Atheismus


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Atheisten)
Wechseln zu: Navigation, Suche
Datei:Ephesians 2,12 - Greek atheos.jpg
Das altgriechische Adjektiv ἄθεος (átheos „ohne Gott“) in einer Handschrift des Briefes des Apostels Paulus an die Epheser (Papyrus 46, Eph 2,12 EU)

Atheismus (von altgriechisch ἄθεος átheos „ohne Gott“) bezeichnet im engeren Sinne die Überzeugung, dass es keinen Gott bzw. keine Götter gibt. Zum Atheismus im weiteren Sinn werden bisweilen auch andere Abgrenzungen von einem Glauben an Gott gezählt, beispielsweise Ansichten, dass zur Existenz eines Gottes und von Göttern allgemein nichts gewusst werden kann (Agnostizismus).

Inhaltsverzeichnis

Begriffsweite und -herkunft

Die begriffliche Spannbreite von Atheismus umfasst einerseits die „weiten“ Begriffsbedeutungen, die ein Dasein ohne Glauben an Gott, entsprechende Lebensweisen und diesbezügliche Begründungen einschließen (auch als „Nichttheismus“ begriffen), und andererseits „enge“ bzw. „starke“ Bedeutungen, die in Hinsicht auf Götterbehauptungen verneinend, gegebenenfalls kämpferisch oder mit Gegenbeweisen vertreten werden (auch als „Antitheismus“ bezeichnet).<ref name="Atheism" /><ref name="Spannbreite" />

Im antiken Griechenland wurde der Atheismus-Begriff mit dem Alpha privativum gebildet (‚A-theismus’), er hat verschiedene altgriechische Varianten (Substantiv: ἀθεότης im Sinne von ‘Gottlosigkeit’, ‘Gottesleugnung’ und ‘Unglaube’) und er war in Asebie-Prozessen ein hinreichender Anklagepunkt. Die latinisierte Form ‚Atheismus’ findet sich erstmals bei Cicero, seit Ende des 16. Jahrhunderts erscheint sie im deutschen Schrifttum (fnhd. ‚Atheisterey’<ref>Atheisterey. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 2, Leipzig 1732, Spalte 2016–2025.</ref>) und sie gilt seit Beginn des 18. Jahrhunderts als eingedeutscht.

In der Zeit der Aufklärung waren es zunächst Freidenker, Deisten, Pantheisten und Spinozisten, die von Philosophen und etablierten Kirchen als Atheisten bezeichnet und bezichtigt wurden.<ref>Fritz Mauthner kam in seiner international umfangreichsten Studie zum Atheismus unter Bezugnahme auf diverse Quellen zu einer ausdrücklichen Berücksichtigung von agnostischen, deistischen, spinozistischen und weiteren Gruppen, die als Atheisten bezeichnet wurden (Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland. 4 Bde., 1920–1923). Sie waren im 18. und 19. Jahrhundert besonders einflussreich (das HWPh nennt mit Quellenangaben: Spinozisten gemäß Ph. J. Spener, „Deisten“ gemäß Locke und Kant, Pantheisten gemäß Jacobi und Fichte). Dieser Wortgebrauch, den die Freidenker usw. auch selbst nutzten, ist im 21. Jahrhundert nicht mehr üblich.</ref> Ein Teil der Enzyklopädisten war dem Atheismus besonders verbunden. Als Kampfbegriff diente ‚Atheist’ auch zur moralischen Diffamierung derjenigen, welche zwar den Theismus akzeptierten, aber in Einzelaspekten von der herrschenden Gotteslehre abwichen. Jedoch wird in der Regel als Atheist bezeichnet, wer es ausdrücklich verneint, an Gott oder Götter zu glauben.<ref>Paul Edwards: Atheism. In: Encyclopedia of Philosophy. Bd. 1. 2. Auflage. S. 356–377, hier S. 358 f. George Alfred James: Art. Atheism. In: Encyclopedia of Religion. Bd. 1. 2. Auflage. 2005, S. 576–586, hier S. 576: „The term atheism is employed in a variety of ways. For the purpose of the present survey atheism is the doctrine that God does not exist, that belief in the existence of God is a false belief. The word God here refers to a divine being regarded as the independent creator of the world, a being superlatively powerful, wise, and good.“ Abgeschwächter erklärt etwa Alfred Jules Ayer, charakteristisch für einen Atheisten sei es, „zu vertreten, dass mindestens wahrscheinlich ist, dass kein Gott existiert“ (in: Language, Truth and Logic. Dover, New York 1952, S. 115).</ref>

Agnostiker, die an keinen Gott glauben, werden vielfach zu den Atheisten im weiteren Sinne gezählt, obgleich nicht alle damit einverstanden sind. Agnostische Ansichten, nach welchen auch die Nichtexistenz Gottes nicht erkannt werden kann, sind hierbei nicht benannt.<ref name="Definition III+" /> Der Agnostizismus vereint unterschiedliche Ansichten; daher ist die Zuordnung des Agnostizismus zum Atheismus umstritten (und umgekehrt).

Umstritten ist auch die Zuordnung des Positivismus zum Atheismus. Der Philosoph Alfred Jules Ayer, Vertreter des logical positivism (Logischer Empirismus), betont, dass seine Position zu Sätzen wie „Gott existiert“ weder mit Atheismus noch mit Agnostizismus verwechselt werden sollte. Er halte solche Sätze für metaphysische Äußerungen, die weder wahr noch falsch seien. Charakteristisch für einen Atheisten sei hingegen die Ansicht, „dass es zumindest wahrscheinlich ist, dass es keinen Gott gibt“.<ref>“…it is characteristic of an atheist to hold that it is at least probable that no god exists”, in: Language, Truth and Logic. Dover, New York 1952, S. 115.</ref>

Ob auch Positionen als „Atheismus“ bezeichnet werden sollen, die keine Gottheit annehmen, jedoch nicht auf Religionslosigkeit reduzierbar sind, wie etwa im Jainismus oder Konfuzianismus, ist in der Literatur umstritten.<ref name="Hoheisel" /> Teils wird vorgeschlagen, die explizite Ablehnung theistischer Positionen als „theoretischen“, und die Lebenspraxis (die sich vollzieht, „als ob“ ein Numinoses nicht existierte)<ref name="Hoheisel" /> als „praktischen Atheismus“ zu bezeichnen.<ref name="Praktischer Atheismus" />

Seit dem 19. Jahrhundert wird der Begriff ‚Atheismus’ in einem naturalistischen Sinne teilweise so eng geführt, dass er gegen alle supernaturalistischen Auffassungen gerichtet wird, die mit einem Glauben an übernatürliche Wesen, Kräfte oder Mächte göttlicher wie nichtgöttlicher Art verbunden sind (Animismus, Spiritismus, mono- und polytheistische Religionen). Dies wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts oft als „Neuer Atheismus“ bezeichnet, wenn die Argumentation als naturwissenschaftlich ausgewiesen ist.

