Raoul Schrott


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Schrott im Jahr 2005

Raoul Schrott (* 17. Januar 1964 in Landeck, Tirol) ist ein österreichischer Literaturwissenschaftler, Komparatist und Schriftsteller.

Leben

Raoul Schrott wuchs in Landeck, Tunis und Zürich als Sohn eines österreichischen Außenhandelsvertreters auf. Nach seinem Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck war er von 1986 bis 1987 Sekretär des französischen Surrealisten und Autors Philippe Soupault. Als Dissertation legte er 1988 an der Universität Innsbruck die Arbeit Dada 1921–1922 in Tirol vor. Von 1990 bis 1993 war er Lektor für Germanistik am Istituto Orientale in Neapel. 1996 habilitierte er sich am Institut für Komparatistik der Universität Innsbruck, für dessen Weiterbestand er sich einsetzte. Im Wintersemester 2008/2009 wurde Schrott auf die Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der Freien Universität Berlin berufen.<ref>Freie Universität Berlin: Raoul Schrott ist neuer Samuel-Fischer-Gastprofessor im Wintersemester 2008/09</ref> Schrott lebt in Österreich. 2012 hatte er die Tübinger Poetik-Dozentur zusammen mit Christoph Ransmayr an der Universität Tübingen inne. Seit 2002 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Werk

Literatur

Neben Romanen und Gedichten profilierte sich Schrott vor allem mit Anthologien, Dramen, Essays, Reiseprosa und Übersetzungen.

Der Dadaismus bildet einen Schwerpunkt seiner frühen wissenschaftlichen Tätigkeit. 1999 hat Schrott die altgriechischen „Bakchen“ für das Wiener Burgtheater ins Deutsche übertragen, sowie das babylonisch-akkadische Gilgamesch-Epos. Letzteres wurde – wie seine Trojathese – in der Assyriologie kritisch diskutiert.<ref>Michael P. Streck: Das Gilgamesch-Epos in der Übersetzung und Nachdichtung von Raoul Schrott. In: Text + Kritik. 176, 2007, S. 76–86 sowie Stefan Maul: Rez. von R. Schrott: Gilgamesh Epos. In: Literaturen, 2002/1-2, 2002, S. 62–64.</ref>

Schrotts literarisches Werk umfasst viele Genres. Zu ihm gehören die Romane Finis Terrae (1995) und Tristan da Cunha (2003), die Erzählung Khamsin (2002), die Novelle Die Wüste Lop Nor (2000) sowie die Gedichtbände Hotels (1997) und Tropen. Über das Erhabene (1998). Neuere literarische Veröffentlichungen des Autors sind der Gedichtband Weissbuch (2004) und das Handbuch der Wolkenputzerei (2005), eine Essaysammlung.

Troja-Frage

Zwischen 2005 und 2008 arbeitete er an einer Neuübersetzung von Homers Ilias. Für die Hörspielredaktionen des Hessischen Rundfunks und des Deutschlandfunks arbeitete Klaus Buhlert parallel mit Schrott an einer Hörversion mit dem Sprecher Manfred Zapatka. Als Hörbuch und Buch erschien die Ilias zur Buchmesse Frankfurt 2008.<ref>Negativ zur Ilias-Übersetzung Wolfgang Schuller: „Wenn Bettpfosten wackeln Wenn Bettpfosten wackeln“, Die Welt, 30. August 2008
   Positiv dazu Christian Thomas: „24 Ilias-Gesänge. Die Heimkehr der Sänger“, Frankfurter Rundschau, 1. September 2008</ref> Dazu befasste er sich mit neueren internationalen Veröffentlichungen der komparativen Literaturwissenschaft, die seiner Meinung nach vielfache Bezüge zwischen Homer und assyrischen Texten aufgezeigt haben. Er stellte die These weiterer Parallelen zwischen altorientalischen und den homerischen Schriften auf, zudem von Verbindungen zur Genesis des Alten Testaments. Dazu stellte er fest: „Die Gräzisten und die Assyriologen nehmen bisher kaum Notiz voneinander, Okzident und Orient werden in der Literaturwissenschaft im Unterschied zur Archäologie oder Ethnologie noch immer ideologisch und kulturell getrennt.“<ref>Peter von Becker: „Willkommen im Morgenland“, Der Tagesspiegel, 9. März 2008, S. 3</ref>

Schrott erweiterte das geplante literaturwissenschaftliche Vorwort der Übertragung zu einer separaten Veröffentlichung über die „Homerische Frage“, in der er darlegte, dass der Grieche Homer im assyrischen Kulturraum gelebt haben müsse. Er verglich die Landschaftsbeschreibungen der Ilias mit den westlichsten Teilen des assyrischen Einflussgebietes und fand („hunderte“) Verweise auf die Landschaft um Karatepe in Kilikien. Für Schrott ist Homer ein griechischer Schreiber in assyrischen Diensten in Karatepe (um den Schreiberposten zu erlangen, habe er sich entmannen lassen, was Eigenheiten seiner Erzählung erkläre), der alte griechische Motive vom Trojanischen Krieg den lokalen Gegebenheiten angepasst und in die dortigen Erzähltraditionen gekleidet habe.

