Robert Ritter
Eugen Max Robert Ritter (* 14. Mai 1901 in Aachen; † 17. April 1951 in Oberursel) war ein deutscher nationalsozialistischer Rassentheoretiker, der die Rassenhygienische Forschungsstelle (RHF) leitete und nach 1945 Obermedizinalrat der Stadt Frankfurt am Main war. Ritter ist als Leiter der RHF einer der bekanntesten Schreibtischtäter des Porajmos. Die RHF erarbeitete etwa 24.000 „gutachtliche Äußerungen“, in denen die Untersuchten als „Voll-Zigeuner“, „Zigeuner-Mischling“ oder „Nicht-Zigeuner“ eingeteilt wurden. Diese Gutachten bildeten die Grundlage für Zwangsmaßnahmen gegen Roma bis hin zur Deportation in das "Zigeunerlager Auschwitz".
Inhaltsverzeichnis
Jugend und Schulzeit
Der 1901 in Aachen geborene Robert war das erste Kind des Kapitänleutnant Max Ritter und seiner Ehefrau Martha, geborene Gütschow, seine beiden Schwestern wurden 1903 und 1905 geboren.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 30-33</ref> Im Beruf des Vaters wird die Ursache für häufige Wohnort- und Schulwechsel Ritters vermutet.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 30-33</ref>
Politische und berufliche Biografie
Ritter optimierte seinen Lebenslauf in den drei Epochen: Weimarer Republik, Nationalsozialismus und frühe Bundesrepublik nach jeweiliger politischer Opportunität.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 30</ref> Schon seine Zugehörigkeit zu einem Freikorps und der Beteiligung am Ruhrkampf stellt er von euphemistisch, bis übertreibend dar.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 38</ref>
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schloss sich Ritter 1918 zunächst einem oberschlesischen Freikorps an.<ref name="Klee499">Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 499.</ref> Er studierte dann Pädagogik, Psychologie, Philosophie und Psychiatrie in Bonn, Tübingen, Marburg, München, Berlin, Heidelberg und Oslo.<ref>Michael Zimmermann: Mit Weigerungen würde also nichts erreicht / Robert Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt, in Gerhard Hirschfeld und Tobias Jersak: Karrieren im Nationalsozialismus, Campus, Frankfurt a. M., 2004, Seite 291</ref> 1927 promovierte er über Das geschlechtliche Problem in der Erziehung. Versuch einer Sexualpädagogik auf psychologischer Grundlage. 1930 folgte seine medizinische Dissertation mit dem Titel Zur Frage der Vererbung der allergischen Diathese.
1931 und 1932 war Ritter an der kinderpsychiatrischen Abteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich tätig.
Von 1932 bis 1935 war er Oberarzt in der Jugendabteilung der Psychiatrie an der Universität Tübingen, wo er unter anderem für die Begutachtung von schwererziehbaren Jugendlichen zuständig war. Dort entwickelte er rassistische und eugenische Theorien über die biologischen Grundlagen von sozialer Auffälligkeit, die seiner Karriere im NS-Staat förderlich waren. 1935 publizierte er einen Beitrag in der Zeitschrift Volk und Rasse über Rothaarigkeit als rassenhygienisches Problem.<ref name="Klee499"/> Im selben Jahr übernahm er einen Forschungsauftrag der deutschen Forschungsgemeinschaft zur Untersuchung der biologischen Grundlagen von „Asozialen“, Obdachlosen und Zigeunern im Reichsgesundheitsamt in Berlin.
Mit seinen Studien qualifizierte er sich aus Sicht der Nationalsozialisten für die Leitung der neu gegründeten „Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“, die er im November 1936 übernahm. Seine Stellvertreterin wurde Eva Justin. 1937 habilitierte er sich mit folgender Arbeit: Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtliche Untersuchungen über die durch 10 Geschlechterfolgen erforschten Nachkommen von ‚Vagabunden, Jaunern und Räubern‘. Darin vertrat er die These vom „geborenen Verbrecher“, von der genetischen Bedingtheit kriminellen und asozialen Verhaltens. Ritter berief sich für seine Arbeiten auf Schweizer Gewährsleute, wozu wohl auch Josef Jörger mit der Arbeit über die Familie Zero gehörte.
