Österreichischer Adel
Der österreichische Adel ist (wie der Adel anderer europäischer Länder) aus dem Lehnswesen des Mittelalters entstanden und war bis zum Ende der Habsburgermonarchie 1918 von großer Vielfalt in der Rangordnung sowie der sprachlichen, ethnischen sowie religiösen Zugehörigkeit geprägt, welche die europäische Vielfalt der Doppelmonarchie widerspiegelte. Der Hochadel war im Gegensatz zur „Zweiten Gesellschaft“ auch als „Erste Gesellschaft“ bekannt. 1919 wurde in der Republik Österreich der Adelsstand aufgehoben.
Inhaltsverzeichnis
Struktur
Der österreichische Adel außerhalb der kaiserlichen Familie gliederte sich zuletzt (1918) in fünf Ränge:
- den einfachen Adelsstand mit der Namensform "von" bzw. dem Ehrenwort "Edler von"
- den Ritterstand mit der Namensform "Ritter von"
- den Freiherrnstand mit der Namensform "Freiherr von" (im Alltag meist als "Baron" angesprochen und geschrieben; galt in Österreich-Ungarn auch formal als gleichranging mit einer ungarischen Baronie)
- den Grafenstand mit der Namensform "Graf von", im Fall mediatisierter Häuser oft mit der Anrede "Erlaucht"
- den Fürstenstand mit der Namensform "Fürst von", oft mit der Anrede "Durchlaucht"
Einige wenige fürstliche Familien besaßen darüber hinaus auch Herzogstitel, die sich auf tatsächliche Territorialbesitzungen beziehen konnten (z.B. das Haus Liechtenstein als Herzog von Jägerndorf und Troppau, Schwarzenberg als Herzog von Krumau, Auersperg als Herzog von Gottschee, Hohenberg als Herzog von Hohenberg).
Daneben gab es zahlreiche ursprünglich aus dem Ausland stammende österreichische Familien, denen die Führung ihrer von anderen Herrschern verliehener Adelsränge auch in Österreich zugestanden wurde (z.B. Duc de Rohan aus Frankreich, Viscount Taaffe aus Irland, Lubomirski aus Polen, Pallavicini aus Italien).
Österreichische Familien, die ihre Adelstitel in der Zeit des Heiligen Römischen Reiches erhalten hatten, stellten nach dem Ende des alten Reiches 1806 oft die Bezeichnung "Reichs-" vor ihren Titel (z.B. Reichsritter, Reichsfreiherr, Reichsgraf), wobei es sich im Fall der zahlreichen briefadeligen Familien jedoch um eine soziale Konvention und nicht um eine rechtliche Höherstellung gegenüber einem später Geadelten handelte.
In Österreich war es üblich, den Adelstitel zwischen dem Vor- und dem Familiennamen einzufügen (z. B. "Rudolf Freiherr von Slatin"). Dies wurde nicht nur im amtlichen Schriftverkehr, sondern auch bei Hof so gehandhabt.
Adel in der Monarchie
Bis zum 18. Jahrhundert
Im Gegensatz zu dauerhaft zentralistisch regierten Staaten wie Frankreich gelang es den Habsburgern nie, alle wesentlichen regionalen ständischen Machtzentren auf Dauer zu unterdrücken, wiewohl sie nach der Schlacht am Weißen Berg und im Zuge der Gegenreformation nicht katholische Eliten nach Kräften zu eliminieren trachteten und dabei in Böhmen und im Bereich des heutigen Österreich weitgehend erfolgreich waren. Vor allem der ungarische Adel blieb allerdings zu Konspiration und Aufstand bereit und wurde zum Kern der magyarischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert. In Ober- und Niederösterreich kam es im 16. und 17. Jahrhundert aufgrund einer Verquickung von religiösen und politischen Interessen zur Frontstellung zwischen dem zunächst mehrheitlich lutherischen Adel und den katholisch-zentralistischen Herrscherinteressen der Habsburger; die Gegenreformation setzte sich jedoch durch. Nach dem oft gewaltsamen Ende der religiösen Konflikte war das Verhältnis zwischen den Habsburgern und dem Adel nicht mehr allzu spannungsgeladen.
