Novemberpogrome 1938


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Die Novemberpogrome 1938 – bezogen auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch (Reichs-)Kristallnacht oder Reichspogromnacht genannt – waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich.

Dabei wurden vom 7. bis 13. November 1938 etwa 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben.<ref>Ashkenazhouse: Reichskristallnacht – Novemberpogrome 1938</ref> Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört.<ref>Prof. Dr. Meier Schwarz: Die „Kristallnacht“-Lüge (Forschungsbericht auf shoa.de)</ref> Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.

Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.<ref>Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden (1961); Jörg Wollenberg: Die Bedeutung des Novemberpogroms innerhalb der nationalsozialistischen Judenverfolgung (1999)</ref>

Datei:Bundesarchiv Bild 146-1970-041-46, München, zerstörte Ohel-Jakob-Synagoge.jpg
Die orthodoxe Synagoge Ohel Jakob in der Münchner Herzog-Rudolf-Straße nach dem Brandanschlag am 9. November 1938

Vorgeschichte

Die Novemberpogrome 1938 steigerten den staatlichen Antisemitismus zur Existenzbedrohung für die Juden im ganzen Deutschen Reich. Entgegen der NS-Propaganda waren sie keine Reaktion des „spontanen Volkszorns“ auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden. Sie sollten vielmehr die seit Frühjahr 1938 begonnene gesetzliche „Arisierung“, also die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes und jüdischer Unternehmen planmäßig beschleunigen, mit der auch die deutsche Aufrüstung finanziert werden sollte. Der Zeitpunkt der Pogrome hing eng mit Hitlers Kriegskurs zusammen (siehe dazu: Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland).

Die Juden- und Kriegspolitik des NS-Regimes

Datei:Bundesarchiv Bild 102-14468, Berlin, NS-Boykott gegen jüdische Geschäfte.jpg
Berliner SA-Männer beim Anbringen von Plakaten, die zum Boykott jüdischer Geschäfte aufrufen, am 1. April 1933

Fälle von Gewalttätigkeit gegen Juden gab es auch vor der nationalsozialistischen Machtübernahme. Während der Hyperinflation 1923 kam es im Berliner Scheunenviertel zu antisemitischen Ausschreitungen. 1931 organisierte der SA-Führer und spätere Polizeipräsident Wolf-Heinrich von Helldorf antijüdische Krawalle in Berlin. Unmittelbar nach der Machtergreifung folgte am 11. März 1933 der „Warenhaussturm“ in Braunschweig sowie der landesweite Judenboykott vom 1. April 1933. Mit dem Berufsbeamtengesetz und dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, die beide am 7. April 1933 in Kraft traten, verloren im Jahre 1933 etwa 37.000 Juden ihre berufliche Existenz in Deutschland.

Danach flaute die Verfolgung zunächst ab. Jüdische Unternehmen wurden zeitweise ausdrücklich nicht benachteiligt, um sensible Wirtschaftszweige nicht zu schädigen.<ref>Emmanuel Feinermann, Rita Thalmann: Die Kristallnacht, Frankfurt am Main 1999, S. 13</ref> Im März 1935 leitete Julius Streicher jedoch eine weitere Hetzkampagne gegen Juden ein, um die Bevölkerung auf strikte „Rassentrennung“ einzustimmen. Die Nürnberger Gesetze legalisierten diese im September. Zwar stieg die Zahl jüdischer Ausreiseanträge danach nicht wieder an; aber viele jüdische Unternehmer gaben dem Druck nach und verkauften ihre Firmen weit unter Wert oder schieden aus deren Leitung aus. Davon profitierten vor allem Warenhauskonzerne wie Horten und Finanzinstitute wie die Deutsche Bank oder die Dresdner Bank.

1937 zeichnete sich ein Kurswechsel von der schleichenden Verdrängung der Juden aus der deutschen Privatwirtschaft zu ihrer schnellen Zwangsenteignung durch den Staat ab. Im Januar forderte der „Reichsführer SSHeinrich Himmler erstmals öffentlich die „Entjudung Deutschlands“, die das 25-Punkte-Programm der NSDAP 1920 als Ziel benannt hatte. Sie könne am besten durch Mobilisierung des „Volkszorns“ und Ausschreitungen erreicht werden.<ref>Hans Jürgen Döscher: „Reichskristallnacht“. Die Novemberpogrome 1938. 2000, S. 20</ref> Im Oktober wies das „Kampfblatt“ der SS, Das Schwarze Korps, auf die angeblich ungeschmälerte Macht der Juden in Handel und Industrie hin. Diese sei nicht länger zu dulden: Heute brauchen wir keine jüdischen Betriebe mehr.<ref>Feinermann/Thalmann: Die Kristallnacht, S. 15</ref>

Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht hatte wiederholt gegen Streichers Boykottkampagnen protestiert, weil sie den Handel störten, Preis- und Währungsstabilität, Deviseneinnahmen und damit die deutsche Wiederaufrüstung gefährdeten.<ref>Wilfred Mairgünther: Reichskristallnacht. Hitlers Kriegserklärung an die Juden. Kiel 1987, S. 52</ref> Er wurde am 27. November 1937 abgelöst. Kurz darauf organisierte Streicher einen Weihnachtsboykott gegen jüdische Geschäfte, und Schachts Übergangsnachfolger Hermann Göring wandelte das Wirtschaftsministerium in ein „Exekutivorgan zur Durchführung des Vierjahresplans“ zur Aufrüstung um.<ref>Helmut Genschel: Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich. Göttingen 1966, S. 144</ref>

