Audiodeskription
Audiodeskription, auch als akustische Bildbeschreibung oder seltener als Audiokommentierung bezeichnet, ist ein Verfahren, das blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen soll, visuelle Vorgänge besser wahrnehmen zu können. Dabei wird die Handlung mit einem akustischen Kommentar versehen, um sie für das Publikum erfassbar zu machen.
Bei Filmen und in Fernsehsendungen ergänzt sie die Untertitelung oder Übersetzung in Gebärdensprache für Gehörlose. Weitere Einsatzgebiete sind: Schauspiel und Musiktheater, Touristische Angebote wie Stadtführungen, Naturerlebnispfade und Live-Sportereignisse. Der Begriff wird auch in Museen verwendet, in denen die Besucher durch einen im Vorhinein aufgezeichneten Audiokommentar nähere Informationen zu den gezeigten Exponaten erhalten können.
Inhaltsverzeichnis
Hörfilm
„Das Augenpaar eines Mannes. Er sieht nach links, nach rechts, geradeaus. Um sein rechtes Auge schließt sich ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz reißt auf. Die verschwommene Silhouette eines Mannes. Er hält sich die Hände schützend vors Gesicht. Rennende Beine auf nassem Asphalt. Weiße Linien formieren sich zu einem Fingerabdruck. Tatort.“
In Hörfilmen, wie im Vorspann zur ARD-Serie Tatort besteht das Ziel der Beschreibung darin, aus der Fülle von visuellen Informationen eine sinnvolle Auswahl zu treffen, diese sprachlich genau zu fixieren und den Text in die Dialog- oder Gesangpausen einzupassen. Die beschreibenden Texte konzentrieren sich vor allem auf Elemente wie etwa die Schauplätze, das Aussehen der handelnden Personen, Mimik und Gestik. Dabei soll die Atmosphäre einer Szene unbeschadet bleiben, daher müssen die Kommentare möglichst kurz sein. Besondere Beachtung finden spezielle Gestaltungsmittel und -effekte oder Passagen bei denen der Originalton nicht synchronisiert sondern nur untertitelt wurde.
Die Filmbeschreibungen werden von erfahrenen Autorenteams erarbeitet. Diese Teams bestehen aus zwei sehenden Autoren und einem blinden Autor. Die Kosten für die Produktion eines 90-minütigen Hörfilms belaufen sich auf ca. 5000 Euro.<ref name="Bohlmann">Anne Bohlmann: Zum neunten Mal prämiert der Deutsche Hörfilmpreis blindengerechte Filme: Bilder zum Hören. In: berliner-zeitung.de. Berliner Zeitung, 15. März 2011, abgerufen am 8. Mai 2013. </ref>
Derartige Filme werden als TV-Ausstrahlung und teilweise in Kinos angeboten, wo sie über Funkkopfhörer empfangen werden können. Daneben sind oft DVDs erhältlich, die neben der Originaltonfassung eine akustische Bildbeschreibung enthalten. So erschienen im Jahr 2010 11 Hörfilme neu, insgesamt sind damit im deutschsprachigen Raum etwa 100 Titel erhältlich.<ref name="Bohlmann" />
Hörfilme im Fernsehen
Am 11. Oktober 1993 strahlte das ZDF mit Eine unheilige Liebe in Deutschland erstmals einen Hörfilm aus.<ref>Wenn aus Bildern Worte werden … – 20 Jahre Hörfilm in Deutschland. In: hoerfilmev.de. Hörfilm E.V., abgerufen am 23. März 2013. </ref> Der ORF folgte im Jahr 2004 und sendete als ersten Hörfilm eine Folge der Krimiserie Der Alte.<ref>"Auftrag für einen Mord" als erster Hörfilm des ORF. In: Pressemitteilung. ORF, 19. Februar 2004, abgerufen am 5. Juni 2014. </ref>
Bis zur Digitalisierung des Fernsehempfangs wurden Hörfilme noch mit Hilfe des Zweikanaltons ausgestrahlt. Dies hatte zur Folge, dass derartige Filme nur mono gesendet werden konnten (z.B. Hörfilmton links, „normaler“ Ton rechts). Dies war eine technisch unbefriedigende Lösung, da viele Zuschauer ihr Fernsehgerät nicht so einstellen konnten, dass nur einer der beiden Tonkanäle zu hören war. Bei manchen Fernsehern fehlte diese Option ganz.