Während des Barocks ließen nach dem Ende der Bedrohung Österreichs durch das Osmanische Reich Adelige prächtige Bauten und Gärten in der und um die Residenzstadt Wien errichten, um so nahe wie möglich am Monarchen zu sein und andererseits selbst große Repräsentanz zu demonstrieren. Herausragende Beispiele waren der „Türkenbezwinger“ Prinz Eugen von Savoyen mit seinem bis 1723 erbauten Schloss Belvedere und die Fürstenfamilie Liechtenstein mit ihrem bis 1709 errichteten Gartenpalais Liechtenstein.
Im 18. Jahrhundert reflektierte das Adelswesen der Donaumonarchie deren Anspruch als Führungsmacht des Katholizismus in Europa, auch spanische und irische Geschlechter wurden integriert. Jedem Ausländer war gestattet, sich des aus der Heimat mitgebrachten Titels als eines ausländischen zu bedienen, wenn er sich über sein Recht ausgewiesen hatte. Die ausländischen Titel (wie die venezianischen Principe, Duca, Marchese, Conte usw.) durften nicht ins Deutsche übersetzt werden, da sie der gleichlautenden Adelsstufe in den Staaten der Habsburger Monarchie nicht entsprachen. Nur die von der Republik Ragusa und von den Herzögen von Mailand verliehenen Adelsränge wurden anerkannt.
Im Vielvölkerstaat der Habsburger gab es – anders als in vielen anderen europäischen Staaten wie Preußen oder Frankreich – neben den deutschsprachigen Adelsfamilien (hochdeutscher, vor allem schwäbischer und niederdeutscher/niederländischer Adel) auch den Adel aus Ungarn, Polen, Kroatien, Slowenien, Italien und Böhmen, dessen Adelstitel aber nicht immer miteinander vergleichbar und daher Quelle ständiger Rangstreitigkeiten waren.
In den Stammlanden der Habsburger Monarchie sowie in Böhmen und Mähren lagen die Dinge nicht wesentlich anders als im Norden des Heiligen Römischen Reiches. Im Süden des Reiches war allerdings die Zahl der reichsunmittelbaren Herren und Städte wesentlich höher als im Norden. Andererseits war der Adel in der preußischen Armee stärker vertreten als im österreichischen Heer und anderen Armeen im süddeutschen Raum. Diese Adelsfamilien waren durchweg vermögender als der Adel in Preußen, so dass die jungen Edelleute – zumindest aus finanziellen Gründen – nicht genötigt waren, in den Militärdienst zu gehen.
19. und 20. Jahrhundert
Der alte Adel verlor im Zuge der Industrialisierung und des Aufstiegs des Bürgertums im 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung, politisch spielte er ab 1861 jedoch im Herrenhaus des Reichsrats (siehe unten) noch eine Rolle.
Als Teil der so genannten Dezemberverfassung bestimmte das heute noch in Geltung stehende Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (RGBl. Nr. 142 / 1867) in Art. 2: „Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich.“ In Art. 7 wurde „jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband … für immer aufgehoben“. Die gesellschaftliche Praxis zeigte allerdings bis zum Ende der Monarchie, dass Adelstitel ihre Wirkung kaum eingebüßt hatten. Ihre Träger erwarteten sich Vorteile und erhielten sie zumeist auch. Dazu kam, dass mit der Verleihung bestimmter Orden durch den Kaiser das Recht verbunden war, auf Antrag in den Adelsstand erhoben zu werden. In den letzten Jahrzehnten der Monarchie entstand ein Offiziers-, Verdienst- und Beamtenadel, zum Teil an gewählten unhistorischen Namenszusätzen (wie Edler von Karltreu) erkennbar. Nobilitierte gehörten der „Zweiten Gesellschaft“ an, die weder zur Hocharistokratie (der „Ersten Gesellschaft“) noch zum „Volk“ gehörte. Es waren geadelte Wirtschaftstreibende, Beamte, Künstler, Offiziere und Angehörige der freien Berufe, die trotz erfolgter Nobilitierung in ihrer Mentalität und in ihrem Sozialverhalten zumeist bürgerlich blieben: Die österreichische Zweite Gesellschaft bildete ab dem 18., vor allem aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Elite des aufsteigenden, teilweise liberalen Bürgertums. Im Jahr 1884 wurden diese Nobilitierungen, die quasi schon „fließbandmäßigen“ Charakter angenommen hatten, dadurch eingeschränkt, dass der Erwerb eines höheren Ordens nicht mehr in jedem Fall mit dem Recht verbunden war, um Nobilitierung ansuchen zu dürfen.