Zum Jahresbeginn 1938 lag das offizielle staatliche Haushaltsdefizit bei zwei Milliarden Reichsmark. Die Schuldenaufnahme stieß an ihre Grenzen. Walther Bayrhoffer vom Reichsfinanzministerium fürchtete, das Reich würde zahlungsunfähig, da die Mefo-Wechsel zur Aufrüstung 1938 fällig wurden. Das hätte die Kriegsvorbereitung gefährdet, die nun verstärkt wurde. Hitler enthob Reichskriegsminister Werner von Blomberg und den Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch, am 4. Februar 1938 ihrer Ämter und übernahm selbst das Oberkommando der Wehrmacht. Am 12. März ließ er diese in Österreich einrücken.

Mit dem sogenannten Anschluss Österreichs kamen 192.000 Juden zu den noch 350.000 Juden im „Altreich“ hinzu, so dass nun 542.000 Juden im „Großdeutschen Reich“ lebten. Vor allem in Wien mit neun Prozent jüdischem Bevölkerungsanteil kam es nun zu wochenlangen Ausschreitungen. Schlägertrupps der SA prügelten tausende jüdische Geschäftsinhaber aus ihren Läden, Betrieben und Wohnungen. Mittelständische NSDAP-Mitglieder ergriffen als „Kommissare“ die Leitung geraubter Geschäfte. Sie sahen dies als „Wiedergutmachung“ für Nachteile vor der „Reichseinung“ und versuchten auch, Aufkäufen jüdischer Firmen durch kapitalkräftige deutsche Großkonzerne zuvorzukommen. Um die „wilden Enteignungen“ zu stoppen, erklärte „Reichskommissar“ Josef Bürckel die „Kommissare“ am 13. April per Gesetz zu neuen Eigentümern, die nun ihr Betriebsvermögen anmelden mussten.<ref>Helmut Genschel: Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich, S. 160ff.</ref>

Am 26. April 1938 erließ Göring ein Gesetz, das alle Juden des Reiches zwang, ursprünglich bis zum 30. Juni, später bis 31. Juli verlängert, ihr gesamtes Vermögen, sofern es 5.000 Reichsmark überstieg, detailliert beim Finanzamt offenzulegen. Man schätzte ihr Gesamtvermögen auf 8,5 Milliarden, den Anteil an liquiden Wertpapieren auf 4,8 Milliarden Reichsmark. Das NS-Regime plante deren Zwangsumtausch in deutsche Staatsanleihen, um diese gegen Devisen im Ausland zu verkaufen. So sollte das Haushaltsdefizit verringert und die Vertreibung der Beraubten ins Ausland finanziert werden.<ref>Kurt Pätzold, Irene Runge: Kristallnacht. Zum Pogrom 1938. Köln 1988, S. 55.</ref>

Die europäischen Nachbarstaaten befürchteten eine Flüchtlingsflut und waren bestrebt, diese abzuwenden. Bei der internationalen Konferenz von Évian (Frankreich) im Juli 1938 erklärte sich keines der 32 teilnehmenden Länder zur Aufnahme der bedrohten Juden bereit. Vielmehr protestierte die Schweiz, in die viele Juden aus Österreich flohen, gegen die „Verjudung“ und drohte eine allgemeine Visumspflicht an. Daraufhin entzog das NS-Regime deutschen Juden die Reisepässe und ersetzte sie durch Sonderausweise mit dem neu eingeführten Judenstempel. Auch Luxemburg hielt am 9. November 1938 auf Beschluss seiner damaligen christlich-sozialistischen Regierung die Grenzen fest geschlossen und verstärkte die Grenzkontrollen.<ref>rh, Grenzschließung. d’Land, 13. November 2009. S. 4.</ref> Adolf Eichmann richtete schließlich im Auftrag von Reinhard Heydrich im August in Wien die erste Zentralstelle für jüdische Auswanderung ein. Eine Flüchtlingswelle setzte ein: Bis Herbst verließen etwa 54.000 Juden das Reich.

Am 29. September gestattete das Münchner Abkommen die deutsche Annexion des tschechoslowakischen „Sudetenlandes“, die Hitler seit Mai angestrebt hatte. Chamberlains Nachgeben gegenüber der aggressiven deutschen Politik schien den Krieg noch einmal abgewendet zu haben. Doch schon am 21. Oktober erließ Hitler den Befehl zur „Zerschlagung der Rest-Tschechei“, der am 14./15. März 1939 realisiert wurde. Zugleich gewann das Regime schon jetzt, im Spätherbst 1938, Handlungsspielraum nach innen und ließ vermehrt jüdisches Eigentum konfiszieren und „überflüssige“ Unternehmen schließen, ohne größere politische und wirtschaftliche Folgen befürchten zu müssen.