Schrotts Thesen zu Homer und Troja, die er am 22. Dezember 2007 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte,<ref>Raoul Schrott: „Adana: Homer hat endlich ein Zuhause – in der Türkei“, FAZ, 22. Dezember 2007</ref> stießen auf den entschiedenen Widerspruch von Wissenschaftlern wie etwa des Gräzisten Joachim Latacz,<ref>„Eine „irrwitzige Fantasterei“. Altphilologe Latacz kritisiert Raoul Schrotts Arbeiten zu Homer“, Deutschlandfunk, 31. Dezember 2007</ref> des Altphilologen Paul Dräger<ref>Paul Dräger: Rezension zu Schrott: Homer, Ilias (PDF; 547 kB).</ref> oder des Althistorikers Stefan Rebenich.<ref>Stefan Rebenich: „Ein ehrgeiziges Migrantenkind, leider kastriert“, Neue Zürcher Zeitung, 15. März 2008</ref> Die italienischen Altphilologen Bruno Gentili und Carmine Catenacci warfen Schrott verfehlte methodische Ansätze, linguistisch abwegige Konstruktionen und „Fantastereien“ vor.<ref>Bruno Gentili / Carmine Catenacci: Fantasticherie omeriche di Raoul Schrott e la „nuova“ Iliade di Alessandro Baricco, in: Quaderni urbinati di cultura classica, N.S. 87,3 (2007), S. 147–161</ref> Andere Wissenschaftler wie Robert Rollinger,<ref>Robert Rollinger: „Forscher entfacht Streit um Homer und Troia“, Die Welt, 28. Januar 2008</ref> Walter Burkert<ref>Walter Burkert: „Sprachwissenschaft. War der große Homer ein Plagiator?“ Die Welt, 10. März 2008</ref> und Christoph Ulf<ref>„Des Trierers Genitiv“, 16 vor, Nachrichten aus Trier, 9. Mai 2008</ref> hielten seine Thesen für diskussionswürdig und „horizonterweiternd“, auch wenn sie überwiegend diese im Ergebnis ablehnen.<ref>Barbara Patzek: „Eine Wissenschaftlerin antwortet: Schrotts Homer – ein kühner historischer Roman?“ FAZ, 3. Januar 2008</ref> Bei den meisten bisher bekannt gewordenen Stellungnahmen von Forschern überwiegt jedenfalls die Skepsis.<ref>„Der Streit um Troja“, Deutschlandradio, 3. Januar 2008</ref> Am 13./14. November 2008 diskutierten Assyrologen, Hethitologen und Gräzisten in einem Symposion in Innsbruck über die Thesen Raoul Schrotts.<ref>Thomas Schirren: „Wissenschaft als Roman. Ein Sängerwettstreit in Innsbruck über Raoul Schrotts Homer“, Süddeutsche Zeitung, 18. November 2008</ref><ref>„Homer, Wanderer zwischen den Welten“, Tiroler Tageszeitung, 1. Dezember 2008</ref> Schrott äußerte Anfang 2009, dass in den rund 15 Podiumsdiskussionen, die er bis dahin mit den Vertretern der verschiedenen Fachbereiche geführt hatte, noch kein Argument gekommen sei, das seine These „ausgehebelt“ habe.<ref>Thomas Wagner: »Kein anderer Text war politisch wirkungsmächtiger«, junge Welt, 24. Januar 2009, Interview</ref>

Schrott ergänzte seine Thesen zur Ilias-Sage im Herbst 2015 durch eine Neuinterpretation des Werkbeginns. Das bisherige Verständnis, wonach das Epos als Gesang einer Muse konzipiert sei, führt er auf einen Übersetzungsfehler zurück; in Wirklichkeit trage der Erzähler den Gesang seiner Adressatin selbst vor und wende sich mit dem einleitenden Ausspruch Aeide Thea („Heb an, Göttin!“) an die Titanin Themis, die über den Ausgang des Trojanischen Krieges und das Schicksal seiner Protagonisten – speziell des Achilleus – richten solle.<ref>Raoul Schrott: „Übersetzungsfehler der 'Ilias': Homers Göttin singt nicht“, FAZ, 27. Oktober 2015</ref>

Veröffentlichungen, Übersetzungen

Als Herausgeber

Filme

Hörfunk

  • Projekt Die erste Erde I, SWR, BR, 2011<ref>SWR 2: HÖRSPIEL 2/2011, S. 41</ref>

Auszeichnungen

Sekundärliteratur

  • Herlinde Koelbl: Raoul Schrott. In: Im Schreiben zu Haus  −  Wie Schriftsteller zu Werke gehen  −  Fotografien und Gespräche. Knesebeck Verlag, München 1998, ISBN 3-89660-041-9; S.28–35; Fotodokumentation Schrotts, die den Autor an seinem Arbeitsplatz und im persönlichen Umfeld porträtiert und im Interview sowohl Grundlage seiner Berufung als auch Rahmenbedingungen und individuelle Vorgehensweise bei der Entstehung seiner Werke darstellt.
  • Heinz Ludwig Arnold/Torsten Hoffmann (Hg.): Raoul Schrott. Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 176. München 2007. ISBN 978-3-88377-903-4.

Weblinks

Einzelnachweise

<references />