„Erste“ und „Zweite“ Gesellschaft hatten zwar gesellschaftliche Kontakte im Heer oder im Bereich der „Wohltätigkeit“. Aber das Konnubium war sehr eingeschränkt – nur vereinzelt gab es Geldheiraten von Aristokraten mit reichen Töchtern der Zweiten Gesellschaft.
Das Phänomen, von Voltaire fürs Ancien régime als "Kaskade der Verachtung" beschrieben, spielte besonders in Österreich-Ungarn eine Rolle, wo viele der frisch nobilitierten Bankiers- und Industriellenfamilien ursprünglich jüdischer Herkunft waren. Typischerweise erfolgten Nobilitierungen dieser Art auch nur bis zum Ritter- oder Freiherrenstand, die Ränge ab dem Grafenstand waren altadeligen Familien vorbehalten. Die österreichische Zweite Gesellschaft bildete vor allem ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Elite des aufsteigenden, liberalen und kaisertreuen Bürgertums.
Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Standesherr und preußischer General, beschrieb 1897 in seinen Memoiren die Kluft zwischen der altadeligen und der aufgestiegenen Kategorie innerhalb der "ersten Gesellschaft" im weiteren Sinne:
„Dass die Wiener höchste Aristokratie sehr abgeschlossen war, erwähnte ich bereits. Wollten doch Schönburgs, Schwarzenbergs, Liechtensteins usw den Minister Bach nicht bei sich empfangen. Da nun aber eine Anzahl Familien [...] sich bis in die leitenden Kreise hinaufgearbeitet hatten, und der Verkehr mit ihnen nicht zu vermeiden war, auch in Wien mehr geadelte Bankierfamilien lebten als in anderen Hauptstädten, die durch ein enormes Vermögen auch Einfluss hatten, so konnte man nicht umhin, auch diese Kreise zur ersten Gesellschaft zu rechnen, die sich aber danach in zwei Kategorien teilte. Diese beiden Kategorien verkehrten miteinander soweit, dass die Herren der ersten mit in die zweite gingen, die der zweiten in die erste hier und da eingeladen wurden. Niemals aber sah man eine Dame der ersten in der zweiten oder eine der zweiten in der ersten. Heiratete ein Herr aus der ersten eine Dame der zweiten, so fand seine Familie nicht Zutritt in der ersten. Am kaiserlichen Hofe soll [...] bei den großen Hofbällen auch die zweite Kategorie geladen worden sein. Zu den kleineren sogenannten Kammerbällen hatte sie keinen Zutritt. Diese zwei Klassen in der ersten Gesellschaft waren gewiß eine nur Wien angehörige Erscheinung.“<ref>Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen: Aus meinem Leben. Bd. 1, Berlin 1897, S. 323.</ref>
Der Adel besaß gegen Ende der Monarchie nicht mehr den politischen Einfluss von früher, insbesondere die erste Gesellschaft, deren Einfluss zunehmend von der zweiten Gesellschaft, dem Bürgertum und der Arbeiterklasse verdrängt wurde. Dies spiegelte sich in der von der Dezemberverfassung 1867 ausgegangenen sukzessiven Demokratisierung des Männerwahlrechts wider, bis das Abgeordnetenhaus des Reichsrats 1907 zum ersten Mal von allen großjährigen männlichen Staatsbürgern mit gleichem Stimmgewicht gewählt werden konnte.
Das Herrenhaus 1861–1918
Das Herrenhaus war dem britischen House of Lords durchaus vergleichbar. In diesem Oberhaus hatten 106 Familien einen erblichen Sitz und saßen neben kaiserlichen Prinzen und den Kirchenfürsten. Zu diesen Familien zählten:
- drei souveräne Häuser: Liechtenstein, Sachsen-Coburg und Gotha, Schaumburg-Lippe.
- 16 mediatisierte Fürstenhäuser, nach Rangfolge: Lobkowitz, Dietrichstein, Auersperg, Fürstenberg, Schwarzenberg, Thurn und Taxis, Colloredo, Khevenhüller, Hohenlohe-Langenburg, Starhemberg, Salm-Raitz, Orsini-Rosenberg, Schönburg-Hartenstein, Metternich, Windisch-Graetz, Trauttmansdorff.<ref>http://www.coresno.com/standeserhoehungen/164-texte/3459-reichsrat.html</ref>
- 16 andere Fürstenhäuser, nach Rangfolge: Dietrichstein, Lubomirski, Porcia, Lamberg, Kinsky, Clary, Paar, Czartoryski, Sanguszko, Rohan, Windisch-Graetz, Collalto, Sapieha, Montenuovo, Beaufort, Thun.