Am 14. Oktober kündigte Göring im Reichsluftfahrtministerium ein gigantisches Rüstungsprogramm an. Dieses sei jedoch durch das Staatsdefizit und begrenzte Produktionskapazitäten erschwert. Die Privatwirtschaft müsse daran mitwirken, da man andernfalls zur staatlich gelenkten Planwirtschaft übergehen werde. Die „Arisierung“ sei nun unumgänglich und allein Sache des Staates; sie dürfe auf keinen Fall wie in Österreich anarchisch als „Versorgungssystem untüchtiger Parteigenossen“ ablaufen.<ref>Feinermann/Thalmann, Die Kristallnacht S. 30</ref>

Vorzeichen und Vorbereitungen

Dass die Reichsregierung die Pogrome und Massenverhaftungen vorbereitete, legen unter anderem folgende Schritte nahe:

  • Am 17. August 1935 hatte die Gestapo die Einrichtung einer reichsweiten „Judenkartei“ angeordnet, um die deutschen Juden regional und lokal zu erfassen und zu überwachen.
  • Im Februar 1936, nachdem ein jüdischer Student den NSDAP-Funktionär Wilhelm Gustloff ermordet hatte, beschloss Goebbels "Aktionen" gegen Juden machen.<ref>Tagebuch von Goebbels, Eintrag vom 6. Februar 1936</ref> Zu diesem Zeitpunkt standen jedoch die olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen kurz bevor, die für NS-Propaganda benutzt werden sollten.
  • Am 8. Februar 1938 schrieb Georg Landauer, Leiter des Zentralbüros für die Ansiedlung der Juden aus Deutschland in Jerusalem, an die Führung der Jewish Agency in Palästina: Nach einer „sehr zuverlässigen privaten Quelle …, die sich bis in die höchsten Ränge der SS-Führung zurückverfolgen läßt“, bestehe die Absicht, „in naher Zukunft in Deutschland einen echten und dramatischen Pogrom großen Ausmaßes zu veranstalten.“<ref>Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. C.H. Beck, München 2007, ISBN 3-406-56681-2, S. 292 und Anmerkung 3</ref>
  • Am 28. März 1938 entzog ein Gesetz den Israelitischen Kultusgemeinden den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Das degradierte sie zu Vereinen ohne öffentliche Rechtsansprüche, deren Gebäuden kein staatlicher Schutz mehr zustand.
  • Nach der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 konnte angeordnet werden, dass jüdische Betriebe „von einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt ab ein besonderes Kennzeichen” führen mussten. In Berlin wurden jüdische Geschäftsinhaber noch im selben Monat angewiesen, ihre Namen in weißen Buchstaben am Schaufenster anzubringen.<ref>Susanne Heim (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 2: Deutsches Reich 1938–August 1939. München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 19 sowie Dok. 47 und Dok. 120.</ref> Die Zerstörung und Plünderung während der Pogromnacht wurde dadurch erleichtert.<ref>Feinermann/Thalmann, Die Kristallnacht S. 17.</ref>
  • Zum Jahrestreffen des Allgemeinen Rabbinerverbandes in München am 8. Juni 1938 erhielt die dortige jüdische Gemeinde den Befehl, die Synagoge nebst Gemeindehaus dem Staat abzutreten und binnen 24 Stunden zu räumen. Am Morgen des 9. Juni begann der Abriss. Im August wurde auch die Nürnberger, ab September die Dortmunder Synagoge abgerissen.
  • Seit Juni 1938 erfuhren entlassene jüdische Staatsbeamte, die noch Kontakte zu ehemaligen Kollegen pflegten, dass bald eine größere Zahl Juden in die KZs eingewiesen werden sollten. Dafür legten Finanzämter, Polizei und Gestapo Listen vermögender Juden an und zwangen die Rabbiner per Vorladungen dazu, Namen und Adressen ihrer Gemeindemitglieder weiterzugeben.<ref>Avraham Barkai: Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933–1943. (1988) Fischer, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-596-24368-8, S. 150</ref> Am 14. Juni mussten jüdische Gewerbebetriebe sich registrieren lassen, am 15. Juni ließ der Chef der Berliner Ordnungspolizei, Kurt Daluege, etwa 1.500 Juden bei Razzien festnehmen und in KZs bringen.
  • Juden mussten seit dem 23. Juli 1938 zudem „Kennkarten“ bei sich tragen, seit dem 17. August gemäß der Namensänderungsverordnung die Zweitnamen „Israel“ (Männer) oder „Sara“ (Frauen) annehmen und seit dem 5. Oktober ihre Sonderausweise mit einem roten J (Judenstempel) abstempeln lassen. Diese Kennzeichen ermöglichten einerseits schnelle Verhaftung und Deportation, andererseits flächendeckende Enteignung und Abschiebung der Juden.
  • Bis Oktober 1938 wurden die drei bisher größten deutschen KZs in Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen stark ausgebaut, so dass sie nunmehr zehntausende Gefangene aufnehmen konnten. Obwohl in Dachau bis dahin keine Juden inhaftiert waren, erhielt die Lagerleitung dort am 25. Oktober den Befehl, 5.000 Judensterne auf Häftlingskleider zu nähen. Zusätzliche Matratzen und Stroh wurden angeliefert.
  • Berthold Löwenstein aus Leipzig erfuhr am 29. Oktober 1938 von einem ehemaligen Richterkollegen, der Informationen aus dem Wirtschaftsministerium in Berlin erhalten hatte: Er solle Deutschland mit seiner Familie dringend vor dem 5. November 1938 verlassen, da bis Mitte November Furchtbares mit den Juden geplant sei.<ref>Vincent C. Franck, Ungereimtheiten</ref>
  • Die Entwaffnung der deutschen Juden: Ab 1933 lokal begrenzt (schon das Waffengesetz von 1928 erlaubte den Polizeibehörden, Waffenbesitzkarten und Waffenscheine zu genehmigen oder zu entziehen), wurde ab 1936 den Behörden verboten, Waffenscheine für Juden auszugeben. Unmittelbar nach dem Pogrom am 11. November 1938 wurde den Juden schließlich durch die „Verordnung gegen den Waffenbesitz der Juden“ der Besitz von Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen verboten (RGBl 1938, S. 1573). Für gewisse Gruppen innerhalb der NSDAP war zum Führen von Faustfeuerwaffen hingegen kein Waffenschein mehr erforderlich. Dieser Umstand der Wehrlosmachung ist vor allem in den USA in Diskussionen der beherrschende Aspekt, während die anderen rechtlichen Aspekte nur wenig Beachtung finden. Umgekehrt ist der Umstand der Entwaffnung der Juden in Deutschland nur wenig diskutiert.

