, die in nicht-kommerziellen Projekten aufgebaut und gepflegt werden. Als Beispiel sei hier OpenStreetMap genannt. Die kartografischen Qualitätsansprüche sind zwar zumindest in der Entstehungsphase nicht gewährleistet, aber die Aktualität übertrifft in einigen Gebieten bereits die der großen Geodaten-Anbieter.
Organisationen
- Internationale Kartographische Vereinigung (IKV bzw. ICA/ACI)
- Deutsche Gesellschaft für Kartographie
- Verband der kartografischen Verlage in Deutschland<ref>http://www.kartografie-verband.de/</ref>
- Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV)
- Österreichische Kartographische Kommission (Arbeitsgruppe der ÖGG)<ref>http://www.oegg.info/</ref>
- Schweizerische Gesellschaft für Kartografie<ref>http://www.kartografie.ch/</ref>
- Swisstopo, das Geoinformationszentrum des Bundes (Schweiz)<ref>http://www.swisstopo.ch/</ref>
Siehe auch
Literatur
- Jörg-Geerd Arentzen: Imago mundi cartographica. Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Ökumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild. München 1984.
- Leo Bagrow, Raleigh Ashlin Skelton: Meister der Kartographie. Safari, Berlin 1973.
- Peter Barber (Hrsg.): Das Buch der Karten. Meilensteine der Kartographie aus drei Jahrtausenden. Primus, Darmstadt 2006, ISBN 3-89678-299-1.
- Jürgen Bollmann und Wolf Günther Koch (Hrsg.): Lexikon der Kartographie und Geomatik. Spektrum, Heidelberg 2001–2002, ISBN 3-8274-1055-X (Bd. 1), ISBN 3-8274-1056-8 (Bd. 2).
- Egon Breetz: Entwicklung der geographischen Schulkartographie in der ehemaligen DDR. In: Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie. Band 5, Wien 1992, S. 133-143.
- Anna-Dorothee von den Brincken: Mappa mundi und Chronographia. Studien zur imago mundi des abendländischen Mittelalters. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. Heft 24, 1968, S. 118-186.
- Anna Dorothee von den Brincken: Europa in der Kartographie des Mittelalters (= Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 55). Wien u. a. 1973.
- Anna-Dorothee von den Brincken, Evelyn Edson, Emilie Savage-Smith: Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt. Darmstadt 2005.
- Jeremy W. Crampton: Mapping: A Critical Introduction to Cartography and GIS (Critical Introductions to Geography). Blackwell 2010, ISBN 1-4051-2173-4.
- Martin Rickenbacher: Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815. Hier + Jetzt, Baden 2011, ISBN 978-3-03919-196-3.
- Evelyn Edson: Mapping Time and Space. How Medieval Mapmakers viewed their World (= British Library Studies in Map History, Bd. 1). London 1997.
- Brigitte Englisch: Ordo orbis terrae. Die Weltsicht in den Mappae mundi des frühen und hohen Mittelalters. Akademie, Berlin 2002, ISBN 3-05-003635-4.
- Georg Glasze: Kritische Kartographie. In: Geographische Zeitschrift, 97. Jahrgang, Heft 4, 2009, S. 181-191. (online (PDF; 674 kB))
- Georges Grosjean und Rudolf Kinauer: Kartenkunst und Kartentechnik vom Altertum bis zum Barock. Bern, Stuttgart 1970.
- Günter Hake und Dietmar Grünreich, Liqiu Meng: Kartographie. Visualisierung raum-zeitlicher Informationen. 8. Auflage, DeGruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-016404-3.
- P. D. A. Harvey: The History of Topographical Maps. Symbols, Pictures and Surveys. Thames and Hudson, London 1980, ISBN 0-500-24105-8.
- Rolf Harbeck: Zur Situation der amtlichen topographischen Kartographie in Deutschland. In: Kartographische Nachrichten. 55. Jahrgang, Heft 6, 2005, S. 297.
- O. Harms: Die amtliche Topographie in Oldenburg und ihre kartographischen Ergebnisse. In: Oldenburger Jahrbuch. 60, S. 1-38 (Oldenburg 1961)/ 62, 123-174 (Oldenburg 1963)/ 68, 1-76 (Oldenburg 1969).
- Herma Kliege: Weltbild und Darstellungspraxis hochmittelalterlicher Weltkarten. Münster 1991.
- Eckart Roloff: Landkarten. Wege und Irrwege in ferne Länder. In: Göttliche Geistesblitze. Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker. Wiley-VCH, Weinheim 2010, S. 29 - 35. ISBN 978-3-527-32578-8 (2. Auflage 2012).
- Rudi Ogrissek (Hrsg.): ABC Kartenkunde. Brockhaus, Leipzig 1983, ISBN 3-87144-784-6.
- Rudi Ogrissek: Aufgaben der Schulkartographie als Beispiel für die Anwendung der speziellen Theorien. In: Theoretische Kartographie (= Studienbücherei Kartographie, Bd. 1) Gotha 1987, ISBN 3-7301-0570-1, S. 265-270.
- Steffen Siegel und Petra Weigel (Hrsg.): Die Werkstatt des Kartographen. Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung. Wilhelm Fink, München 2011, ISBN 978-3-7705-5187-3.
- Helen M. Wallis: Cartographical Innovations. An international handbook of mapping terms to 1900. Tring, Herts 1987.
Einzelnachweise
<references />