Tobias Joachim Schmidt-Degenhard weist in Robert Ritter (1901–1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“ nach, dass Ritter in zahlreichen Textstellen die gleichen Ideen vertritt und sehr ähnliche Formulierungen benutzt wie Hermann Aichele in seiner 1911 ebenfalls in Tübingen geschriebenen Dissertation Die Zigeunerfrage mit besonderer Berücksichtigung Württembergs. Aicheles Arbeit findet sich weder im Literaturverzeichnis noch wird auf sie sonst hingewiesen.<ref>Tobias Joachim Schmidt-Degenhard: Robert Ritter (1901–1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“. Diss. Tübingen 2008 (pdf; 1,6 MB) Das Kapitel über Aichele ab Seite 89 widmet sich ganz dem Vergleich der Textstellen und Ideen, die auch in einer umfangreichen Tabelle einander gegenübergestellt werden.</ref>
Ritter erhielt 1935 aufgrund einer Empfehlung Ernst Rüdins vom Reichsgesundheitsministerium den Auftrag, „eine gründliche rassenkundliche Erfassung und Sichtung aller Zigeuner und Zigeunermischlinge durchzuführen“. „Diese Untersuchungen sind in engster Zusammenarbeit mit dem Reichskriminalpolizeiamt und der Münchner Zigeuner-Polizeizentrale in vollem Gange“, schrieb Ritter 1938. Er befand: „Je reinrassiger die Zigeuner sind, umso besser lassen sie sich überwachen“.<ref>Zitate nach http://www.thata.ch/thataromatagi970428.htm</ref>
Im Mittelpunkt des Interesses von Ritter standen „Zigeuner“. Die Kategorie war ethnisch-rassisch definiert und gegen die „deutschblütigen“ Angehörigen der „deutschen Volksgemeinschaft“ abgegrenzt, an deren sozialen Rand die nationalsozialistische Asozialenforschung unter anderem auch Jenische platzierte. Auch sie schätzte Ritter als „minderwertig“ und als Auszusondernde ein, womit er sich jedoch nicht durchsetzte. Ihr Fehlen in späteren Normierungen wird als „fraglos aufgerufen am 22. Februar 2014.</ref> aus dem Umfeld des „Jugendschutzlagers Moringen“ die Volkspflegerin Gudrun Nell,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 235</ref><ref>Gegen Nell und 45 andere Täter aus dem Umfeld der RHF, KBI eröffnet die Staatsanwaltschaft Köln 1961 ein Verfahren, gegen keinen Angeklagten erging ein Urteil. Hohmann 1991, S. 382.</ref> ein Landgerichtsrat, der bis April 1945 Mitglied der Jugendstrafkammer in Göttingen war und das Lager kannte,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 235</ref> der Lagerarzt Otto Wolter-Pecksen,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 235, Name ergänzt</ref> die Reichsgesundheitsamtsmitarbeiterin Cecilie Schulte,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 235</ref> Fürsorgerin im Reichsgesundheitsamt Charlotte Schirmer,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> Helene Bremer<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> sowie der stellvertretende Leiter der Anstalt Mariaberg Paul Walter.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> Weiterhin Geistliche und Vertreter kirchlicher Institutionen, wie der Tübinger Stadtpfarrer Walter Schaal, der sich zur Bekennende Kirche rechnete,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236, Vorname ergänzt mit dem Tübinger Adressbuch von 1942 (S. 68) online aufgerufen am 21. Februar 2014</ref> Kaplan Wilhelm Mayer, der Häftling in Dachau gewesen war,<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> der katholische Pfarrer Emil Dimmler<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> und drei Diakonissen, die zu Ritters Tübinger Oberarztzeiten Pflegeschwestern im Klinischen Jugendheim waren.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 236</ref> Ritter hat im Gegenzug ebenfalls freundliche Schreiben für NS-Täter verfasst. 1950 erschien in Der Spiegel eine anonyme, apologetische Artikelserie über die Polizei im NS-Staat, in der mehrere lange Zitate aus einem Leumundszeugnis Ritters für Arthur Nebe genutzt wurden.<ref>Das Spiel ist aus - Arthur Nebe. Glanz und Elend der deutschen Kriminalpolizei. In: Der Spiegel. Heft 16/1950, 14. März 1950.</ref><ref> Bei Hans Bernd Gisevius Bis zum Bitteren Ende Hamburg, (Sonderausgabe o.J.) findet sich dagegen kein Hinweis auf Ritter.</ref> Der anonyme Spiegelautor war Bernhard Wehner, ehemaliger Leiter der „Reichszentrale zur Ermittlung von Kapitalverbrechen“ im Amt V des RSHA.<ref>Ronald Rathert: Verbrechen und Verschwörung. Arthur Nebe der Kripochef des Dritten Reiches. LIT Verlag, Münster 2001. (Auszug online))</ref>
Das Ermittlungsverfahren wurde am 28. August 1950 eingestellt.<ref>Nachkriegskarrieren von Robert Ritter und Eva Justin in Frankfurt 1947-1966 auf www.ffmhist.de aufgerufen am 20. Februar 2014</ref><ref>Datum der Einstellungsverfügung nach Hohmann 1991, S. 167.</ref> Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Hans-Krafft Kosterlitz stellte in seiner Einstellungsverfügung fest, Ritter habe „sowohl den nazistischen Rasse-Doktrinen als auch der Anwendung irgendwelcher Gewaltmaßnahmen ablehnend gegenübergestanden“.<ref>Hohmann 1991, S. 168, (Vor-)Name ergänzt nach www.spiegel.de</ref> Weiterhin konstatierte Kosterlitz: es „[…] erhebt sich die Hauptfrage, ob und inwieweit überhaupt den Darstellungen der Zeugen zu glauben ist. Es handelt sich um die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Aussagen von Zigeunern zur Grundlage richterlicher Überzeugungen gemacht werden können.“<ref>Nach Schmidt-Degenhard 2008, S. 233</ref> Kosterlitz sah auch die Mitgliedschaft in NS-Organisationen als unbelegt an.
