David Irving
David John Cawdell Irving (* 24. März 1938 in Brentwood, Grafschaft Essex, England) ist ein britischer Geschichtsrevisionist und Holocaustleugner. Er verfasste etwa 30 Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus, darunter 1963 ein Buch über die Luftangriffe auf Dresden, das ihn bekannt machte.
1977 leugnete er Adolf Hitlers Initiative am Zweiten Weltkrieg und sein Wissen vom Holocaust bis 1943. Dadurch verlor er allmählich sein bisheriges Ansehen als seriöser Sachbuchautor. Seit 1988 bestreitet er öffentlich den Vernichtungszweck der Gaskammern und Krematorien der Konzentrationslager Auschwitz. Er wurde deshalb in mehreren Staaten strafrechtlich verurteilt und erhielt Einreiseverbote.
Inhaltsverzeichnis
Ausbildung
Irving ist der jüngste Sohn eines britischen Marineoffiziers. Einer seiner älteren Brüder fiel in der Luftschlacht um England (1940/41).<ref name="Spiegel.1977-28">Hitler – Kecke Revision. In: Der Spiegel. Nr. 28, 1977 (online).</ref> Nach einem abgebrochenen Studium der Physik, Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der University of London arbeitete Irving ab 1959 für ein Jahr als Stahlarbeiter bei Thyssen im Ruhrgebiet. Dort lernte er fließend Deutsch sprechen. Anschließend verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Artikeln zu zeitgeschichtlichen Themen in deutschen Zeitschriften, darunter in der Neuen Illustrierten.
Irving ist verheiratet und hat fünf Kinder.
Veröffentlichungen
1963 erschien Irvings Buch Der Untergang Dresdens, das einige Historiker und Medien zunächst positiv beurteilten, weil Irving darin von ihm selbst aufgefundene neue Dokumente vorlegte und man seiner Forschung vor Ort vertraute. In den Neuauflagen seines Buchs von 1966 und 1967 stellte Irving einen „Tagesbefehl 47“ vom 22. März 1945 vor, der 202.040 bereits gefundene und bis zu 250.000 erwartete Opfer der Luftangriffe nannte. Max Seydewitz hatte das Dokument bereits 1955 als Fälschung zurückgewiesen. Irving hatte 1964 einen Durchschlag einer Kopie davon von dem Dresdner Fotografen Walter Hahn erhalten. Der bei dem Treffen anwesende Stadtarchivar Walter Lange hatte die Kopie als Fälschung bezeichnet. Irving berief sich 1965 öffentlich auf den Dresdner Urologen Max Funfack, von dem Hahn das Dokument seinerseits ohne dessen Wissen kopiert hatte. Funfack schrieb Irving daraufhin, er habe nur mündliche und zudem sehr widersprüchliche Auskünfte über Opferzahlen aus dritter Hand erhalten und sei nicht mit der Bergung der Dresdner Luftkriegstoten befasst gewesen.<ref>Richard J. Evans: Lying About Hitler. Basic Books, 2002, S. 154–156.</ref> Im selben Jahr wurden zwei Originaldokumente der Dresdner Polizei vom Februar/März 1945 entdeckt, die Irvings Kopie als Fälschung erwiesen. Irving räumte am 7. Juli 1966 in einem Leserbrief an die britische Zeitung The Times seinen Irrtum ein.<ref>David Irving: Leserbrief an die Times, 7. Juli 1966.</ref> Dennoch stoppte er weder die Auslieferung der Neuauflage seines Buchs noch korrigierte er die falschen Opferzahlen in weiteren Auflagen.
