Abtei Weingarten


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Datei:Weingarten Kloster 1500.jpg
Kloster Weingarten um 1500, aus der „Bauernkriegs-Chronik“ des Klosters Weißenau von Jacob Murer, 1525
Datei:Weingarten Idealplan.jpg
Barocker Idealplan des Klosters Weingarten aus dem 18. Jahrhundert, vermutlich 1723
Datei:Weingarten1917.jpg
Weingarten mit den barocken Klostergebäuden auf dem Martinsberg, 1917
Datei:Fliesen Weingarten.jpg
Mittelalterliche Bodenfliesen aus dem Kloster Weingarten; Landesmuseum Württemberg, Stuttgart

Das Kloster Weingarten ist eine ehemalige Abtei der Benediktiner auf dem Martinsberg in der bis 1865 „Altdorf“ heißenden, heute nach dem Kloster benannten Stadt Weingarten im Südosten Baden-Württembergs. Das ehemalige Hauskloster der Welfen bestand von 1056 bis zur Aufhebung durch die Säkularisation im Jahr 1803. Im Jahr 1922 wurde die Abtei wiederbesiedelt und gehörte der Beuroner Kongregation. Im Herbst 2010 wurde die Abtei aufgehoben und die letzten Mönche verließen das Kloster.

Geschichte

Das erste Kloster

1056 gründete Welf IV. auf dem Martinsberg ein Benediktinerkloster, das mit Mönchen aus Altomünster besiedelt wurde. Die Nonnen aus dem 1053 abgebrannten Kloster Altdorf besiedelten im Gegenzug das Kloster Altomünster.

1094 wurde der Abtei von der Gattin Welfs IV. die Heilig-Blut-Reliquie geschenkt.<ref name="shi afr">Stefan Hilser, Andrea Fritz: Klosterkomplex mit Geschichte: Heute Pilgerstätte und Bildungseinrichtung. In: Südkurier vom 10. April 2010</ref> Diese Reliquie besteht aus Erde des Berges Golgota, die mit Jesu Blut getränkt ist. In der Folgezeit machten viele Menschen Stiftungen an das Kloster, um damit die Reliquie zu ehren, darunter Land und ganze Dörfer samt ihren Einwohnern.

Der Name „Weingarten“ ist um 1123 urkundlich belegt. Die Mönche beschäftigten sich unter anderem mit der Buchmalerei. Ihr berühmtestes Werk ist das Sakramentar des Abtes Berthold aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts, das sich heute in der Pierpont Morgan Library in New York befindet.

Das Kloster war Grablege und Hauskloster der Welfen. Zwölf Angehörige der älteren, schwäbischen Welfenlinie, die zwischen 990 und 1126 verstorben sind, liegen in der Welfengruft in der heutigen Basilika bestattet, darunter Welf II., Welf III., Welf IV., Welf V. und Heinrich der Schwarze.

1178 verkaufte Welf VI. sein Erbe nördlich der Alpen an Kaiser Friedrich I. Barbarossa; damit gelangte auch das Kloster 1179 in staufischen Besitz.

Das Kloster wurde 1274 zur Reichsabtei erhoben. Der Abt des Klosters war seit 1555 einer der festgeschriebenen Vertreter bei einem Ordentlichen Reichsdeputationstag.

Das Kloster war durch seinen großen Landbesitz von zuletzt 306 km² mit etwa 11.000 Einwohnern, der sich vom Allgäu bis zum mittleren Bodensee erstreckte und viele Wälder und Weingüter umfasste, eines der reichsten Klöster in Süddeutschland<ref>Vorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatJosef Tutsch: Langlebige Organisation mit Reformstau. 29.08.2006, abgerufen am 3. Januar 2014.</ref>. Ab 1715 wurde die romanische Klosterkirche von 1124 bis 1182 größtenteils abgerissen; an ihrer Stelle wurde 1715–1724 durch Franz Beer eine große, reich ausgestattete, barocke Klosterkirche erbaut, die seit 1956 den päpstlichen Ehrentitel Basilika (genauer: Basilica minor) trägt. Sie sollte inmitten einer idealtypischen Klosteranlage stehen. Der Idealplan des Klosters wurde jedoch nur teilweise in die Wirklichkeit umgesetzt.