Gesellschaftliche Aspekte

Demographische Merkmale

Umfragen zum Thema Atheismus werfen methodische Probleme auf, da es schwierig ist, eine einheitliche Abgrenzung zwischen Säkularisten, Humanisten, Nichttheisten, Agnostikern und spirituellen Personen vorzunehmen.<ref>Atheism and Agnosticism in der Stanford Encyclopedia of Philosophy</ref> Immer mehr verschwimmt die Grenze zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen.<ref>Minois 2000, S. 618.</ref>

Datei:Atheists Agnostics Zuckerman de.svg
Anteil von Atheisten und Agnostikern an der Gesamtbevölkerung (nach Zuckerman<ref>Phil Zuckerman: Atheism: Contemporary Rates and Patterns. In Michael Martin (Hrsg.): The Cambridge Companion to Atheism. Cambridge University Press, Cambridge 2007.</ref>). Bei China, Kuba und Nordkorea müssen die Zahlen angesichts der vergleichsweise schlechten Datenlage mit besonderer Skepsis betrachtet werden.
Datei:Europe No Belief enhanced.svg
Anteile der Atheisten in Europa (Eurobarometer von 2005 zur Aussage: „Es gibt keine Art von Gott oder spirituelle Kraft“)

The World Factbook der CIA schätzte im Jahre 2010: Atheisten 2,32 %, Nichtreligiöse 11,77 %, Christen 33,32 % (darunter 16,99 % römisch-katholisch), Muslime 21,01 %.<ref>The World Factbook. In: World Factbook. CIA, 8. März 2010, abgerufen am 12. Dezember 2010.</ref>

In seiner „Bilanz des Unglaubens“ meint Georges Minois, es kursierten Unmengen an Zahlen, „die allesamt falsch sind“. Allenfalls könne man aus ihnen ersehen, dass mehr als ein Fünftel der Menschheit nicht mehr an einen Gott glaube.<ref>Minois 2000, S. 628.</ref> Minois präsentiert selbst Schätzungen für das Jahr 1993 – weltweit 1,2 Milliarden Agnostiker und Atheisten<ref>Britannica Book of thew Year, 1994, Angabe von Minois</ref> – sowie für das Jahr 2000 – etwa 1,1 Milliarden Agnostiker und 262 Millionen Atheisten,<ref>Nach der World Christian Encyclopedia. Angabe von Minois</ref> und zum Vergleich etwa 1,2 Milliarden Gläubige für den Islam und 1,1 Milliarden für die katholische Kirche.

Laut dem Eurobarometer 2010<ref name="Eurostat-341">Special Eurobarometer, Biotechnology Report. Abgerufen am 3. Februar 2015 (PDF; 7,5 MB).</ref> glaubten 20 % der Bürger der damals 27 EU-Staaten weder an Gott noch an eine spirituelle Kraft. Eine Mehrheit von 51 % glaubte an Gott und 26 % an „eine Art von spiritueller Kraft“; 3 % äußerten sich nicht. Zwischen den einzelnen Ländern gab es große Unterschiede; so war der Anteil der Gottesgläubigen in Malta mit 94 % und Rumänien mit 92 % am höchsten und mit 16 % in Tschechien und 18 % in Estland am geringsten. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden je 44 % ermittelt.

Die Anzahl der Einwohner, die angaben, weder an Gott, noch an eine spirituelle Kraft zu glauben, war im Jahr 2010 mit 40 % in Frankreich und 37 % in Tschechien am höchsten und betrug in Deutschland 27 %, in Österreich 12 % sowie 11 % in der Schweiz. Laut dem Eurobarometer 2005<ref name="Eurostat-225">Eurostat poll on the social and religious beliefs of Europeans. Abgerufen am 3. Februar 2015 (PDF; 1,6 MB).</ref> glaubten mehr Frauen (58 %) an Gott als Männer (45 %); der Glaube an Gott korrelierte positiv mit dem Alter, politisch konservativer Einstellung und mangelnder Schulbildung. In den USA liegt die Zahl der Personen, die an Gott oder eine höhere Macht glauben, bei 91 %.<ref>UK among most secular nations. BBC, 26. Februar 2004, abgerufen am 16. Juni 2008.</ref>

Das Worldwide Independent Network und die Gallup International Association befragten im Zeitraum zwischen 2011 und 2012 fast 52.000 Personen aus 57 Ländern zu ihren religiösen Einstellungen. 13 % der befragten Personen bezeichneten sich als „überzeugte Atheisten“, 23 % nannten sich „nicht-religiös“ und 57 % gaben an, eine religiöse Person zu sein. Zwischen 2005 und 2012 hat sich der Anteil religiöser Personen weltweit um 9 % verringert, während der Anteil von Atheisten um 3 % gestiegen ist. In manchen Ländern ist dieser Trend besonders ausgeprägt: In Vietnam, Irland und der Schweiz ging der Anteil der Personen, die sich selbst als religiös bezeichnen, zwischen 2005 und 2012 um 23, 22 bzw. 21 % zurück.<ref>Global Index of Religions and Atheism. WIN-Gallup International, 2012.</ref>

Der Anteil an Atheisten ist nach Erhebungen in den USA bei Wissenschaftlern besonders hoch: Nur sieben Prozent der Mitglieder der amerikanischen Akademie der Wissenschaften glauben an die Existenz eines personalen Gottes.<ref>Edward J. Larson, Larry Witham: Correspondence: Leading scientists still reject God. In: Nature. 394, Nr. 6691, 1998, S. 313. doi:10.1038/28478. oder Leading scientists still reject God</ref> Eine Umfrage unter Mitgliedern der American Association for the Advancement of Science von 2009 ergab, dass 51 % der amerikanischen Wissenschaftler an Gott oder eine höhere Macht glauben, wesentlich weniger als im allgemeinen Publikum. Der Anteil der atheistischen Wissenschaftler hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht wesentlich verändert. So ergab eine Umfrage des Psychologen James H. Leuba im Jahr 1914, dass 42 % der amerikanischen Wissenschaftler an einen persönlichen Gott glaubten und ebenso viele nicht. 1996 wiederholte der Geschichtswissenschaftler Edward Larson die Umfrage von Leuba mit den gleichen Fragen und der gleichen Anzahl Personen und kam auf 40 % gläubige und 45 % atheistische Wissenschaftler.<ref>''Scientists and Belief''. Pew Forum. 5. November 2009. Abgerufen am 18. Dezember 2010.</ref> Eine im November 2013 veröffentlichte Metaanalyse von 63 Einzelstudien kam zu dem Ergebnis, dass Atheismus bzw. ein Nicht-Glauben an Gott signifikant mit Intelligenz zusammenhängt (Intelligenz wurde in den meisten Studien erfasst durch den g-Faktor).<ref>M Zuckerman, J Silberman, JA Hall: The Relation Between Intelligence and Religiosity: A Meta-Analysis and Some Proposed Explanations. In: Personality and Social Psychology Review. 17, Nr. 4, November 2013, S 325–354. doi:10.1177/1088868313497266. PMID 23921675.</ref>