Ende Mai 1948 wurde Ritter von der Stadt rückwirkend zum 1. April zum Obermedizinalrat befördert. Krankheitsbedingt konnte er kaum arbeiten. 1950 hatte er so über 100 Fehltage wegen Krankheit, 1951 waren es 55. Die Stadt kündigte ihm mit der Begründung dauerhafter Arbeitsunfähigkeit vier Tage vor seinem Tod. Ritter starb in der Nervenklinik Hohemark, nahe Oberursel während seines fünften Aufenthaltes.<ref>Schmidt-Degenhard 2008, S. 240-245</ref>
Nachleben, historische Bewertung
Die Nachwirkungen der von Ritter betriebenen Kriminalbiologie bestehen auch in den Akten über die Opfer, die erst sehr spät im Bundesarchiv landeten. Wie Ritter bei seinem Frankfurter Prozess demonstrierte, hatten er (und später andere Schreibtischtäter) Zugriff auf diese Akten um die Informationen nach eigenem Gutdünken zu verwenden.
Auch die Personenakten aus dem Jugend-KZ Moringen überlebten den Krieg, sie fanden sich im westdeutschen Bundeskriminalamt, wo Mitte der sechziger Jahre überlegt wurde eine Langzeitstudie zur Jugendkriminalität darauf aufzubauen.<ref>Dieter Schenk: Die braunen Wurzeln des BKA. Frankfurt a.M. 2001. S. 209</ref>
Hermann Arnold ist wohl Ritters wissenschaftlicher "Haupterbe" (Hohmann). Von den 1950er bis Mitte der 1970er Jahre nutzte er in zahlreichen Publikationen die Veröffentlichungen und Aktenreste Ritters. In Vaganten, Komödianten, Fieranten, und Briganten; Untersuchungen zum Vagantenproblem an vagierenden Bevölkerungsgruppen vorwiegend der Pfalz (1958), zu dem Otmar Freiherr von Verschuer das Vorwort schrieb, sind Ritter und weitere Mitarbeiter der RHF bereits im Vorwort als eine bedeutende Quelle, in deren Tradition sich Arnold stellt angegeben, er zitiert Ritter wörtlich, ohne es allerdings auszuweisen.<ref>Hohmann 1991, S. 358</ref> Arnolds Publikation Bevölkerungsbiologische Beobachtungen an Sippenwanderern von 1960 fußte teilweise auf Ritters Ein Menschenschlag von 1937,<ref>Hohmann 1991, S. 361</ref> der Aufsatz Zur Frage der Fruchtbarkeit von Zigeunern, Zigeunermischlingsgruppen und anderen sozialen Isolaten (1967) wertete neben weiteren Publikationen aus der NS-Zeit auch unveröffentlichte Genealogien der RHF aus.<ref>Hohmann 1991, S. 362.</ref>
In Arnold bekanntesten Buch "Die Zigeuner" von 1965 schreibt er in Bezug auf die NS-Verfolgung in einer Fußnote: "Es ist behauptet worden, die Arbeitsgruppe Robert Ritters sei der Motor der Zigeunerverfolgung des Dritten Reiches gewesen. Äußerungen Ritters in Vorträgen usw. (sic!) lassen jedoch erkennen, daß er den Zigeunern freundlich gesinnt war. Die 'stammechten' Sinte genossen seine Zuneigung. [...] Ritter dachte kriminalanthropologisch und -politisch nicht 'rassistisch'. Er war überzeugt, daß die ungenügende soziale Anpassung der Zigeunermischlinge erblich bedingt sei: nicht wegen schlechten Anlagen seitens der Zigeunervorfahren, sondern von den deutschen Ahnen her! Er mochte auch gehofft haben, die Stammzigeuner dem Zugriff der Kriminalpolitik zu entziehen, wenn er die Mischlinge Preis gebe. Die Vernichtung der Zigeuner in KZ haben Ritter und seine Mitarbeiter nicht gewollt, dies ist durch Strafverfolgungsbehörden mehrfach festgestellt worden."<ref>Arnold: Die Zigeuner. Freiburg im Breisgau 1965, S. 71 Fußnote 1.</ref>
