Orlando (Händel)


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Werkdaten
Originaltitel: Orlando
Form: Opera seria
Originalsprache: Italienisch
Musik: Georg Friedrich Händel
Libretto: unbekannt
Literarische Vorlage: Carlo Sigismondo Capece, L’Orlando, overo La gelosa pazzia (1711)
Uraufführung: 27. Januar 1733
Ort der Uraufführung: King’s Theatre, Haymarket, London
Spieldauer: 2 ¾ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Spanien, um 770
Personen
Datei:Orlando Argomento.jpg
Argomento der Erstaufführung von Orlando 1733 mit englischer Übersetzung von Samuel Humphreys (British Museum London, Signatur: 907.t.2)

Orlando (HWV 31) ist eine Oper (Dramma per musica) in drei Akten von Georg Friedrich Händel. Das Sujet basiert auf dem Epos Orlando furioso (1516/1532) von Ludovico Ariosto, das auch den Stoff für Händels spätere Opern Ariodante und Alcina (beide 1735) lieferte.

Entstehung

Fünf Spielzeiten lang, zwischen Dezember 1729 und Juni 1734, war Händel, unterstützt durch den Impresario Johann Jacob Heidegger, praktisch allein verantwortlich für die italienische Oper des King’s Theatre am Londoner Haymarket. Im vorangegangenen Jahrzehnt waren die Opern noch von der Royal Academy of Music, der sogenannten ersten Opernakademie, produziert worden, einer Gruppe von Aristokraten und Landadligen, die im Verein mit anderen Subskribenten den Spielbetrieb finanzierten; doch nach dem Scheitern der Akademie 1728 trat die Direktion ihre Rechte für fünf Jahre an Händel und Heidegger ab. Die neue Vereinbarung gab Händel das – für einen Komponisten der damaligen Zeit seltene – Privileg, Opern weitgehend nach eigenem Geschmack zu produzieren. So erweiterte sich das Repertoire der ernsten, heroischen Opern, der Opere serie, die von der ersten Akademie bevorzugt wurden, bereits im Februar 1730 um Partenope, die Vertonung eines höchst amüsanten Librettos von Silvio Stampiglia, das die Akademie 1726 schon mal erwogen, jedoch auf Grund seiner „Verworfenheit“ zurückgewiesen hatte. Außerdem kamen Pasticci und Bearbeitungen von Opern führender italienischer Komponisten auf die Bühne. Im Frühjahr 1732 erlebte das englische Oratorium eine bedeutsame Innovation, die in Gestalt einer überarbeiteten Version von Esther, kurz darauf gefolgt von einem Neuarrangement von Acis and Galatea als Serenata, in die Musik von Händels vorangegangenen italienischen und englischen Vertonungen des Stoffes einging. Händel hatte gute Besetzungen für diese Produktionen, allen voran der ab Herbst 1730 wieder zurückgekehrte großartige und beliebte Kastrat Senesino, der schon in den Opern der ersten Akademie die Hauptrollen gespielt hatte.<ref name="Hicks">Anthony Hicks: Handel. Orlando. L’Oiseau-Lyre 430 845-2, London 1991, S. 30 ff.</ref>

Nicht alle Förderer der Oper waren glücklich mit dieser Situation, und Orlando, die neue Oper der vierten Saison Händels (1732/33), mag dazu beigetragen haben, die Krise zuzuspitzen. Den Datumsangaben des Autographs zufolge hatte Händel im November 1732 die ersten beiden Akte vollendet: „Fine dell Atto 2do | Nov. 10“, und zehn Tage später die gesamte Partitur: „Fine dell’ Opera G.F. Handel | Novembr 20 1732.“ Die Uraufführung im King’s Theatre mit Senesino in der Titelrolle war erst für den 23. Januar 1733 vorgesehen, musste aber auf den 27. Januar verschoben werden. Als Grund für diese Verzögerung kann die besonders gründliche Vorbereitung der neuen Ausstattung für diese Inszenierung vermutet werden. Aber nach Victor Schœlcher gab die Londoner Daily Post als Grund für die Verschiebung der ersten Aufführungen an: „the principal performers being indisposed“ („die führenden Sänger sind indisponiert“).<ref>Victor Schœlcher: The Life of Handel. London 1857, S. 122.</ref> Im sogenannten „Opera Register“ – einem Tagebuch der Londoner Opernaufführungen, welches lange Zeit fälschlicherweise Francis Colman zugeschrieben wurde – vermerkte der Verfasser am 27. Januar und 3. Februar:<ref name="Flesch">Siegfried Flesch: Orlando. Vorwort zur Hallischen Händel-Ausgabe II/28. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1969, S. VI ff.</ref><ref name="Hicks" />

“Orlando Furiose a New Opera, by Handel The Cloathes & Scenes all New. Do extraordinary fine & magnificent – performed Severall times until Satturday.”

