Deutsche Besetzung Polens 1939–1945
Die deutsche Besetzung Polens (1939–1945) im Zweiten Weltkrieg begann mit dem Überfall auf Polen der deutschen Wehrmacht am 1. September 1939.
Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 marschierten am 17. September auch sowjetische Truppen ein (siehe Sowjetische Besetzung Ostpolens). Im Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag teilten beide Mächte am 28. September den polnischen Staat unter sich auf. Das westliche Polen geriet daraufhin unter deutsche Besatzungsherrschaft oder wurde teilweise ins Deutsche Reich eingegliedert.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion ab 22. Juni 1941 war auch Ostpolen deutsch besetzt. Mit der sowjetischen Gegenoffensive im Frühjahr 1945 wurden durch die Rote Armee die letzten von der Wehrmacht besetzten polnischen Gebiete erobert.
Abgesehen vom Westen der Tschechoslowakei war somit kein anderes Land dem Terror eines nationalsozialistischen Besatzungsregimes länger ausgesetzt als Polen. In dem Land, in dem ursprünglich mehr als drei Millionen Juden lebten, führten die Nationalsozialisten einen so genannten „Volkstumskampf“, dem 5.675.000 Zivilisten zum Opfer fielen.<ref>Zahlenangabe der Encyclopedia Britannica, abgedruckt bei: John Correll: Casualties, in: Air Force Magazine (Juni 2003), S. 53.</ref> Das Land selbst, Teil des geplanten Lebensraums im Osten, wurde wirtschaftlich ausgebeutet oder mit Volksdeutschen besiedelt, während die lokale Bevölkerung oft deportiert wurde. Die Erinnerung an diese Zeit belastet das deutsch-polnische Verhältnis noch heute nachhaltig.
Inhaltsverzeichnis
Polen in der deutschen Wahrnehmung
Im Deutschen Reich herrschte in der Zeit der Weimarer Republik nach 1918 fast durchweg eine polenfeindliche Stimmung vor. Hauptsächlich wurde dies mit den territorialen Verlusten begründet, die Deutschland im Versailler Vertrag gegenüber der nach dem Ersten Weltkrieg errichteten Zweiten Polnischen Republik auferlegt wurden, sowie in den folgenden Auseinandersetzungen während des Großpolnischen Aufstands und der Aufstände in Oberschlesien. In den 1920er Jahren verschärfte daneben noch ein Wirtschaftskrieg das Verhältnis zum östlichen Nachbarn. Polen spielte in der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle im Bündnissystem der Siegermacht Frankreich, die ein Wiedererstarken Deutschlands zu verhindern suchte. Die polnische Regierung betrieb eine sehr rigide Politik gegenüber den nationalen Minderheiten, die viele Volksdeutsche zur Auswanderung ins Deutsche Reich veranlasste. Nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes im Januar 1934 wurde die Presse angewiesen, nicht mehr negativ über Polen zu berichten. Dies änderte sich erst wieder während der Krise im Frühjahr 1939. In der folgenden Pressekampagne kam die negative Einstellung gegenüber dem polnischen Staat und seiner Bevölkerung auf zwei Ebenen zum Ausdruck. Auf der ersten, der politischen Ebene wurde der polnische Staat als „Raubstaat“ oder „Saisonstaat“ tituliert, der nichts mehr darstelle als eine Marionette Großbritanniens und Frankreichs. Dies geschah in Anspielung auf die Gebietsverluste von 1919. Damit wurde praktisch die Existenzberechtigung Polens in Frage gestellt.