Erste Massenabschiebung („Polenaktion“)

Am 9. Oktober 1938 erließ Polen eine Verordnung, nach der die Pässe aller länger als fünf Jahre im Ausland lebenden Polen ohne Sondervisum eines zuständigen Konsulats am 30. Oktober ablaufen sollten. Das betraf vor allem bis zu 18.000 von geschätzten 70.000 polnischen, meist verarmten Juden, die vielfach illegal im Großdeutschen Reich lebten.<ref>Peter Longerich: Politik der Vernichtung: eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, Piper, München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 197; beruft sich auf Sybil Milton: The Expulsion of Polish Jews from Germany October 1938 to July 1939. A Documentation, in: Leo Baeck Institute Year Book 29 (1984), S. 169–199</ref> Die deutsche Regierung stellte Polen daraufhin am 26. Oktober ein Ultimatum, die Rückkehrmöglichkeit der Staatenlosen zu garantieren, andernfalls werde man sie sofort ausweisen. Nach der erwarteten Ablehnung befahl die Gestapo allen Städten und Gemeinden am 27. Oktober, die Betroffenen sofort festzunehmen. In der Nacht zum 29. Oktober wurden sie aus ihren Wohnungen geholt, in schwer bewachten Zügen und Lastwagen zur deutsch-polnischen Grenze bei Zbąszyń (deutsch: Bentschen) abtransportiert und hinübergejagt („Polenaktion“).

Die unvorbereiteten polnischen Grenzbeamten verweigerten den Abgeschobenen zunächst mit Waffengewalt die Einreise, die Deutschen wiederum die Rückkehr. Sie mussten tagelang ohne Nahrung in den überfüllten Grenzbahnhöfen oder im Niemandsland warten, bis die polnischen Behörden sie passieren ließen. Ein Teil kam in den nächsten Tagen bei jüdischen Gemeinden in Polen unter, etwa 7.000 Personen mussten aber zum Flüchtlingslager Zbąszyń in der Woiwodschaft Poznań marschieren, wo die polnische Regierung sie bis August 1939 internierte. Im Januar durften sie für kurze Zeit in ihre deutschen Heimatorte zurückkehren, um ihre Geschäfte zu verkaufen, Haushalte aufzulösen und so ihre erzwungene „Auswanderung“ zu regeln.<ref>Feinermann/Thalmann, Die Kristallnacht S. 37ff</ref>

Attentat als Vorwand

Am 3. November erfuhr der in Paris lebende siebzehnjährige polnische Jude Herschel Grynszpan, dass auch seine ganze Familie nach Zbąszyń vertrieben worden war. Er besorgte sich einen Revolver und schoss damit am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft auf den der NSDAP angehörenden Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. Dieser erlag am 9. November seinen Verletzungen.

Grynszpans genaues Motiv ist unbekannt. Er gab im Verhör „Rache“ für das Leiden seiner Eltern bei deren gewaltsamer Abschiebung an. Er wollte eigentlich den Botschafter erschießen, traf dann aber vom Rath. 1942 in deutscher Haft sagte er aus, er habe sein Opfer zuvor in der Pariser Homosexuellenszene kennengelernt. Daraufhin ließ Propagandaminister Joseph Goebbels den jahrelang geplanten Schauprozess gegen ihn, der das „Weltjudentum“ als angeblichen Auftraggeber des Mords „beweisen“ sollte, verschieben. Schließlich sagte Hitler den Prozess ganz ab.<ref>Feinermann/Thalmann, Die Kristallnacht S. 76f</ref> Grynszpan wurde vermutlich im KZ Sachsenhausen umgebracht.<ref>Karl Jonca: Die Radikalisierung des Antisemitismus: Der Fall Herschel Grynszpan und die „Reichskristallnacht.“ In: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Deutschland zwischen Krieg und Frieden: Beiträge zur Politik und Kultur im 20. Jahrhundert, Bundeszentrale für politische Bildung 1990</ref>