1977 bewies ein Fund Götz Berganders endgültig die Fälschung des „Tagesbefehls“: Im Propagandaministerium von Joseph Goebbels war an jede Originalzahl zu bereits kremierten (6.865), registrierten (20.204) und erwarteten (25.000) Toten eine Null angehängt und so die Zahlen verzehnfacht worden, um die Luftangriffe in der Auslandspresse als Verbrechen darzustellen.<ref>Götz Begander: Dresden im Luftkrieg. Flechsig, Würzburg 1998, ISBN 3-88189-239-7, S. 221 und S. 381, Fußnote 36; Luftkrieg: „Der Untergang Dresdens“. David Irving und die Luftangriffe auf Dresden.</ref> Irving behauptete dennoch weiterhin sechsstellige Opferzahlen.<ref>Nizkor Project XI: Justification: The bombing of Dresden.</ref> Der britische Historiker Richard J. Evans deckte Irvings fälschenden und verzerrenden Umgang mit Quellen in seinem Dresdenbuch im Irving-Lipstadt-Prozess 2000 ausführlich auf und veröffentliche sein Prozessgutachten als Buch.<ref>Richard J. Evans: Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Campus, Frankfurt am Main, 2001, 5. Kapitel</ref>
1964 veröffentlichte Irving eine Artikelserie in der Zeitschrift Neue Illustrierte über alliierte Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg als Buch unter dem Titel Und Deutschlands Städte starben nicht. Darin übernahm er die Legende von Tieffliegerangriffen auf Flüchtende in Dresden am 13. Februar 1945 von Nachkriegsautoren wie Axel Rodenberger, Max Seydewitz und anderen. Er betonte jedoch, diese angeblichen Angriffe seien von US-amerikanischen Begleitjägern ausgegangen. Sie hätten mit allen Bordwaffen auch auf sichtbar gekennzeichnete Krankenwagen und Flüchtlingstrecks in den Außenbezirken geschossen und seien dazu immer wieder zurückgekehrt. Irving erhielt diese Darstellung in späteren Auflagen aufrecht, auch nachdem Götz Bergander und Helmut Schnatz sie 1977 historisch widerlegt hatten.<ref>Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg. Würzburg 1998, S. 196–207; Helmut Schnatz: Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit. Mit einem Vorwort von Götz Bergander. Köln/Weimar/Wien 2000, ISBN 3-412-13699-9.</ref>
Ab 29. Mai 1967 druckte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in vier Teilen vorab Irvings Buch zum „Traum von der deutschen Atombombe“ in der NS-Zeit ab.<ref>David Irving (Der Spiegel, 29. Mai 1967): So groß wie eine Ananas ...; David Irving: Der Traum von der deutschen Atombombe. Rowohlt, 1969.</ref>
1977 behauptete Irving in seinem Buch Hitler’s War, Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler hätten den Holocaust ohne Hitlers Wissen und Zustimmung angezettelt. Erst 1943 habe dieser davon erfahren. Er berief sich dazu vor allem auf fehlende Dokumente zu einem schriftlichen Befehl Hitlers zur Judenvernichtung und auf einen Eintrag in Himmlers Tagebuch vom 30. Oktober 1941, bei dem dieser einen Massenmord an erstmals deportierten Berliner Juden telefonisch untersagt hatte. Zudem zog er Tagebücher noch lebender ehemaliger Generale und Funktionäre Hitlers heran, die diese ihm bei seinen Recherchen für das Buch erstmals zur Verfügung gestellt hatten. Zugleich missachtete er jedoch zahlreiche Hinweise auf mündliche Befehle Hitlers zur Judenvernichtung, etwa in Himmlers Posener Reden.<ref name="Spiegel.1977-28" /> Aus der überarbeiteten Neuauflage des Buchs von 1991 ließ Irving alle Referenzen zum Holocaust und zu den NS-Vernichtungslagern löschen.<ref>Anne-Frank-Haus: Who are the Holocaust deniers?</ref> In seinem Buch Hitlers Weg zum Krieg von 1977 gab Irving zwar dessen Aufrüstung seit 1936 zu, stellte ihn aber als weitgehend schuldlos am Zweiten Weltkrieg dar und wies den angeblich vom „Weltjudentum“ gelenkten USA die Hauptschuld zu.<ref>Hermann Graml: Alte und neue Apologeten Hitlers. In: Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt am Main 1994, S. 30–66.</ref>