Auf der zweiten Ebene knüpfte die Propaganda an sehr alte Ressentiments gegenüber dem polnischen Volk an. Es wurde häufig als zurückgeblieben und zu kulturellen Leistungen unfähig charakterisiert. Die Landbevölkerung sei gutmütig, aber dumm und die Umgebung von primitiver Einfachheit geprägt.<ref>Jochen Böhler Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Eine Publikation des Dt. Historischen Instituts Warschau. Fischer TB, Frankfurt a.M. 2006, S. 37–39.</ref> In einer Heeresdienstvorschrift (H.Dv.g.44) „Militärgeographische Beschreibung von Polen“ des deutschen Generalstabes vom 1. Juli 1939 wurde die polnische Bevölkerung folgendermaßen beschrieben: „Die Polen: Charakter: Sanguinisch, temperamentvoll, leidenschaftlich, sehr gastfreundlich, aber sehr leichtsinnig und unbeständig. Lesen halte ich nicht für erforderlich.“<ref>Denkschrift RFSS vom 15. Mai 1940: Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten</ref>
Folglich wurden sämtliche Hochschulen und Oberschulen sowie alle Universitäten geschlossen. Polen und Juden wurde es grundsätzlich verboten zu studieren. Die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter wurden verfolgt und in Konzentrationslager deportiert (z. B. Sonderaktion Krakau und Lemberger Professorenmord). Nur im Generalgouvernement existierten noch Berufsschulen, um Facharbeiter für die Rüstungswirtschaft auszubilden. In einem weiteren Schritt wurden alle kulturellen Einrichtungen, wie Vereine, Museen, Opern, Theater und Bibliotheken geschlossen. Im Generalgouvernement waren Opern und Theater von dieser Regelung zwar ausgenommen, doch es wurde ihnen verboten „gehobene“ Unterhaltung zu bieten. Ebenso wurde die lokale Presse stillgelegt. An ihre Stelle traten Propagandablätter der Besatzungsmacht, welche die Aufgabe hatten, die polnische Bevölkerung zu indoktrinieren und Anordnungen der deutschen Behörden zu veröffentlichen (Krakauer Zeitung, Warschauer Zeitung).
Kulturgüter wurden entgegen der Haager Landkriegsordnung systematisch von sachverständigen Sondereinheiten (z. B. Sonderkommando Paulsen des Reichssicherheitshauptamtes, Wolfram Sievers der Generaltreuhänder für die „Sicherung deutschen Kulturguts“, SS-Führer Kajetan Mühlmann u. a.) geplündert und ins Reich verbracht. Man geht von etwa 500.000 geraubten Kunstgegenständen aus, die zur persönlichen Bereicherung oder zum Aufbau und Ausbau deutscher Museumsbestände wie dem Führermuseum Linz verwendet wurden. Auch ein Großteil der Bibliotheken und Archive wurde systematisch geplündert und zerstört.<ref>Ein Recht auf Souvenirs, die Welt, 24. Juli 1999, abgerufen 2. Oktober 2014.</ref>
Polnische Kriegsgefangene
In den ersten Wochen des Ersten Weltkrieges hatte das Deutsche Kaiserreich etwa 220.000 Soldaten seiner Gegner gefangen genommen. Da man sich an dieser Zahl orientierte, wollte die Wehrmacht im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges Gefangenenlager für 4000 Offiziere und 200.000 Soldaten einrichten. Bedingt durch zu hohe Kosten wurden jedoch nur Lager für 3000 Offiziere und 60.000 Soldaten gebaut, zu denen noch „Durchgangslager“ an der Reichsgrenze kamen. Man meinte, dass der Platz ausreiche, wenn man die Kriegsgefangenen schnell auf Arbeitskommandos verteile. Doch die Organisation nach Ausbruch des Krieges war unzureichend und es standen nicht genügend Wachpersonal und Baumaterialien für die projektierten Lager zur Verfügung.
Insgesamt gerieten etwa 400.000 polnische Soldaten (darunter etwa 16.000 Offiziere) in deutsche Gefangenschaft, zu denen noch 200.000 polnische Zivilisten kamen, die als „verdächtige Elemente“ ebenfalls inhaftiert worden waren. Der Großteil der Gefangenen wurde bis zum Frühjahr 1940 behelfsmäßig in Zeltlagern untergebracht. Trotz ungenügender Lebensmittelversorgung wurde diese Unterbringung vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) als akzeptabel bezeichnet. Die Gefangenen wurden unterschiedlich behandelt. Die Aussagen von Zeitzeugen umfassen Berichte sowohl von guter Behandlung als auch von verbrecherischen Willkürakten deutscher Wachsoldaten. Ab Ende Oktober kamen die ersten Kriegsgefangenen in den Arbeitseinsatz. Bis zum Jahresende waren von 300.000 polnischen Arbeitern 270.000 in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt. Ab November kam es zu ersten Entlassungen. Zunächst wurden Zivilisten, Kriegsgefangene aus dem Warthegau und Westpreußen, Volksdeutsche und Juden entlassen, was dazu führte, dass nur etwas über 300.000 Polen in Gefangenschaft blieben.
