Ausbildungsplatzabgabe
Eine Ausbildungsplatzabgabe ist in Deutschland als politisches Mittel zur Steuerung des Ausbildungsplatzangebots spätestens seit Anfang der 1970er Jahre in der Diskussion. Unter ihr versteht man eine Sonderabgabe, die ein Betrieb an den Staat oder eine noch einzurichtende Stelle abführen muss, wenn der Betrieb nicht genügend Auszubildende beschäftigt. Das Geld, abzüglich des erforderlichen Verwaltungsaufwandes, soll der Subventionierung von Ausbildungsplätzen dienen. Eine derartige Ausbildungsplatzabgabe wurde unter dem Namen Berufsausbildungsabgabe im Ausbildungsplatzförderungsgesetz von 1976 beschlossen. Das Zustandekommen des Gesetzes wurde 1980 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt<ref>Urteil des BVerfG</ref>
Diese politische Diskussion nimmt regelmäßig an Heftigkeit zu, wenn das Angebot an Ausbildungsplätzen knapp wird im Verhältnis zu ausbildungswilligen Jugendlichen.
Andere Bezeichnungen für Ausbildungsplatzabgabe: Ausbildungsabgabe, Ausbildungsplatzumlage, Azubi-Abgabe, Ausbildungsumlage und Lehrstellenumlage, Berufsausbildungssicherungsabgabe.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Berufsausbildungsabgabe von 1976
In den Zeiten des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg war in Deutschland Vollbeschäftigung entstanden. Auch Lehrlinge hatten keine Probleme, eine Lehrstelle zu finden. Anfang der 1970er Jahre änderte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt: Eine Arbeitslosigkeit entstand, die Arbeitslosenquote stieg bis Mitte der 1970er Jahre auf 5 %. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war es nicht mehr selbstverständlich, dass jeder ausbildungswillige Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhielt. Die Sozialliberale Koalition verabschiedete 1976 das Ausbildungsplatzförderungsgesetz, in dem unter anderem die Berufsausbildungsabgabe verankert war. Es handelte sich um eine Sonderabgabe, die von den Unternehmen zu zahlen war. Mit dem Erlös sollte Überbetriebliche Ausbildung oder Zuschüsse zur betrieblichen Ausbildung finanziert werden. Das Bundeskabinett sollte jährlich überprüfen, ob Lehrstellenmangel (Maßstab war gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 APlFG ein Mindestüberhang von Ausbildungsplätzen in Höhe von 12,5 v. H. der angebotenen Ausbildungsplätze bestand). In Abhängigkeit dieser Prüfung konnte die Berufsausbildungsabgabe festgelegt werden.
Zu einer solchen Festlegung kam es nie, da die Lehrstellensituation dies nicht begründete. In seiner Entscheidung von 1980 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass dieses Gesetz der Zustimmung durch den Bundesrat bedurft hätte. Der Bundesrat hatte jedoch nie zugestimmt, womit das Gesetz nicht wirksam zustande gekommen war.
Gesetzentwurf von 2004
Am 7. Mai 2004 wurde die Ausbildungsplatzabgabe im Bundestag mit den Stimmen der Rot-Grünen Regierungskoalition verabschiedet. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement blieb der Abstimmung aus Protest fern. Am 11. Juni 2004 wurde das Gesetz aber mit großer Mehrheit im Bundesrat abgelehnt.<ref>das-parlament.de</ref>
Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD), Vizekanzler der schwarz-roten Bundesregierung, erklärte im Frühjahr 2006: „Eine Abgabe wird es nicht geben. Diese Diskussion ist abgeschlossen“.<ref>archiv.bundesregierung.de</ref>
Situation Anfang des 21. Jahrhunderts in Deutschland
Blieben Anfang der 1990er Jahre noch regelmäßig mehr als 100.000 Ausbildungsplätze pro Jahr unbesetzt, so ist diese Zahl bis zum 30. September 2003 auf 14.840 gefallen. Diesen offenen Stellen standen 35.015 Lehrstellenbewerber gegenüber, die keine Lehrstelle gefunden haben. Es wurde bereits 2004 befürchtet, dass mit Eintritt der Schulabgänger des Jahres 2004 in den Arbeitsmarkt sich dieses Missverhältnis noch beträchtlich verschlimmern wird. Da viele Unternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Situation nur wenige oder gar keine Lehrstellen anbieten können, wurden schon 2003 in der Politik Überlegungen angestellt, ausbildende Betriebe gegenüber nicht Ausbildenden besser zu stellen.
In der Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom 11. Oktober 2006 sind es bereits 49.500 Bewerber ohne Ausbildungsstelle (9000 mehr als 2005) gegenüber noch 15.400 unbesetzten Ausbildungsplätzen.<ref name="BA_11.10">arbeitsagentur.de</ref> Dabei werden allerdings schon seit einigen Jahren<ref name="BA_11.10" /> große Teile der lehrstellen- oder arbeitslosen Berufsanfänger unter den sogenannten „U25-Maßnahmen“ (Maßnahmen für Unterfünfundzwanzigjährige) im Hartz-Konzept unter ALG2 in meist einjährige sogenannte „berufsvorbereitende Maßnahmen“ verpflichtet (SGB II §2 „Grundsatz des Forderns“), wodurch sie offiziell<ref name="DGB-BA-Streit">presseportal.de</ref> als Lehrstellenbewerber aus der Statistik der Bundesagentur für Arbeit fallen. Vom DGB wird deshalb behauptet,<ref name="DGB-BA-Streit" /> dass die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ca. 100.000 weitere Jugendliche unterschlägt, die sich zusätzlich in „Warteschlangen“<ref name="DGB-BA-Streit" /> in diesen „berufsvorbereitende Maßnahmen“ befinden; jedoch wird diesbezüglich von der Bundesagentur für Arbeit behauptet,<ref name="DGB-BA-Streit" /> dass diese nicht in die Statistik gehören, da sie ja aktuell offiziell keine Lehrstelle suchen.<ref name="DGB-BA-Streit" />
Da Unternehmen weniger Lehrstellen anbieten als nachgefragt werden,<ref name="DGB-BA-Streit" /> wurden mehrfach von politischen Parteien Überlegungen angestellt, ausbildende Betriebe gegenüber nicht ausbildenden zu belohnen. Die angedrohte Einführung der Ausbildungsplatzabgabe durch die rot-grüne Bundesregierung<ref>http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID2235004,00.html → Erläuterung</ref> wurde 2003 nicht verwirklicht, da genügend Ausbildungsplätze bereitstanden. Als Ursachen vermutet wurden der Ausbildungspakt, aber auch die Bemühungen von Bundesminister Wolfgang Clement, der meinte: „Das Gesetz ist unnötig, wenn die Wirtschaft mitzieht“.<ref name="Clement">wdr.de</ref>
Kontroverse
Das Hauptziel einer Ausbildungsplatzabgabe ist es, die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen. Dies soll zum einen dadurch bewirkt werden, dass Unternehmen, die nicht ausbilden, finanziell belastet werden. Hierdurch entsteht ein finanzieller Anreiz bisher wenig oder nicht ausbildender Unternehmen zur Ausbildung von Lehrlingen. Allerdings kritisieren Gegner, dass damit ein Fehlanreiz geschaffen wird, da typischerweise Unternehmen in Wachtumsbranchen über- und in schrumpfenden Wirtschaftssektoren unterdurchschnittlich ausbilden. Damit entsteht ein Anreiz, Ausbildungsplätze in wenig zukunftsträchtigen Branchen zu schaffen. Da der Anreiz besonders auf Unternehmen wirkt, deren eigene Personalplanung keinen zusätzlichen künftigen Mitarbeiterbedarf sehen, sinke auch der Anteil der Lehrlinge mit einer Übernahme nach der Ausbildung.
Die Idee ist, die Anzahl der benötigten Lehrstellen eines Jahres festzustellen und aufgrund dieser Zahl jedem Betrieb eine Quote zuzuweisen, die er ausbilden müsste. Hat ein Betrieb weniger Auszubildende, als dieser Quote entsprechen, so muss er entsprechend in einen Ausbildungsfonds einzahlen. Aus diesem Fonds sollen dann die Betriebe unterstützt werden, die mehr Auszubildende eingestellt haben, als ihrer Quote entspräche und laufende sowie neue staatliche Ausbildungsprojekte für Jugendliche mitfinanziert werden (derzeit hauptsächlich Bundesanstalt für Arbeit). Zur Vermeidung von Härtefällen bei Kleinbetrieben soll diese Regelung nur für Betriebe mit mindestens zehn Beschäftigten gelten. Hiergegen richtet sich das Argument, dass die Frage nach der Anzahl der benötigten Lehrstellen (außer in einer Planwirtschaft) nicht durch eine zentrale Stelle festgestellt werden kann. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen ist keine fixe Größe. Die Schulabsolventen können sich anstelle einer Lehre auch für ein Studium, eine schulische Ausbildung oder auch gegen eine Ausbildung entscheiden. Entscheidend hierfür ist nicht die Anzahl der Ausbildungsplätze sondern ihre Ausgestaltung und die Branche, in der sie angeboten werden.
Auch die Frage, inwiefern das System der Dualen Ausbildung gestärkt oder geschwächt würde, wird kontrovers diskutiert. Die Diskussion um die Berufsausbildungsabgabe in den 1970er Jahren war ein Teil einer umfassenderen Diskussion, in der der DGB und Teile der politischen Linken, das System der Dualen Ausbildung quasi abschaffen und durch ein System staatlicher Berufsschulen ersetzen wollte, die durch Betriebspraktika einen Praxisbezug erhalten sollen. Hierdurch sollte der Einfluß der Unternehmen auf die Ausbildung eingeschränkt werden. Die Finanzierung sollte durch eine von der Wirtschaft zu zahlenden Ausbildungsumlage erfolgen. Auch aufgrund des heftigen Widerstandes der Wirtschaft, wurden diese weitreichenden Pläne nicht umgesetzt. Mit dem Ende der 1970er Jahre ebbten die Angriffe auf die Duale Ausbildung ab.<ref>Ulrich Eisenbach: Duale Berufsausbildung in Hessen, 2010, ISBN 978-3981226546, S. 324-328</ref> Die späteren Befürworter einer Ausbildungsplatzabgabe lehnten weitaus überwiegend das System der Dualen Ausbildung nicht mehr ab. Ob eine Ausbildungsplatzabgabe das System der Dualen Ausbildung stärkt oder Schwächt, hängt primär von der Mittelverwendung ab. Fließen die Mittel in Formen der überbetrieblichen Ausbildung, so wird die betriebliche Ausbildung geschwächt, werden die Mittel zur Subventionierung betrieblicher Ausbildung genutzt, erfolgt keine Schwächung.
Bei einer verstärkten Ausbildung in den Betrieben könnte auch die durch den Staat organisierte Ausbildung wieder zurückgefahren werden, zu der sich der Staat veranlasst sieht, um dem Mangel an Ausbildungsplätzen entgegenzuwirken. So könnte auch das duale System der Berufsausbildung in Deutschland wieder gestärkt werden. Durch die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe könnten sich Unternehmen auch nicht mehr ohne eigene Nachteile aus der Ausbildung zurückziehen – sie würden dann zumindest die Ausbildung in anderen Unternehmen mitfinanzieren, von der sie schließlich auch profitieren.
Nach Ansicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände führt die Abgabe zur Vernichtung von Arbeitsplätzen. Außerdem stehe sie den Zielen Bürokratieabbau, Senkung der Lohnnebenkosten und Stärkung der Tarifautonomie entgegen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hält das Konzept für zentralistisch und kritisiert es als Bekämpfung der Symptome statt der Ursachen. Das ifo Institut sieht eine Subventionierung bestimmter Branchen.<ref>bundestag.de</ref>
Politische Situation
Während die Gewerkschaften sowie die Linke<ref>linksfraktion.de</ref> für eine Ausbildungsplatzabgabe sind, sind CDU und Unternehmerverbände strikt dagegen. Die SPD ist momentan über diese Frage zerstritten, allerdings ist die Umlage seit dem Kölner Parteitag 1996 Beschlusslage der Partei.
Situation in anderen Ländern
Das System der Dualen Berufsausbildung ist außerhalb des deutschsprachigen Raumes selten. In anderen Ländern erfolgt vielfach auch die berufliche Ausbildung durch den Staat. Zur Finanzierung werden dort teilweise auch die Unternehmen über Ausbildungsplatzabgaben herangezogen. So müssen die Unternehmen in Frankreich seit 1925 eine Lohnsummensteuer von 0,5 % als Berufsausbildungsabgabe zahlen, in Brasilien besteht eine vergleichbare Abgabe mit einem Satz von 1 %.<ref>OECD: Bessere Kompetenzen, bessere Arbeitsplätze, ein besseres Leben: Ein strategisches Konzept für die Kompetenzpolitik, 2012, ISBN 9789264179479, S. 41, online</ref>
Siehe auch
Literatur
- Nützlich oder zu teuer? Wie die Ausbildungsabgabe die Unternehmer entzweit. In: Die Zeit, Nr. 15/2004
- Generation kann nix. In: Die Welt, 21. April 2004; Kommentar
Weblinks
- tagesschau.de-Dossier: Ausbildungsplatzabgabe – Sinn oder Unsinn?→ Erläuterung
- Experten sind mehrheitlich gegen geplante Ausbildungsplatzabgabe, heute im bundestag, 23. April 2004
Einzelnachweise
<references />