Im Zuge der Säkularisation wurde das Kloster 1803 aufgelöst und zunächst Besitz des Hauses Oranien-Nassau, 1806 dann Teil des Königreichs Württemberg. Die Klostergebäude wurden unter anderem als Fabrik, als Waisenhaus<ref name="shi afr" /> und bis 1921 Kaserne<ref>ab 1868 Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm, König von Preußen“ (2. Württembergisches) Nr. 120, ab 1898 Infanterie-Regiment „König Wilhelm I.“ (6. Württembergisches) Nr. 124, 1919-1920 Reichswehr</ref> genutzt.

Neugründung 1922

1922 wurde Weingarten von Benediktinern aus der Erzabtei Beuron und der von Beuron gegründeten Abtei in Erdington (heute Stadtteil von Birmingham, England) wiederbesiedelt. Im Jahr 1936 leben in Weingarten 160 Mönche, so viele wie nie zuvor.<ref name="shi afr" /> 1940 wurden die Mönche von den Nationalsozialisten vertrieben; nach Kriegsende konnten die Benediktiner nach Weingarten zurückkehren; 25 der zur Wehrmacht eingezogenen Mönche waren gefallen. In den 1960er Jahren lebten wieder knapp 70 Mönche im Kloster.<ref name="shi afr" />

Bereits 1922 begannen die Mönche mit der Anlage einer naturhistorischen und völkerkundlichen Sammlung, die teilweise in den Klostergebäuden und in der Klausur untergebracht war. Bis in die 1980er Jahre wurde die Sammlung stetig erweitert und umfasste schließlich über 20.000 Stücke aus den Bereichen Mineralogie, Paläontologie, Archäologie, Völkerkunde und Zoologie. Nach der Auflösung des Klosters wurde die Sammlung in die Obhut des Museum Auberlehaus in Trossingen gegeben, wo Teile der Sammlung ständig zugänglich sind, der überwiegende Teil ist magaziniert und steht interessierten Laien und Wissenschaftlern sowie für Sonderausstellungen zur Verfügung.

1982 übernahm Lukas Weichenrieder das Amt des Abtes. 23 Mönche schieden während dessen Amtsjahre aus dem Kloster aus. Einige hatten bereits seit zehn bis 20 Jahren dort gelebt.<ref>Vorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatUlla Franziska Lang: Die Passion der Mönche. Südkurier, 10. April 2010, abgerufen am 3. Januar 2014.</ref>

Neben dem feierlichen Gotteslob zählen zu den Aufgaben der Abtei die Seelsorge in der Klosterpfarrei St. Martin, die Wallfahrt zum kostbaren Blut, die geistliche Betreuung der Klostergäste sowie die Ökumene mit den Ostkirchen.

Weingarten war lange Zeit ein Kloster mit zwei kirchlichen Traditionen („Riten“): Ein Teil der Mönche feierte nach dem römischen, ein anderer Teil nach dem byzantinischen Ritus.

2004 trat Abt Lukas Weichenrieder vermutlich wegen interner Streitigkeiten nach 22 Jahren von seinem Amt zurück und verließ das Kloster vorübergehend. In der Folgezeit wurde das Kloster von dem Beuroner Erzabt Theodor Hogg als Abt-Administrator geleitet, der im November 2004 Pater Martin Rieger zum Prior des Klosters ernannte. Im November 2005 trat dieser überraschend aufgrund „persönlicher Gründe“ von seiner Stelle als Pfarrer der Weingartener Basilikagemeinde St. Martin und seinem Amt als Prior zurück. Auch bat Rieger um Entbindung von seinen Mönchsgelübden, um außerhalb des Benediktinerordens eine katholische Pfarrei zu übernehmen. Zum neuen Prior wurde Pater Pirmin Meyer ernannt. 2007 wurde P. Basilius Sandner aus der Abtei Maria Laach zum so genannten Prior-Administrator gewählt, er hatte damit alle Rechte und Pflichten eines Abtes, jedoch nicht die Benediktion.

Ende September 2009 wurde bekannt, dass das Benediktinerkloster Weingarten geschlossen werden sollte. In dem Kloster lebten zu dieser Zeit nur noch vier Mönche, von denen Pater Anselm Günthör als ältester bereits 98 Jahre alt war. Versuche, neue Benediktiner zu gewinnen, scheiterten<ref>Vorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatDirk Grupe: Kloster Weingarten muss schließen. Schwäbische Zeitung, 24. September 2009, abgerufen am 3. Januar 2014.</ref>. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart trat als Nachfolgerin der Abtei Weingarten in den Mietvertrag mit dem Land Baden-Württemberg ein<ref>Vorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatKatholische Kirche mietet Benediktiner-Kloster in Weingarten. 21. Dezember 2009, abgerufen am 3. Januar 2014.</ref>. Am 16. Oktober 2010 verließen die Benediktiner das Kloster.<ref name="shi afr" />

