Schwungrad
Ein Schwungrad (auch als Schwungmasse bezeichnet) ist ein Maschinenelement. Es wird unter anderem als Energiespeicher kinetischer Energie (Rotationsenergie und Masseträgheit) genutzt, indem seine Drehbewegung (Rotation) mit möglichst wenig Reibungsverlust zur Verwendung im Bedarfsfall gespeichert wird. Bei Kurbeltrieben wird die Schwungmasse eingesetzt, um Schwingungen auszugleichen und den oberen sowie unteren Totpunkt ruckfrei zu überwinden. Außerdem werden Schwungräder zur Stabilisierung von Satelliten oder Flugzeugen (Kreiselkompass) und in Spielzeug-Kreiseln eingesetzt.
Ein Schwungrad speichert die Rotationsenergie <math>W_k</math>:
- <math>W_k=\frac{1}{2} J \omega^2</math>
mit seinem Trägheitsmoment <math>J</math> bei der Winkelgeschwindigkeit <math>\omega</math>. Das Trägheitsmoment wird durch den Aufbau des Schwungrades bestimmt: Je größer der Durchmesser und je massenreicher das Schwungrad gestaltet ist, desto größer das Trägheitsmoment. Weitere Details finden sich unter Schwungradspeicherung.
Inhaltsverzeichnis
Anwendungen
Energiespeicher
Anwendungen liegen unter anderem bei Hubkolbenmotoren, insbesondere bei 1-Zylinder-Viertaktmotoren. Diese haben nur bei jeder zweiten halben Umdrehung einen Arbeitstakt, der Energie über die Kurbelwelle an den Abtrieb leitet. In den restlichen drei Takten benötigen sie Energie, um die Drehbewegung aufrecht zu erhalten und die Verbrennungsluft zu verdichten. Die Energie des Arbeitstaktes wird im Schwungrad zwischengespeichert und danach laufend wieder abgegeben.
Einfachste kleine Spielfahrzeuge kommen ohne Federspeicher aus und fahren allein mit Schwungradantrieb typisch 3 m weit. Das Schwungrad besteht aus 1 bis 3 gestanzten kreisrunden Scheiben mit 2 bis 4 cm Durchmesser, aus 1 bis 2 mm starkem Eisenblech, gelocht aufgepresst auf eine Stahlachse, die in Blech oder Plastik gelagert ist.
Durch neue, leichtere und stabilere Materialien, die das Bersten bei hohen Drehzahlen verhindern, halten die Schwungräder vor allem auch im mobilen Bereich Einzug, um die Energie besser ausnutzen zu können. So wird bei den Testzügen des Projektes LIREX der Deutschen Bahn die kinetische Energie beim Bremsen nicht mehr ausschließlich in Wärmeenergie umgewandelt und an die Umwelt abgegeben; stattdessen wird auch ein Schwungrad angetrieben, das dem Antrieb Energie entzieht und gleichzeitig einen Großteil der Bremsenergie zur weiteren Nutzung zwischenspeichert. Diese so zwischengespeicherte Energie kann beispielsweise zum Versorgen der Bordelektronik oder zum Wiederanfahren genutzt werden.<ref>Jörg Brökel: Strom aus Bremsen der Stadtbahn, in dradio „Forschung aktuell“ vom 27. November 2013</ref>
Eine weitere Anwendung stellen Schwungrad-Speicherkraftwerke in modularer Bauweise zum Ausgleich bei plötzlichem Mehrbedarf in Stromnetzen dar. Zur Speicherung wird ein Schwungrad mittels eines Elektromotors angetrieben und die Energie in Form von Rotationsenergie für die Energieabgabe im Minutenbereich vorgehalten.
Beim Fusions-Experiment ASDEX Upgrade wird ein Schwungrad-Generator von 400 Tonnen Gewicht verwendet, der einige Tage benötigt, um von 800 auf 3000 Touren hochzufahren, um dann die gespeicherte Energie innerhalb von Sekundenbruchteilen zum Aufheizen des Plasmas abrufen zu können.
Stabilisierung
Rotierende Schwungräder lassen keine Winkelveränderungen ihrer Achse zu. Das dient zur Stabilisierung z. B. in Kreiselkompassen für Schiffe und Satelliten.