1938 nutzte die NS-Führung das Attentat als willkommenen Anlass, um der unzufriedenen Parteibasis Gelegenheit zum Handeln gegen jüdisches Eigentum zu geben und die Juden beschleunigt dann auch gesetzlich aus dem deutschen Wirtschaftsleben auszuschalten. Nach diesem Muster wurde schon der Reichstagsbrand im Februar 1933 zum Anlass genommen, mit Hilfe der Reichstagsbrandverordnung die „Gleichschaltung“ der Republik voranzutreiben. Das Attentat des jüdischen Studenten David Frankfurter auf den NSDAP-Funktionär Wilhelm Gustloff im Februar 1936 war dagegen nahezu folgenlos geblieben, weil das NS-Regime auch wegen der bevorstehenden Olympischen Sommerspiele die Reaktionen des Auslands berücksichtigen musste.

Verlauf

Erste Übergriffe

Die Nachricht vom Attentat auf den zuvor weitgehend unbekannten Diplomaten vom Rath erreichte die deutsche Öffentlichkeit erst am 8. November 1938 durch die Tagespresse. Bereits am Spätnachmittag des 7. November begannen jedoch in Kurhessen und Magdeburg-Anhalt die ersten Übergriffe gegen Juden, ihre Wohnungen, Geschäfte, Gemeindehäuser und Synagogen. Die Täter waren Angehörige von SA und SS. Sie traten in Zivilkleidung auf, um wie normale Bürger zu wirken und die übrige Bevölkerung zum „Volkszorn“ wegen des Attentats in Paris aufzuhetzen. Am Abend des 7. November wurden die Synagoge und andere jüdische Einrichtungen in Kassel, in der gleichen Nacht auch jene der umliegenden Orte Zierenberg, Bebra und Sontra verwüstet.

Noch am 7. November gab das Deutsche Nachrichtenbüro, eine zentrale Institution der Presselenkung im NS-Staat, eine Anweisung heraus, die Meldung über das Attentat sei in allen Zeitungen „in groesster Form herauszustellen“ und es sei besonders „darauf hinzuweisen, dass das Attentat die schwersten Folgen fuer die Juden in Deutschland haben muss“.<ref>DNB-Rundruf 20.37 Uhr, 7. November 1938, Zsg. 192/13/10/75; hier zitiert nach: Thomas Goll: Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938. Themen und Materialien. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, S. 54.</ref> Am darauffolgenden Tag schrieb Wolfgang Diewerge, ein hoher Funktionär des Propagandaministeriums, im Leitartikel des Völkischen Beobachters:<ref>Günter Brakelmann: Evangelische Kirche und Judenverfolgung. Drei Einblicke. Waltrop 2001, S. 45f., sowie Jürg Osterloh: Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938–1945. München: Oldenbourg, 2006, S. 205.</ref>

„Es ist klar, daß das deutsche Volk aus dieser neuen Tat seine Folgerungen ziehen wird. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß in unseren Grenzen Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen, Vergnügungsstätten bevölkern und als 'ausländische' Hausbesitzer das Geld deutscher Mieter einstecken, während ihre Rassegenossen draußen zum Krieg gegen Deutschland auffordern und deutsche Beamte niederschießen. “

Dies begünstigte die damals häufig anzutreffende Meinung, der „Führer“ habe „davon nichts gewusst“. Auch Göring versuchte dies im Nürnberger Prozess später so darzustellen. In der Nachkriegszeit beurteilten auch Historiker die Pogrome daher oft als angeblich planlose Terroraktion ohne Hitlers Einverständnis; so stellte sie auch der Hitlerbiograf und spätere Holocaustleugner David Irving dar.

Hitlers Unkenntnis hielten die meisten Historiker wegen des Führerprinzips und zeitnaher Zeugenaussagen jedoch für undenkbar. Tatsächlich schrieb Reichspressechef Otto Dietrich in seinen Erinnerungen:<ref>Wilfred Mairgünther: Reichskristallnacht. Hitlers Kriegserklärung an die Juden, S. 141</ref>

„Der schmutzige Befehl, der auch in der Partei schwere Bedenken auslöste, wurde Goebbels am Abend des 9. November in Hitlers Privatwohnung in München erteilt und wie ich aus einwandfreier Quelle erfuhr, war er von einem Wutausbruch Hitlers begleitet, als sich Hemmungen bei den mit der Durchführung betrauten Personen bemerkbar machten.“

Dies bestätigten die 1992 veröffentlichten Tagebücher von Joseph Goebbels. Er notierte am 10. November 1938:<ref> Tagebuchschreiber Goebbels über die Reichskristallnacht. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1992, S. 126 (13. Juli 1992, online).</ref>

„Ich trage dem Führer die Angelegenheit vor. Er bestimmt: Demonstrationen weiterlaufen lassen, Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu spüren bekommen. Der Stoßtrupp Hitler geht gleich los, um in München aufzuräumen. Das geschieht auch gleich. Eine Synagoge wird in Klump geschlagen.“