Diese geschichtsrevisionistischen Thesen stehen in der Tradition von Nationalsozialisten und Mitläufern, die seit den Nürnberger Prozessen 1945 behaupteten: Davon hat der Führer nichts gewusst.<ref>Ulrich Chaussy, Christoph Püschner: Nachbar Hitler: Führerkult und Heimatzerstörung am Obersalzberg. Christian Links Verlag, 2007, ISBN 3-86153-462-2, S. 126</ref> Dem widersprachen besonders britische und deutsche Historiker, deren Forschungen zu den NS-Großverbrechen Hitlers Initiative und Führungsrolle bei der Eskalation der Judenverfolgung zum Holocaust bestätigten. Irvings Thesen wurden bereits 1977 von Allan Bullock, Hugh Trevor-Roper, Eberhard Jäckel und Martin Broszat zurückgewiesen.<ref>Martin Broszat: Hitler und die Genesis der „Endlösung“. Aus Anlaß der Thesen von David Irving. (PDF; 1,66 MB) In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1977, S. 318 (Anmerkung 5)</ref> Gerald Fleming belegte 1983 gegen Irving Hitlers Wissen vom Holocaust und seine Beteiligung an dessen Planung.<ref>Marty Bloomberg, Buckley Barry Barrett: The Jewish Holocaust. Borgo Press, 1995, ISBN 0809514060, S. 83.</ref> Richard J. Evans wies 2000 im Detail Irvings manipulativen Umgang mit Quellen in Hitler's War nach.<ref>Richard Evans: Telling Lies About Hitler: The Holocaust, History and the David Irving Trial. Verso Books, 2002, S. 77–112, insbesondere S. 84–87.</ref>
Irvings Biografie zu Erwin Rommel von 1978 wurde in manchen Medien<ref>Beispiel: Der Spiegel (28. August 1978): Rommel: Ende einer Legende (Vorabdruck, 1. Folge)</ref> und von einigen Historikern positiv beurteilt, da sie das Bild Rommels als Widerstandskämpfer zu Recht korrigiert habe.<ref>Beispiele: Peter Lieb: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2007, S. 88, Anmerkung 188.</ref>
Für sein 1979 erschienenes Buch Der Nürnberger Prozess – Die letzte Schlacht wollte Irving als erster Autor die Akten der Nürnberger Anklagevertretung und das private Tagebuch Robert H. Jacksons eingesehen haben.<ref>David Irving: Der Nürnberger Prozess – Die letzte Schlacht, Wilhelm Heyne Verlag, München 1979, Vorwort, S. 5</ref> In dem später stark erweiterten, im rechtsextremen Grabert-Verlag veröffentlichten Buch bezeichnete er den Prozess als „Rachejustiz der Sieger“ und Rechtsbruch und behauptete, Zeugen und Angeklagte seien gefoltert worden.<ref>Klappentext eines rechtsextremen Buchdienstes</ref> In seinem Buch Goebbels – Macht und Magie (1997) behauptete Irving zudem, Hitler sei von der „Reichskristallnacht“ überrascht worden.
1983 bezeichnete Irving die angeblichen, in der Zeitschrift Stern veröffentlichten Hitler-Tagebücher im deutschen Fernsehen als plumpe Fälschung, noch bevor diese aufgedeckt wurde. Er widersprach damit Eberhard Jäckel, der die Tagebücher nach anfänglichem Zweifel für echt hielt. Kurz darauf erklärte Irving jedoch, auch er sei nunmehr von deren Echtheit überzeugt.<ref>Richard J. Evans: Der Geschichtsfälscher: Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Frankfurt am Main 2001, S. 36f.</ref> Später erklärte er seinen kurzfristigen Meinungswandel mit seiner Freude daran, Historiker „dumm aus der Wäsche schauen“ zu lassen.<ref name="Spiegel.2006-01-16">Malte Herwig: Der Zocker mit dem Hakenkreuz. In: Der Spiegel, 16. Januar 2006.</ref> In der britischen Fernsehserie Hitler zu verkaufen, die auf dem Sachbuch Selling Hitler von Robert Harris beruht und den Skandal über die Hitlertagebücher nachzeichnet, wurde Irving von Roger Lloyd-Pack dargestellt.
