Heinrich Fink
Heinrich Fink (* 31. März 1935 in Korntal, heute im Gebiet des ukrainischen Landkreises Sarata) ist ein deutscher evangelischer Theologe und ehemaliger Hochschullehrer. Er war 1990–1992 Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde nach seiner Enttarnung als ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit entlassen. 1998–2001 war er Bundestagsabgeordneter der PDS, von 2003 bis 2014 war er Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), 2014 wurde er zum Ehrenvorsitzenden bestimmt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Jugend
Fink stammt aus einer bessarabiendeutschen pietistischen Bauernfamilie, die im Zweiten Weltkrieg in den annektierten Teil Polens umgesiedelt worden war und die es schließlich nach Glienicke (bei Ziesar) in Brandenburg verschlagen hatte. Bis 1954 besuchte Fink die Schule in Glienicke, Brandenburg (Havel) und Genthin, war aktiv in der Jungen Gemeinde und trat der Freien Deutschen Jugend bei.
Wissenschaftliche Laufbahn
Von 1954 bis 1960 studierte Fink evangelische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und besuchte auch Lehrveranstaltungen an den Universitäten in Berlin (West). 1958/59 unterbrach er sein Studium für eine Tätigkeit als Reisesekretär der Evangelischen Studentengemeinde und arbeitete ab 1958 im Weißenseer Arbeitskreis mit. Nach einem Vikariat 1960/1961 in Halle an der Saale wurde Fink Wissenschaftlicher Assistent an der HU.
Mit der Dissertation „Begründung der Funktion der Praktischen Theologie bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Eine Untersuchung anhand seiner praktisch-theologischen Vorlesungen“ promovierte Fink 1966 an der HU. 1978 erfolgte dort die Habilitation in der Praktischen Theologie nach der jahrelang verzögerten Vorlage einer B-Promotion „Karl Barth und die Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz“, die mit Praktischer Theologie nichts zu tun hatte. Am 1. September 1979 wurde er an der HU zum Professor für Praktische Theologie berufen. Die Sektionsgewerkschaftsleitung legte gegen das Verfahren, an dem kein Fachvertreter der Praktischen Theologie beteiligt war, wie gegen die Ernennung Finks zum Professor für Praktische Theologe vergeblich Einspruch ein.<ref>Wolf Krötke: Die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin 1945–2010 (PDF; 849 kB) S. 72.</ref> 1980 wurde er Dekan der Theologischen Fakultät, 1990 wählte man ihn zum Rektor der HU. Peer Pasternack bezeichnete diese Wahl als freie Wahl.<ref>Geisteswissenschaften in Ostdeutschland. (PDF; 1,0 MB) 1995: S. 266.</ref> 1992 entließ ihn die Hochschule aufgrund seiner Rolle als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit.
Gesellschaft und Politik
1961 wurde Fink Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz und saß deren staatsnahem DDR-Regionalausschuss zeitweise vor. Mehrere Dienst- und Vortragsreisen führten ihn dabei in das westliche Ausland.
Von 1978 bis 1990 war er Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Region Ost). Fink galt in der DDR als konform und staatsloyal.<ref name="wwwddr">Jan Wielgohs: Heinrich Fink. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1, Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.</ref> Am 8. Oktober 1989 wurde er bei einem Einsatz von Kräften der Volkspolizei und des Ministeriums für Staatssicherheit gegen Demonstranten vor der Berliner Gethsemane-Kirche verletzt, er arbeitete dann bei der diesbezüglichen Untersuchungskommission der Stadtverordnetenversammlung mit.<ref name="wwwddr" /> Im Dezember 1989 leitete er den Runden Tisch der HU.<ref name="wwwddr" /> 1992 war Fink Mitbegründer des „Komitees für Gerechtigkeit“.<ref>Der Professor und die Stasi. In: Die Zeit, Nr. 12/1997.</ref> Von 1998 bis 2001 war er als Parteiloser für die PDS Mitglied des Deutschen Bundestages. Von November 2003 bis Mai 2014 war er Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Auf deren Bundeskongress 2014 wurde er zum Ehrenvorsitzenden bestimmt.<ref>Heinrich Fink Ehrenvorsitzender.</ref>
Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit
Am 11. Juni 1968 warb das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Fink als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM). Seine IM-Akte dokumentiert das Anwerbegespräch am 11. Juni 1968, enthält Spitzelberichte, darunter auch einen handschriftlich in Ich-Form verfassten, Beurteilungen, Belege für Orden, Geldprämien, Geschenke, regelmäßige Treffen mit seinem Führungsoffizier bis zum letzten Treffbericht vom 7. Oktober 1989. Er berichtete der Staatssicherheit auch über seine Dienstreisen ins Ausland.<ref>Sven Vollrath: Zwischen Selbstbestimmung und Intervention: der Umbau der Humboldt-Universität 1989–1996. S. 116.</ref> Die Stasi lobte, dass er „von sich aus auf Einzelpersonen aufmerksam“ gemacht und seine Informationen auch aus „Beichtgeheimnissen und vertraulichen seelsorgerlichen Gesprächen zur Verfügung“ gestellt habe.<ref>Renate Oschlies: Der Denunziant. In: Berliner Zeitung, 16. Juni 2005</ref><ref name="akte aus dem sack">Akte aus dem Sack. In: Der Spiegel. Nr. 19, 2005 (online).</ref> Fink wurde bei der für die Bespitzelung der Kirchen zuständigen MfS-Hauptabteilung XX/4 unter dem Decknamen „Heiner“ mit der Kennziffer XV/1827/68 geführt.<ref>Verfassungsschutzbericht 2005. Bundesministerium des Innern, Berlin 2006, S. 172.</ref><ref name="bz">Stasi-Überprüfung von Fink. In: Berliner Zeitung, 4. Dezember 1998.</ref>
Auf Anweisung des Chefs der Abteilung, Oberst Wiegand, veranlasste Finks Führungsoffizier Klaus Roßberg die Vernichtung großer Teile der Akte von IM „Heiner“ am 6. Dezember 1989.<ref name="bz" />
Nachdem 1991 Teile von Finks 1989 weitgehend zerrissener MfS-Akte aufgetaucht waren und ihn daraufhin die Gauck-Behörde als IM bezeichnete, kündigte ihm 1992 der Berliner Kultussenator fristlos die Anstellung an der HU. Fink behauptete, dass er vom MfS als Quelle unwissentlich abgeschöpft worden sei. Die Stasi-Offiziere Wiegand und Roßberg beteuerten dies im nachfolgenden Verfahren beim Landesarbeitsgericht Berlin, ihre Aussagen bewertete das Gericht als vollkommen unglaubhaft, abstrus und als bewusste Verschleierung und wies 1993 Finks Klage gegen die Kündigung ab.<ref>Der Professor und die Stasi. In: Die Zeit, Nr. 12/1997.</ref> Finks weitere Versuche, sich gegen den IM-Vorwurf gerichtlich zu wehren, scheiterten 1997 letztlich vor dem Bundesgerichtshof. Nach Feststellung der Gerichte war Fink als IM „wissentlich für das MfS tätig gewesen“.
2005 konnten etwa 600 Blatt der Akte der IM-Akte rekonstruiert werden. Der Sack mit Schnipseln enthielt die zerstückelte Akte des Inoffiziellen Mitarbeiters (IM) mit dem Decknamen „Heiner“ – geführt von der Hauptabteilung XX/4 des Ministeriums für Staatssicherheit. Und ein „Übersichtsblatt“ vermerkt hinter dem Decknamen den Namen „Dr. theol. Heinrich Fink“ – mit korrektem Geburtsdatum, Wohnanschrift und Arbeitsstelle.<ref name="akte aus dem sack" /><ref>Vergangenheit in Fetzen. einestages.</ref> Fink selbst behauptet, dass in seiner Wohnung mehrere „Wanzen“ angebracht waren und seine Gespräche Tag und Nacht aus der darüberliegenden Wohnung abgehört wurden.<ref>Heinrich Fink: Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde, S. 84.</ref>
Fink hat gegen seine Nennung in den Bayerischen Verfassungsschutzberichten 2010 bis 2013 als „informeller Mitarbeiter“ des Ministeriums für Staatssicherheit Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.<ref>Verfassungsschutzbericht 2014 des Landes Bayern</ref>
Zusammenarbeit mit gewaltorientierten autonomen Gruppen
Laut dem bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz befürwortet Fink eine Zusammenarbeit der VVN‑BdA mit gewaltorientierten autonomen Gruppen.<ref>Verfassungsschutzbericht Bayern 2012, S. 138</ref><ref>Verfassungsschutzbericht Bayern 2011, S. 215-216.</ref> Eine Klage gegen diese Einschätzung wurde 2014 vom Bayerischen Verwaltungsgericht München abgelehnt.<ref name="SZ.">Prozess gegen Staatsregierung. Antifaschistisch statt linksextremistisch, in: Süddeutsche Zeitung, 2. Oktober 2014.</ref> Die VVN-BdA ging gegen das Urteil in Berufung, womit es ohne Rechtskraft blieb.<ref>Klage der VVN-BdA gegen Freistaat abgewiesen – Landesverband geht in Berufung.</ref>
Auszeichnung
Fink erhielt im Dezember 2013 den Menschenrechtspreis der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde. <ref>http://www.neues-deutschland.de/artikel/917748.antifaschist-fink-mit-gbm-preis-ausgezeichnet.html</ref>
Privates
Fink ist mit der Pastorin im Ruhestand Ilsegret Fink<ref>http://ilmenau.thueringer-allgemeine.de/web/lokal/leben/detail/-/specific/Dialog-zwischen-Christen-und-Marxisten-Gemeinsame-Aktionen-finden-349444928.</ref> verheiratet und Vater dreier Kinder.