Auf der norwegischen Insel Utsira wurde 2004 ein autarkes Stromnetz errichtet, wobei durch einen Schwungradspeicher (5 kWh) kurzfristige Stromschwankungen ausgeglichen werden. Die Schwungmassen aller in der Netzstromproduktion (synchron) laufenden Turbinen und Generatoren haben eine Bedeutung für die Stabilisierung der Netzfrequenz, also Energiespeicherung für den Zeitraum der Größenordnung einer Phase von 1/50 Sekunde. Ähnliches bedeutet die Schwungmasse von Elektromotoren für die Glättung der Drehmomentabgabe. Durch Schwungräder in großen stationären Maschinen können lokal mechanisch eher nur Energiemengen gespeichert werden, die in Press-, Schmiede-, Stanz-, Walz- und Schneidvorgängen in typisch einer halben Sekunde aufgebraucht werden, um elektromotorisch in mehreren Sekunden danach wieder nachgeliefert zu werden.
Drehungleichförmigkeit, Drehschwingungen
Bei vielen dynamischen Prozessen an Maschinen treten Drehungleichförmigkeiten (Schwankungen der Drehzahl) auf. Diese entstehen durch periodisch auftretende Drehmomente, und können zu Drehschwingungen (=Torsionsschwingungen) führen. Schwungräder vermindern durch ihre Massenträgheit die Drehungleichförmigkeit, indem sie bei Beschleunigung Energie aufnehmen und bei Verzögerung wieder abgeben. Die Drehungleichförmigkeit ist dadurch geringer. Von Nachteil ist, dass eine große Masse in Bewegung gesetzt werden muss, welche bei Fahrzeugen Zusatzgewicht bedeutet. Daher wird meist versucht, die Ungleichförmigkeit gering zu halten (beispielsweise bei Verbrennungsmotoren durch mehrere Zylinder) oder die Drehschwingung selbst auf andere Arten zu verringern (Schwingungsdämpfung).
Ein Schwingungsdämpfer besteht aus einer Schwungmasse und einem dämpfenden Element (beispielsweise Öl oder Gummi), das die schwingungsdämpfenden Kräfte zwischen Schwungmasse und zu dämpfendem Bauteil überträgt. Der schwingende Teil „stützt“ sich sozusagen über ein dämpfendes Element auf der ruhiger laufenden Schwungmasse ab. Das dämpfende Element wandelt dabei Bewegungsenergie in Wärme um und entzieht damit dem schwingenden Bauteil die Bewegungsenergie (Schwingungsenergie).
Zur Schwingungsdämpfung (eigentlich: Amplituden-Verringerung) erstmals eingesetzt wurde ein Schwungrad bei dem Motor des BMW-Motorrads BMW R 69 S ab Baujahr 1960, um die zuvor häufig auftretenden Kurbelwellenbrüche infolge von Schwingungen bei dem hochbelasteten Motor zu verhindern. Hier sorgte ein kleines Schwungrad auf der der Kupplung gegenüberliegenden Seite vorn am Motor für eine geringere Drehungleichförmigkeit des schwingungsfähigen Systems Kurbelwelle-Schwungrad-Kupplung.
Eine ähnliche Sonderform des Schwungrades im Pkw bildet das sogenannte Zweimassenschwungrad. Hier wird durch den Einsatz einer Primär – und einer Sekundärschwungmasse mit dazwischenliegendem elastischem Element die Übertragung von Motorschwingungen auf den restlichen Antriebsstrang stark reduziert (beispielsweise Getriebeleerlaufrasseln). Primär- und Sekundärschwungmasse sind durch ein genau abgestimmtes Feder-/Dämpfersystem voneinander getrennt. Die getriebeseitige Schwungmasse (Sekundärschwungmasse) ist schwerer als die motorseitige Schwungmasse (Primärschwungmasse). Das Massenträgheitsmoment des Getriebes wird hierdurch erhöht, wodurch die Ungleichförmigkeit besonders bei niedrigen Drehzahlen stark vermindert wird. Die Torsionsschwingungserregung, die auf den Antriebsstrang wirkt, wird stark reduziert.
Die Unruh der mechanischen Uhr stellt im Zusammenwirken mit der Spiralfeder einen Drehschwinger dar, dessen Periodendauer eine hohe Konstanz (Isochronismus) aufweist.
Geschichte
Schon im Altertum wurde die Massenträgheit in Form rotierender Massen genutzt. Spinnwirteln aus Ton oder Stein sind seit dem frühen Neolithikum belegt, z.B. in Achilleion <ref>Marija Alseikaitė Gimbutas, Shan M. M Winn; Daniel M. Shimabuku; Sándor Bökönyi; Achilleion: a Neolithic settlement in Thessaly, Greece, 6400-5600 B.C. Los Angeles, Institute of Archaeology, University of California 1989, S. 256 (Phasen IIa-IVa).</ref>. Auch bei Töpferscheiben wurden einfache Schwungräder verwendet, um ein dauerhaftes, unterbrechungsfreies und gleichmäßiges Drehen zu gewährleisten.