Nutzung der ehemaligen Klostergebäude

Kloster und Kirche sind eine Hauptsehenswürdigkeit der Oberschwäbischen Barockstraße. Ein Flügel der Abteianlage (mit Kreuzgang) beherbergte von 1922 bis 2010 das neu besiedelte Benediktinerkloster Weingarten. Andere Teile der ehemaligen Klosteranlage werden von der Pädagogischen Hochschule Weingarten und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart benutzt. Die Höfe des Klosters sind im Sommer Schauplatz von Open-Air-Aufführungen der Klosterfestspiele Weingarten. Diese wurden im Jahr 2000 zum ersten Mal veranstaltet.

Klosteranlage mit Basilika

Der Gesamtkomplex auf dem Martinsberg in Weingarten steht im Eigentum des Landes Baden-Württemberg.

Basilika

→ Siehe Hauptartikel: St. Martin (Weingarten)

Datei:Basilika-Weingarten568.JPG
Kuppel von St. Martin
Datei:Weingarten-romanischer-rest.jpg
Rest der romanischen Vorgängerkirche auf dem Münstervorplatz

Die Basilika St. Martin ist mit 102 Meter die längste Barockkirche Deutschlands, aber auch eine der raumstärksten und monumentalsten. Sie wurde dem Petersdom im Maßstab 1:2 nachempfunden. Der Kirchenbau sollte nur der glanzvolle Auftakt der Weingartener Bautätigkeit sein. Nach den Vorstellungen von Abt und Konvent, die sich im Idealplan von 1723 niederschlugen, sollten auch die Hofgebäude (südlich der Kirche) erneuert werden.

Schon 1727, kaum zweieinhalb Jahre nach der Kirchweihe, begann Abt Hyller mit dem Bau des Gebäudegevierts nördlich der Kirche (Hofbau). Baumeister war Joseph Schmuzer (1683–1752). Zuerst wurde der Osttrakt erstellt. Als man aber 1728 mit dem Nordtrakt beginnen wollte, erhob die Innsbrucker Regierung auf Anzeige des Landvogts Einspruch, sie behauptete, der Neubau verlasse das Klostergebiet und beeinträchtige die via regia (Reichsstraße).

Am 27. April 1728 erfolgte ein Bauverbot. Infolgedessen baute man im Süden der Kirche weiter und vollendete 1732 den Ostflügel (Seminarbau, heute: Akademie).

Die anhaltende Bautätigkeit hat das Kloster in Schulden gestürzt. Leopold Mozart erwähnt, in einem Brief vom 13. Jänner 1786 an seine Tochter Nannerl in St. Gilgen, Abt Anselm Rittler, und in seinem Zusammenhang auch die Verschuldung vieler Klöster.<ref>Im Reich, in Bayern, und anderen Ländern haben gelehrte Prälaten die Klöster in Schulden gesetzt und in unordnung gebracht. Wilhelm A. Bauer / Otto Erich Deutsch: Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Kassel u.a. 1963, Bd. III, Nr. 918, Z. 40f.</ref>

Neben ihrer Architektur ist die Weingartener Basilika auch berühmt für die Gabler-Orgel, die zwischen 1735 und 1750 durch den Orgelbauer Joseph Gabler aus Ochsenhausen erbaut wurde. Sie verfügt über 60 Register auf 4 Manualen und Pedal, sowie 6666 Pfeifen.

Da die in die Westfassade eingelassenen sechs Fenster beim Orgelbau nicht verdeckt werden durften (ähnlich wie später in Neresheim), musste Gabler eine höchst aufwendige Konstruktion und Anordnung für die Orgel um die Fenster herum entwickeln. Die technische Bewältigung dieses Projekts gilt bis heute als orgelbauerische Meisterleistung.

Münstervorplatz

Der Münstervorplatz grenzt im Westen an die Basilika. Am Südende ihrer Barockfassade steht ein Rest der romanischen Vorgängerkirche. Beim Abbruch von 1715 ließ man die Südwand des rechten Seitenschiffs bewusst stehen, um an das alte Gotteshaus zu erinnern, das seit 1124 das Leben im Kloster fast sechshundert Jahre lang prägte.

