Verfassungsgerichtshof (Österreich)


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Wien 1., Freyung 8 (vormals Renngasse 2), bis 1937 Österr. Creditanstalt für Handel und Gewerbe, seit 2012 Sitz des Verfassungsgerichtshofes; rechts um die Ecke, Freyung 9, befindet sich im Gebäude das Bank Austria Kunstforum
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Der österreichische Verfassungsgerichtshof residierte 1946–2012 in der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei, Wien 1., Judenplatz 11

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (Abkürzung VfGH) ist ein Gerichtshof des öffentlichen Rechts mit Sitz in Wien. Er ist als einzige in Österreich zur Ausübung der Verfassungsgerichtsbarkeit berufene Institution eine der wichtigsten Einrichtungen im Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung.

Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes werden im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) abschließend geregelt, die Organisation und das Verfahren dagegen nur in ihren Grundzügen. Nähere Regelungen enthalten das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und eine vom Verfassungsgerichtshof auf seiner Grundlage erlassene Geschäftsordnung. Der VfGH gilt als ältestes für die Normenkontrolle ermächtigtes Verfassungsgericht der Welt.<ref>Demokratiezentrum - Öhlinger (PDF; 88 kB)</ref>

Historische Entwicklung

Erste Republik

Der Verfassungsgerichtshof wurde mit dem von der Provisorischen Nationalversammlung beschlossenen Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes gegründet.<ref>StGBl. Nr. 48 / 1919 (= S. 78)</ref> (Der Gesetzesbeschluss erfolgte in der letzten Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vor der am 16. Februar 1919 abgehaltenen Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung.)

Der VfGH (so die unter Juristen übliche Abkürzung) übernahm zunächst jene Kompetenzen, die in der Monarchie das Reichsgericht wahrgenommen hatte, sowie wenig später auch die Kompetenzen des ehemaligen, in der Monarchie nie einberufenen Staatsgerichtshofes. Der VfGH amtierte auch am Sitz des früheren Reichsgerichts, Wien 1., Schillerplatz 4. Mit dem Bundes-Verfassungsgesetz 1920 wurden seine Kompetenzen bedeutend erweitert, u. a. wurde er zur Normenkontrolle ermächtigt. Maßgeblich an diesen Reformen war der international anerkannte Rechtsgelehrte Hans Kelsen beteiligt, der 1919–1930 als parteiloser Experte selbst zum Verfassungsrichter berufen wurde.

In der Verfassungsnovelle 1929 wurde bestimmt, dass die Mitglieder des VfGH nicht mehr vom Parlament gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt werden: Präsident, Vizepräsident und sechs Mitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung, je drei Mitglieder aus Dreiervorschlägen von Nationalrat bzw. Bundesrat.<ref> Art. 147 B-VG, BGBl. Nr. 1 / 1930 (= S. 25)</ref>

Politische Fälle

Unter den vom VfGH zu entscheidenden Fällen befanden sich einige, in denen der Gegensatz zwischen der Sozialdemokratie und der seit 1920 konservativen Bundesregierung zum Ausdruck kam:

Kein „Reigen“-Verbot in Wien

Der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann verbot 1921 entgegen einer Verordnung des Bundesministers für Inneres und Unterricht, Egon Glanz, die Aufführung von Arthur Schnitzlers von Konservativen als skandalös bezeichnetem Drama „Reigen“ nicht und wurde deshalb von der Bundesregierung Mayr II beim VfGH angeklagt. Es stellte sich heraus, dass die an Reumann ergangene Verordnung keine Unterschrift aufwies und daher rechtlich als nicht existent zu betrachten war.<ref>Erkenntnis vom 24. April 1921, Nr. 8 (= S. 22), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 1. Heft, Jahr 1921, Druck der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1923</ref>