Mehrere Forschungen ergaben einen positiven Zusammenhang zwischen Religiosität und Geburtenziffer. So hatten im Jahr 2002 in Deutschland Menschen, die sich selbst als nicht religiös bezeichneten, mit durchschnittlich 1,4 Kindern deutlich weniger Kinder als Menschen, die sich als religiös bezeichneten (durchschnittlich 1,9 Kinder).<ref>Michael Blume u. a.: Religiosität als demographischer Faktor – Ein unterschätzter Zusammenhang? In: Marburg Journal of Religion. Band 11, Nr. 1, Juni 2006 (online in archiv.ub.uni-marburg.de).</ref> Das Institut der deutschen Wirtschaft kam bei einer Auswertung der weltweit erhobenen Daten des World Values Survey zu ähnlichen Ergebnissen.<ref>Institut der deutschen Wirtschaft: Kinder. Auch eine Frage der Überzeugung. In: iwd. Nr. 13, Deutscher Instituts-Verlag, Köln 29. März 2007 (online (Memento vom 16. Mai 2008 im Internet Archive)).</ref>

Politische Wechselwirkungen

Im Lauf der Geschichte kamen Atheisten vielfach mit politischen Autoritäten in Konflikt. Die Äußerung atheistischer Ansichten wird noch im Jahre 2013 in zahlreichen Ländern mit Freiheitsentzug bestraft, in 13 Ländern sogar mit dem Tod.<ref>You can be put to death for atheism in 13 countries around the world. Report Internationale Humanistische und Ethische Union vom 10. Dezember 2013.</ref>

In der Neuzeit wurden gesellschaftliche Bereiche einschließlich der Politik, des Rechts und der Religionsausübung zunehmend autonom. Die Trennung von Kirche und Staat wurde mit Hilfe aufklärender Bewegungen verfassungsrechtlich verankert und dann durch staatskirchenrechtliche Bestimmungen ausgeformt. Diese Trennung wird als atheistisch bezeichnet (insbesondere im Laizismus). In Abgrenzung zu religiös-politischen oder auch staatsatheistischen Machthabern garantiert das rechtsstaatliche Prinzip eine weltanschauliche Neutralität in einer prozessual grundlegenden Weise. Rechtsstaatliche Verfassungsorgane sind in ihren Entscheidungen nicht nur von religiösen, sondern auch von sonstigen externen Einflüssen entsprechend entbunden und stattdessen vorrangig einer Verfassung verpflichtet, die in modernen Staaten auf Freiheitsklauseln basiert. Die entsprechend neutrale Rechtsbildung führte auch gegen politische Widerstände zu einer zunehmend rechtswirksamen Tolerierung atheistischer Positionen und Lebensgestaltungen in der modernen Welt.

Heute enthalten die Verfassungen vieler demokratischer Staaten das Menschenrecht auf Religionsfreiheit und darin eingeschlossen das Recht, Atheist zu sein oder zu werden. Nicht in allen diesen Staaten gibt es eine strenge Trennung von Staat und Religion, zumal Religionen aus Kultur- und Selbstbestimmungsgründen unterschiedlich stark geschützt werden (beispielsweise durch ein Recht auf Religionsunterricht). Hinzu kommt der Gottesbezug in Verfassungen. So beginnt die Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit den Worten: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“. Die Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft beginnt mit den Worten: „Im Namen Gottes des Allmächtigen!“ Im Jahre 1998 scheiterte bei einer Totalrevision der Verfassung ein Vorstoß, diese Präambel zu streichen. Einige heutige Strafgesetzbücher enthalten Regelungen, die die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen als einen Straftatbestand ansehen. Atheistische Religions-, bzw. Kirchenkritiker wurden infolgedessen in der Vergangenheit nach öffentlichen Äußerungen wiederholt strafrechtlich verfolgt.

Auf der anderen Seite war Atheismus Bestandteil der marxistisch-leninistischen Staatsdoktrin, zum Beispiel in der Sowjetunion und in der Deutschen Demokratischen Republik, so dass Formen der Religionsausübung in den staatlich gelenkten Erziehungseinrichtungen keinen Ort hatten und politisch bekämpft wurden. Die Entkirchlichung Ostdeutschlands wird von Richard Schröder als die wohl wirksamste Hinterlassenschaft des SED-Regimes angesehen. Seinen Angaben zufolge waren im Jahre 1950 noch 91,5 Prozent der DDR-Bürger Kirchenmitglieder, 1964 noch 67,4 Prozent und am Ende der DDR etwa 25 Prozent.<ref>Richard Schröder: Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit. Freiburg im Breisgau 2007, S. 211. Dabei sei es geblieben, erklärt Schröder und gibt als aktuelle Vergleichsgröße in den alten Bundesländern 70 Prozent Kirchenmitglieder an. (Ebda.)</ref> Diese Entwicklung setzt sich auch nach der Wiedervereinigung fort, so ging der kirchlich gebundene Bevölkerungsanteil weiter zurück und liegt in Großstädten wie Magdeburg oder Halle mittlerweile nur noch bei rund 15 %. Die Mitgliederschaft der beiden größeren Kirchen in Ostdeutschland ist darüber hinaus in hohem Maße überaltert und wird daher weiterhin abnehmen.

Die von staatlicher Seite als Fortschrittsdoktrin gelehrte, marxistisch grundierte atheistische Weltanschauung wird von Kritikern wie Herbert Schnädelbach als „konfessioneller Atheismus“ und „Staatsreligion“ bzw. „Staatsatheismus“ bezeichnet.<ref>Vgl. Herbert Schnädelbach: Religion in der modernen Welt. Vorträge, Abhandlungen, Streitschriften, Frankfurt am Main 2009, S. 53 f.</ref> In Albanien wurde 1967 (bis 1990) ein totales Religionsverbot ausgerufen, und das Land bezeichnete sich als „erster atheistischer Staat der Welt“. Im gesamten so genannten Ostblock wurde der Atheismus gefördert, während gelebte Religiosität zumindest argwöhnisch betrachtet wurde, oft auch mit Nachteilen verbunden war oder gar gezielt verfolgt wurde, wie etwa bei den Christenverfolgungen unter Stalin. NGOs zufolge werden auch heute noch religiöse Gruppen und Einzelpersonen in manchen sich selbst als "atheistisch" verstehenden Staaten wie Nordkorea<ref>http://www.opendoors.de/verfolgung/laenderprofile/nordkorea/</ref> verfolgt und oftmals inhaftiert, gefoltert und getötet.