Fast zeitgleich zu Arnolds bekanntestem Buch erschien 1964 in der Schriftenreihe der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft, herausgegeben von Armand Mergen die Dissertation von Hans-Joachim Döring über Die Zigeuner im nationalsozialistischen Staat. Darin hält es Döring zwar für unzweifelhaft, dass die "rassenbiologischen Gutachten" Ritters die Grundlage für viele Maßnahmen des NS-Staates nicht zuletzt des Auschwitz-Erlasses gewesen seinen, aber zum einen habe Ritter diese Entwicklung weder gewollt noch bis 1940 vorhergesehen, vielmehr "neigen wir zu der Ansicht, daß die Untersuchungsergebnisse der Forschungsstelle Differenzierungen zur Folge gehabt hatten, die die Sterilisation und die Vernichtung eines großen Teil der Zigeuner verzögert haben, wofür die beabsichtige Freizügigkeit für die anerkannten Sinte- und Lalleri-Zigeuner sprechen. Dörings Beurteilung beruht auf den Unterlagen des Verfahren gegen Ritter.<ref>Hans-Joachim Döring: Die Zigeuner im nationalsozialistischen Staat. Kriminalistik Verlag, Hamburg 1964 S. 82</ref>
Obwohl die Deutungen von Arnold und Döring für diese Zeit die vorherrschende Meinung darstellen, finden sich auch Veröffentlichungen, die die Ritters Rolle aktiver und weitreichender beschreiben. Im April 1963 beschreibt Der Spiegel in einem Artikel über einen Wiedergutmachungsfall Ritter als Zentralfigur der NS-Zigeunerverfolgung.<ref>Zigeuner. So arisch. In: Der Spiegel vom 24. April 1963. Die Grundsatzentscheidung des BGH zur Anerkennung der rassischen Verfolgung vor 1943 erfolgte erst im Dezember 1963.</ref>
Wissenschaftliche und mediale Rezeption nach 1980
Etwa ab 1980 lässt sich ein grundlegender Wandel in der medialen und wissenschaftlichen Wertung Ritters feststellen. 1984 erschien in Erstauflage "Tödliche Wissenschaft - Die Aussonderung von Juden, Zigeunern und Geisteskranken" von Benno Müller-Hill. In diesem Buch wird Ritter auf zahlreichen Seiten als Täter dargestellt, auch auf die Förderung seiner Arbeit durch die DFG hingewiesen und ein Mitarbeiter Ritters kritisch interviewt, eine weitere Mitarbeiterin verweigerte den Abdruck des geführten Interviews. Joachim S. Hohmann veröffentliche Teile seiner Habilitation: "Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie" 1991, darin wird sehr breit die Arbeit der RHF und ihre Nachwirkungen ausgebreitet, Grundlage sind auch die Akten zahlreicher Prozesse, die Selbstdarstellungen der Täter werden anonymisiert umfangreich kritisch wiedergegeben und ausgewertet. 1994 schiebt Hohmann eine kleine Veröffentlichung zur Entnazifizierung Ritters nach. 2008 Folgt eine Dissertation zur Biographie: "Robert Ritter 1901–1951. Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“" von Tobias Joachim Schmidt-Degenhard in Tübingen, dem alten Wirkungsort Ritters. Alle diese Veröffentlichungen zeigen, dass Ritter als Leiter der RHF einer der bedeutenden Schreibtischtäter des Porajmos ist.
Einen weiteren Beitrag zur Neubewertung der Person Ritters als NS-Täter auch im Bezug auf weitere Opfergruppen leisteten Arbeiten zur regionalen Geschichte von Konzentrationslagern wie Moringen und Uckermark, regionalen Zigeunerzwangslagern etwa durch Frank Sparing, Karola Fings, Michail Krausnick und die neuere Geschichtsschreibung zu "Asozialen" und der Jugendfürsorge im Nationalsozialismus.