Irving wurde bis 1988 von manchen deutschen Medien als zwar unkonventioneller und provokativer, aber ernsthaft forschender und daher diskussionswürdiger Historiker angesehen und etwa durch Vorabdrucke seiner Bücher gefördert.<ref>Vorabdruck von Irvings Der kopflose Aufstand: Teil 1. In: Der Spiegel. Nr. 19, 1981 (online). – Teil 2. In: Der Spiegel. Nr. 21, 1981 (online). – Teil 3. In: Der Spiegel. Nr. 22, 1981 (online).</ref> Er galt als findiger Rechercheur, dem es gelinge, „die Hohlräume und ungeklärten Fragen aufzuspüren, die manche Fachhistoriker bei der Erforschung der Hitler-Ära zurückgelassen haben um zu historisch unhaltbaren Schlussfolgerungen gelangen zu können, vor allem, sobald es um eine Entschuldigung Hitlers geht.“ Er empfinde sich als Hitlers persönlichen Erben.<ref>Deborah E. Lipstadt: Betrifft: Leugnen des Holocaust. Rio Verlag, Zürich 1994, ISBN 3-907768-10-8, S. 141 und 196f.</ref>
Nachdem der Londoner Penguin-Verlag Lipstadts Buch 1995 in Großbritannien veröffentlicht hatte, behauptete Irving, er sei darin verleumdet worden, obwohl Lipstadt nur seine eigenen Aussagen und belegte Urteile von Historikern darüber zitiert hatte. Er forderte die Verlagsleitung auf, die Verbreitung des Buches einzustellen. Als diese darauf nicht einging, strengte er 1996 eine Verleumdungsklage gegen die Autorin und ihren Verlag an, um die Weiterverbreitung ihres Buchs gerichtlich zu verhindern.<ref>Richard J. Evans: Der Geschichtsfälscher: Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Campus, Frankfurt am Main 2001, S. 20.</ref> Da in Großbritannien bei Verleumdungsklagen die Angeklagten die Beweislast tragen, mussten Lipstadt und ihr Verlag die Richtigkeit ihrer Aussagen über Irving nachweisen.
Der Prozess vor dem Londoner High Court, dem höchsten englischen Zivilgericht, benötigte 32 Verhandlungstage. Die Verteidigung zog Gutachter für drei Themenbereiche heran. Im ersten Bereich zeigten die Historiker Christopher Browning und Peter Longerich nochmals die Tatsachen des Holocaust auf.<ref>Peter Longerich: Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur Endlösung. Piper, München 2001.</ref> Der niederländische Architekturexperte Robert Jan van Pelt bewies die Existenz der Gaskammern in Auschwitz.<ref>Robert Jan van Pelt: The case for Auschwitz: evidence from the Irving Trial. Indiana University Press, Bloomington 2002, ISBN 0-253-34016-0.</ref> Der Westberliner Professor Hajo Funke begutachtete Irvings Vernetzung in der revisionistischen und neonazistischen Szene.<ref>Hajo Funke: David Irving, Holocaust denial, and his connections to right-wing extremists and Neo-National Socialism (Neo-Nazism) in Germany. (Nizkor.org)</ref> Der Historiker Richard J. Evans untersuchte Irvings Quellengebrauch und wies nach, dass er eindeutige Quellen ignorierte, andere hingegen entstellte oder fehldeutete, um seine Thesen zu untermauern.<ref>Richard J. Evans: Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Frankfurt am Main 2001.</ref> Evans durfte nach britischem Recht sämtliche Unterlagen, Korrespondenzen und Vorentwürfe Irvings aus dessen Privatarchiv anfordern und so seinen Umgang mit seinen Quellen prüfen. So konnte Evans Irvings Auslassungen, falsche Übersetzungen und Datierungen, Kontextmissachtungen, willkürliche Kombinationen von Textteilen und Fehldeutungen im Detail nachweisen.<ref>Friedrich Paul Heller (Blick nach Rechts, 11. August 2005): Der Geschichtsfälscher: Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess 2001. (Rezension zur Veröffentlichung des Gutachtens von Richard Evans)</ref> In diesem Zusammenhang wurden auch Irvings Veröffentlichungen zu den Luftangriffen auf Dresden erneut geprüft und Fälschungen darin aufgedeckt.<ref name=DLDI>1996, In the High Court of Justice, London, Auszug aus dem Urteil zum Prozess Irvings gegen Deborah Lipstadt et al</ref>