Der Atheismus wird aktiv gefördert, beispielsweise im Humanismus, im Existenzialismus und durch die Freidenkerbewegung. Zu großen Anteilen sind der Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus atheistisch geprägte Weltanschauungen. In den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, so Georges Minois in seiner Geschichte des Atheismus, habe der Eifer des antireligiösen Kampfes nachgelassen: „Die Lager zerfallen rasch, abgesehen von einem unvermeidlichen harten Kern auf beiden Seiten. Der Zweifel durchdringt alle Gemüter, genährt von einem Gefühl der Ohnmacht und Vergeblichkeit, fast Nichtigkeit gegenüber Fragen, die einst die Geister entflammten.“<ref>Minois 2000, S. 590.</ref>

Bedeutung im Wissenschaftskontext

Eine Orientierung an naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen lässt für einige Wissenschaftler früh die „Gotteshypothese“ als methodisch unzulässig erscheinen, da sie keine wissenschaftlich beobachtbaren Konsequenzen habe, mithin auch keine wissenschaftlich beschreibbaren Phänomene erkläre. Eine derartige Ausklammerung Gottes aus wissenschaftlicher Forschung wird als methodischer oder methodologischer Atheismus bezeichnet.<ref>Zu unterscheiden von „atheistischer Methode“. Siehe Adolf Schlatter: Atheistische Methoden in der Theologie. Wuppertal 1985 (ursprünglich 1905), hrsg. von Heinzpeter Hempelmann.</ref> Er impliziert allerdings keinen theoretischen Atheismus, behauptet also nicht, dass Gott nicht existiert. Daher wird manchmal präziser von „methodischem Noninterventionismus“ gesprochen.<ref>Franz Stuhlhofer: Charles Darwin – Weltreise zum Agnostizismus. Berneck 1988, S. 120–131.</ref>

Die Frage, ob wissenschaftliches Denken und die Annahme eines Gottes überhaupt dergestalt in Beziehung treten können, dass eine gegenseitige Bestätigung oder Widerlegung denkbar ist, wird unter Wissenschaftstheoretikern kontrovers beurteilt. Auch in populärwissenschaftlichen Schriften finden sich gegenteilige Annahmen. Einige, z. B. Stephen Jay Gould und John Polkinghorne, vertreten den Standpunkt, dass die Wissenschaft mit der Religion nicht in Konflikt stehe, da sich erstere mit Empirie, letztere hingegen mit Fragen letzter Begründung und mit moralischen Werten befasse. Andere, z. B. Richard Dawkins, Steven Weinberg und Norman Levitt, argumentieren, dass Theismus mit einer wissenschaftlichen Weltsicht grundsätzlich unvereinbar sei, da Wunder wie die Auferstehung Jesu Christi die Naturgesetze außer Kraft setzen müssten; die Wissenschaft führe demnach zwangsläufig zu Atheismus, Deismus oder Pantheismus.<ref>Alan Sokal: Pseudosciences et postmodernisme: adversaires ou compagnons de route?, S. 157. Odile Jacob, Paris 2005.</ref>

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es noch mehrere wirkungsmächtige, intellektuell sogar hegemoniale „wissenschaftliche Weltanschauungen“, darunter den Marxismus in mehreren politischen Ausformungen, die Psychoanalyse oder den Neopositivismus, die erklärtermaßen atheistisch waren und den Religionen eine schädliche Wirkung zuschrieben.<ref>Vgl. etwa Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion. (1927) et passim</ref>

Atheismus und Moral

Mit anderen vertrat Immanuel Kant die Auffassung, dass moralische Prinzipien auch ohne Rückgriff auf höhere Wesen in der menschlichen Vernunft bzw. in der Natur zu gründen seien. Recht und Moral gäben die Möglichkeit, Maximen von Freiheit und Handlungen unter allgemeinen (Vernunft-)Gesetzen bestehen zu lassen.<ref>I. Kant, Die Metaphysik der Sitten. Königsberg 1797.</ref> Zumindest sollte hier ableitbar sein, dass die Beurteilungskriterien rational verhandelbar seien.

Vor allem in kirchlichen Kreisen wird die Meinung vertreten, dass mit dem fehlenden Glauben an Gott die Verneinung moralischer Werte im Sinne eines Nihilismus einhergehe. So bezeichnet der evangelikale Religionswissenschaftler und Publizist Ravi Zacharias den Atheismus als „jeden Wertes beraubt“ und bestreitet, dass es fundierte moralische Prinzipien ohne Rückgriff auf höhere Wesen geben könne. Der katholische Staatsrechtler und vormalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde wird mit der Formel zitiert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieses sogenannte Böckenförde-Diktum wird teilweise so gedeutet, dass Demokratien auf religiöse Bindungen als Garanten gemeinsamer Grundwerte angewiesen seien.

Gegen diese Deutung wendet sich Gerhard Czermak. Er meint, Böckenförde werde „gründlich missverstanden, wenn nicht instrumentalisiert“, sofern aus seinem Diktum abgeleitet werde, „der Staat müsse die Kirchen und Religionsgesellschaften als Wertestifter in besonderer Weise fördern, weil man sonst die Zerstörung fördere versteht sich bei mir aus Instinkt“ (1888).

Aufklärung in Frankreich

Das früheste Zeugnis eines dezidierten Atheismus in der Neuzeit findet sich im Theophrastus redivivus, der Schrift eines anonymen französischen Autors aus dem Jahr 1659. Die Existenz Gottes wird darin zwar bestritten, die gesellschaftliche Nützlichkeit der Religion hingegen behauptet.

Als erster radikaler Atheist der Neuzeit gilt heute der französische Abbé Jean Meslier (1664–1729).<ref>„Die Geschichte des Atheismus in Europa beginnt aber erst wirklich im 18. Jahrhundert mit den Franzosen Jean Meslier (1664–1729), Diderot (1713–1784), Holbach (1723–1789), (…).“ (Hiorth, Atheismus—genau betrachtet. S. 26.)</ref> In seinen zwischen 1719 und 1729 verfassten und erst später anonym veröffentlichten Pensées et sentiments stellt Meslier die Existenz von Göttern völlig in Abrede, welche für ihn bloße Hirngespinste sind.<ref>„Jenes sogenannte unendlich vollkommene Wesen hingegen, das unsere Gottgläubigen Gott nennen, ist bloß eine Ausgeburt der Phantasie.“ (Testament, Kap. 64)</ref> Im Gegensatz zum Theophrastus verbindet Meslier seinen Atheismus mit einem Antiklerikalismus: Er polemisiert gegen Kirche und Krone, die er als Ausbeuter und Unterdrücker der Armen ansieht. Meslier hat seine als Testament bekannt gewordene Schrift nur in drei handschriftlichen Exemplaren hinterlassen, die zunächst einige Jahrzehnte lang klandestin zirkulierten. Erst 1761 veröffentlichte Voltaire eine Version der Schrift, in der er alle atheistischen und materialistischen Passagen getilgt und nur Mesliers Christentumskritik und Antiklerikalismus erhalten hatte. Diese deistisch verfälschte Fassung blieb, zumal sie durch Neuauflagen und Aufnahme in Voltaires Œuvres weite Verbreitung fand, bis ins 20. Jahrhundert die allgemein bekannte; daran hat auch eine 1864 in Amsterdam erschienene vollständige Ausgabe nichts geändert. Erst 1972 haben Albert Soboul u. a. aufgrund der Originalmanuskripte eine nun maßgebliche Edition dieses ersten neuzeitlichen Werks des Atheismus geschaffen.