Feuerbestattung gegen Ministerwillen

1923 nahm Reumann gegen den Willen von Sozialminister Richard Schmitz ein städtisches Krematorium, die Feuerhalle Simmering, in Betrieb. (Die römisch-katholische Kirche trat damals gegen die Feuerbestattung auf.) Der Landeshauptmann wurde daraufhin von der von einem Priester geleiteten Bundesregierung Seipel I vor den VfGH gezogen. Dieser entschied, Reumann habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, da das Bestattungswesen lang ausschließliche Landeskompetenz gewesen sei.<ref>Erkenntnis vom 27. März 1923, Nr. 206 (= S. 38), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 3. Heft, Jahr 1923, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1924</ref>

Dispensehen nicht von Gerichten entscheidbar

Die so genannten Sever-Ehen (auch Dispensehe) bewirkten jahrelange Unsicherheit der betreffenden Personen. Albert Sever, 1919–1921 sozialdemokratischer Landeshauptmann von Niederösterreich (damals noch inklusive Wien) hatte geschiedenen Katholiken per Dispens die Wiederverehelichung ermöglicht. Gerichte sahen sich berufen, die Dispens in einigen Fällen für unwirksam zu erklären. Der VfGH entschied, der Verfassung entsprechend seien nur Verwaltungsbehörden, nicht aber Gerichte zu diesen Entscheidungen befugt, und hob die Gerichtsurteile zum Missvergnügen der Konservativen auf, so dass die Zweitehen aufrechtblieben.<ref>Erkenntnis vom 5. November 1927, Nr. 878 (= S. 193), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 7. Heft, Jahr 1927, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1928</ref> <ref>Erkenntnis vom 27. Februar 1928, Nr. 951 (= S. 51), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 8. Heft, Jahr 1928, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1929</ref>

Lahmlegung 1933

Im Zuge des Staatsstreiches von 1933 wurde auch der VfGH lahmgelegt, bevor er den neuen, autoritären Kurs der Regierung überprüfen konnte. Die konservativen Richter traten kollektiv zurück, die verbliebenen Richter waren nicht mehr beschlussfähig. Die Bundesregierung Dollfuß I unterließ es, das Verfahren zur Bestellung neuer Richter einzuleiten; Bundespräsident Miklas, Hauptverantwortlicher für die Richter- ebenso wie für die Kanzlerbestellung, ließ dies zu. Die formelle Auflösung erfolgte mit Inkrafttreten der Maiverfassung 1934.

Zweite Republik

Mit dem von der Provisorischen Staatsregierung Renner beschlossenen Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945, kundgemacht am 20. Oktober 1945, wurde der Verfassungsgerichtshof wieder errichtet.<ref>Art. I Z. 11 Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 über einige Abänderungen der Vorläufigen Verfassung, StGBl. Nr. 196 / 1945 (= S. 312)</ref> Den ersten VfGH-Präsidenten der Zweiten Republik hatte laut Verfassungsgerichtshofgesetz 1945<ref>StGBl. Nr. 209 / 1945 (= S. 355)</ref> der Politische Kabinettsrat, bestehend aus Karl Renner, Adolf Schärf, Leopold Figl und Johann Koplenig, zu ernennen. Man entschied sich für Ernst Durig, den letzten VfGH-Präsidenten der Ersten Republik; Ludwig Adamovich senior, vor 1934 ebenfalls bereits Verfassungsrichter, wurde zum Vizepräsidenten ernannt.

Nach der ersten Nationalratswahl nach dem Krieg, die am 25. November 1945 stattfand, wurden die Richter, nunmehr vom gewählten Bundespräsidenten auf Vorschlag gewählter Mandatare, 1946 neu bestellt. Am 3. Oktober 1946 konstituierte sich der VfGH unter Adamovich sen. als Präsident.