Weitere Zeugen der Verteidigung waren der Militärhistoriker John Keegan und der israelische Holocaustforscher Yehuda Bauer. Irving, der sich ohne Anwalt selbst verteidigte, beschimpfte sie im Prozess als Lügner und behauptete, es seien „auf der Rückbank von Edward Kennedy’s Auto in Chappaquiddick mehr Menschen gestorben als in Auschwitz“.<ref name="bnr">Klaus-Henning Rosen (Blick nach Rechts Nr. 8/19. April 2000): Als Fälscher entlarvt.</ref>
Zu den Dokumenten der Verteidigung gehörten auch Tagebuchnotizen Adolf Eichmanns aus dem Staatsarchiv Israels, deren Einsicht Irving jahrelang verlangt hatte, um zu beweisen, dass Hitler den Holocaust nicht befohlen habe. Sie bestätigten jedoch Eichmanns Aussage im Eichmann-Prozess von 1961, Heydrich habe ihm Ende 1941 einen mündlichen Führerbefehl zur Judenvernichtung weitergegeben.<ref>Heiner Lichtenstein (Blick nach Rechts, 9. März 2000): Kronzeuge Eichmann.</ref>
Am 11. April 2000 wies der Londoner High Court Irvings Klage endgültig ab. In der Urteilsbegründung sah Richter Charles Gray den Vorwurf der Fälschung gegen Irving in 19 Fällen als bewiesen an und fasste zusammen:<ref name="bnr" />
Gray bestätigte, dass Irving öffentlich als „Lügner“, „Geschichtsfälscher“, „Antisemit“ und „Rassist“ bezeichnet werden darf.<ref>Urteilstext des Londoner High Court (englisch).</ref> Irving musste die Prozesskosten von 2,5 Millionen britischen Pfund (nach damaligem Wechselkurs heute etwa 4.172.000 Euro) tragen, was ihn wirtschaftlich ruinierte. Sein Berufungsverfahren scheiterte 2001. Versuche des Verlages, seine Prozesskosten von Irving zurückzuerhalten, scheiterten an dessen Mittellosigkeit.<ref>Stephen E. Atkins (Hrsg.): Encyclopedia of Modern Worldwide Extremists and Extremist Groups. Greenwood Publishing, 2004, ISBN 0-313-32485-9, S. 144.</ref>
Nach Holocaustleugnungen Irvings
Am 8. November 1989 hatte das Landesgericht für Strafsachen in Wien gegen Irving einen Haftbefehl wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbot der NS-Wiederbetätigung ausgestellt. Grund war laut Anklage Irvings Leugnung der Existenz von Gaskammern in den nationalsozialistischen Lagern bei Vorträgen in Wien und der Steiermark. Irving hatte sich der Verhaftung durch die Ausreise aus Österreich entzogen.<ref name="Spiegel.2006-12-21">Österreich schiebt Holocaust-Leugner Irving ab. In: Spiegel Online – Politik, 21. Dezember 2006.</ref>
1993 behauptete Irving bei einem Treffen von Geschichtsrevisionisten in München, „dass die den Touristen in Auschwitz gezeigte Gaskammer eine Attrappe ist, die nach dem Kriegsende von den Polen gebaut wurde“. Dafür verurteilte das Landgericht München I ihn rechtskräftig wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener zu einer Geldstrafe von 30.000 DM. Die Münchner Ausländerbehörde wies ihn unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus.<ref>Frank Jansen: Schriftsteller Hochhuth lobt Leugner des Holocaust. In: Der Tagesspiegel, 19. Februar 2005.</ref> Dieses Urteil wurde 1996 vom Verwaltungsgericht München bestätigt.