Konvent

Der Konvent mit Kreuzgang und Klausur ist ein für die Öffentlichkeit gesperrter Bereich, der bis 2010 dem mönchischen Leben vorbehalten war. Nach der Schließung des Konvents übernahm ab Juli 2010 die Diözese Rottenburg-Stuttgart diesen Gebäudeteil als Mieter.<ref name="shi afr" /> Im Mai 2011 hatte die Priestergemeinschaft Sankt Martin Interesse an der Übernahme der ehemaligen Räumlichkeiten des Konvents bekundet.

Akademie

Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart beheimatet Tagungsräume und Gästehäuser.<ref name="shi afr" />

Datei:Weingarten-welfenlöwe.jpg
Kopie des Braunschweiger Löwen

Innenhof

Im nördlich an die Basilika angrenzenden Innenhof steht seit 1999 eine Kopie des Braunschweiger Löwen. Das Wappentier der Welfen erinnert daran, dass Altdorf vom 9. bis 11. Jahrhundert der Stammsitz dieses Adelsgeschlechts war. Das Denkmal wurde vom Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) gestiftet.

Pädagogische Hochschule

Die Pädagogische Hochschule Weingarten hat in der Klosteranlage ihre Verwaltung untergebracht. Zudem befinden sich noch Hörsäale in diesem Flügel.<ref name="shi afr" />

Pfarrhaus

Des Weiteren gehört zum Klosterkomplex das Pfarrhaus der Basilika-Gemeinde; diese wird seit 2007 von einem Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart geleitet. Über Jahrzehnte war zuvor ein Mönch der Abtei auch Pfarradministrator der Kirchengemeinde.<ref name="shi afr" />

Heilig-Blut-Reliquie

Die Heilig-Blut-Reliquie ist ein mit 65 Edelsteinen besetztes goldenes Doppelkreuz, mit einem gläsernen Röhrchen als Kern.<ref>Dirk Grupe: Blutfreitag in Weingarten. Das Kloster schließt und das Herz steht still. In: Schwäbische Zeitung vom 12. Mai 2010</ref> Die Reliquie enthält der Überlieferung nach einen Tropfen vom Blut Jesu Christi mit Erde vermischt, und ist ein Teil der Hl.-Blut-Reliquie von Mantua. Sie gehört nicht dem Benediktinerorden und bleibt nach der Konventsschließung in der Basilika. Die Reliquie ist im Hauptaltar in einem Tresor eingeschlossen. Bis auf drei Meter Distanz dürfen Besucher der Basilika an den Heilig-Blut-Altar treten, der hinter einer Glasscheibe die auf einem roten Samtkissen liegende Heilig-Blut-Reliquie zeigt. Sie wird jährlich am Blutfreitag (nach Christi Himmelfahrt) in einer Reiterprozession, dem Blutritt, durch Stadt und Flure getragen.<ref name="shi afr" /> Im Museum für Klosterkultur der Stadt Weingarten wird die reiche Geschichte der Reliquie aufgezeigt, sowie die vielen Ausdrucksformen der Verehrung anhand von Andachtsbildern, Hl.-Blut-Abbildungen und diversen Devotionalien.

Durch die Reliquie geweihtes Öl ist als Heilig-Blut-Öl bekannt und wird vor Ort verkauft.

Siehe auch

Literatur

  • Norbert Kruse u.a. (Hrsg.): Weingarten von den Anfängen bis zur Gegenwart. Biberacher Verlagsdruckerei, Biberach/Riß 1992, ISBN 3-924489-61-0 (zur Stadt- und Klostergeschichte)
  • Norbert Kruse, Hans Ulrich Rudolf (Hrsg.): 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten 1094–1994. 3 Bände. Thorbecke, Sigmaringen 1994, ISBN 3-7995-0398-6
  • Sönke Lorenz: Weingarten und die Welfen, in: Dieter R. Bauer, Matthias Becher (Hrsg.): Welf IV. - Schlüsselfigur einer Wendezeit. Regionale und europäische Perspektiven (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft. Reihe B, 24), München 2004, ISBN 3-406-10665-X, S. 30-55
  • Hans Ulrich Rudolf, Anselm Günthör: Die Benediktinerabtei Weingarten zwischen Gründung und Gegenwart. Ein Überblick über 950 Jahre Klostergeschichte 1056–2006. Fink, Lindenberg 2006, ISBN 3-89870-292-8
  • Gebhard Spahr, Columban Bulh: Festschrift zur 900-Jahr-Feier des Klosters 1056–1956. Ein Beitrag zur Geistes- und Gütergeschichte der Abtei. Abtei Weingarten, Weingarten 1956

Weblinks

Wikisource Wikisource: Kloster Weingarten – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise und Anmerkungen

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