Ab dem 20. Mai 1940 wurden schließlich alle Gefangenen gegen die schriftliche Einwilligung zum Arbeitsdienst entlassen. Obwohl den Soldaten offiziell Wahlfreiheit zustand, wurden sie in der Praxis oft durch Repressalien, Schikanen oder Strafen unter Druck gesetzt, so dass sie durchaus zu einer Form von Zwangsarbeit gedrängt wurden. Diese Maßnahmen betrafen etwa 250.000 bis 300.000 polnische Soldaten.<ref>Edmund Nowak: Polnische Kriegsgefangene im „Deutschen Reich“, in: Günter Bischof, Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.): Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges, R. Oldenbourg Verlag, Wien/München 2005, S. 710.</ref> Dadurch erhielten die Gefangenen zwar mehr Freiheiten und ein bezahltes Arbeitsverhältnis, sie verloren allerdings dafür den Status des Kriegsgefangenen und somit auch den Schutz der Genfer Konvention sowie die Hilfe des IKRK. Arbeitsunfähige, Gefangene, welche die Arbeit verweigerten, Kriminelle und Angehörige der Intelligenz wurden weiterhin in Haft behalten. Auch konnten fast 100.000 Soldaten aus Ostpolen nicht entlassen werden, weil sowohl die UdSSR als auch das Generalgouvernement ihre Aufnahme ablehnten. Die gefangenen Juden wurden zunächst von den übrigen Gefangenen getrennt untergebracht, was in der nationalsozialistischen Rassenideologie dem Artikel 9 der Genfer Konvention von 1929 zu entsprechen schien, nach dem Gefangene getrennt nach Rassen unterzubringen waren. Sie erfuhren jedoch eine wesentlich schlechtere Behandlung, indem sie zeitweise als Juden gekennzeichnet oder gar in speziellen Judenghettos untergebracht wurden. Dies verstieß gegen Artikel 4 der Genfer Konvention, in dem die Gleichbehandlung aller Gefangenen festgeschrieben war. Als sie entlassen wurden und in ihre Heimat zurückkehrten, wurden sie dort als Juden registriert und in Ghettos eingewiesen. Auch die 1000 jüdischen Offiziere der polnischen Armee blieben wie ihre polnischen Kameraden bis Kriegsende unbehelligt. (Dies bedeute allerdings nicht, dass unmittelbar an der Front keine Misshandlungen oder Erschießungen stattfanden.) Anders als die Westalliierten am Ende des Krieges argumentierte die Wehrmacht nicht mit dem Argument, dass die Gefangenen ohne einen polnischen Staat ihren Kriegsgefangenenstatus verlieren würden. Das OKW lehnte derartige Vorstöße Himmlers mehrfach mit dem Hinweis auf mögliche Repressalien durch die Westmächte ab. Darum wurden sogar die Soldzahlungen an die polnischen Offiziere fortgesetzt.<ref>Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2, München 2005, S. 738–755.</ref>
Polnischer Widerstand 1939–1945
Am 17. September 1939 floh die polnische Regierung über die Grenze nach Rumänien, wo sie interniert wurde. Doch bereits Ende des Monats kam es in Frankreich zur Bildung einer Polnischen Exilregierung unter General Władysław Sikorski, in welche sämtliche polnischen Oppositionsparteien einbezogen wurden. Die USA, Großbritannien und Frankreich erkannten diese Regierung bald an, so dass diese zur neuen Vertretung des polnischen Staates wurde. Sie begann bald mit dem Aufbau neuer Streitkräfte im Westen und übernahm im Winter 1939/40 unter General Kazimierz Sosnkowski auch die Führung der Widerstandsbewegung in Polen.<ref>Marek Ney-Krwawicz: Die Führung der Republik Polen im Exil, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003, S. 151 ff.</ref> Die Bildung von Widerstandskräften in Polen hatte bereits während der Belagerung von Warschau Ende September 1939 begonnen. Jan Karaszewicz-Tokarzewski organisierte die Widerstandsbewegung zentral im Służba Zwycięstwu Polski (dt. Dienst für den Sieg Polens, SZP) der später in Związek Walki Zbrojnej (dt. Verband für den bewaffneten Kampf, ZWZ) umbenannt wurde. Aus ihm ging im Februar 1942 schließlich die Armia Krajowa (dt. Polnische Heimatarmee, AK) hervor. Nachdem Karaszewicz-Tokarzewski bereits Ende 1939 von sowjetischen Soldaten verhaftet worden war, übernahm General Stefan Rowecki die zentrale Leitung. In Südpolen hingegen kommandiert Oberst Graf Tadeusz Komorowski, dem im Oktober 1944 Leopold Okulicki folgte.