„Orlando Furioso, eine neue Oper von Händel, alle Kostüme und Bühnenbilder sind neu. Höchst trefflich und prächtig – und bis Samstag mehrmals aufgeführt.“

– „Opera Register.“ London 1733.<ref name="baselt208">Editionsleitung der Hallischen Händel-Ausgabe: Dokumente zu Leben und Schaffen. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch: Band 4. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1985, ISBN 3-7618-0717-1, S. 208.</ref>

Besetzung der Uraufführung:

Bis zum 20. Februar wurden erst einmal nur sechs Vorstellungen angesetzt. Die Königin war am zweiten Abend anwesend: Ihre Sänfte kam bei ihrem Aufbruch zu Schaden. Anschließend nahm Händel Floridante wieder auf und dirigierte Aufführungen sowohl seines neuen Oratoriums Deborah als auch von Esther. Vier weitere Vorstellungen vom Orlando folgten ab dem 21. April; die Vorstellungsreihe endete am 5. Mai, obwohl noch eine Aufführung am 8. Mai geplant war. Wegen der „Indisposition“ eines Sängers, vermutlich der Strada, wurde stattdessen aber Floridante gegeben.<ref>Winton Dean: Handel’s Operas, 1726–1741. Boydell & Brewer, London 2006, Reprint: The Boydell Press, Woodbridge 2009, ISBN 978-1-84383-268-3, S. 252.</ref> Zu der letztlich beträchtlich geschrumpften Zuhörerschaft gehörte Sir John Clerk, 2. Baron von Penicuik aus Schottland, der sich beeindruckt zeigte und folgenden aufschlussreichen Bericht überlieferte:<ref name="Hicks" />

“I never in all my life heard a better piece of musick nor better perform’d – the famous Castrato, Senesino made the principal Actor the rest were all Italians who sung with very good grace and action, however, the Audience was very thin so that I believe they get not enough to pay the Instruments in the orchestra. I was surprised to see the number of Instrumental Masters for there were 2 Harpsichords, 2 large basse violins each about 7 foot in length at least with strings proportionable that cou’d not be less than a ¼ of an inch diameter, 4 violoncellos, 4 bassoons, 2 Hautbois, 1 Theorbo lute & above 24 violins. These made a terrible noise & often drown’d the voices. One Signior Montagnania sung the bass with a voice like a Canon. I never remember to have heard any thing like him. amongst ”

„Es erhob sich ein Geist gegen die Dominanz von Herrn Händel, man vergab Subskriptionen und es wurden Direktoren gewählt, mit Senesino haben sie schon einen Vertrag gemacht, und mit der Cuzzoni und Farinelli sind sie in Verhandlung there was but a 120 people in the House. The subscribers being refused unless they would pay a guinea, they, insisting upon the right of their silver tickets, forced into the House, and carried their point.”

„Händel dachte, ermutigt durch die königliche Prinzessin, but by a comparison of the songs intended for Senesino, after the opera of Porus, with those which Handel had composed for him previous to that period, there seems a manifest inferiority in design, invention, grace, elegance, and every captivating requisite.”

Orlando war die letzte Oper, in der Händel Arien speziell für Senesino komponierte; […] aber bei einem Vergleich der für Senesino bestimmten Gesänge stellt man fest, dass nach der Oper Poros eine spürbar geringere Qualität des Konzepts, weniger Einfallsreichtum, Anmut, Eleganz und weniger interessante Ausstattungen vorhanden sind.“

Charles Burney: A General History of Music. London 1789.<ref>Charles Burney: A general history of music: … Vol. 4. London 1789, S. 367.</ref>

„Die größte Merkwürdigkeit dieser Oper ist jedenfalls die schon genannte Schlußscene des zweiten Aktes, bestehend aus mehreren recitativischen und ariosen Sätzen, in denen sich eine freudige, bedeutende Melodie geltend macht, die auch gegen das Ende hin siegreich zum Durchbruch kommt. Das wäre nun seiner Form nach ein völlig modernes Opernfinale ohne Chor, einem Weber’schen Tongemälde verwandt, und man könnte diese Scene, wie die Sachen jetzt stehen, aufführen ohne daß bei den Zuhörern auch nur entfernt der Gedanke eines Händel’schen Ursprunges aufkäme: so wenig paßt sie in die Begriffe, welche man für Händel’s Kunst als maßgebend angenommen hat.“

Friedrich Chrysander: G. F. Händel. Leipzig 1860.<ref name="Chrysander" />

„Mit Recht hat der Händel-Biograph Hugo Leichtentritt den Orlando als ‚eine der stärksten und reichsten Händelschen Opern‘ bezeichnet. Szenische Abwechslung, sehr dramatische Behandlung des Stoffes und hervorragende Charakterzeichnung verbinden sich mit einer fast unermesslichen Fülle herrlicher Melodien und wertvoller musikalischer Einfälle.“

Hans-Gerald Otto: Orlando. Programmheft Landestheater Halle, 1961.<ref>Hans-Gerald Otto: Orlando. Programmheft Landestheater Halle, 1961.</ref>

“It is disconcerting to find eighteenth-century opinion, particularly when it is expressed by two men who were acquainted with Handel, so different from our own. Perhaps it should be taken as fair warning against passing judgment on opera from the printed page, although Burney’s description of Orlando shows that he at least consulted the manuscript, not merely the Walsh edition. The same opera, to modem eyes after the experience of twentieth-century revivals, is ‘one of Handel’s richest and most rewarding operas’ (Andrew Porter, The New Yorker, 14 March 1983) and to Winton Dean a ‘masterpiece […] musically the richest of all his operas’ (Handel and the Opera Seria, p. 91), comparable on several counts with The Magic Flute. […]

It was chiefly their concentration on set pieces that makes the commentaries of both Burney and Hawkins on Handel’s later operas defective. Opera seria originated in the word-book, and a study of this reveals levels of the composer’s creative intentions which escaped them: the ‘Argument’, the allocation of arioso and accompanied recitative in place of secco (for an increase in intensity that did not imply an obligatory exit for the character), the introduction of sinfonie and above all, the consistent development of a psychological thread and the exploitation (rather than simply the creation) of situations.”

„Es ist geradezu beunruhigend, wie sehr die Ansichten des achtzehnten Jahrhunderts, noch dazu geäußert von zwei Männern, die mit Händel vertraut waren, [Burney und Hawkins, s.o.] von den unsrigen abweichen. Wir können aus dieser Tatsache vielleicht lernen, dass man eine Oper nicht auf der Grundlage des Druckes beurteilen kann; allerdings zeigt Burneys Beschreibung des Orlando, dass er immerhin die Handschrift konsultiert hat, nicht nur die Ausgabe von Walsh. Dieselbe Oper gilt heute nach ihrer Wiederbelebung im zwanzigsten Jahrhundert als ‚eine von Händels prächtigsten und sehenswertesten Opern‘.<ref>Andrew Porter: Musical Events: Magical Opera. In: The New Yorker, 14. März 1983, S. 136 f.</ref> Und für Winton Dean ist sie ‚ein Meisterwerk […] musikalisch die herrlichste aller Händelopern,‘<ref>Winton Dean: Handel and the Opera Seria. Oxford University Press, 1970, ISBN 0-19-315217-7, S. 91.</ref> in mancherlei Hinsicht mit der Zauberflöte vergleichbar. […]

Was die Kommentare sowohl von Burney wie von Hawkins so unzulänglich erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass beide sich nur auf die vertonten Stücke konzentrierten. Die Opera seria entstand aber auf der Grundlage eines Textbuches; wenn man sich dieses einmal genauer ansieht, erkennt man viele kreative Momente des Komponisten, die den beiden Historikern entgangen sind: die Thematisierung, die Verwendung von Arioso und begleitetem Rezitativ anstelle des Secco (womit eine Intensitätssteigerung erreicht wurde, die nicht zwangsläufig zum Abtritt der jeweiligen Figur führte), die Einführung von orchestralen Vorspielen, die zusammenhängende Knüpfung eines psychologischen Fadens und die Ausbeutung (nicht die simple Erfindung) von Situationen.“

Christopher Hogwood: Handel. London 1984.<ref>Christopher Hogwood: Handel. Thames and Hudson, London 1984, Paperback Edition 1988, ISBN 0-500-27498-3, S. 101 f.</ref><ref name="Hogwood" />

Orchester

Zwei Blockflöten, zwei Oboen, Fagott, zwei Hörner, zwei Violette marine, Streicher, Basso continuo (Violoncello, Laute, Cembalo).

Diskografie (Auswahl)

English Chamber Orchestra; Dir. Arnold Goldsbrough
Orchester des Teatro La Fenice; Dir. Charles Mackerras
The Academy of Ancient Music; Dir. Christopher Hogwood (158 min)
Les Arts Florissants; Dir. William Christie (169 min)
La Scintilla“ Orchester des Opernhauses Zürich; Dir. William Christie (DVD)
  • K617 (2010): Christophe Dumaux (Orlando), Elena de la Merced (Angelica), Jean-Michel Fumas (Medoro), Rachel Nicholls (Dorinda), Alain Buet (Zoroastro)
La Grande Écurie et la Chambre du Roy; Dir. Jean-Claude Malgoire

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

<references />