Von 1946 bis zum Sommer 2012 hatte der VfGH seinen Sitz in der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei im 1. Wiener Gemeindebezirk, Eingang vom Judenplatz, wo sich auch der Verwaltungsgerichtshof befindet. Am 20. August 2012 wurde der wegen Platzmangels übersiedelte Gerichtsbetrieb im bis 1921 errichteten ehemaligen Bankgebäude Freyung 8 (offizielle Adresse, zuvor als Renngasse 2 bezeichnet), ebenfalls im 1. Bezirk, aufgenommen; das Haus ist seit Anfang der 1990er Jahre als Sitz des Bank Austria Kunstforums bekannt.<ref>Meldung der Wiener Tageszeitung Der Standard, 21. August 2012, S. 7</ref><ref>Gebäudebeschreibung auf der Website des Verfassungsgerichtshofs</ref>

Verfassungsbestimmungen in einfachen Gesetzen

In der Zweiten Republik wurde Österreich 1945–1970, 1987–1994, 1996–2000 und 2006–2008 von einer Großen Koalition regiert, die im Nationalrat über die verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit verfügte. Lief eine politisch erwünschte Gesetzesbestimmung Gefahr, vom VfGH – meist wegen Verstoßes gegen das grundsätzliche Gleichheitsgebot der Verfassung – aufgehoben zu werden, beschloss die Große Koalition häufig Bestimmungen im Verfassungsrang. Damit konnte man die Prüfung dieser Bestimmung durch den VfGH verhindern.

Lange Übergangsfristen

Der VfGH hob die im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, in Kraft getreten 1956, enthaltene Regel, dass das Regelpensionsalter für Männer mit 65 Lebensjahren, für Frauen mit 60 Lebensjahren angesetzt wird, 2002 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung auf. Bundesregierung und Nationalrat entschieden sich zur Abstellung der Ungerechtigkeit für sehr lange Übergangsfristen.

Organisation

Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, sowie zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern.

Mitglied oder Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes kann nur werden, wer das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und mindestens zehn Jahre einen einschlägigen Beruf (z. B. Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Universitätsprofessor) ausgeübt hat. Die Ernennung erfolgt durch den Bundespräsidenten, wobei dieser an die Vorschläge bestimmter anderer Staatsorgane gebunden ist:

  • Der Präsident, der Vizepräsident, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder werden von der Bundesregierung vorgeschlagen.
  • Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder werden vom Nationalrat vorgeschlagen.
  • Drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied werden vom Bundesrat vorgeschlagen.

Bestimmte (politische) Staatsfunktionen schließen eine Mitgliedschaft oder Ersatzmitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof aus (Grundsatz der Inkompatibilität; siehe näher Artikel 147).

Anders als die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes keine Berufsrichter, sondern üben ihre Funktion als "Nebenamt" aus, sind dabei aber an keine Weisungen gebunden. Die Mitglieder erhalten für die Ausübung ihrer Funktion monatliche Bezüge. Die Amtszeit der Mitglieder und Ersatzmitglieder endet mit Ablauf des Jahres, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendet haben.

Im Gegensatz zum deutschen Bundesverfassungsgericht entscheidet der Verfassungsgerichtshof immer im Plenum aller 14 Mitglieder (wobei in der Praxis allerdings nur selten alle Mitglieder anwesend sind). Für die Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden (also des Präsidenten oder Vizepräsidenten) und mindestens acht stimmführender Mitglieder erforderlich, in bestimmten Fällen (sogenannter „Kleiner Senat“) genügt auch die Anwesenheit von vier stimmführenden Mitgliedern. Beschlüsse werden mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, wobei der Vorsitzende grundsätzlich nicht mitstimmt; dieser gibt seine Stimme nur bei Stimmengleichheit ab und gibt dadurch den Ausschlag (sogenanntes Dirimierungsrecht).

Die Angelegenheiten der Justizverwaltung des Verfassungsgerichtshofes werden vom Präsidenten besorgt.

Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes

Ehemalige Mitglieder und Ersatzmitglieder (Auswahl)<ref>Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes abgerufen am 7. Juli 2013</ref>

Ehemalige Mitglieder:

Ehemalige Ersatzmitglieder:

Ehemalige Präsidenten

1919–1930: Paul Vittorelli
1930–1934: Ernst Durig (1934–1938 Präsident des BGH)
1945–1946: Ernst Durig
1946–1955: Ludwig Adamovich sen.
1956–1957: Gustav Zigeuner
1958–1977: Walter Antoniolli
1977–1983: Erwin Melichar
1984–2002: Ludwig Adamovich jun.
2003–2008: Karl Korinek