Um gegen Unruhen vorzugehen, griffen Wehrmacht, Polizei und Verwaltung oft auf die gängige Praxis der Geiselnahmen zurück. Selbst bei kleineren Übergriffen auf die Besatzer wurden dann halböffentliche Erschießungen durchgeführt, mit denen man einen Abschreckungseffekt erzielen wollte. So wurden beispielsweise am 14. März 1940 in Józefów bei Lublin 200 Personen erschossen, nachdem zuvor eine volksdeutsche Familie bei einem Raubüberfall ermordet worden war. Als Reaktion auf die Überfälle von Partisanen wurden kurz darauf zwischen 31. März bis 11. April 1940 bei einer großen „Befriedungsaktion“ im Raum Kielce 687 Polen erschossen und weitere 200 verhaftet. In Warschau führten deutsche Besatzungskräfte allein 1940 vier große Razzien durch, in deren Verlauf mehr als 10.000 Verhaftungen erfolgten.<ref>Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Regime, in: Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids – Polen 1939–1941. Darmstadt 2004, S. 16.</ref>
Die Wald- und Sumpfgebiete Polens eigneten sich gut für Guerillaaktionen, die besonders im Generalgouvernement im ersten Halbjahr der deutschen Besatzung auftraten. Dort verfügte die Widerstandsbewegung schon Mitte 1940 über etwa 100.000 Mann. Die Exilregierung unterband jedoch weitere Aktionen, um nicht unnötig deutsche Repressalien zu provozieren. Sabotageaktionen und Überfälle blieben in der Folgezeit eine Ausnahme, da man nunmehr verstärkt den großen Aufstand vorbereitete.<ref>Horst Rohde: Hitlers erster „Blitzkrieg“ und seine Auswirkungen auf Nordosteuropa, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 2, Stuttgart 1988, S. 146–148.</ref> Ein erster Aufstand begann am 19. April 1943 im Warschauer Ghetto, der jedoch von der Armia Krajowa nicht unterstützt wurde. Als sich im folgenden Jahr die Truppen der Roten Armee näherten, leitete die Heimatarmee am 1. August 1944 den Warschauer Aufstand ein. Er blieb ohne Unterstützung der Roten Armee und endete deshalb am 2. Oktober mit der Kapitulation der Verbände der Armia Krajowa. Zuvor hatten die Westalliierten die Aufständischen zu Angehörigen der alliierten Streitkräfte erklärt und drohten mit Repressalien, falls diese nicht als Kriegsgefangene behandelt würden. Daraufhin erkannte die Wehrmacht den 17.000 Gefangenen (darunter 2000–3000 Frauen) den Status von Kriegsgefangenen zu.<ref>Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2, München 2005, S. 753.</ref> Auf Befehl Himmlers erfolgte die planmäßige Plünderung und Zerstörung Warschaus durch Spreng- und Brandkommandos.<ref>Thomas Urban: Der Verlust: die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, Beck, München 2006, S. 93 ff.</ref>
Durch die Nähe der Front stieg die Zahl der Partisanenangriffe in der Folgezeit deutlich an. Trotzdem wurden die Verbände der Heimatarmee nach dem Einmarsch der Roten Armee vom NKWD entwaffnet, um sie als mögliche Konkurrenz zur sowjetischen Herrschaft auszuschalten.