Ernst Klee kritisiert, dass Notker Hammerstein 1999 im Namen der DFG in seinem Buch „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich“ eine „Auftragsarbeit“ geliefert habe in der der „Versuch der Reinwäsche“ unternehme. Klee meint, darin werde Ritters Tun zur „allgemeinmedizinischen Forschung“ erhoben und die Handlanger von Auschwitz und Hadamar in den Dunstkreis von Für- und Vorsorge gerückt.
Völlig zur anrüchigen Minderheitenposition wurde die positive Wertung Ritters durch Hermann Arnold. Arnolds letzten beiden Schriften zum Thema Die NS-Zigeunerverfolgung. Ihre Ausdeutung und Ausbeutung. Fakten – Mythos – Agitation – Kommerz (1988) und Der "Sinti und Roma"-Schwindel (2004) in denen er weiterhin Ritters Selbstentlastung übernahm fanden keinen Verleger, sie erschienen im Selbstverlag. Nahezu einhellig findet sich nun die Einschätzung Ritter als "hauptverantwortlichen Vordenker und Mittäter"<ref>Beispiel: Kurzrezension im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 16. August 2013.</ref> des Porajmos.
Privates
Ritter war verheiratet, seine beiden Töchter wurden 1931 und 1934 geboren.<ref>Hohmann 1991, S. 163</ref>
Literatur
- Andrew Rocco Merlino d'Arcangelis: Die Verfolgung der sozio-linguistischen Gruppe, der Jenischen (auch als deutsche Landfahrer bekannt) im NS-Staat 1934 bis 1944 (PDF; 10,3 MB) Dissertation Uni Hamburg 2004, Verlag Dr. Kovac, 2006, ISBN 978-3830020158 Ulrich F. Opfermann: Rezension als Weblink
- Joachim S. Hohmann: Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie: „Zigeunerforschung“ im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassismus. (Studien zur Tsiganologie und Folkloristik, Bd. 4), Peter Lang, Frankfurt a. M. 1991, ISBN 3-631-43984-9
- Joachim S. Hohmann: „Persilscheine“ für den Schreibtischtäter. Das Beispiel des NS-Kriminalbiologen Dr. Dr. Robert Ritter. in: Zs. Historical Social Research, Bd. 19, 1994, Nr. 4, S. 42-59 (PDF; 2,4 MB)
- Tobias Joachim Schmidt-Degenhard: Robert Ritter 1901–1951. Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“. Diss. med., Univ. Tübingen 2008 (PDF; 1,6 MB)
- Tobias Joachim Schmidt-Degenhard, „Kleinkarierter Größenwahn“ – zur ,ärztlichen Karriere‘ des Dr. Dr. Robert Ritter (1901-1951). in Urban Wiesing/Klaus-Rainer Brintzinger/Bernd Grün/Horst Junginger/Susanne Michl (Hrsg.): Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium – Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 73), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-515-09706-2.
- Tobias Schmidt-Degenhardt, Vermessen und Vernichten. Der NS-„Zigeunerforscher“ Robert Ritter (Contubernium - Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 76), Verlag Steiner, Stuttgart 2012.
- Michael Zimmermann: „Mit Weigerungen würde also nichts erreicht.“ R. Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichgesundheitsamt. in: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hrsg.), Karrieren im Nationalsozialismus: Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Campus, Frankfurt 2004, S. 291-318, ISBN 3593371561
- Hubert Walter (1990): Die Rassenhygienische Fachgesellschaft (1931–1945) im Naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen. In: Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins Bremen Band=41 Nummer=2
Schriften
- Das geschlechtliche Problem in der Erziehung: Versuch einer Sexualpädagogik auf psychologischer Grundlage. Reinhardt, 1928 (Diss, Psychologie)
- Zur Frage der Vererbung der allergischen Diathese. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1936 = Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 30, H. 4 (Diss, Medizin)
- Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtliche Untersuchungen über die — durch 10 Geschlechterfolgen erforschten — Nachkommen von „Vagabunden, Jaunern und Räubern". 1937 Georg Thieme Verlag, Leipzig (Habil. Medizin)
- Das kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei. In: Kriminalistik 16 (1942) S. 117
Weblinks
- Ernst Klee zu Hammersteins „Reinwäsche“
- Sonderheft Bundesgesundheitsblatt zur NS-Medizin (März 1989) enthält auch Darstellung zu Robert Ritter
Einzelnachweise
<references/>
Personendaten | |
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NAME | Ritter, Robert |
KURZBESCHREIBUNG | nationalsozialistischer Rassentheoretiker |
GEBURTSDATUM | 14. Mai 1901 |
GEBURTSORT | Aachen |
STERBEDATUM | 17. April 1951 |
STERBEORT | Oberursel |