- vier mediatisierte Grafenhäuser, nach Erwerb der Reichsstandschaft: Schönborn, Wurmbrand, Kuefstein, Harrach.
- 64 gräfliche Geschlechter in alphabetischer Reihenfolge: Abensperg und Traun, Althann, Attems, Badeni, Brandis, Buquoy, Clam-Martinic, Colleoni, Czernin, Desfours, Dobrženský, Falkenhayn, Fünfkirchen, Goëss, Gudenus, Gołuchowski, Hardegg, Haugwitz, Herberstein, Hoyos, Kálnoky, Kaunitz, Kinský, Kolowrat, Lamberg, Lanckoroński, Lewicki, Lodron, Ludwigstorff, Mensdorff-Pouilly, Meran, Miniscalchi, Montecuccoli, Nostitz, Papafava, Podstatzky-Prusinowitz, Potocki, Schlik, Sedlnitzky, Serényi, Sternberg, Tarnowski, Thun und Hohenstein, Thurn-Valsassina, Trapp, Ungnad von Weißenwolff, Venier, Vetter, Vrints, Waldstein, Walterskirchen, Wassilko-Serecki, Wratislaw, Westphalen, Widmann-Sedlnitzky, Zierotin.
- neun freiherrliche Geschlechter in alphabetischer Reihenfolge: Dalberg, Gudenus (Grafen seit 1907), Hackelberg und Landau, Kotz, Locatelli, Ludwigstorff (Grafen seit 1910), Sternbach, Walterskirchen (Grafen seit 1907), Wassilko-Serecki (Grafen seit 1918).
- drei markgräfliche Geschlechter (Marchese): Canossa, Cavriani, Guidi.
Die 106 Familien im Herrenhaus, nach der strengen Rangfolge gezählt, gehörten zu den illustersten Adelsgeschlechtern der österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie. Nicht zum Herrenhaus gehörten die ungarischen Adeligen, die im Magnatenhaus in Budapest ihren Sitz hatten. Vereinzelt berief der Kaiser Nichtadelige oder Nobilitierte der Zweiten Gesellschaft auf Grund ihrer Verdienste auf Lebenszeit ins Herrenhaus. Seit 1907 konnten Mitglieder des Herrenhauses auch für das Abgeordnetenhaus kandidieren; während der Abgeordnetentätigkeit ruhte ihre Mitgliedschaft im Oberhaus. Die Herrenhausmitglieder nützten ihr Mitbestimmungsrecht in der Gesetzgebung Cisleithaniens sehr unterschiedlich; neben pflichtbewussten Mitgliedern gab es auch solche, die sich im Haus nie sehen ließen. Das Herrenhaus wurde vom republikanischen Staat Deutschösterreich am 12. November 1918 abgeschafft. Seine Mitgliederlisten und Sitzungsprotokolle sind auf einer Website der Österreichischen Nationalbibliothek, alex.onb.ac.at, zu lesen.
Nach dem Ende der Monarchie
Adelsaufhebungsgesetz von 1919
Am 3. April 1919 wurden „der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge, sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge deutschösterreichischer Staatsbürger“ aufgehoben. Die Führung von Adelsbezeichnungen, Titeln und Würden wurde unter Strafe gestellt (Adelsaufhebungsgesetz, StGBl. Nr. 211 / 1919, Vollzugsanweisung vom 18. April 1919, StGBl. Nr. 237 / 1919). Das Gesetz trat am 10. April 1919 in Kraft und gilt bis heute. Das 1920 beschlossene und in novellierter Form auch heute gültige österreichische Bundes-Verfassungsgesetz stellt in Art. 7 fest:
„Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“
Besonders der Beamtenadel der „Zweiten Gesellschaft“ empfand diese republikanische Vorgangsweise als degradierend, weil die Standeserhöhungen die vielfach ersehnte soziale Krönung für die beamteten Adelswerber und deren Familien gewesen war. Die Mitglieder des ehemaligen Hochadels konnten die formale Entadelung leichter verschmerzen, – sie verloren zwar formal ihre Titel und Privilegien, pflegten aber weiterhin ihre gesellschaftlichen Umgangsformen und behielten ihre Besitztümer. Michael Hainisch, Bundespräsident von 1920 bis 1928, nannte die offizielle Abschaffung des Adels:
„… ein kindisches Beginnen, schon deshalb, weil man gar nicht diejenigen traf, die man hatte treffen wollen. Ich sprach einmal mit der ebenso feinen wie klugen Fürstin Fanny Starhemberg über diesen Punkt. ‚Uns‘, sagte sie, ‚macht die Aufhebung des Adels nichts, wir bleiben mit oder ohne den Titel immer die Starhembergs.‘“
Die Abschaffung der adeligen Namen wird von konservativen Gruppierungen bis heute als Menschenrechtsverletzung betrachtet, da es sich 1918 bei allen adeligen Namen lediglich um individuelle Persönlichkeitsrechte der Namensbezeichnung handelte und sie nicht mehr mit Standesrechten oder anderen rechtlichen Vorteilen verknüpft waren. Eine der österreichischen Regelung ähnliche Rechtsvorschrift wurde in der neuen Tschechoslowakischen Republik schon im Dezember 1918 kundgemacht (siehe unten).