Wie 2008 nachgewiesen wurde, existierte der scheinbar 1924 aufgelöste „Stoßtrupp“ als Traditionsverband weiter, und 39 führende Mitglieder waren am 9. November im Alten Münchner Rathaus versammelt.<ref>Angela Hermann: Hitler und sein Stoßtrupp in der „Reichskristallnacht“. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (10/2008), Heft 4, ISSN 0042-5702, S. 603–620, hier S. 616ff</ref> Da sie nur direkte Befehle Hitlers befolgten, gilt dessen Anordnung somit als erwiesen.<ref>Sven Felix Kellerhoff (Hamburger Morgenpost, 9. November 2008): Reichspogromnacht: So half Hitler 1938 beim „Volkszorn“ mit</ref>

Hitler forcierte die folgenden Arisierungsverordnungen. Auch wegen Görings Kritik an der SA blieb die „Kristallnacht“ ein einmaliges Ereignis und wurde danach nicht wiederholt.

Reaktionen aus der nichtjüdischen Bevölkerung

Die nichtjüdischen Deutschen reagierten verschieden auf die von SA und SS eingeleiteten und beaufsichtigten Pogrome. Fast überall bildeten sich rasch Mengen von meist schweigenden Schaulustigen; manche stimmten in Hetzgesänge der Ausführenden ein. Einige beteiligten sich an einigen Orten, z. B. Wien, an Zerstörungen und Plünderungen von Geschäftsauslagen. Die meisten aber wahrten Distanz.

Besonders in ländlichen Regionen und kleineren Ortschaften nahmen die in der Hitlerjugend organisierten Kinder und Jugendlichen häufig an Misshandlungen – u. a. Steinwürfen, Beschimpfungen, Anspucken, Demütigungen aller Art – teil. Während Baldur von Schirach die Pogrome eine „verbrecherische Aktion“ nannte und behauptete, die Mitglieder der HJ seien unbeteiligt gewesen, führte der Nationalsozialistische Lehrerbund ihr Mitmachen auf die wirksame Indoktrination an den Schulen zurück (siehe Erziehung im Nationalsozialismus).

Datei:Berlin Neue Synagoge 2005.jpg
Neue Synagoge Berlin, Oranienburger Straße

Die örtlichen Feuerwehren und Polizeidienststellen schützten fast überall befehlsgemäß nur die Nachbargebäude vor dem Übergreifen der gelegten Brände und ermöglichten so die ungehinderte Zerstörung jüdischen Eigentums. Nur sehr wenige Fälle von Zivilcourage sind dokumentiert: So rettete Wilhelm Krützfeld, Vorsteher des zuständigen Polizeireviers in Berlin-Mitte, die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße, indem er auf den Denkmalschutz des Gebäudes verwies, mit einigen Beamten die SA-Brandstifter verjagte und die Feuerwehr holte, die den Brand löschte. Außer einer Rüge seines Vorgesetzten geschah ihm nichts.<ref>Wolfgang Benz: Geschichte des Dritten Reiches S. 143f</ref>

Am Folgetag wurde in manchen Großstädten zu Massenkundgebungen aufgerufen, die die erfolgte „Sühne“ für den Mord an vom Rath feiern und die Einheit von Volk und Partei zeigen sollten. In Nürnberg nahmen daran 100.000 Bürger teil.<ref>Jörg Wollenberg: „Niemand war dabei und keiner hat's gewusst“, S. 26</ref> Diese „antijüdischen Demonstrationen“ erreichten jedoch nicht das von der NSDAP erwünschte Ausmaß. Die meisten Deutschen glaubten die über die staatlich gelenkten Medien verbreitete Version von der „spontanen Volkserhebung gegen die Juden“ nicht. Der Jahresbericht der Sopade (Exils-SPD) von 1938 sprach von „großer Empörung über diesen Vandalismus“ im Rheinland, in Westfalen, Bayern und Berlin. Besonders in Schlesien und Danzig habe die Bevölkerung die Exzesse scharf abgelehnt und dies auch öffentlich gezeigt.<ref>Wilfred Mairgünther: Reichskristallnacht. Hitlers Kriegserklärung an die Juden, S. 165f</ref> Unbestätigt sind Berichte von Emigranten, wonach 300 Nichtjuden wegen Unmutsäußerungen verhaftet wurden.

Den widersprüchlichen Dokumenten gemäß bewertet die Forschung die Haltung der deutschen Bevölkerung verschieden. Manche Historiker gehen davon aus, dass sie den öffentlich gezeigten Terror überwiegend verurteilte. Andere sehen in der Passivität latente bis offene Zustimmung, die bisher unzureichend berücksichtigt worden sei.