Holocaust in Polen
Zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs gab es in Polen ungefähr 3.474.000 Juden, was fast 10 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Die erste Terrorwelle vom September/Oktober 1939 galt nicht in erster Linie der jüdischen Bevölkerung, sondern der polnischen Intelligenz. Trotzdem wurden nach Schätzungen allein bis zum Jahresende 1939 bis zu 7000 Juden Opfer der Einsatzgruppen.<ref>Helmut Krausnick: Hitlers Einsatzgruppen – Eine Truppe des Weltanschauungskrieges 1939–1942. Frankfurt/Main 1985, S. 76.</ref>
Die NS-Führung spielte im September und Oktober 1939 mit der Idee, einen „fremdsprachigen Gau“ als „Judenreservat“ zwischen der Weichsel und dem Bug an der neuen Grenze zur Sowjetunion einzurichten. Die Deportation dorthin sollte ein Jahr dauern, wobei zuvor die jüdische Bevölkerung in Ghettos konzentriert werden sollte, um sie besser kontrollieren zu können. Doch bald erwies sich die Umsiedlung von Volksdeutschen als dringlicher und das Projekt wurde fallen gelassen. Erschwerend kam hinzu, dass Hitler das Generalgouvernement als sicheren Aufmarschraum für künftige Kriege vorsah und die Wehrmachtführung aus demselben Grund nicht wünschte, „dass in der Nähe der deutsch-sowjetischen Grenze eine Zusammenballung von Juden stattfindet.“. Einziger Ansatz blieb die Nisko-Aktion, bei der am 20. und 28. Oktober 1939 insgesamt 4700 Menschen nach Nisko am Fluss San deportiert und über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie getrieben wurden. Trotzdem hatte der Reservat-Plan viele Anhänger. So schrieb man in einem Dokument des „Judenreferats“ des SD noch am 19. Dezember 1939: „Außenpolitisch wäre ein Reservat außerdem ein gutes Druckmittel gegen die Westmächte. Vielleicht könnte hierdurch bei Abschluss des Krieges die Frage der Weltlösung aufgeworfen werden.“<ref>Tobias Jersak: Entscheidung zu Mord und Lüge – Die deutsche Kriegsgesellschaft und der Holocaust, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/1, München 2004, S. 277–280.</ref>
An der Einrichtung von Konzentrationspunkten wurde trotz der Aufgabe des Projekts festgehalten, weshalb von den deutschen Besatzern Ghettos in den größeren Städten errichtet wurden, in welche nunmehr die gesamte jüdische Bevölkerung deportiert wurde. Von dieser Maßnahme versprach sich die NS-Verwaltung eine größere Kontrolle über die Juden.
Große Ghettos | internierte Juden | von | bis | Transporte nach |
---|---|---|---|---|
Ghetto Lemberg | 115.000 | November 1941 | Juni 1943 | Belzec, Janowska |
Ghetto Bialystok | 50.000 | August 1941 | November 1943 | Majdanek, Treblinka |
Ghetto Krakau | 68.500 | März 1941 | März 1943 | Belzec, Plaszow |
Ghetto Litzmannstadt | 200.000 | Februar 1940 | August 1944 | Chelmno, Auschwitz |
Warschauer Ghetto | 450.000 | Oktober 1940 | Mai 1943 | Treblinka, Majdanek |
Am Ende des Jahres 1941 wurde schließlich beschlossen, die jüdische Bevölkerung noch vor Ort zu vernichten (siehe Aktion Reinhardt). Zu diesem Zweck entstand in Kulmhof das erste Vernichtungslager, in dem vor allem Juden aus dem Warthegau ermordet wurden. Später folgten Belzec (März 1942), Sobibor (Mai 1942), Auschwitz-Birkenau (Juni 1942), Treblinka (Juli 1942) und Majdanek (September 1942). Somit standen sechs der sieben Vernichtungslager auf dem Gebiet des ehemaligen polnischen Staates, dem damit eine Schlüsselrolle im logistischen System des Holocaust in ganz Europa zukam. In diesen Lagern wurde bis zum Ende des Jahres 1943 zunächst die Mehrheit der polnischen Juden ermordet. Nur etwa 10 % überlebten den Holocaust; zumeist nur deshalb, weil sie in das Ausland geflüchtet waren.<ref name="Bogdan Musial 1941" /> Dann wurden in diesen Lagern aber auch sowjetische Kriegsgefangene, Roma und Sinti sowie Juden aus ganz Europa und viele andere Menschen ermordet. Eine verhängnisvolle Rolle bei der Durchführung dieser Vernichtungspolitik spielten die sog. Schmalzowniks.