Österreichs ehemaliger Adel und der Nationalsozialismus
Obwohl in der alten Monarchie auch alldeutsche bzw. deutschnationale Bestrebungen von Adeligen mitgetragen wurden (siehe Georg Schönerer, Taras Borodajkewycz oder Edmund Glaise-Horstenau), hielt sich die allgemeine Begeisterung des ehemaligen österreichischen Adels für den Nationalsozialismus in Grenzen. Grund dafür war die katholische und monarchistische Einstellung des Großteils des österreichischen Adels. Eine gewisse Rolle spielten dabei auch die anti-preußischen Ressentiments des österreichischen Adels gegenüber dem Deutschen Reich, unter anderem Gruppen wie die Österreichische Aktion.
Ein entscheidender Faktor jedoch war die politische Haltung des österreichischen Thronprätendenten Otto von Habsburg, der im Gegensatz zum deutschen Kronprinzen Wilhelm von Preußen oder dessen Bruder SA-Obergruppenführer August Wilhelm von Preußen den Nationalsozialismus von vornherein ablehnte.<ref>Der Adel und die Nazis: Aristokraten zwischen Ehre und Karriere. Profil, 22. Mai 2004, abgerufen am 17. September 2011: „Verkörperte Hitler-Attentäter Stauffenberg die typische Haltung des Adels zum Dritten Reich? profil-Recherchen und das Buch eines deutschen Historikers ergeben ein überaus differenziertes Bild.“ </ref> Dies lag auch an der tiefen Abneigung Hitlers gegenüber dem Vielvölkerreich der Habsburger, der diametral zu all seinen Vorstellungen war. Folglich lehnte auch die legitimistische Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich (1938 von den Nazis verboten) und der Großteil ihrer Mitglieder – im Gegenteil zur sogar rassistisch ausgerichteten Deutschen Adelsgenossenschaft – den Nationalsozialismus ab.
Zudem unterstützten viele Angehörige des österreichischen Adels den Ständestaat, der die nationalsozialistische Partei verboten hatte, aktiv als Offiziere oder Beamte. Als Folge wurde eine Reihe von österreichischen Adeligen nach dem Anschluss Österreichs verhaftet und ermordet. Viele österreichische Adelige waren im aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus, wie Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, Hanns Georg Heintschel-Heinegg, Erwin Lahousen-Vivremont, Joseph Franckenstein, Josef Trauttmansdorff-Weinsberg und seine Frau,<ref>„Im Widerstand“. In: Adel verpflichtet: eine Serie der NÖN. Niederösterreichische Nachrichten, 18. Oktober 2010, abgerufen am 17. Mai 2012. Thomas Jorda: </ref> Hans Hammerstein-Equord, Peter Revertera-Salandra sowie Maximilian Hohenberg und Ernst Hohenberg.<ref>Blaues Blut für Österreich. Adelige im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 2000, abgerufen am 17. September 2011. Gudula Walterskirchen: </ref>
Andererseits gab es Adelige, die dem Deutschen Reich sehr verbunden waren, wie Max Egon II. zu Fürstenberg, der die meiste Zeit in Deutschland lebte. Fürstenberg trat Mitte 1933 der NSDAP und der SA bei und wurde 1938 zum SA-Standartenführer ernannt.<ref>Stephan Malinowski, Sven Reichardt: Die Reihen fest geschlossen? Adelige im Führerkorps der SA bis 1934. Eckart Conze, Monika Wienfort: Adel und Moderne. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2004, ISBN 3-41218-603-1, S. 119–150, hier: S. 136f.</ref> Andere versuchten bereits vor dem Anschluss der NSDAP beizutreten.<ref>Wie österreichische Adelige trotz Aufnahmesperre der NSDAP beitraten. Profil, 9. Jänner 2010, abgerufen am 17. September 2011: „Österreichische Adelige und Industrielle schafften es 1938 trotz Aufnahmesperre, der NSDAP beizutreten – indem sie sich eine Vergangenheit als illegale SA-Männer bescheinigen ließen. In einer SA-Brigade, die fast nur auf dem Papier existierte.