Während Meslier somit lange Zeit als voltairianischer antiklerikaler Deist galt, war der erste öffentlich bekannt gewordene radikale Atheist der Aufklärung Julien Offray de La Mettrie (1709–1751). Sein philosophischer Erstling Histoire naturelle de l’âme (Naturgeschichte der Seele, 1745) wurde als materialistische und atheistische Schrift vom Pariser Henker verbrannt. La Mettrie floh nach Holland, wo er sein berühmtes Werk L’homme machine (Der Mensch als Maschine, 1748) publizierte, in dem es heißt, „dass die Welt niemals glücklich sein wird, solange sie nicht atheistisch ist.“<ref>Julien Offray de La Mettrie: Der Mensch als Maschine. Nürnberg: LSR-Verlag 1985, S. 66.</ref> La Mettrie blieb nicht bei der Negation Gottes stehen, sondern skizzierte in seinem Discours sur le bonheur (Rede über das Glück, 1748) eine geradezu modern anmutende psycho(patho)logische Theorie des Religiösen.<ref>Für ein Porträt La Mettries, das diese Seite des sonst als kruder „mechanistischer Materialist“ verrufenen Philosophen hervorhebt, siehe: Bernd A. Laska: La Mettrie und die Kunst, Wo(h)llust zu empfinden. Portrait eines verfemten Denkers. In: Der Blaue Reiter. Journal für Philosophie. Band 16 (Juni 2003), S. 98–103</ref>

Eine frühe öffentliche Verneinung der Existenz eines Gottes findet sich auch in dem 1770 anonym erschienenen Werk Système de la nature des Baron d’Holbach (1723–1789), einem Grundwerk des Materialismus. Holbach sah in der Religion den größten Feind der natürlichen Moral und zog gegen ontologische und kosmologische Gottesbeweise zu Felde. Das Glück des Menschen hängt nach seiner Auffassung vielmehr am Atheismus. Die von ihm vertretene „Ethokratie“ beruht allerdings nicht auf der vorgängigen materialistischen Philosophie La Mettries, den er wegen seiner Moraltheorie sogar als „Wahnsinnigen“ bezeichnete.

Denis Diderot (1713–1784), bekannt vor allem als Herausgeber der Encyclopédie, vertrat in seinen kirchen- und religionskritischen Werken Pensées philosophiques (1746) und dem Lettre sur les aveugles à l’usage de ceux qui voient (1749) zunächst eine deistische, später eine atheistische Position. Auch er war ein vehementer Gegner La Mettries, den er noch posthum als „Autor ohne Urteilskraft“ und wegen der „Verdorbenheit seines Herzens“ „aus der Schar der Philosophen“ ausschloss.<ref>Denis Diderot: Essai sur les règnes de Claude et de Neron et sur la vie et les écrits de Sénèque… (1778). Zit. n. ders.: Philosophische Schriften II. Berlin/DDR: Aufbau 1961, S. 428 f.; vgl. oben Note zu La Mettrie, sowie die Einleitung zu La Mettrie: Über das Glück, dem Werk, das die Gegnerschaft Diderots, Holbachs, Voltaires und anderer hervorrief.</ref>

Voltaire übte scharfe Kritik an Kirche und Klerus und griff in zahllosen Schriften und Briefen die christliche Religion teils mit scharfsinnigem Spott, teils mit feinsinniger Ironie an. Allerdings wollte er ausdrücklich nicht als Atheist bezeichnet werden (Réponse au Système de la nature, 1777). In dem Artikel Athéisme schrieb er unter anderem:

„Der Atheismus ist der Fehler einiger Leute von Geist, der Aberglaube ist der Fehler der Dummköpfe; und Lumpen sind Lumpen.“

Wenn sich Voltaire auch häufig zum englischen Deismus bekannte, wirkte er auf viele seiner Zeitgenossen durch seinen Stil und die Art, wie er seinen Deismus vortrug, durchaus wie ein Atheist. Die katholische Kirche bezichtigte ihn deswegen auch des Atheismus. Fritz Mauthner, Autor des vierbändigen Werks Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, nannte Voltaire „den Feldherrn und Staatsmann der französischen und europäischen Freidenker.“

Immanuel Kant

Gemäß Immanuel Kant gibt es keinen möglichen Beweis für oder gegen die Existenz eines höchsten Wesens, weder durch Anwendung der Vernunft noch durch Betrachtung der empirischen Natur. Wie Kant in der Transzendentalen Dialektik, dem zweiten Hauptteil der Transzendentalen Logik in Kritik der reinen Vernunft, zu zeigen versucht, scheitern alle Gottesbeweise daran, dass die in der menschlichen Vernunft vorhandene Vorstellung eine transzendentale Idee ist, d. h. die Vorstellung eines Gegenstands der mit keiner möglichen menschlichen Erfahrung übereinstimmen kann. Er billigt transzendentalen Ideen jedoch eine regulative Funktion zu:

„Ich behaupte demnach: die transzendentalen Ideen sind niemals von konstitutivem Gebrauche, so, dass dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden, und in dem Falle, dass man sie so versteht, sind es bloß vernünftelnde (dialektische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortrefflichen und unentbehrlich notwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einem Punkt zusammenlaufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punkt ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz außerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausbreitung zu verschaffen.“

– Immanuel Kant: AA III, 427–428<ref>Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA III, 427–428.</ref>

Vereinfacht gesagt bedeutet dies: Alle Grenzen möglicher menschlicher Erfahrung überschreitenden Dinge (Gott, Unsterblichkeit, Unendlichkeit) sind nach Kant zwar nicht erkennbar, sie geben der Erfahrung aber eine gewisse, subjektive Einheit. Regulativ sind sie deswegen, weil sie dem Verstand eine Orientierung bieten, mit der dieser Erlebnisse und Eindrücke über den unmittelbaren Wahrnehmungsgehalt hinaus ordnen kann. Damit ist Kant in theoretischer Hinsicht ein Vertreter einer agnostizistischen Position. Die regulative Idee „Gott“ erhält jedoch in Kants Moralphilosophie eine neue Funktion.

Beschäftigt sich Kant in der Kritik der reinen Vernunft mit der theoretischen Seite der Vernunft („Was kann ich wissen?“), so behandelt die Kritik der praktischen Vernunft deren praktische Seite („Was soll ich tun?“). Gott wird hier postuliert: Wenn die menschliche Vernunft in der Lage ist, sich selbst Ziele frei zu setzen, z. B. auch gegen die unmittelbar empfundenen empirischen Bedürfnisse, so setzt das voraus, dass jeder Mensch seine eigene Vernunft als verpflichtend erlebt (Kant nennt dies das „Faktum der Vernunft“). Derjenige Anteil des menschlichen Willens, der vernunftgemäß und unabhängig von den empirischen Bedürfnissen seine Wahl trifft, kann nun nach Kant nichts anderes wollen, als einem moralischen Gesetz zu folgen. Das moralische Gesetz verpflichtet jeden Menschen zur Sittlichkeit, indem es ihn anhält, seinen Willen nach dem Kategorischen Imperativ zu gestalten. Für Kant besteht nun ein Problem darin, zu zeigen, ob und wieso die Befolgung des moralischen Gesetzes auch zu Glückseligkeit, also einem Zustand allgemeiner Zufriedenheit führt. Die Frage ist: Wenn ich sittlich handeln soll, ist dann auch sichergestellt, dass ich glücklich werde? Als Instanz, die sicherstellt, dass sittliches Verhalten auch zu Glückseligkeit führt, wird Gott eingeführt, die garantieren soll, dass die Welt im Ganzen einem gerechten Plan folgt.