Am 11. November 2005 wurde Irving auf dem Weg nach Wien zu einer Veranstaltung der Wiener akademischen Burschenschaft Olympia aufgrund des noch bestehenden Haftbefehls von 1989 festgenommen. Am 20. Februar 2006 verurteilte das Wiener Landesgericht für Strafsachen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung ihn zu drei Jahren Haft ohne Bewährung.<ref name="ntv_urteil"/> Deborah Lipstadt erklärte dazu gegenüber der BBC, sie glaube nicht daran, dass sich Auseinandersetzungen durch Einschränkung der Redefreiheit gewinnen ließen. Die richtige Bekämpfung von Holocaustleugnern finde mit der historischen Wahrheit statt.<ref>Holocaust denier Irving is jailed. In: BBC News, 20. Februar 2006 (englisch).</ref>
Irving legte Berufung ein. Während des Berufungsverfahrens entschuldigte er sich für seine Äußerungen über Holocaustüberlebende und erklärte, er zweifle nicht mehr an der Tatsache des NS-Massenmords an Juden durch Giftgas.<ref>Irving sieht sich nicht als Holocaust-Leugner. In: Spiegel Online – Politik, 20. Februar 2006.</ref> Diese Erklärung werteten Beobachter als Zwecklüge zur Vermeidung eines harten Urteils.<ref>Anna Reimann: Mitleid mit Irving ist verfehlt. In: Spiegel Online – Politik, 21. Februar 2006 (Interview mit Hans-Ulrich Wehler).</ref> Tatsächlich leugnete Irving im März 2007 in Budapest den Holocaust erneut.<ref>Eva Menasse: Mehr als ein Spinner. In: Die Zeit, 22. März 2007.</ref>
Am 4. September 2006 bestätigte der Oberste Gerichtshof Österreichs den Schuldspruch, der somit rechtskräftig wurde.<ref name="ntv_urteil">Gericht bestätigt Urteil. In: n-tv, 4. September 2006.</ref> Am 20. Dezember 2006 wurden zwei Drittel der Haftstrafe Irvings zur Bewährung ausgesetzt. Da er bereits 13 Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte, wurde er am 21. Dezember nach Großbritannien abgeschoben. Gleichzeitig wurde gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für Österreich verhängt.<ref name="Spiegel.2006-12-21" /> Irving hat außerdem in Australien, Italien, Kanada, Neuseeland und Südafrika Einreiseverbot.<ref name="bnr" />
Gegenwart
Nachdem Irving aus österreichischer Haft entlassen worden war, wählte er seinen Hauptwohnsitz in Florida, USA. Er versucht von dort aus, mit Vorträgen, Interviews und Hitler-Devotionalien seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Am 5. September 2009 veröffentlichte die zweitgrößte Tageszeitung Spaniens, El Mundo, ein Interview mit Irving. Darin erklärte er den Holocaustbegriff zu einem kommerziellen Werbeslogan, den Juden seit den 1970ern erfunden und mit derselben Propagandatechnik wie Goebbels zu einer Mode gemacht hätten. Nach den Opferzahlen des Holocaust gefragt, erklärte er, er sei nicht an Zahlen und überhaupt nicht am Holocaust interessiert. Dieser sei nur eine „Marginalie“ des Zweiten Weltkriegs gewesen, den Hitler nicht gewollt habe. Churchill sei in der Hand der Juden gewesen, habe den Krieg gewollt und ebenfalls viele unschuldige Menschen getötet. Auf die Frage, ob er Antisemit sei, antwortete er, er versuche, es nicht zu sein, doch dies sei sehr schwer.<ref name="independent">Elizabeth Nash: David Irving sparks row over Holocaust 'propaganda'. In: The Independent, 6. September 2009 (englisch).</ref>
Das Interview war Teil einer Serie der Zeitung zum 70. Jahrestag des Zweiten Weltkriegs, für die auch der Historiker Ian Kershaw und Avner Schalev, Direktor der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem, interviewt wurden. Diese erklärten, sie hätten nicht teilgenommen, wenn sie vorher von Irvings Teilnahme gewusst hätten. Diese löste erhebliche internationale Proteste aus. Auch spanische Regierungsvertreter kritisierten, die Zeitung habe unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit einem bekannten Holocaustleugner eine Plattform geboten.<ref name="independent"/> Das spanische Verfassungsgericht hatte 2008 ein Gesetz, das Holocaustleugnung in Spanien unter Strafe stellte, aufgehoben.
Irving bestreitet weiterhin die Massenvernichtungsaktionen während der NS-Zeit, auch im Rahmen von heimlich organisierten Vortragsreisen durch viele Staaten. Bei einer solchen Reise 2009 durch die USA stellte er Anhängern seine Thesen vor und verkaufte seine Bücher. Bei einem Auftritt in Manalapan bei Palm Beach kam es zu einer Messerstecherei unter Irving-Anhängern.<ref>dokumentationsarchiv (Mirror), 4. November 2009: White supremacists’ stabbed at talk by Holocaust denier David Irving.</ref> Im August 2010 trat Irving in Belgien mit derartigen Vorträgen auf.<ref>Fälscher historischer Tatsachen. dokumentationsarchiv (Mirror), 20. August 2010.</ref> Am 21. September 2010 begann er eine geplante neuntägige Vortragsreise durch Polen, bei der er zum Pro-Kopf-Preis von 2900 Dollar mit einer Reisegruppe – darunter Neonazis – Schauplätze des Zweiten Weltkriegs wie Hitlers „Wolfsschanze“ und der Judenverfolgung wie das Vernichtungslager Treblinka besuchte. Proteste und Klagen von Holocaustüberlebenden und antirassistischen Organisationen aus Polen und Großbritannien im Vorfeld missachtete er.<ref>Gerhard Gnauck: Reise eines Demagogen nach Polen. In: Die Welt, 22. September 2010.</ref> Die Organisation „Otwarta Rzeczpospolita. Stowarzyszenie przeciw Antysemityzmowi i Ksenofobii“ (Offene Republik. Vereinigung gegen Anti-Semitismus und Xenophobie) informierte die polnischen Behörden, dass Irving mit seinen im Internet verbreiteten holocaustleugenden Thesen gegen polnisches Recht verstoße, und reichte Klage ein.<ref>Offene Republik, 21. September 2010: Statement. (Memento vom 25. September 2010 im Internet Archive)</ref>
Im Oktober 2012 entschied das Münchner Verwaltungsgericht in erster Instanz, das seit 1993 gültige Einreiseverbot Irvings für Deutschland ab 21. März 2013 zu beenden.<ref>Tagesschau, 26. Oktober 2012: Holocaust-Leugner Irving darf bald wieder einreisen.</ref> Die Stadt München dagegen wollte das Einreiseverbot bis 2022 verlängern lassen, weil keine Gesinnungsänderung Irvings ersichtlich sei und er weiterhin die öffentliche Sicherheit gefährde. Nach einer Beschwerde der Stadtverwaltung blieb das Einreiseverbot bis zur Gerichtsentscheidung in zweiter Instanz in Kraft. Deshalb musste Irving einen für den 10. September 2013 in Berlin geplanten Vortrag absagen. Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet, ob Irving weitere Einreiseversuche unternimmt. Ein Protestbündnis, zu dem auch der Hotel- und Gaststättenverband gehört, will Vorträge Irvings in Berlin verhindern.<ref>Konrad Litschko (taz, 6. September 2013): Holocaustleugner darf nicht einreisen: Kein Vortrag zu „Meinungsfreiheit“.</ref>
Schriften (Auswahl)
- Und Deutschlands Städte starben nicht. Schweizer Druck- und Verlagshaus, Zürich 1964.
- Der Untergang Dresdens. Reinbek b. Hamburg 1967.
- Der Traum von der deutschen Atombombe. Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1967 (Original: The Virus House. William Kimber, London 1967).
- Rommel. Eine Biographie. Hoffmann und Campe, Hamburg 1978.
- Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe, Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Erhard Milch. Ullstein 1970.
- Der Nürnberger Prozeß – Die letzte Schlacht. Heyne, München 1979, ISBN 3-453-01051-5.
- Mord aus Staatsräson. Roman. Heyne, München 1981, ISBN 3-453-00978-9.
- Hitler und seine Feldherren. (1. Auflage 1975) Ullstein, München 1982, ISBN 3-550-07308-9.
- Von Guernica bis Vietnam. Die Leiden der Zivilbevölkerung im modernen Krieg. Heyne, München 1982, ISBN 3-453-01479-0.
- Schlacht im Eismeer. Die Vernichtung des Geleitzuges PQ 17. Heyne, München 1984, ISBN 3-453-01956-3.