Die Pogrome bestärkten diejenigen, die zuvor schon Gegner der NSDAP waren, in ihrer Oppositionshaltung. Für den Kreisauer Kreis unter Graf Helmuth James von Moltke waren sie im Zweiten Weltkrieg nachträglich ein entscheidender Anstoß für die Attentatspläne auf Hitler. Widerstandsgruppen der KPD verbreiteten in Berlin nach den Pogromen eine Ausgabe der Roten Fahne, die unter dem Titel Gegen die Schmach der Judenpogrome zur Solidarität mit allen jüdischen Mitbürgern aufrief. Die antisemitischen Ausschreitungen seien kein Ausdruck des „Volkszorns“, sondern „Ablenkung des Volkes von der vom Kapital betriebenen Kriegspolitik“.<ref>Gruppe Magma: Die KPD und der Antisemitismus, Anmerkung 18 und Originaltext des KPD-Aufrufes (Memento vom 28. Juli 2011 im Internet Archive)</ref> Die Exilzeitschrift Sozialistische Warte des ISK bezeichnete die Pogrome in ihrer Ausgabe vom 18. November in einem mit „Repressalien!“ überschriebenen Artikel als „Tiefstand der Rechtssicherheit in irgend einem Staatswesen“ und als ein „zum Himmel schreiendes Verbrechen“.<ref>Deutsche Nationalbibliothek: Deutsche Exilschriften 1938–1945 (Memento vom 10. März 2011 im Internet Archive) (in Suchschablone „Sozialistische Warte“, „Jahrgang 13“, „Ausgabe 46“ und „Seite 1086“ eingeben)</ref>

Hitler befand sich 1938 jedoch innen- und außenpolitisch auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Macht. Auch deshalb blieben breite öffentliche Proteste oder gar Widerstand gegen die Pogrome aus. Die deutsche Öffentlichkeit sah weitgehend passiv zu, wie die jüdische Minderheit in Deutschland an Leib und Leben bedroht, von Vertretern der Staatsmacht ermordet, ihrer Versammlungs- und Gebetsorte, Traditionen und Güter beraubt und erstmals massenhaft in KZs gesperrt wurde. Die meisten Bürger fürchteten die die Straßen beherrschenden Schlägerbanden der SA und SS und scheuten abweichendes Verhalten in einem totalitären Polizeistaat, in dem „Blockwarte“ und Nachbarn einen an die Gestapo ausliefern konnten.

Gegen die folgenden „Arisierungsgesetze“ wie etwa die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben ist kein Protest überliefert. Auch profitierten viele „Volksdeutsche“ davon. Dies wurde für weitere Maßnahmen des NS-Regimes entscheidend.

Reaktionen der Kirchen und einzelner Christen

Die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) und die Römisch-katholische Kirche waren im damaligen Deutschen Reich die einzigen nicht völlig gleichgeschalteten Großorganisationen. Doch keiner ihrer Vertreter protestierte öffentlich dagegen, dass hier der Staat Menschen nur aufgrund ihrer angeblichen „Rasse“ tötete, enteignete und rigoros aus der Gesellschaft ausgrenzte.

In vorauseilendem Gehorsam hatte DEK-Bischof Otto Dibelius die „nationale Revolution“ im Januar 1933 begeistert begrüßt und den Verdacht einer möglichen kirchlichen Systemopposition bei der Regierung möglichst zu zerstreuen versucht. Schon den Geschäftsboykott des 1. April 1933 hatte er als „notwendige Selbstverteidigung“ gegen den angeblich übergroßen Einfluss des Judentums verteidigt. Er mahnte damals eine „humane“ Ausgrenzung der Juden an, schwieg dann aber zu sämtlichen Gewalttaten und judenfeindlichen Gesetzen der Folgezeit.

Das geschäftsführende Gremium der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs erklärte am 16. November 1938 mit Bezug auf ein Lutherzitat:<ref>zitiert nach „Ein Mahnwort zur Judenfrage“, Kirchliches Amtsblatt vom 24. November 1938, S. 1</ref>

„Kein im christlichen Glauben stehender Deutscher kann, ohne der guten und sauberen Sache des Freiheitskampfes der deutschen Nation gegen den jüdischen antichristlichen Weltbolschewismus untreu zu werden, die staatlichen Maßnahmen gegen die Juden im Reich, insbesonder die Einziehung jüdischer Vermögenswerte bejammern. Und den maßgebenden Vertretern von Kirche und Christentum im Auslande müssen wir ernstlich zu bedenken geben, daß der Weg zur jüdischen Weltherrschaft stets über grauenvolle Leichenfelder führt.“

Die Geistlichen wurden dazu aufgerufen, „ihre Verkündigung in Predigt und Seelsorge so auszurichten, daß die deutsche Seele keinen Schaden leidet und den deutschen Menschen dazu verholfen wird, daß sie ohne falsche Gewissensbeschwerung getrost alles daran setzen, eine Wiederholung der Zersetzung des Reiches durch den jüdischen Ungeist von innen her für alle Zeiten unmöglich zu machen.“ Der evangelische Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse sah in den Pogromen eine Erfüllung von Martin Luthers Forderungen von 1543:

„“

Nur einzelne Christen protestierten öffentlich. Der württembergische Dorfpfarrer Julius von Jan aus Oberlenningen predigte am Buß- und Bettag (16. November 1938) über den vorgegebenen Bibeltext Jer 22,29 LUT:<ref>Günter Brakelmann: Evangelische Kirche und Judenverfolgung. Drei Einblicke, S. 56f</ref>

„Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote missachtet, Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört. Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben : Berlin 2002, Band 1-3, ISBN 3-87024-300-7.