In der Nachfolge blieb Kants theistischer Skeptizismus oder partieller Agnostizismus weitgehend unbeachtet. Der Deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hölderlin, Hegel) redete zwar von Gott als dem absoluten Weltgeist oder einem absoluten Ich, kümmerte sich hingegen wenig um die Antinomien der Vernunft. Aus heutiger Sicht wird Kants Postulat eines Gottes als Verbindungsglied zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit eher als Mangel seiner Theorie gesehen. Kants individualistischer Theorie fehlt schlicht der gesellschaftliche Horizont von Sittlichkeit. In seiner Rechtsphilosophie kommt Hegel hingegen ohne ein solches Ad-hoc-Postulat zur Begründung der Sittlichkeit aus. Stattdessen steht der absolute Weltgeist (= Gott) für Hegel theoretisch wie historisch am Anfang seines dialektischen Systems. Dabei macht Hegel sozusagen aus der antinomischen Misere der Dialektik eine neue Tugend, indem er das dialektische Prinzip der Selbstwidersprüchlichkeit zu einer eigenen Methode ausbaut.

Ludwig Feuerbach

Ludwig Feuerbach vertrat in Das Wesen des Christentums von 1841<ref>Feuerbach 1841</ref> die folgenden Thesen:

  1. Religion ist nicht nur eine historische oder transzendente Tatsache, sondern vor allem eine Leistung des menschlichen Bewusstseins, also der Einbildungskraft bzw. Phantasie.
  2. Alle Religionen unterscheiden sich nur ihrer Form nach, haben aber eines gemeinsam: Sie spiegeln die unerfüllten Bedürfnisse der menschlichen Natur wider. Gott und alle religiösen Inhalte sind nichts anderes als psychologische Projektionen, die ihre materiellen Ursachen in der Natur des Menschen besitzen.

Feuerbachs Ausgangspunkt zur Herleitung seiner Thesen war die Natur des Menschen. Wesentlich für Feuerbach war, dass Menschen Bedürfnisse und Wünsche besitzen und diese in bestimmter Hinsicht unerfüllt bleiben, weil der Mensch – so würden wir heute sagen – ein Mängelwesen ist. Das ist sein anthropologischer Kern, den Marx weitgehend übernimmt. Von Hegel übernahm Feuerbach die idealistische Auffassung, dass es das Bewusstsein und seine Leistungen seien, die seine Praxis bestimmen. Im Zentrum stand für Feuerbach dabei die menschliche Einbildungskraft. Es seien nun die unerfüllbaren und andauernd unerfüllten Bedürfnisse, die der Mensch mit Hilfe seiner Einbildungskraft in ein religiöses Reich projiziere. Die religiösen Gehalte verweisen nach Feuerbach auf die unerfüllten Bedürfnisse und damit auf die als unvollkommen erlebte Natur des Menschen. In seinem Hauptwerk versucht er, dies anhand der Begriffe Liebe, Endlichkeit, Sterblichkeit, Ungerechtigkeit zu zeigen: Die religiöse Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele sei ein Reflex auf die unvollkommene Natur des Menschen als sterbliches Wesen, die der Allgüte Gottes ein Reflex auf die Unmöglichkeit, alle Menschen gleichermaßen zu lieben usw.

Feuerbachs Theorie der Religionskritik wurde später und wird heute in Verbindung mit dem Begriff „religiöser Anthropomorphismus“ bzw. „Anthropozentrismus“ oder unter dem Schlagwort „Projektionstheorie“ diskutiert. Schlagwortartig mag man sie unter folgenden Mottos zusammenfassen:

„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“<ref name="Der Mensch schuf">„Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel steht, sondern der Mensch schuf, wie ich im ‚Wesen des Christentums‘ zeigte, Gott nach seinem Bilde.“ Aus: Vorlesungen über das Wesen der Religion, Leipzig 1851, XX. Vorlesung.</ref>

oder:

„Homo homini Deus est“

„Der Mensch ist dem Menschen ein Gott.“<ref>Feuerbach 1841, Teil II, S. 409</ref>

Die Erklärung der Religion hat also – nach Feuerbach – vom Menschen auszugehen, sie aus ihm herzuleiten und sie wieder auf ihn zu beziehen:

„… Der Mensch ist der Anfang der Religion, der Mensch der Mittelpunkt der Religion, der Mensch das Ende der Religion.“

– Das Wesen des Christentums, Teil I<ref>Feuerbach 1841, Teil I, S. 287</ref>

Karl Marx

Marx' Kritik an Feuerbach – „vergesellschaftete“ Religiosität

Marx' Religionskritik findet sich vor allem<ref>Weitere Stellen bei Marx (und Engels) sind zu finden in: Das Kapital an verschiedenen Stellen (z. B. die Stelle über den Warenfetischismus), jedoch nie systematisch behandelt, und in: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (zit. mit „Anti-Dühring“) von Friedrich Engels aus dem Jahr 1878.</ref> in zwei einschlägigen Werken/Texten:

Marx übernimmt die Projektionstheorie Feuerbachs. Auch für ihn ist die Welt der Religion keine ontologische Kategorie, sondern gehört in den Bereich menschlicher Tätigkeiten. Auch für ihn reflektiert Religion ein Bedürfnis, und auch für ihn ist Religion die Widerspiegelung einer Wirklichkeit und nichts Transzendentes.

Marx kritisiert jedoch einen wesentlichen Mangel an Feuerbachs Religionskritik: Feuerbach tue so, als ob jeder Mensch als Individuum oder als abstraktes Wesen seine Religion produziere, wohingegen der Mensch – so Marx – vor allem als konkret-praktisches und damit schon immer vergesellschaftetes (gesellschaftliches) Wesen zu begreifen sei:

„Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“

– Thesen über Feuerbach, These 6<ref name="FeuerbachThesen" />

Und genau deswegen spiegele Religion auch nicht irgendwelche abstrakten, individuellen Bedürfnisse, sondern konkrete gesellschaftliche Bedürfnisse der Menschen wider.

Neben dieser Theorie der vergesellschafteten Religiosität kritisiert Marx an Feuerbach, dass es mit der neuen anthropozentrischen Interpretation von Religion noch nicht getan sei:

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“

– These 11<ref name="FeuerbachThesen" />

Diese These soll besagen, dass unter dem Blickwinkel der Praxis – und dies ist nach Marx die „gegenständliche Tätigkeit“ (= Arbeit als verändernde Aneignung von Natur) – Feuerbachs Theorie die Welt nur noch einmal in eine religiöse Welt verdoppelt und damit Religion zwar erklärt, jedoch nicht fragt, was dies praktisch für die gläubigen Menschen und die gesellschaftlichen Verhältnisse bedeutet. Und genau hier besitzt Religion gemäß Marx ihre praktische Aufgabe: Sie verhindere verändernde Praxis, weil sie die Menschen mit der Idee eines vom Erdenreich abgelösten und unabhängigen, vollkommenen Himmelreichs vertröste und umneble. Darauf bezieht sich auch Marxens Schlachtruf, wonach Religion „das Opium des Volkes“<ref name="KriHeRePhi" /> sei. (in: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie).