Das Schwungrad als generelles Maschinenelement zur Speicherung kinetischer Energie findet sich erstmals in den De diversibus artibus (Über verschiedene Künste) des Theophilus Presbyter (ca. 1070–1125), der es bei mehreren seiner Maschinen verwendete.<ref>Lynn White, Jr., „Theophilus Redivivus“, Technology and Culture, Bd. 5, Nr. 2. (Frühling 1964), Rezension, S. 224–233 (233)</ref><ref>Lynn White, Jr., „Medieval Engineering and the Sociology of Knowledge“, The Pacific Historical Review, Bd. 44, Nr. 1. (Febr. 1975), S. 1–21 (6)</ref> Im Mittelalter hatten hölzerne Schwungräder bereits Drehzahlen von rund 100/min und konnten die Rotation zum Teil über mehrere Minuten aufrechterhalten. Später dienten Schwungräder zum Ausgleichen des nicht konstanten Drehmoments bei Dampfmaschinen und den ersten Verbrennungsmotoren.
Auch im Bereich der frühen Hubschrauberentwicklung fanden Schwungräder ihre Verwendung. 1927 wurden im Unterschied zu den bis damals bekannten Trag- und Hubschraubern die Rotoren des Zaschka-Rotationsflugzeugs von Oberingenieur Engelbert Zaschka mit einer zwei Kreiseln wirksamen Schwungmasse zwangsläufig rotierend verbunden. Durch diese Anordnung konnte mit abgestelltem Motor ein gefahrloser senkrechter Gleitflug ausgeführt werden<ref>Engelbert Zaschka: Drehflügelflugzeuge. Trag- und Hubschrauber. C.J.E. Volckmann Nachf. E. Wette, Berlin-Charlottenburg 1936, Seite 47, OCLC 20483709.</ref>. Wiederentdeckt wurden sie in der Raumfahrt, um nach einem Aufladen über Solarstrom die Energieversorgung im Erdschatten sicherzustellen – hier wurden sie also im großen Stil zur Energiespeicherung eingesetzt.
Es gibt Anwendungen, in denen Schwungräder als Energiespeicher für elektromechanische Systeme wie Umformer eingesetzt werden. Diese bestehen aus einem schnell rotierenden Rad, das über einen Motorgenerator die elektrische Energie in seine Drehbewegung umsetzt oder wieder abgibt. Dieses System ist in der Lage, sehr kurzfristig hohe Energiemengen bereitzustellen. So gab es Anwendungen in Sägewerken, um die anfangs nötigen hohen Strommengen beim Anlaufen der Sägen bereitzustellen, oder in Verbindung mit einem Wellenkraftwerk, um die unstetige Energieabgabe der Wellen zu glätten.
In den 1950er Jahren waren sowohl in Basel in der Schweiz als auch in Österreich sogenannte Gyrobusse im Einsatz. 1955 wurde in Leopoldsville (damals Belgisch-Kongo) eine Flotte von 12 Gyrobussen betrieben. Die Schwungräder stammten von der Maschinenfabrik Oerlikon und boten die Möglichkeit der Nutzbremse. In den 90er Jahren wurden in München und Bremen Busse mit Schwungradspeichern eingesetzt.<ref>Video Planet e: Mehr Energie durch Schwungrad-Technik (ab 15:30 Min.) in der ZDFmediathek, abgerufen am 8. Mai 2012 (offline)</ref> Diese Busse bezogen ihre Energie für den Elektroantrieb ausschließlich von einem Schwungrad (Speicherinhalt 9,15 kWh). Diese Busse konnten ohne Verbindung mit dem Stromnetz etwa 20 Kilometer zurücklegen. Dann mussten sie an Haltepunkten jeweils an das Stromnetz andocken, um das Schwungrad wieder aufzuladen. Diese Art der Energiespeicherung hat sich damals auch wegen technischer Unzulänglichkeiten nicht bewährt. Heutige Schwungräder arbeiten mit Magnetlagern und fast ohne Reibung in Vakuumgehäusen.
Weblinks
- Volvo testet innovative Schwungradspeicher-Technik. Abgerufen am 30. Mai 2012.
- DYNASTORE Schwungradspeicher. Uli Christian Blessing. 22. März 2012. Abgerufen am 22. März 2012.
- Diplomarbeit von Florian Strößenreuther (PDF; 1,6 MB)
- Entwicklung eines magnetisch gelagerten Schwungrades für AMSAT Phase 3-D
Einzelnachweise
<references />