Abgesehen von derlei technischen Schwierigkeiten standen auch andere Probleme der Verbreitung von Hörfilmen im Weg. Etwa der produktionstechnische Aufwand und nicht vorhandene Finanzen der Sender. Auch die Frage wie viele Blinde und Sehbehinderte überhaupt in der Lage sind, Audiodeskriptionen zu empfangen, spielte eine Rolle. Beispielsweise war (und ist) es bei analogen Kabelnetzen von deren Betreibern abhängig, ob mehrere Tonspuren eingespeist werden oder nicht. Auch beim Antennen- und Satellitenfernsehen waren nicht alle Ausstrahlungen einheitlich.
Nach der Digitalisierung findet man die Audiodeskriptionen heute in der Regel auf einer zweiten (eigenen) Stereotonspur. Über die Tonspur 1 wird der Originalfilmton empfangen, auf der Tonspur 2 ist die Mischung aus Originalfilmton und Bildbeschreibung zu hören (auf der Tonspur wird der Ton zum Beispiel in Dolby Digital Codierung übertragen). Bei digitalem Empfang wird die Tonspur am Empfänger (DVB-T, DVB-S oder DVB-C) eingestellt.
Besonders in den letzten Jahren haben die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland, der Schweiz und Österreich ihre Bemühungen spürbar verstärkt.
Produktion der Hörfilme (Audiodeskription)
Bezüglich der Produktion gibt es verschiedene Vorgangsweisen, so erstellt der Bayerische Rundfunk Hörfilme selbst, andere Sender vermitteln ihre Aufträge nur an die deutsche Hörfilm gGmbh, ein Tochterunternehmen des deutschen Blindenverbandes. Für den ORF ist die Firma Audio2 im Einsatz.<ref>Angaben auf der Audio2-Website, abgerufen am 14. Dezember 2015.</ref>
Die schweizerische SRG hat sich dazu verpflichtet, pro Sprachregion und Jahr mindestens 24 Hörfilme auszustrahlen. Im Jahr 2014 wurde diese Maßgabe in den 3 Sendesprachen deutlich überschritten, z.B. mit 112 Audiodeskriptionen im SRF-Programm.<ref>SRG SSR Geschäftsbericht 2014: Solidarität</ref> Eine eigene Produktion besteht nicht. Die gesendeten Audiodeskriptionen werden aus Deutschland und Österreich übernommen.
Zwar wurde Sat.1 im Jahr 2003 mit einem deutschen Hörfilmpreis bedacht, weil der Sender die Audiodeskription zu La Strada – Das Lied der Straße finanziert hatte,<ref>Ein Abend der leisen Töne. In: welt.de. die Welt, 22. Mai 2003, abgerufen am 7. Mai 2013. </ref> ansonsten strahlt das Privatfernsehen im deutschsprachigen Raum jedoch keine Bildbeschreibungen aus,<ref name="Bohlmann" /> teils mit der Begründung, dass dies technisch nicht möglich sei.<ref>Fußball auf ATV mit Barrieren: Blinde und sehbehinderte Menschen müssen auf ÖFB-Website ausweichen. In: blindenverband.at. Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, 5. November 2012, abgerufen am 7. Mai 2013. </ref>
International ist die Verbreitung von Hörfilmen sehr unterschiedlich ausgeprägt, so versucht die BBC mit Audiodeskriptionen ihr Programm für Behinderte attraktiver zu machen und verfügt dementsprechend mittlerweile über ein großes Angebot an derartig bearbeiteten Serien. Diese Sendungen können seit einiger Zeit von britischen Internetnutzern über den sogenannten „BBC iPlayer“ angesehen werden. Nach eigener Aussage ist die BBC damit der erste Fernsehsender der Welt, der seine Hörfilminhalte im Internet verfügbar macht.<ref>BBC iPlayer audio description is now available, BBC Internet blog.</ref>
Liste der Sendungen
Unter anderem werden folgende regelmäßige Sendungen deutschsprachiger Sender mit akustischer Bildbeschreibung angeboten:
- 37 Grad
- Abenteuer Erde
- Dahoam is Dahoam
- Damals war's (MDR)
- Der Landarzt
- Die Bergretter
- Die Rosenheim-Cops
- Familie Dr. Kleist
- In aller Freundschaft
- Küstenwache
- Notruf Hafenkante
- Polizeiruf 110
- Tatort
- Tierärztin Dr. Mertens
- Um Himmels Willen
- Weissensee
Live-Audiodeskription im Fernsehen
Diese Art der Bildbeschreibung kann natürlich nicht voraufgezeichnet werden, stattdessen erklären die Sprecher das Geschehen (etwa ein Fußballspiel) für die Zuschauer. Dabei beschränken sie sich nicht immer nur auf die Vorgänge auf dem Rasen, sondern kommentieren mitunter Fernsehbilder aus dem Publikum, was für den Zuschauer einen gewissen Unterhaltungswert haben kann.<ref>Marc Carnal: Meine EM-Helden, fm4.orf.at, 24. Juni 2012</ref>
Im Jahr 2009 begann der Österreichische Rundfunk damit, Sportübertragungen mit einem "Live-Audiokommentar" zu versehen. Nachdem zunächst nur Bundesliga-Spiele und Länderspiele der österreichischen Nationalmannschaft deskribiert wurden, dehnte der ORF die Berichterstattung auf immer mehr Sportarten aus, sodass mittlerweile ein großer Teil des Sportprogramms von ORF 1 audiokommentiert wird. Der Live-Kommentar fand seither auch abseits von Sportübertragungen Verwendung, etwa bei der Heirat von Prinz William und Catherine Middleton oder bei Berichten aus dem Vatikan (Weihnachts- und Osterfeierlichkeiten).
Am 19. Januar 2013 wurde Wetten, dass..? erstmals mit einem Audiokommentar versehen.<ref>Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich: „Wetten dass..?“ ab Samstag barrierefrei, Pressemeldung, 15. Januar 2013</ref>
ARD und ZDF gehen einen anderen Weg: Seit Herbst 2013 werden auch dort Audiodeskriptionen bei Fußballspielen gesendet. Allerdings greift man hier auf die Reportagen des ARD-Hörfunks zurück.<ref>TV meets Radio – Audiodeskription bei der Fußball-WM 2014. In: Pressemitteilung. ARD, 16. Mai 2014, abgerufen am 7. August 2015. </ref>
Liste der regelmäßigen Sendungen mit Live-Audiodeskription
- Dancing Stars (ORF)
- Wetten, dass..? (ZDF & ORF)
- Länderspiele der österreichischen Fußball Nationalmannschaft (ORF)
- Behindertensportmagazin (ORF SPORT +)
- Spiele der österreichischen Fußball Bundesliga auf ORF EINS
- Formel 1 (ORF)
- Vierschanzentournee (ORF)
- Schirennen des alpinen Skiweltcups aus Österreich (ORF)
- wiederkehrende Großsportveranstalltungen auf ORF: Olympische Sommerspiele, Fußball-WM, Fußball-Europameisterschaft, Nordische Skiweltmeisterschaft, Alpine Skiweltmeisterschaft
- Heilige Papstmessen aus Rom
Andere Nutzungsmöglichkeiten
Natürlich sind Audiodeskriptionen nicht nur im Fernsehen verwendbar. Sie lassen sich auch an bestimmten Orten nutzen, um etwa in einem Theater nicht nur die Dialoge der Schauspieler zu hören, sondern auch ihr Handeln auf der Bühne verfolgen zu können. Derartige Projekte werden meist mittels schwacher UKW-Sender umgesetzt. Diese sind nur in einem kleinen Radius zu empfangen und können mittels handelsüblicher Radiogeräte gehört werden.<ref>Theater4all, oe1.orf.at, abgerufen am 17. März 2013</ref> Auch für Sportveranstaltungen gibt es derartige Sender, deren Programm teilweise über Live-Stream im Internet gehört werden kann.<ref>Bundesliga on Ear, ein Angebot in österreichischen Fußballstadien</ref>
Besonders hier verwischen die Grenzen zwischen speziell für Blinde produziertem und „gewöhnlichem“ Fußballradio wie 90elf. Auch die Bundesligakonferenz im ARD-Hörfunk ist prinzipiell vergleichbar. Die Situation für den Hörer ist dieselbe: Er kann ein Fußballspiel nicht sehen, weshalb die Kommentatoren die Szenen besonders genau beschreiben.
Im Jahr 2011 zeigte der österreichische Modekonzern Palmers einen Werbespot, der u.a. mit dem Mittel der Audiodeskription arbeitete.<ref>Video ohne Audiodeskription, Video mit Audiodeskription</ref>
Literatur
- Bernd Benecke: Audiodeskription als partielle Translation: Modell und Methode. LIT Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-643-12367-1.
- Ulla Fix: Hörfilm – Bildkompensation durch Sprache. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-503-07932-7.
Weblinks
- Hörfilm e.V. – Vereinigung Deutscher Filmbeschreiber, mit Hörfilmdatenbank
- Deutsche Hörfilm gGmbH
- Deutscher Hörfilmpreis
- Football4all – Interessenvertretung beeinträchtigter Sportfans
- Theater4all – Theater für Blinde und Sehbehinderte
Einzelnachweise
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