Marx' Entfremdungstheorie als Religionskritik

Nach Marx' Ideologiekritik spiegeln sich in der Religion nicht nur unerfüllte abstrakte Bedürfnisse wider, sondern auch das konkrete, durch die gesamte menschliche Geschichte ziehende, gesellschaftliche Elend und Unrecht. Dies täten sie jedoch in verzerrter Form: Diese Verzerrung bestehe zum einen in einer Verkehrung bzw. Verdrehung wirklicher Verhältnisse und zum anderen in einer völligen Abstrahierung vom alltäglichen Lebensvollzug, die dazu führe, dass die Menschen sich in eine „Nebelregion“ flüchteten. So steht beispielsweise Gott als der Allgerechte, Allmächtige und Allgütige einer Welt ungleicher Verteilung von Macht, Gütern und Liebe gegenüber.

Ausgangspunkt für Marx' Kritik ist die Theorie der Selbstentfremdung: Als „Entfremdung“ bezeichnet man allgemein Prozess und Ergebnis des Verlusts des Einflusses und der Verfügungsgewalt des Menschen auf und über all jenes, was einst durch ihn selbst bewirkt und ihm damit in unmittelbarer Anschauung vertraut war, welches ihm aber schließlich als etwas Unabhängiges, Fremdes gegenübertritt. So besitzt ein von seiner Arbeit entfremdeter Lohnarbeiter – nach Marx – keinen Einfluss mehr auf das Arbeitsprodukt und den Arbeitsprozess, obwohl er sich andauernd darin befindet. Deswegen treten ihm der Arbeitsprozess wie das Arbeitsprodukt als etwas Fremdes gegenüber (siehe Marx: Frühschriften). In der religiösen Selbstentfremdung nun erlebe der Mensch seine Bedürfnisse einmal als erfüllbare und erfüllte Dinge, andererseits aber auch als prinzipiell oder manchmal unerfüllbar bzw. unerfüllt. Die Religion wird gegenüber dem Menschen nach und nach zu etwas Selbständigem, Unabhängigem und ihm Fremdem. Dies ist mit der religiösen Selbstentfremdung gemeint: In der Religion verselbständigen sich die unerfüllten Bedürfnisse, indem letztere ein Eigenleben führen.

Friedrich Nietzsche

Datei:Nietzsche 1862b.JPG
Nietzsche als 17-Jähriger, 1862
Atheismus als Instinkt – „Gott ist eine faustgrobe Antwort“

Friedrich Nietzsche (1844–1900) nannte Gott „eine viel zu extreme Hypothese“.<ref>Friedrich Nietzsche: nachgelassenes Fragment „Der europäische Nihilismus“, KSA 12, 5 ), S. 17 f.</ref>

Siehe auch

Portal Portal: Atheismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Atheismus

Literatur

Allgemeine Einführungen und Kompendien

Mit Nachschlagewerken:

Klassische Texte

Ideengeschichte

(Siehe auch Literatur in den Artikeln Religionskritik und Kirchenkritik.)

Soziologie

(Siehe auch oben die Bibliographie in: Richard Faber & Susanne Lanwerd, 2006.)

  • Karl Baier, Sigrid Mühlberger, Hans Schelkshorn, Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld (Hrsg.): Atheismus heute? Ein Weltphänomen im Wandel. Leipzig 2001.
  • Christel Gärtner, Detlef Pollack, Monika Wohlrab-Sahr (Hrsg.): Atheismus und religiöse Indifferenz. Opladen 2003.
  • Thomas Schmidt, Monika Wohlrab-Sahr: Still the Most Areligious Part of the World: Developments in the Religious Field in Eastern Germany since 1990. In: International Journal of Practical Theology. 7 (2003), S. 86–100.
  • Monika Wohlrab-Sahr, Uta Karstein, Christine Schaumburg: „Ich würd' mir das offenlassen“. Agnostische Spiritualität als Annäherung an die „große Transzendenz“ eines Lebens nach dem Tode. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft. Marburg 13 (2005), S. 153–173.

Systematische Diskussion

(Siehe auch Literatur im Artikel Gottesbeweis zu klassischen und jüngeren Versuchen sowie zu Einwänden gegen diese.)

  • Hans-Jürgen Balmes, Jörg Bong, Alexander Roesler, Oliver Vogel, Isabel Kupski (Hrsg.): Neue Rundschau 2007/2: Atheismus. Fischer, Frankfurt am Main, 8. Juni 2007, ISBN 978-3-10-809069-2 (Aufsatzsammlung mit Beiträgen von Taha Muhammed Ali, Hans Blumenberg, Gudrun Boch, Sarah Shun-lien Bynum, Jorie Graham, Werner Hamacher, Felicitas Hope, Alberto Manguel, Willem Jan Otten, Herbert Schnädelbach, Arnold Stadler, Thomas P. Weber und Slavoj Žižek).
  • Lutz Danneberg, Sandra Pott, Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt (Hrsg.): Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheismus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 bis 1800 (= Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Band 2). de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017510-X (Leseprobe in der Google-Buchsuche).
  • Anders Bjørn Drachmann: Atheism in Pagan Antiquity. Gyldendal, London u. a. 1922; Nachdruck: Kessinger Publishing, Whitefish 2005, ISBN 0-7661-9086-2 (geht auch kurz auf Mittelalter und Moderne ein; online in archive.org).
  • Theodore M. Drange: Nonbelief and Evil. Two Arguments for the Nonexistence of God. Prometheus Books 1998, ISBN 1-57392-228-5.
  • Nicholas Everitt: The Non-Existence of God. Routledge, London 2004.
  • Antony Flew: Atheistic Humanism. 1993, ISBN 0-87975-847-3.
  • Antony Flew, William Lane Craig: Does God Exist: The Craig-Flew Debate. 2003, ISBN 0-7546-3190-7.
  • Antony Flew: God and Philosophy. 2005 (jüngster von mehreren Nachdrucken).
  • Antony Flew, Roy Abraham Varghese: There is a God. How the World’s Most Notorious Atheist Changed His Mind. 2007, ISBN 978-0-06-133529-7.
  • John Niemeyer Findlay: Can God’s Existence be Disproved? In: Antony Flew, Alasdair MacIntyre (Hrsg.): 1955, New Essays in Philosophical Theology. S. C. M. Press, London 1955.
  • R. Gale: On the Nature and Existence of God. Cambridge University Press, Cambridge 1991.
  •  David Bentley Hart: Atheist Delusions. The Christian Revolution and Its Fashionable Enemies. Yale University Press, New Haven 2007, ISBN 0-300-11190-8.
  • Norbert Hoerster: Die Frage nach Gott. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52805-8.
  • Robin LePoidevin: Arguing for Atheism. An Introduction to the Philosophy of Religion. London 1996.
  • Hermann Lübbe, Hans-Martin Sass (Hrsg.): Atheismus in der Diskussion. Kaiser, München 1975, ISBN 3-459-01037-1 (Überblick zur damaligen Debattenlandschaft im deutschen Sprachraum).
  • John Leslie Mackie: Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes. Reclam, Stuttgart 1985, ISBN 3-15-008075-4.
  • Michael Martin: Atheism. A Philosophical Justification. Temple University Press 1992, ISBN 0-87722-943-0.
  • Michael Martin, Rickie Monnier (Hrsg.): The Improbability of God. Prometheus Books, Amherst 2006.
  • Ernest Nagel: A Defense of Atheism. In: J. E. Fairchild (Hrsg.): Basic Beliefs. New York 1959.
  • Kai Nielsen: In Defense of Atheism. In: H. Kiefer, M. Munitz (Hrsg.): Perspectives in Education, Religion, and the Arts. Albany 1970.
  • Graham Oppy: Arguing about Gods. Cambridge University Press, Cambridge 2006.
  • H. Philipse: The Irrationality of Religion. A Plea for Atheism. In: Berit Brogaard, Barry Smith (Hrsg.): Rationality and Irrationality. Rationalität und Irrationalität. Proceedings of the 23rd International Wittgenstein-Symposium, Akten des 23. Internationalen Wittgenstein-Symposiums, Kirchberg am Wechsel 2000 (= Schriftenreihe der Wittgenstein-Gesellschaft. Band 29). Wien 2001, ISBN 3-209-03648-9.
  • Richard Robinson: An Atheist’s Values. Oxford University Press, Oxford 1964.
  • W. C. Rowe: The Problem of Evil and some Varieties of Atheism. In: American Philosophical Quarterly. Band 16, Nr. 4, 1979, S. 335–341.
  • J. J. C. Smart, John Haldane: Atheism and Theism. 2. Auflage. Blackwell, Oxford 2003.
  • Quentin Smith, William Lane Craig: Theism, Atheism and Big Bang Cosmology. Oxford University Press, Oxford 1993.
  • Magnus Striet (Hrsg.): Wiederkehr des Atheismus. Fluch oder Segen für die Theologie? Herder, Freiburg im Breisgau / Basel / Wien 2008, ISBN 978-3-451-29821-9.
  • Richard Swinburne: Die Existenz Gottes. Reclam, Stuttgart 1987, ISBN 3-15-028434-1.