Zu Reaktionen aus dem In- und Ausland

  • Günter Brakelmann: Evangelische Kirche und Judenverfolgung. Drei Einblicke. Darin: Kirche und Judenpogrom 1938. Hartmut Spenner Verlag, Waltrop 2001, ISBN 3-933688-53-1.
  • Wolfgang Benz: Die Geschichte des Dritten Reiches. München 2000, ISBN 3-89331-449-0.
  • Helmut Gollwitzer: Dennoch bleibe ich stets an dir … Predigten aus dem Kirchenkampf 1937–40. Joachim Hoppe (Hrsg.), Kaiser-Taschenbücher 42, 1988, ISBN 3-459-01772-4.
  • Hermann Graml: Effekte der „Reichskristallnacht“ auf die britische und amerikanische Deutschlandpolitik. In: Zeitschrift für Geschichtsunterricht 46 (1998), S. 992–996.
  • Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Frankfurt am Main 1990, Band 1, ISBN 3-596-10611-7.
  • Alexander Korb: Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die Novemberpogrome im Spiegel amtlicher Berichte. VDM Verlag, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-8364-4823-9.
  • Peter Longerich: Davon haben wir nichts gewusst! Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945. Siedler Verlag, München 2006, ISBN 3-88680-843-2.
  • Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder: Juden – Christen – Deutsche. Besonders: 1938–1941: Ausgestoßen. Calwer Verlag, Stuttgart 1995, Teilband 3/1: ISBN 3-7668-3393-6, Teilband 3/2: ISBN 3-7668-3398-7.
  • Jörg Wollenberg (Hrsg.): „Niemand war dabei und keiner hat's gewusst.“ Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenverfolgung 1933–1945. Piper, München 1989, ISBN 3-492-11066-5.

Zur Erinnerung und Bewältigung nach 1945

  • Micha Brumlik, Petra Kunik (Hrsg.): Reichspogromnacht. Vergangenheitsbewältigung aus jüdischer Sicht. Brandes + Apsel Verlags-GmbH, 2. Auflage 1988, ISBN 3-925798-92-7.
  • Thomas Fache: „DDR-Antifaschismus und das Gedenken an die Novemberpogrome 1938. Eine Lokalstudie“ (pdf ~231 kB) in: medaon.de, Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung.
  • Dieter Obst: Die „Reichskristallnacht“ im Spiegel westdeutscher Nachkriegsprozessakten und als Gegenstand der Strafverfolgung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 44 (1993), S. 205–217.
  • Harald Schmid: Erinnern an den „Tag der Schuld“. Das Novemberpogrom 1938 in der deutschen Geschichtspolitik. Ergebnisse Verlag, Hamburg 2001, ISBN 3-87916-062-7.
  • Harald Schmid: Antifaschismus und Judenverfolgung. Die „Reichskristallnacht“ als politischer Gedenktag in der DDR. V und R Unipress, Göttingen 2004, ISBN 3-89971-146-7.

Stadtgeschichten und Erfahrungsberichte

  • Uta Gerhardt und Thomas Karlauf (Hrsg.): Nie mehr zurück in dieses Land, Propyläen, Berlin, 2009, ISBN 978-3-549-07361-2.
  • Ben Barkow, Raphael Gross, Michael Lenarz (Hrsg.): Novemberpogrom 1938: Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-633-54233-8.
  • Erwin Leiser: Die Feuerprobe – Novemberpogrom 1938. Video eines Zeitzeugen mit Dokumentarbildern, 1999.
  • Hans-Dieter Arntz: „Reichskristallnacht“. Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande – Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel, Helios, Aachen 2008, ISBN 978-3-938208-69-4.
  • Peter Guttkuhn: Es geschah (auch) in Lübeck. Der Pogrom gegen die jüdischen Mitbürger. In: Vaterstädtische Blätter, 33. Jg., Lübeck 1982.
  • Peter Guttkuhn: Als eine Welt zerbrach. Erinnerungen an die „Reichskristallnacht“ in Lübeck. In: Lübecker Nachrichten, Sonntagmorgen, 6. November 1988.
  • Andreas Heusler, Tobias Weger: Kristallnacht. Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938. Buchendorfer, 1998, ISBN 3-927984-86-8.
  • Sven Felix Kellerhoff: Kristallnacht. Das Novemberpogrom 1938 und die Verfolgung der Berliner Juden. Berlin Story Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-929829-66-2.
  • Silke Petry: Die Inhaftierung jüdischer Männer und Frauen im Zuge der Pogromnacht im November 1938: ein Überblick über die Ereignisse in der Stadt Hannover und der Region. In: Juden in Niedersachsen 1938–1945: Forschungsansätze und Forschungsdesiderate; Tagung in Hannover 24.–25. März 2011 / (Hrsg.: Arbeitskreis Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen). – Hannover 2011, S. 22–25. (ohne ISBN)<ref>Broschüre Juden in Niedersachsen 1938-1945 Quelle</ref>
  • Josef Wißkirchen: Reichspogromnacht an Rhein und Erft 9./10. November 1938. Eine Dokumentation. Pulheim 1988, ISBN 3-927765-01-5.

Rundfunkberichte

Weblinks

Primärquellen
Überblick
Bild- und Ton-Dokumente
Wiktionary Wiktionary: Kristallnacht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: Reichskristallnacht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary Wiktionary: Reichspogromnacht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Gedenken
Wiederaufbau

Einzelnachweise

<references />

24px Dieser Artikel wurde am 19. April 2006 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen.