Blindheit


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Klassifikation nach ICD-10
H54 Blindheit und Sehschwäche
ICD-10 online (WHO-Version 2013)
Datei:Caoguia2006.jpg
Blinder Mann mit seinem Blindenführhund

Unter Blindheit versteht man die ausgeprägteste Form einer Sehbehinderung mit gänzlich fehlendem oder nur äußerst gering vorhandenem visuellen Wahrnehmungsvermögen eines oder beider Augen. Sie kann angeboren (Geburtsblindheit) oder erworben sein. Die Aussichten auf eine Verbesserung oder gar Heilung sind abhängig von Krankheitsbeginn, Ursachen und - insbesondere in Ländern der Dritten Welt - generell dem Zugang zu entsprechenden Behandlungsangeboten. Davon unbenommen gibt es eine Reihe von Erkrankungen, für die es keinen wirksamen therapeutischen Ansatz gibt, und die deshalb als unheilbar gelten. Wenn eine Blindheit beide Augen betrifft, ist sie eine schwere Behinderung, bei der nach deutscher Gesetzgebung grundsätzlich ein Anspruch auf Beihilfe in Form von Blindengeld besteht. Er wird im jeweiligen Landesblindengeldgesetz oder als Blindenhilfe im Sozialgesetzbuch (SGB XII § 72) geregelt<ref>Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - § 72 Blindenhilfe</ref> (Hier ein Beispiel<ref>Bayerisches Blindengeldgesetz. Was ist Blindheit nach dem BayBlindG</ref>).

Definitionen

Behinderungsgrad

Sehrest auf dem jeweils besseren Auge
(mit optimaler Korrektur)

blind

Visus bis höchstens 0,02 oder
Röhrengesichtsfeld bis höchstens 5° oder
abgestufte Mischformen

hochgradig sehbehindert Visus zwischen 0,02 - 0,05
sehbehindert Visus zwischen 0,05 - 0,3

In Deutschland gilt nach den gesetzlichen Bestimmungen und Versorgungsrichtlinien eine Person als blind, wenn ihre Sehschärfe auf dem besseren Auge auch mit optimaler Brillen- oder Kontaktlinsenkorrektur höchstens 1/50 = 0,02 beträgt (etwas irreführend als „2 % oder weniger“ bezeichnet), oder wenn andere dauerhafte Störungen des Sehvermögens vorliegen, die dieser Beeinträchtigung gleichzusetzen sind. Nach Aussage der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) gilt dies beispielsweise für die konzentrische Einschränkung der äußeren Gesichtsfeldgrenzen auf höchstens 5 Grad (Röhrengesichtsfeld).<ref>Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit Nr. 23 Blindheit und hochgradige Sehbehinderung mit weiteren Beispielsfällen</ref> Nicht zur Blindheit in diesem Sinne gehören die Farbenblindheit (Achromatopsie) und die Nachtblindheit (Hemeralopie).

Zur Veranschaulichung: Eine Sehschärfe (Visus) von 1/50 = 0,02, die die Grenze zur Blindheit mit Anspruch auf Blindengeld darstellt, bedeutet, dass die gerade lesbaren Sehzeichen das 50-fache der Referenzgröße von 5 Sehwinkelminuten haben. Dies sind 4,17 Sehwinkelgrad, was einer Schriftgröße von 2,2 cm bei 30 cm Leseentfernung entspricht.

Eine Reduktion der Sehschärfe auf weniger als 0,3 auf dem besseren Auge wird als Sehbehinderung bezeichnet. Als hochgradig sehbehindert gilt, wer auf dem besser sehenden Auge mit optimaler Korrektur lediglich eine Sehschärfe von nicht mehr als 1/20 = 0,05 besitzt.

Die Definition von Blindheit oder Sehbehinderung erfolgt im juristischen Sinne immer unter Bezugnahme auf die betroffene „Person“ und nicht auf das Auge als „Organ“. Sehbehinderungen, hochgradige Sehbehinderungen und Blindheit können demgegenüber mit den jeweils genannten Grenzwerten auch einseitig – bei normalem visuellem Leistungsvermögen des gesunden Auges – auftreten. Dies führt zwar unter medizinischen Gesichtspunkten zu einer einäugigen (monokularen) Sehbehinderung oder Blindheit, die betreffende Person gilt im juristischen Sinne jedoch nicht als blind oder sehbehindert, so dass hier in der Annahme eines ausreichenden Orientierungsvermögens trotz praktischer Einäugigkeit auch kein Anspruch auf Versorgungsleistungen besteht.

Amaurose

Gegenüber dem Begriff „Blindheit“ bezeichnet der medizinische Fachausdruck Amaurose ausschließlich die vollständig fehlende Lichtscheinwahrnehmung eines oder beider Augen bei Verlust jeglicher optischer Reizverarbeitung (Vollblindheit).<ref>Pschyrembel klinisches Wörterbuch. Mit klinischen Syndromen und Nomina Anatomica. = Klinisches Wörterbuch. Bearbeitet von der Wörterbuchredaktion des Verlages unter der Leitung von Christoph Zink. 256., neu bearbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1990, ISBN 3-11-010881-X.</ref>

Ursachen und Verbreitung

Datei:Erblindung1.gif
Ursachen für Erblindung in Deutschland

Grundsätzlich kann jede Störung einer Struktur des visuellen Systems zu einer Erblindung führen.

Nach dem WHO-Report von 2004 leben in Deutschland 164.000 (0,2 %) blinde und 1.066.000 (1,3 %) sehbehinderte Menschen. In Deutschland erblinden jährlich ca. 10.000 Menschen neu (Inzidenz 12,3/100.000) und ca. 160 Kinder werden blind geboren (2 von 10.000). Während es zwischen 1990 und 2002 nur zu einem moderaten Anstieg der Blindheit um 9 % gekommen ist, konnte ein Anstieg von Sehbehinderungen um 80 % registriert werden. Dies ist vor allem auf die erhöhte Lebenserwartung zurückzuführen. Während bei Menschen bis zum 39. Lebensjahr die Optikusatrophie als häufigste Erblindungsursache gilt, ist dies in der Altersgruppe vom 40. bis 79. Lebensjahr die Diabetische Retinopathie und ab dem 80. Lebensjahr die altersbedingte Makuladegeneration, gefolgt vom Glaukom. Da 48 % aller Erblindungen ab dem 80. Lebensjahr auftreten, ist die altersbedingte Makuladegeneration insgesamt die häufigste Ursache für Erblindung in Deutschland. 68 % aller Neuerblindungen betreffen Frauen. Hauptgrund dafür dürfte sein, dass Frauen aufgrund ihrer wesentlich höheren Lebenserwartung in dieser Altersgruppe überproportional vertreten sind.

Weitere Erschwernisse und Beeinträchtigungen

Blindheit geht immer mit einer Einschränkung des räumlichen Orientierungsvermögens einher. Dieses kann aber auf akustische und taktile Weise erweitert werden. Eine Reihe blindenspezifischer Hilfsmittel erleichtert das tägliche Leben, jedoch können diese in mehrerlei Hinsicht zu gewisser Abhängigkeit führen. Eine unabhängige, selbständige Lebensführung ist Ziel der meisten Betroffenen; häufig bleibt jedoch eine relative Hilfsbedürftigkeit bestehen. Oft führen mangelnde Bildungsmittel,<ref>Chancengleichheit erreichen </ref> Berufschancen<ref>konkrete Situation von blinden und sehbehinderten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt, in spezial 5: DVBS-Wegweiser Sozialpolitik</ref><ref>Behindert im Beruf: Blind, nicht blöd, FAZ vom 23. Oktober 2008 </ref>, reduzierte autonome Mobilität<ref>Akustische Orientierung und Mobilität</ref> und Sozialkontakte zu Problemen, die sich in sozialem Rückzug ausdrücken können. Verstärkt werden diese Umstände oft durch ein Bild in der Öffentlichkeit, das häufig von Vorurteilen und Unkenntnis geprägt erscheint.

Eine infrastrukturelle, gesellschaftliche und kulturelle Öffnung gegenüber den Bedürfnissen von Menschen, die visuell beeinträchtigt sind, ist für alle Menschen von Bedeutung. Ein Vorbild dafür ist die Stadt Marburg mit der dort ansässigen Blindenstudienanstalt, die seit Jahrzehnten bei der Förderung und Ausbildung von Menschen, die blind oder sehbehindert sind, beispielhaftes leistet.<ref>Horst Köhler für gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern</ref> Wesentlich dabei sind nicht nur das Vorhandensein entsprechender Hilfsmittel wie Ampelanlagen mit akustischer Signalgebung oder Speisekarten in Brailleschrift, sondern auch die Umsetzung einer konsequenten Inklusion aller Menschen von Anfang an und die Einbeziehung unterschiedlicher Bedürfnisse in das gesamte infrastrukturelle, gesellschaftliche, kulturelle und städtebauliche Gefüge einer Stadt.<ref>Internationaler Audiodienst (iad) Blindenstadt Marburg</ref>

Schulung, Medien und Hilfsmittel

Förderung

Da therapeutische Optionen in Fällen von Blindheit häufig nicht bestehen, kommt spezifischen Schulungsmaßnahmen (Rehabilitation) eine große Bedeutung zu. Ziel ist hierbei vor allem, blinden Menschen eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung zu ermöglichen, die allgemein als höhere Lebensqualität empfunden wird.

Insbesondere bei blinden und sehbehinderten Kindern ist eine Frühförderung, die gleich nach der Geburt einsetzt, von entscheidender Bedeutung. Später sollte diese entweder im Rahmen von spezialisierten Kindergärten und Förderschulen, oder integriert in Regelkindergärten, weitergeführt werden. Frühförderung ist eine sichere Voraussetzung, um die intellektuelle Entwicklung, Eigenständigkeit und die beruflichen Chancen eines Menschen, der blind geboren oder früh erblindet ist, erfolgreich gestalten zu können.

Siehe auch: Deutsche Blindenstudienanstalt, Blindenanstalt Nürnberg, Nikolauspflege, Berufsförderungswerk Würzburg, Blindeninstitutsstiftung

Medien

Die 1825 von Louis Braille entwickelte Punktschrift, die sogenannte Brailleschrift, ermöglicht blinden Menschen das Lesen und Schreiben von Texten. Andere Blindenschriftsysteme wurden fast vollständig von der Brailleschrift verdrängt. Das Schreiben von Texten ist z. B. mit einer Punktschriftmaschine wie dem Perkins-Brailler möglich. Die erste Schreibmaschine für Punktschrift wurde bereits 1899 von Oskar Picht erfunden. Es gibt heute auch Braillezeilen und Braille-Drucker für den PC.

Blindenbüchereien und gemeinnützige Vereine produzieren und verleihen Bücher, Zeitschriften und Texte im Audio- und Punktschriftformat. Im deutschsprachigen Raum haben diese Bibliotheken und Vereine sich zur Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen, kurz Medibus, zusammengeschlossen.<ref>Geschichte und Aufgaben der Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e.V. (Medibus)</ref> Es sind lediglich dreizehn Kinderbücher als taktile Bilderbücher, Leselernbücher oder Sachbücher für Vorschulkinder im deutschsprachigen Raum verfügbar<ref>Bücher für blinde Kinder</ref>. Darüber hinaus gibt es wenige Foliensammlungen in Aktenordnern. Das verbreitetste Ausleihmedium sind Tonträger. Der Versand erfolgt portofrei als Blindensendung. Früher wurden Hörbücher und Hörzeitschriften auf heute veralteten Kompaktkassetten verliehen, zwischen 2004 und 2010 wurde auf CDs im DAISY-Format umgestellt. DAISY ist der Name eines weltweiten Standards für navigierbare und barrierefrei zugängliche Multimedia-Dokumente. Die Abkürzung DAISY steht für „Digital Accessible Information System“. Auch kommerzielle Hörbücher ermöglichen blinden Menschen einen Zugang zur Literatur.

Einige Fernsehsender senden Filme im Zweikanalton, bei denen auf dem zweiten Kanal per Audiodeskription die Handlung erzählt wird. Diese Methode wird auch in Kinofilmen eingesetzt, häufig über Kopfhörer, man spricht dann von einem Hörfilm.

Tastgrafiken auf Schwellpapier und Taktile Karten helfen blinden Menschen, Bilder und räumliche Verhältnisse zu „begreifen“. In bekannten Bauwerken werden manchmal ertastbare Modelle der Anlage bzw. Gebäude aufgestellt.

Daneben senden einige lokale Hörfunksender im deutschsprachigen Raum regionale Nachrichten für Sehbehinderte, bei denen örtliche Zeitungen vorgelesen werden. Vor allem im englischsprachigen Ausland gibt es darüber hinaus den sogenannten Radio Reading Service (deutsch: Radio-Vorlese-Dienst), in dem in der Regel ganztägig Nachrichten und Literatur für Sehbehinderte oft live vorgelesen werden. Einige dieser Dienste sind per Live-Stream auch bei uns über das Internet zu empfangen. Der Podcast hat sich zum beliebten Medium für Unterhaltung und Informationsaustausch über das Internet etabliert.

Computernutzung

Blinde Menschen können Computer mit Hilfe einer sogenannten Screenreader-Software für Windows wie COBRA oder JAWS oder den kostenlosen NVDA und für Apple Computer mit dem bereits im System integrierten VoiceOver bedienen. Screenreader stehen auch für Smartphones auf Basis der Betriebssysteme Google Android und Apple iOS zur Verfügung und bieten dadurch die Möglichkeit, Kommunikations- und Navigationssoftware auch unterwegs zu nutzen. Der Bildschirminhalt und die Bedienelemente werden von einer Sprachausgabe vorgelesen oder in Punktschrift auf einer Braillezeile ausgegeben. Auf der PC-Tastatur wird im Zehnfingersystem geschrieben und die Navigation erfolgt mittels Tastenkombinationen und den Cursortasten anstatt mit einer Maus. Auf Papier gedruckte Texte wie Bücher und Briefe können mit einem Scanner und einer Texterkennungssoftware gelesen werden. Blinde Internet-Nutzer sind auf eine barrierearme Gestaltung von Webseiten angewiesen.

Da viele Menschen erst im hohen Alter erblinden und Schwierigkeiten beim Erlernen der Bedienung eines PCs haben, gibt es spezielle Vorlesesysteme, mit denen gedruckte Texte einfach erfasst, gespeichert und vorgelesen werden können.

Mobilität

Blinde Menschen können sich nach einem Orientierungs- und Mobilitätstraining (O&M) einigermaßen selbständig in ihrer Umwelt zurechtfinden. Ein ähnliches Angebot besteht für den Bereich der Lebenspraktischen Fertigkeiten (LPF). Der richtige Gebrauch eines weißen Langstocks schützt vor Zusammenstössen und Abstürzen und kann zur Orientierung im Nahbereich wertvolle Informationen liefern, ebenso das Gehör und der Geruchssinn. Von Geburt an blinde Menschen verfügen dabei über einen gewissen Vorteil gegenüber später Erblindeten, höchstwahrscheinlich, weil sie dafür neuronale Kapazitäten des visuellen Kortex (Sehrinde) im Gehirn mitnutzen:<ref>Laurent A. Renier, Irina Anurova, Anne G. De Volder, Synnöve Carlson, John VanMeter, Josef P. Rauschecker: Preserved Functional Specialization for Spatial Processing in the Middle Occipital Gyrus of the Early Blind. In: Neuron. Bd. 68, 2010, ISSN 0896-6273, S. 138–148, doi:10.1016/j.neuron.2010.09.021.</ref> Diese sog. aktive menschliche Echoortung<ref>"Aktive menschliche Echoortung (Klicksonar)"</ref> kann das Sehen mit den Augen teilweise imitieren<ref>"Wie sich Blinde per Echoortung (Klicksonar) orientieren"</ref>.

Frühförderung

Für die erfolgreiche Entwicklung eines Kindes, das blind geboren wurde, ist es von entscheidender Bedeutung, alle Entwicklungsstufen und -schübe analog zu sehenden Kindern altersadäquat zu ‚durchlaufen‘.<ref> - Informationskampagne zur beruflichen Teilhabe sehbehinderter Menschen

Einzelnachweise

<references/>

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