“ Marianne Enigl: </ref> Unter den österreichischen Adeligen gab es begeisterte Nationalsozialisten: „Katholisch motivierter Antisemitismus traf sich mit wiederbelebten Herrschaftsphantasien und der Attraktivität neuer ideologischer Versatzstücke“. Schon im Ständestaat hatte sich der nationale Flügel unter Johann Hardegg und Johann Gudenus vom regierungsfreundlichen Kurs der meisten anderen Standesgenossen distanziert.<ref>Hannes Stekl, Ernst Bruckmüller (Hrsg): Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 2004, ISBN 3-486-56846-9, S. 122.</ref>
Der ehemalige Adel in Böhmen und Mähren
In Tschechien, wo der Adel von der Tschechoslowakischen Republik bereits durch das Adelsgesetz vom 10. Dezember 1918 aufgehoben und eine (in Österreich nicht vorgenommene) Bodenreform durchgeführt wurde, erhielt der Teil des ehemaligen Adels, der sich 1938 / 1939 zur tschechischen Volkszugehörigkeit bekannt hatte, 1945 seinen vom NS-Regime entzogenen Besitz zurück, bis dieser ab 1948 vom kommunistischen Regime neuerlich enteignet wurde. Nach 1992 erhielten die ehemals adeligen Tschechen ihre entzogenen Schlösser zurück, z.B. die ehemals fürstlichen Familien Schwarzenberg und Lobkowitz.
Das den Söhnen des 1914 ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand gehörige Schloss Konopischt in Tschechien wurde der Familie Hohenberg nach 1918 entzogen und bis dato nicht zurückgestellt. Die Fürstenfamilie Liechtenstein hat ihren 1945 entzogenen Besitz in Tschechien ebenfalls nicht zurückerhalten. Die Liechtensteiner unterlagen als Bürger eines souveränen Staates 1938 / 1939 nicht der Verpflichtung, sich für Deutschtum oder Tschechentum zu entscheiden; sie wurden aber von Edvard Beneš 1945 den zu enteignenden Deutschen zugerechnet.
Heutige Situation
Die ehemaligen Adelsfamilien in den alten Stammlanden der Habsburger konnten ihre Position als Grundbesitzer auch nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend behaupten, da die nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone eingezogenen Güter nach dem Staatsvertrag 1955 zurückerstattet wurden. Der Familienfideikommiss der Familie Habsburg-Lothringen wurde 1919 (siehe Habsburgergesetz) als einziger in österreichischen Staatsbesitz übergeführt, von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg 1935 teilweise rückerstattet und vom NS-Regime nach dem Anschluss Österreichs 1938 neuerlich enteignet. Er befindet sich seit 1945 wieder in österreichischem Staatsbesitz.
Seit 2005 gibt es die 'Vereinigung der Edelleute in Österreich'; sie betrachtet sich als Nachfolger der kurz vor dem Ersten Weltkrieg gegründeten, aber erst seit 1922 wirklich aktiven und von den Nationalsozialisten 1938 verbotenen Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich. Nachdem vom österreichischen Innenministerium im Februar 2006 zunächst die Auflösung des Vereins betrieben worden war, wurde im November 2006 beschlossen, das Auflösungsverfahren einzustellen. Die Mitglieder des Vereins seien zwar nach dem Adelsaufhebungsgesetz in Österreich nicht zur Führung eines Adelstitels berechtigt, würden aber weiterhin dem historischen Adel angehören.<ref>Oliver Pink: Rechtsstreit: Edelleute von heute, in Die Presse, 3. November 2007</ref> Davon unbenommen ist freilich das Führen des Adelstitels außerhalb Österreichts, wo die Titel teilweise anerkannt werden.