Lager | Typ | Zeit | Anzahl der Inhaftierten |
Anzahl der Toten |
---|---|---|---|---|
Auschwitz-Birkenau | Vernichtungslager | Oktober 1941 bis Januar 1945 | ca. 400.000 | ca. 1.100.000 |
Belzec | Vernichtungslager (Aktion Reinhardt) | März bis Dezember 1942 | ca. 436.000<ref>Robin O'Neil: A Reassessment: Resettlement Transports to Belzec, March-December 1942. auf: jewishgen.org/</ref><ref>P. Burchard: Pamiątki i zabytki kultury żydowskiej w Polsce. 1. Auflage. "Reprint" Piotr Piotrowski, Warszawa 1990, S. 174.</ref> | |
Kulmhof | Vernichtungslager | Dezember 1941 bis April 1943 April 1944 bis Januar 1945 |
mind. 160.000<ref>Thomas Sandkühler: Die Täter des Holocaust. In: Karl Heinrich Pohl: Wehrmacht und Vernichtungspolitik. Göttingen 1999, S. 47.</ref> | |
Majdanek-Lublin | Konzentrations- und Vernichtungslager | Juli 1941 bis Juli 1944 | ca. 78.000 | |
Sobibor | Vernichtungslager (Aktion Reinhardt) | Mai 1942 bis Oktober 1943 | ca. 250.000 | |
Treblinka | Vernichtungslager (Aktion Reinhardt) | Juli 1942 bis November 1943 | mind. 700.000 bis zu 1,1 Millionen.<ref>Frank Golczewski in Wolfgang Benz: Dimension des Völkermordes. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1996, ISBN 3-423-04690-2, S. 468. Schätzung der Opferzahlen im Treblinka Prozess mindestens 700.000, Nach Rachel Auerbach: 1.074.000, diese wird von Golczewski als Wahrscheinlich angesehen.</ref> |
- Death penalty for Jews outside ghetto and for Poles helping Jews anyway 1941.jpg
Todesstrafe bei verlassen des zugewiesenen "Wohngebietes", Plakat November 1941
- Bundesarchiv Bild 101I-134-0771A-39, Polen, Ghetto Warschau, Kind in Lumpen.jpg
liegendes Kind in Lumpen, Warschauer Ghetto, Mai 1941
- Children headed for deportation.JPG
Kinder aus dem Ghetto Łódź warten auf ihre Deportation ins Vernichtungslager Kulmhof
- Bundesarchiv Bild 175-04413, KZ Auschwitz, Einfahrt.jpg
KZ Auschwitz-Birkenau 27. Januar 1945
Bedeutung Polens für die deutsche Großraumwirtschaft
In einer Besprechung mit höheren Offizieren der Wehrmacht hatte Hitler bereits am 23. Mai 1939 auch wirtschaftliche Beweggründe für den Entschluss zum Angriff auf Polen angegeben: „Es handelt sich für uns um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung.“<ref>Zitat nach Hans-Erich Volkmann: Ökonomie und Expansion – Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik, München 2003, S. 222.</ref> Vor diesem Hintergrund war die Wehrmacht angewiesen worden, dafür Sorge zu tragen, dass das Wirtschaftsleben bald wieder aufgenommen werden konnte. Das OKH erließ deshalb am 3. Oktober 1939 folgenden Grundsatz: „Die wirtschaftlichen Kräfte des Landes werden voll und ganz in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft gestellt.“<ref>Zitat nach Robert Seidel: Deutsche Besatzungspolitik in Polen – Der Distrikt Radom 1939–1945. Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, S. 89.</ref> Dabei ging das Wirtschafts- und Rüstungsamt (WiRüAmt) von einem längeren Krieg aus, für den man die wirtschaftlichen Kräfte des besetzten Landes mobilisieren musste. Diesem Zweck diente schließlich auch die Verschleppung von 2,81 Millionen polnischen Staatsbürgern zur Zwangsarbeit.<ref>Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Regime, in: Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids – Polen 1939–1941. Darmstadt 2004, S. 18.</ref>
- Chodźmy na roboty rolne do Niemiec.jpg
Plakat zur Anwerbung polnischer Arbeiter, 1940/1941
- Lapanka zoliborz warszawa Polska 1941.jpg
Willkürliche Verhaftung zur Zwangsarbeit, Warschau 1941
- Kienzle Uhren Ausweis from WWII.jpg
Werksausweis eines 16-jährigen polnischen Zwangsarbeiters bei Kienzle Uhren
- Polenabzeichen.jpg
Kennzeichnung für polnische Zwangsarbeiter