- Hitlers Krieg, Die Siege 1939–1942. Pawlak, 1988, ISBN 3-88199-458-0.
- Hitlers Krieg, Götterdämmerung 1942–1945. Pawlak Verlag, 1991.
- Churchill. Kampf um die Macht. Herbig, München 1996, ISBN 3-7766-1646-6
- Nürnberg – Die letzte Schlacht. Grabert, Tübingen 1996, ISBN 3-87847-156-4.
- Führer und Reichskanzler. Adolf Hitler 1933–1945. Druffel-Verlag, Berg/Starnberger See 1997, ISBN 3-8061-1118-9.
- Goebbels. Macht und Magie. Arndt-Verlag, Kiel 1997, ISBN 3-88741-168-4.
- Göring. Eine Biographie. Arndt, Kiel 1999, ISBN 3-88741-191-9.
- Die Geheimwaffen des Dritten Reiches. Arndt, Kiel 2000, ISBN 3-88741-030-0 (Original: The Mare's Nest. William Kimber, London 1964; dt. Erstausgabe: Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1965).
- Schlacht um Europa. Mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Invasion 1944. Druckschriften- und Zeitungsverlags GmbH, München 2004, ISBN 978-3-925924-24-8.
- Meine Gefängnisse. Erlebnisse und Gedanken in österreichischen Kerkern. FZ-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-924309-83-1.
- Schlachtführer gegen das Reich. Churchills Krieg 1941–1942. Arndt, Kiel 2007, ISBN 978-3-88741-082-7.
- Schlachten aus Blut und Haß. Churchills Krieg 1942–1943. Arndt, Kiel 2010, ISBN 978-3-88741-098-8.
Literatur
- zu Irvings Hitler-Büchern
- Martin Broszat: Hitler und die Genesis der „Endlösung“. Aus Anlaß der Thesen von David Irving. In: Martin Broszat: Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. Revidierte Ausgabe, dtv, München 1988, ISBN 3-423-04474-8.
- Peter Longerich: Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur Endlösung. Piper, München 2001, ISBN 3-492-04295-3.
- zum Londoner Irving-Prozess
- Richard J. Evans: Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess. Campus, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-593-36770-X.
- Don D. Guttenplan: Der Holocaust-Prozess. Die Hintergründe der ‚Auschwitz-Lüge‘. Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-15123-6.
- Deborah E. Lipstadt: History on trial: my day in court with David Irving. Ecco, New York 2005, ISBN 0-06-059376-8.
- Peter Longerich: Auschwitz-Leugnen. Das Verfahren Irving gegen Lipstadt vor dem Londoner High Court. In: Klaus-Dietmar Henke (Hg.): Auschwitz. Sechs Essays zu Geschehen und Vergegenwärtigung. Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden, Berichte und Studien 32, Dresden 2001, S. 53–64. Online: pdf, tu-dresden.de
- Eva Menasse: Der Holocaust vor Gericht. Der Prozess um David Irving. Siedler, Berlin 2000, ISBN 3-88680-713-4.
Weblinks
- Literatur von und über David Irving im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- David Irving in der Internet Movie Database (englisch)
- David Irving im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- Artikel über „David Irving“ im Lexikon Rechtsextremismus von Netz gegen Nazis
- Neal Ascherson: „David Irving – die Auschwitzlüge“ bei Shoa.de
- Trial Irving versus Lipstadt
- Anthony DeV. Phillips (Oxford University, 20. April 2001): LAW AND HISTORY: a commentary on David Irving v Penguin Books and Professor Deborah Lipstadt
- Anti-Defamation-League: David Irving
- Film: Wahrheit macht Frei – Neonazis in Deutschland, Irving in München (21. April 1990) etwa ab Minute 17, Irvings Aussagen zur „Ein-Mann-Gaskammer“ etwa ab Minute 30
Einzelbelege
<references />
Personendaten | |
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NAME | Irving, David |
ALTERNATIVNAMEN | Irving, David John Cawdell (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | britischer Historiker und Holocaustleugner |
GEBURTSDATUM | 24. März 1938 |
GEBURTSORT | Brentwood, Essex, England |