Der frühere Adel ist heute in Österreich ein historisches und gesellschaftliches Phänomen, politisch und rechtlich aber bedeutungslos. Witze über die Grafen „Bobby und Rudi“ sind selten geworden. Nach wie vor präsent sind Vertreter des ehemaligen Adels jedoch in der Regenbogenpresse. Angehörige ehemaliger Adelsfamilien sind zudem relativ häufig in der Wirtschaftselite zu finden. Eine Studie (2009) zeigte, dass solche Personen in Österreich sechsmal wahrscheinlicher innerhalb der heimischen Wirtschaftselite zu finden sind als außerhalb.<ref>Herr Direktor, von und zu. Die Presse, 11. Juli 2009, abgerufen am 21. Juli 2009 (deutsch). Philipp Korom, Jaap Dronkers: </ref>
Siehe auch
Einzelnachweise
<references/>
Literatur
- Reinhard Binder-Krieglstein: Österreichisches Adelsrecht 1868-1918/19. Peter Lang, Wien 2000, ISBN 978-3-631-34833-8.
- Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi: Adel. Wien 1923.
- Karl Friedrich von Frank: Alt-Österreichisches Adels-Lexikon. Selbstverlag, Wien 1928.
- Peter Frank-Döfering: Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804–1918. Herder, Wien 1989, ISBN 3-210-24925-3.
- Der Gotha. Beilage. Der „Österreich-Gotha“. Mit Ergänzungswerken zum deutschen Adel. Saur, München 1997, ISBN 3-598-30359-9.
- Rudolf Granichstaedten-Czerva: Adelsrechtliche Probleme. ADLER-Zeitschrift, 77. Jg., 5. (XIX) Band, 3./4. Heft, S. 40. Zitiert von heinzemmrich in "Yahoo! Group" Monarchie der Zukunft, 21. Februar 2007.
- Hajo Holborn: Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus (bis 1790). Oldenbourg Verlag, München 1970, ISBN 978-3-486-43211-4, speziell S. 270ff. (Seite 270 in der Google-Buchsuche)
- Johann G. Megerle von Mühlfeld: Österreichisches Adels-Lexikon des 18. und 19. Jahrhunderts. 2 Bände, Mörschner & Jasper, Wien 1822/24.
- Karl Megner: Zisleithanische Adels- und Ritterstandserwerber 1868–1884. Institut für Österreichische Geschichtsforschung, ungedruckte Hausarbeit, Wien 1974, 313 S.
- Johann Georg Megerle von Mühlfeld: Österreichisches Adels-Lexikon des achtzehnten u. neunzehnten Jahrhunderts enthaltend alle von 1701 bis 1820 wegen ihrer Verdienste um den Kaiserstaat in die verschiedenen Grade des deutsch-erbländischen oder Reichs-Adels erhobenen Personen. in der Google-Buchsuche
- Ralph Melville: Adel und Revolution in Böhmen: Strukturwandel von Herrschaft und Gesellschaft in Österreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts. von Zabern, Mainz / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-8053-1176-1 (von Zabern) / ISBN 978-3-525-10004-2 (Vandenhoeck & Ruprecht), (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz, Band 95 Abteilung Universalgeschichte; zugleich Dissertation an der Universität Freiburg im Breisgau 1977).
- Heinz Siegert: Adel in Österreich in der Google-Buchsuche. Kremayr & Scheriau, Wien 1971, ISBN 3-218-00205-2.
- Hannes Stekl, Ernst Bruckmüller (Hrsg): Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie 18. bis 20. Jahrhundert. in der Google-Buchsuche Verlag für Geschichte und Politik, Wien 2004, ISBN 3-486-56846-9.
- Gudula Walterskirchen: Der verborgene Stand – Adel in Österreich heute in der Google-Buchsuche. Amalthea, Wien 1999, 3. Aufl 2010, ISBN 3-85002-428-8.
- Gudula Walterskirchen: Blaues Blut für Österreich. Amalthea, Wien 2000, ISBN 3-85002-452-0.
Weblinks
- Stiftung Seeau Private Enzyklopädie über den Adel in Österreich
- „Collegium Rerum Nobilium Austriae“ (CoResNo) beschäftigt sich mit erbländisch- und kaiserlich-österreichischen Gnadenakten und deren Wappenverleihungen