Ehemalige Vizepräsidenten

1946: Ludwig Adamovich sen.
1946–1956: Gustav Zigeuner
1958–1960: Karl Wolff
1962–1969: Anton Mahnig
1969–1976: Leopold Werner
1976–1993: Kurt Ringhofer
1993–1998: Karl Piska
1999–2003: Karl Korinek

Kompetenzen

Dem Verfassungsgerichtshof kommen im Einzelnen folgende Kompetenzen zu:

Normenkontrolle

Die Normenkontrolle oder Verfassungsgerichtsbarkeit geht auf das Konzept des Stufenbaus der Rechtsordnung zurück und umfasst:

  • Gesetzesprüfung (Art. 140) Es wird die Vereinbarkeit der Bundesgesetze mit der Bundesverfassung und die Vereinbarkeit der Landesgesetze mit Bundes- und Landesverfassung geprüft.
  • Verordnungsprüfung (Art. 139) Es wird die Vereinbarkeit der Verordnungen mit den Gesetzen und der Verfassung geprüft.
  • Staatsvertragsprüfung (Art. 140a)
  • Wiederverlautbarungsprüfung (Art. 139a) Hier wird geprüft, ob der wiederverlautbarte Gesetzestext dem ursprünglichen Gesetzestext entspricht.
  • Gliedstaatsvertragsprüfung sowie Streitigkeiten aus solchen Verträgen (Art. 138a)

Der Verfassungsgerichtshof prüft die Vereinbarkeit der jeweils genannten Rechtsvorschriften anhand der im Stufenbau höher stehenden Rechtsvorschriften (zum Beispiel eines Bundesgesetzes mit der Bundesverfassung). Stellt er fest, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, dann hebt er das Gesetz (oder die betroffenen Teile) auf. Dabei kommt es immer wieder vor, dass der Verfassungsgerichtshof auch nur einzelne Satzteile oder Worte aufhebt. Wenn der Verfassungsgerichtshof frühere geltende gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft setzt (oder nicht wieder in Kraft setzen kann), kann dadurch eine Gesetzeslücke entstehen, weil die Einfügung von neuen Bestimmungen in den Gesetzestext oder die Schaffung von Ersatzregelungen dem Verfassungsgerichtshof nicht zusteht. Dies ist Aufgabe des Gesetzgebers. Damit für eine Neuregelung durch den Gesetzgeber die notwendige Zeit zur Verfügung steht, kann der Verfassungsgerichtshof den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Aufhebung in Kraft tritt. Bis zu diesem Zeitpunkt darf sich niemand mehr auf die (bereits festgestellte) Verfassungswidrigkeit des aufgehobenen, aber noch weiter geltenden, Gesetzes berufen.

Wahlgerichtsbarkeit

Gemäß Art. 141 B-VG in Verbindung mit §§ 67 bis 71a VerfassungsgerichtshofG entscheidet der VfGH über die Anfechtung bestimmter Wahlen wegen deren behaupteter Rechtswidrigkeit. Der VfGH hat einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn

  • die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und
  • auf das Wahlergebnis von Einfluss war.

Die Anfechtung muss sich auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Wahl gründen. Der Begriff der Rechtswidrigkeit umfasst:<ref>Theo Öhlinger, Verfassungsrecht, 6. Auflage 2005, Rz 1043.</ref>

  • gesetzwidrige Handlungen und Entscheidungen der Wahlbehörde (zB das Fehlen einer Wahlzelle). Die Bestimmungen der Wahlordnungen (zB der NRWO) sind streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; die Wahlbehörden sind durch die Formalvorschriften streng gebunden.<ref>VfGH Slg. 15.375/1998</ref> Auf diese Weise kann somit eine Verletzung von Wahlrechtsgrundsätzen geltend gemacht werden.
  • Rechtswidrigkeiten der von den Behörden angewendeten Rechtsgrundlagen. So wurde etwa von der KPÖ die Nationalratswahl 2006 – im Ergebnis erfolglos – mit der Behauptung angefochten, die 4 %-Hürde (§§ 100, 107 NRWO) sei verfassungswidrig.<ref>VfGH Slg. 18.036/2006</ref>

Folgende Wahlen können angefochten werden (Art 141 Abs 1 B-VG):

  • Wahl des Bundespräsidenten,
  • Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern (Nationalrat, Bundesrat, Landtage, Gemeinderäte, Bezirksvertretungen in Wien),
  • Wahlen zum Europäischen Parlament,
  • Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen,
  • Wahlen in die Landesregierung,
  • Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (Bürgermeister, Gemeindevorstand, Bezirksvorsteher, nicht aber Vorsitzender der Bezirksvertretung in Wien).

Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit

In Ausübung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 144 B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte erster Instanz, soweit der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis oder den Beschluss

  • in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder
  • wegen Anwendung

in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss kann sowohl vor dem Verwaltungsgerichtshof Revision erhoben und dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde geführt werden. Erhebt eine Partei zuerst nur Beschwerde vor dem VfGH, so hat dieser, wenn er der Beschwerde nicht stattgibt, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Prüfung abzutreten. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in diesem Fall wie über eine Revision.

Bevor mit 1. Jänner 2014 die im Jahr 2012 beschlossene Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 in Kraft trat, übte der Verfassungsgerichtshof die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit direkt gegenüber den Verwaltungsbehörden aus: eine Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof konnte demnach direkt gegen den in letzter Instanz ergangenen Bescheid erhoben werden. Die im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 gewählte Lösung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit sah bereits seit 2008 der im Zuge der Schaffung des Asylgerichtshofes eingeführte Art. 144a B-VG vor: Auch hier entschied der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Entscheidungen (Erkenntnisse und Beschlüsse) des Asylgerichtshofes.

Im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht kein der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit entsprechendes Rechtsmittel.

Kompetenzgerichtsbarkeit und Kompetenzfeststellungen

  • Entscheidung von Kompetenzkonflikten in der Vollziehung und zwar zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit und zwischen Bund und Ländern (Art. 138 Abs. 1)
  • Entscheidung, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt (Art. 138 Abs. 2)
  • Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes oder einer dem Rechnungshof gleichartigen Einrichtung eines Landes regeln (Art. 126a und Art. 127c)
  • Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft oder eines Landesvolksanwalts regeln (Art. 148f und Art. 148i)

Sonstige Kompetenzen

  • Kausalgerichtsbarkeit (Art. 137): Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber Gebietskörperschaften, wenn dafür nicht die Kompetenz der ordentlichen Gerichte (z. B. Amtshaftung oder zivilrechtliche Ansprüche) oder einer Verwaltungsbehörde gegeben ist.
  • Staatsgerichtsbarkeit (Art. 142 und Art. 143): Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über die Anklage von obersten Organen des Bundes oder der Länder wegen Verletzung der Bundesverfassung. Die Sanktionen reichen von der Ermahnung bis zur Amtsenthebung und dem zeitlich befristeten Entzug der politischen Rechte. Wird durch die Verletzung der Bundesverfassung auch ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt, dann hat der VfGH auch über die strafrechtliche Verurteilung zu entscheiden.
  • Völkerrechtsgerichtsbarkeit (diese in Art. 145 projektierte Kompetenz kann mangels entsprechenden Ausführungsgesetzes nicht ausgeübt werden)

Verfahren

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und in der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes näher geregelt. Subsidiär (ersatzweise) kommt die Zivilprozessordnung (ZPO) zur Anwendung.

Erkenntnisse

Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes von 1919 bis 1979 sind auf einem Internetportal der Österreichischen Nationalbibliothek mit dem Namen ALEX archiviert. Die Erkenntnisse seit 1980 sind im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes zu finden.

Literatur

  • Gerhart Holzinger und Martin Hiesel (Hrsg.): Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Bestimmungen des B-VG und anderer Bundesverfassungsgesetze über den VfGH, das VfGG und die Geschäftsordnung des VfGH. 3., völlig überarb. Aufl., Manz, Wien 2009, ISBN 978-3-214-01081-2 (Manz Große Ausgabe der Österreichischen Gesetze 1a)
  • Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich: Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3.

Weblinks

Einzelnachweise

<references />

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