Literatur zum „religiösen Atheismus“

„Atheismus“ innerhalb von Religionen:

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Atheismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons Commons: Atheism (Atheismus) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

<references> <ref name="Definition III+"> Die hier genannten „agnostischen Ansichten“ markieren verschiedene epistemologische, die Wahrscheinlichkeitsformulierung verschiedene empirische und die ‚gibt-keinen’-Formulierung metaphysische Positionen (letztere im Sinne eines logisch oder ontologisch notwendigen Ausschlusses göttlicher Existenzen in allen möglichen Welten). Siehe als detaillierte Standardzusammenfassungen insbesondere das HWPh, die REP und das international umfangreichste Werk von F. Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland. 4 Bde. 1920–1923, bei dem der Agnostizismus wie auch in weiteren Standardwerken atheistisch ausgelegt ist (l.c.). Das HWPh, Art. „Agnostizismus“ (Bd. 1, 1971), zitiert Mauthner nach dem Wörterbuch der Philosophie (1923, 1, 20), wonach der Agnostiker so bestimmt sei: „die Vermeidung des «unschicklichen», aber zutreffenden Wortes «Atheist»“. J. Stenzel hält die für den Agnostizismus schulbildende Protagoras-Formulierung, wonach von Göttern nichts erkennbar und nicht erforschbar sei (Kritias, fr. 25) für „atheistisch“ (Metaphysik des Altertums. In: Handbuch der Philosophie, München 1934), während andere Werke eine klare Trennung zum Agnostizimus markieren (z. B The Oxford Companion to Philosophy, Oxford, New York 1995, S. 63; vgl. auch The Encyclopedia of Philosophy, 1967, S. 182, mittels eines engem Atheismusbegriffs). Die Ausprägungen atheistischer Überzeugungen sind vielfältig, eine klare Abgrenzung zum Agnostizismus ist nicht immer möglich. </ref> <ref name="Agnostizismus"> Nur im Falle von agnostischen Ansichten, die „Gott“ definitiv außen vor lassen oder in irgendeiner Weise ablehnen, ist eine damit verbundene Überschneidung mit dem Atheismus begrifflich fassbar als „agnostischer Atheismus“ (anders gewichtet: als „atheistischer Agnostizismus“). </ref> <ref name="Atheism"> Vgl. z. B Simon Blackburn, The Oxford Dictionary of Philosophy, OUP, Oxford 1996: » Atheism. Either the lack of belief in a god, or the belief that there is none.« Während „there is none“ eine Frage nach „Gott“ verneinen kann, steht diesbezüglich das hier verwendete ‚lack’ ähnlich wie „Dasein ohne“ stellvertretend entweder für unreflektierte Indifferenz (Abwesenheit, Desinteresse, Fehlen, Gleichgültigkeit, Ignoranz, Unglauben, Unkenntnis und Unwissen) oder aber für philosophisch-reflektierte Indifferenz (Abstandsnahme, Infragestellen, Kritik, Nichtwissen, Positionierung, Skepsis, Urteilsenthaltung, Verzicht oder anders begründete Abgrenzung). </ref> <ref name="Spannbreite"> Vgl. Hans-Walter Schütte, Art. Atheismus (in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, S. 595–599, mit Zitat von J. G. Walch, Historische und theologische Einleitung in die vornehmsten Religions-Streitigkeiten, 1728, S. 673 f.): Zunächst sei ‚Atheismus’ durch seine „innewohnende Unbestimmtheit“ ein Ablehnungsbegriff gewesen. „Die Einteilung des Begriffs leitende Vorstellung beruht auf der Annahme, daß A im Sinne dieses [göttlichen] Beginns in ihren Grundlagen angefochten werde.“ Schütte zitiert L. Feuerbach, für den der „praktische Atheismus“ unter Berufung auf M. Luther eine Aneignung der Religionsgehalte sei und der „Selbstentfaltung des der menschlichen Natur innewohnenden Inhalts“ diene; ferner F. Nietzsche, für den der „Sieg des A[theismus] die Menschheit“ vom Schuldgefühl gegen ihren Anfang löse und der Atheismus „Bedingung für die Entstehung eines neuen Menschen“ ist. Vgl. auch H. Schnädelbach (Religion in der modernen Welt, 2009, S. 123): Er argumentiert (sich selbst als Atheist bezeichnend), dass das, was Feuerbach mit „praktische Atheismus“ gemeint habe, so praktisch geworden sei, „dass >Atheismus< selbst schon nicht einmal mehr Thema ist“; so dass in dieser Folge „unsere Kultur nicht nur postchristlich, sondern auch postatheistisch“ sei. </ref> <ref name="Sprachanalytische Differenz"> H. Schnädelbach markiert die aussagenlogische Differenz in folgender Weise: „Es gibt zwei Sorten von Atheisten. Die einen sind die konfessionellen Atheisten, die sagen: ‚Ich glaube, dass es Gott nicht gibt‘; sie vertreten eine Art Gegenkonfession zum Gottesglauben. Die schwächere Form des Atheismus besteht darin, zu sagen: ‚Ich glaube nicht, dass es Gott gibt.‘ Hier wird also nichts geglaubt und bekannt.“ (in: Berliner Zeitung, Interview v. P. Riesbeck, 20. März 2008 online). </ref> </references>