Publikationen
Autor
- Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde. Erinnerungen des ersten frei gewählten Rektors, Ossietzky, Hannover, 2013, ISBN 978-3-9808137-0-9.
- Zur Geschichte der Theologischen Fakultät Berlins. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschaftswissenschaftliche Reihe. Jg. 34 (1985), H. 7, S. 517–628.
Herausgeber
- mit Cornelia Kerth und VVN-Bund der Antifaschisten: Einspruch! Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik. PapyRossa, Köln 2011.
- mit Carl-Jürgen Kaltenborn und Dieter Kraft: Dietrich Bonhoeffer – gefährdetes Erbe in bedrohter Welt: Beiträge zur Auseinandersetzung um sein Werk. Union, Berlin 1987, ISBN 3-372-00074-9
- mit Herbert Trebs: Emil Fuchs. Von Schleiermacher zu Marx. Union, Berlin 1969.
- Stärker als die Angst. Den 6 Millionen, die keinen Retter fanden. Mit einem Geleitwort von Emil Fuchs. Union, Berlin 1968
- mit Palamede Borsari und Jessie Street: Première Session du Conseil mondial de la paix. Berlin, 21–26 février 1951. Compte rendu et documents II. 1951.
Literatur
- Rudolf Bahro: Heinrich Fink und der Umgang mit unserer Vergangenheit: „Eine ordinäre politische Massnahme“. Arbeitskreis Hochschulpolitische Öffentlichkeit, Leipzig 1991.
- Bernhard Maleck: Heinrich Fink: „Sich der Verantwortung stellen“. Dietz, Berlin 1992.
- Politische Kultur im vereinigten Deutschland: Der Streit um Heinrich Fink, Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin (= Utopie kreativ. Dokumentation. Heft 17) Treuberger, Berlin 1992.
- Guntolf Herzberg, Klaus Meier: Karrieremuster. Wissenschaftlerporträts (Aufbau-Taschenbücher 137 Texte zur Zeit). Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-7466-0135-5.
- Gisela Karau: Die „Affäre Heinrich Fink“. Spotless-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-928999-05-2.
- Jan Wielgohs: Fink, Heinrich. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1, Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Renate Oschlies: Der Denunziant. In: Berliner Zeitung, 16. Juni 2005
- Der Professor und die Stasi. In: Die Zeit, Nr. 12/1997
Weblinks
- Biographie beim Deutschen Bundestag
- Literatur von und über Heinrich Fink im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Dossier zu Heinrich Fink bei Spiegel Online
Einzelnachweise
<references />
Eduard Spranger (1945) | Johannes Stroux (1945–1947) | Hermann Dersch (1947–1949) | Walter Friedrich (1949–1952) | Walther Neye (1952–1957) | Werner Hartke (1957–1959) | Kurt Schröder (1959–1965) | Heinz Sanke (1965–1967) | Karl-Heinz Wirzberger (1967–1975) | Helmut Klein (1975–1988) | Dieter Hass (1988–1990) | Heinrich Fink (1990–1992) | Adolf Zschunke (1992)
Personendaten | |
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NAME | Fink, Heinrich |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Theologe, Hochschullehrer und Politiker (Die Linke), MdB |
GEBURTSDATUM | 31. März 1935 |
GEBURTSORT | Korntal, Bessarabien |