Backsteingotik
Die Backsteingotik, Norddeutsche Backsteingotik oder Norddeutscher Backsteinbau ist eine in Norddeutschland, den Nord-Niederlanden und dem Ostseeraum verbreitete Bauweise der Gotik. Die Verwendung von Backstein als Baustoff setzte in Nordeuropa im 12. Jahrhundert ein, die ältesten Bauten gehören deshalb noch der so genannten Backsteinromanik an. Im 16. Jahrhundert ging die Backsteingotik in die Backsteinrenaissance über.
Charakteristisch ist einerseits das überwiegende Fehlen von figurativen Bauplastiken, die mit Backsteinen nicht zu realisieren waren, andererseits die reiche Gliederung durch gemauerte Ornamente und Flächenstrukturierungen durch den Wechsel von roten und glasierten Ziegeln und weiß gekalkten Wandflächen.
Viele von der Backsteingotik geprägte Altstädte und Einzelbauten wurden in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.
Inhaltsverzeichnis
Verbreitung der Backsteingotik
Backsteinarchitektur findet sich in erster Linie in Gebieten, in denen es keine ausreichenden Vorkommen an Naturstein gibt. Dies ist insbesondere im norddeutschen Tiefland und östlich angrenzenden Gebieten südlich der Ostsee der Fall. Da sich dieses Gebiet weitgehend mit dem Einflussgebiet der Hanse deckte (mit Ausnahme Westfalens und des Rheinlandes), ist die Backsteingotik zu einem Symbol dieses Städtebundes geworden und neben der niederdeutschen Sprache ein wesentliches Element des norddeutschen Kulturraumes, insbesondere in den jüngeren Stadtgründungen und dem Kolonisationsgebiet nördlich und östlich der Elbe. Dieser Kulturraum umfasste im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit den gesamten südlichen Ostseeraum und hatte großen Einfluss auf Skandinavien. Die Südgrenze ist aber nicht scharf, wie in Deutschland die Bergkirche von Altenburg und der Rote Turm in Chemnitz zeigen, sowie in Polen die Kollegiatskirche (heute Kathedrale) von Sandomierz und das Długosz-Haus in Wiślica. An allen vier Orten bestand durchaus die Möglichkeit, Bruchstein zu gewinnen. Entlang der Oder erstreckt sich der Bereich der Backsteingotik vom Mündungsbereich mit Wolgast und Stettin von Stadt zu Stadt bis hinauf nach Racibórz (Ratibor) am Fuß des Sudetengebirges.
Im Nordwesten, vor allem entlang der Weser und Elbe, war der Transport von Sandstein relativ leicht möglich. Dies hatte eine Synthese der strengen Gestaltung der ostelbischen Gebiete mit der rheinländischen Architektur zur Folge. Backsteine dienten hier vor allem zur Aufmauerung der Wände, während der Sandstein zur plastischen Gestaltung eingesetzt wurde. Da dem Backstein keine eigene gestalterische Funktion zukam, stehen die meisten nordwestdeutschen Bauten außerhalb der Backsteingotik im engeren Sinne.
Außerhalb des klassischen Gebietes der Backsteingotik gibt es zudem eine Häufung gotischer Backsteinkirchen in Oberbayern. Herausragendes Beispiel ist die Frauenkirche in München (übrigens gleichermaßen eine Hallenkirche). Weitere sind die Liebfrauenmünster in Donauwörth und in Ingolstadt, die Stadtpfarrkirchen St. Jakob in Straubing und St. Johannes in Dingolfing, sowie in Landshut St. Martin, St. Jodok und die Heiliggeistkirche. Eine prominente gotische Backsteinkirche fern des Ostseeraums ist die Kathedrale von Albi im Süden Frankreichs. Auch dort gibt es einen regionalen Zusammenhang: Das nahe Toulouse ist ein Zentrum der Backsteinarchitektur, deren bekanntestes Zeugnis die romanische Basilika Saint-Sernin aus dem späten 11. Jahrhundert.
Backsteingotik im Ostseeraum
Im Zuge der deutschen Ostsiedlung wurden die slawischen Gebiete östlich der Elbe während des 12. und 13. Jahrhunderts von Kaufleuten und Kolonisten aus dem Nordwesten Deutschlands besiedelt. 1158 gründete Heinrich der Löwe Lübeck, 1160 eroberte er den slawischen Fürstensitz Schwerin. Die Siedlung ging mit der Christianisierung der Slawen einher und die Bistümer Ratzeburg, Schwerin, Cammin, Brandenburg und andere wurden eingerichtet.
Die neu gegründeten Städte schlossen sich bald zur Hanse zusammen und bildeten das wendische Quartier um das Zentrum Lübeck bzw. das gotländisch-livländische Quartier mit dem Vorort Tallinn (Reval). Die wohlhabenden Kaufmannsstädte der Hanse waren besonders von kirchlichen und profanen Repräsentationsbauten geprägt, wie Rats- und Pfarrkirchen, Rathäusern, Bürgerhäusern reicher Kaufleute oder Stadttoren. Im ländlichen Raum hatte die Klosterarchitektur der Orden einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung der Backsteinarchitektur, vor allem diejenige der Zisterzienser und Prämonstratenser. Zwischen Preußen und Estland sicherte der Deutsche Orden seine Herrschaft mit dem Bau zahlreicher Ordensburgen, die ebenfalls aus Backstein errichtet wurden.
Entwicklungsgeschichte
Kirchen aus Ziegelmauerwerk wurden schon in frühchristlicher Zeit errichtet, damals in demonstrativer Abgrenzung zur Marmorarchitektur heidnischer Tempel. Berühmte Beispiele dieser Epoche sind in Ravenna erhalten.
Nördlich der Alpen setzte sich die Backsteinarchitektur im 12. Jahrhundert durch, also noch in romanischer Zeit. Lange Zeit hatten in Norddeutschland Holzbauten dominiert, die sich jedoch nicht für Monumentalbauten eignen. Nicht so große Bauten von besonderer Bedeutung wurden vielerorts aus den in Moränengebieten vorhandenen Feldsteinen errichtet. Für kleinere Bauten, vor allem im bäuerlichen Bereich, blieb im gesamten Verbreitungsgebiet der Backsteingotik der Fachwerkbau bis weit in die Neuzeit hinein typisch. Je weiter und damit teurer der Transportweg für Bruchstein gewesen wäre, desto attraktiver wurden gebrannte Ziegelsteine als Baumaterial.
Der möglicherweise älteste in Backstein aufgeführte Sakralbau im Norden Deutschlands ist die 1149–1172 in romanischem Stil errichtete und später ebenfalls in Backstein erweiterte Klosterkirche in Jerichow.<ref>www.kloster-jerichow.de</ref> In der östlich anschließenden Mark Brandenburg wurde 1165 unter Albrecht dem Bären mit dem Bau des Brandenburger Doms begonnen. Wohl 1170–1173 wurde in einem der Stadt benachbarten Dorf die Brandenburger Nikolaikirche errichtet. Beim Wiederaufbau des Doms zu Havelberg nach einem Großbrand wurden Natur- und Backstein in bunter Mischung verwendet.
In den welfischen Gebieten begann der Einsatz von Backsteinen als Ersatzbaustoff für Naturstein mit dem Ratzeburger Dom (ab 1154), der Marienkirche in Segeberg (ab 1156)<ref>Ev-luth. Kirchengemeinde Bad Segeberg: Marienkirche</ref> und St. Johannis in Oldenburg (Holstein) (um 1157). Der Lübecker Dom, für den Heinrich der Löwe 1173 den Grundstein legte, wurde erst 1247 geweiht. Ein Jahrhundert früher, zwischen 1077 und 1119, war im fernen Toulouse überwiegend aus Backstein die Basilika Saint Sernin errichtet worden.
In Dänemark musste Naturstein ebenfalls aus großer Entfernung herbeigeschafft werden. Neben dem Dom zu Roskilde, der St.-Bendts-Kirche zu Ringsted (beide ab 1170) und weiteren zahlreichen Kirchen wurde auch das Schloss Nyborg (ebenfalls 1170) und andere weltliche Großbauten in Backstein errichtet. Der Dom zu Ribe besteht in seinen älteren Teilen aus Naturstein, wurde dann aber in Backstein erweitert. Auch der Dom im damals dänischen Schleswig wurde zunächst aus Granit und Tuffstein errichtet, später aus Backstein.
Die bekanntesten gotischen Backsteinbauten in Polen sind zwar Hinterlassenschaften des Deutschen Ordens und deutscher Bürger, aber auch Bauherren, die in Auseinandersetzung mit dem Deutschen Orden standen, schufen Werke der Backsteingotik. Beispiele sind die masowischen Herzogs</b>residenzen in Czersk und Płock, sowie die Johanneskathedrale in Warschau. Am Stilübergang von der Spätgotik zur Renaissance stehen die Barbakane von Krakau und Warschau.
Charakteristika der Backsteingotik
Die romanischen Backsteinbauten schließen noch eng an zeitgenössische Werksteinarchitektur an und übersetzen deren Formensprache in die neue Backsteintechnik. In gotischer Zeit entwickelt sich aber ein charakteristischer Stil der von Materialreduktion geprägt ist: Die Bauten sind oft sehr wuchtig, von monumentaler Größe, äußerlich aber eher schlicht und bei weitem nicht so grazil wie in südlichen Gegenden. Sie orientieren sich aber deutlich an den Kathedralen Frankreichs und der von dort ebenfalls beeinflussten Scheldegotik Flanderns.
In späterer Zeit setzten sich Techniken durch, die die Kirchen äußerlich anspruchsvoller gliederten: so kalkte man zurückstehende Wandflächen häufig weiß ein, so dass ein Farbkontrast zum dunklen Backsteinmaterial entstand. Außerdem fertigte man spezielle Formsteine an, die eine bessere Nachahmung der Bauplastik ermöglichten.
Der Backsteinziegel als Ausgangsmaterial
Das Ausgangsmaterial für die Ziegelherstellung ist Lehm, der im norddeutschen Flachland reichlich vorhanden war, so dass der Backstein sich dort als Ersatzbaustoff für Naturstein entwickelte.
Als Standard beim Bau repräsentativer Gebäude setzten sich Ziegel im sogenannten Klosterformat (etwa 28×15×9 cm bis 30×14×10 cm mit durchschnittlich 1,5 cm Fuge) durch. Im Gegensatz zur Werksteingotik wurden Klostersteine und Formziegel nicht in den Bauhütten, sondern von spezialisierten Betrieben außerhalb der Baustellen hergestellt.
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Ziegelmauer im „gotischen Verband“
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Backstein mit Glasur
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Formstein
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schwarz glasierter Formstein
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Backstein-Friese an der Dorfkirche Steffenshagen
Rezeption und Neuinterpretation
Im 19. Jahrhundert erlebte die Rezeption der Backsteingotik durch die Neugotik (auch: Neogotik) nach den 1860er Jahren eine neue Blüte. Wichtige Architekten dieser Stilrichtung waren z.B. Friedrich August Stüler in Berlin und Simon Loschen in Bremen. Ein bedeutendes Beispiel neugotischen Bauens im Stil der Backsteingotik ist Schinkels Friedrichswerdersche Kirche in Berlin.
Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die sogenannte Heimatschutzarchitektur als Stilrichtung der Architektur in Norddeutschland, insbesondere in Schleswig-Holstein das Bauen mit Backstein frei von neugotischer Verzierung, aber an traditionellen Vorbildern orientiert neu auf. Villen in diesem Stil prägen den Einfamilienhausbau teilweise bis heute. 1910 errichtet Adalbert Kelm die Marineschule Mürwik bei der er den Stil der norddeutschen Backsteingotik noch einmal aufgriff.<ref>Museen Nord, Marineschule Mürwik, abgerufen am: 5. Februar 2015</ref> Der Architekt Paul Ziegler, der an der Entwurfsplanung beteiligt war, erhielt danach eine Anstellung als Magistratsbaurat in Flensburg und widmete sich mit seinem Werk kurz darauf jedoch ebenfalls schon der neuen Heimatschutzarchitektur.
Baumeister der Backsteingotik
Nur wenige der mittelalterlichen Baumeister der Backsteingotik sind namentlich historisch überliefert. Unter den überlieferten wird als herausragendes Beispiel Hinrich Brunsberg genannt.
Siehe auch
Literatur
- Hans Much: Norddeutsche Backsteingotik. Georg Westermann, Braunschweig 1919 (Ideologische Grundlage der Wiederbelebung im Rahmen der "Heimatschutzbewegung")
- Hans Josef Böker: Die mittelalterliche Backsteinarchitektur Norddeutschlands. Darmstadt 1988. ISBN 3-534-02510-5.
- Gottfried Kiesow: Wege zur Backsteingotik. Eine Einführung. Monumente-Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn 20032, ISBN 978-3-936942-34-7.
- Angela Pfotenhauer, Elmar Lixenfeld: Backsteingotik. Monumente-Edition. Monumente-Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn 2000. Überarb. Auflage 20054. ISBN 978-3-936942-10-1.
- Fritz Gottlob: Formenlehre der Norddeutschen Backsteingotik: Ein Beitrag zur Neogotik um 1900. 1907. Nachdruck der 2. Auflage, Verlag Ludwig, 1999, ISBN 3-9805480-8-2.
- Gerlinde Thalheim (Redaktion) et al.: Gebrannte Größe – Wege zur Backsteingotik. 5 Bände. Monumente-Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn, Gesamtausgabe aller 5 Bände unter ISBN 978-3-936942-22-4.
- B. Busjan, G. Kiesow: Wismar: Bauten der Macht – Eine Kirchenbaustelle im Mittelalter. Monumente Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, 2002, ISBN 978-3-936942-24-8 (Bd. 2 der Gesamtausgabe der Ausstellungskataloge Wege zur Backsteingotik).
Weblinks
- Ausstellung Wege zur Backsteingotik 2002–2005
- Dauerausstellung Wege zur Backsteingotik in St. Georgen und St. Marien, Wismar
- Webseite der Europäischen Route der Backsteingotik
Einzelnachweise
<references />