- Pflichten der polen.jpg
Faksimile von einem Polen-Erlass, 8. März 1940
Arisierung der polnischen Wirtschaft
Durch die Entrechtung der polnischen (slawischen und jüdischen) Bevölkerung und deren zunehmender Deportation und Liquidierung kam es zu Beginn der Besetzung zur Wegnahme von polnischem Vermögen zur individuellen oder lokalen Verwendung. Das wurde durch die Gründung der „Treuhandstelle Generalgouvernement“ und die „Haupttreuhandstelle Ost“ institutionalisiert. Als Rechtsgrundlage wurde die Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17. September 1940 erlassen.<ref>Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates abgerufen am 16. September 2014.</ref> Zahlreiche arische Unternehmer und Banken gründeten oder kauften günstig Vermögen. Einer der bekanntesten ist der schillernde Oskar Schindler, der zahlreichen Juden das Leben rettete.<ref>„Held im Zwielicht“. In: Spiegel. 4. Oktober 2005, abgerufen am 16. September 2014. </ref>
Wirtschaft in den annektierten Provinzen
Die industriell und landwirtschaftlich entwickelten Gebiete Polens wurden am 26. Oktober 1939 annektiert. Vor dem Krieg wurden in diesen Gebieten 100 Prozent der Kohle Polens gefördert, 100 Prozent des Zinks, 97,5 Prozent des Roheisens, 90 Prozent des Stahls und 70 Prozent des Zuckers produziert. In diesen Gebieten waren 80 Prozent der polnischen Industriebetriebe konzentriert und die Getreideerträge lagen erheblich höher als im Landesdurchschnitt.<ref>Wolfgang Bleyer, Elisabeth Brachmann-Teubner, Gerhart Hass, Helma Kaden, Manfred Kuhnt, Norbert Müller, Ludwig Nestler, Fritz Petrick, Werner Röhr, Wolfgang Schumann, Martin Seckendorf (Hrsg.-Kollegium unter Leitung von [[Wolfgang Schumann (Historiker)|]]): Nacht über Europa: die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938–1945). Achtbändige Dokumentenedition, Bd. 2, Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945). Köln 1989, ISBN 3-7609-1260-5, S. 23.</ref> Der verbleibende Teil des besetzten Polens wurde zum „Generalgouvernement“ gemacht, das entindustrialisiert werden sollte, Heimat für ein Volk von Wanderarbeitern und Abladeplatz für „unerwünschte“ Bevölkerungsgruppen Deutschlands.
Die Zielsetzung sah vor, die lokale Wirtschaft schnell in die Wirtschaft des Deutschen Reiches zu integrieren und sämtliche Ressourcen an Rohstoffen und Arbeitskräften für die Kriegsanstrengungen auszunutzen. Insbesondere sollten Polen und Juden enteignet und die Produktion gesteigert werden. Zunächst wurde das Vermögen der polnischen staatlichen Einrichtungen, politischen Organisationen und religiösen Gemeinschaften durch die neugegründete Haupttreuhandstelle Ost (HTO) beschlagnahmt. Auch private Betriebe und Unternehmen im Besitz von Polen und Juden wurden konfisziert. Auf diese Weise wurde annähernd 100 % des Vermögens beschlagnahmt, das den deutschen Zivilbehörden, der NSDAP, der Wehrmacht, der SS, Siedlern oder deutschen Bombengeschädigten zuging. Des Weiteren wurden Arbeiter für die deutsche Industrie angeworben oder später auch in ein Arbeitsverhältnis gezwungen. Insgesamt wurden etwa 2,8 Millionen polnische Zwangsarbeiter aus allen Territorien deportiert, so dass zum Beispiel im Wartheland ein Bevölkerungsrückgang um 12,2 % zu verzeichnen war.<ref>Hans-Jürgen Bömelburg: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg, München 2003, S. 70.</ref>
Besondere Bedeutung kam dem Industriegebiet in Oberschlesien zu. In diesem Gebiet befanden sich 1764 Betriebe mit allein 65 Steinkohlegruben (Produktion: 79 Mio. t), 24 Erzgruben (Produktion: 60.000 t), 96 Eisenwerke (Produktion: 3 Mio. t Rohstahl und 1.9 Mio. t Stahl), 67 Chemiewerke, vier Kraftwerke und sieben Zementwerke und insgesamt 178.449 Facharbeitern (Stand 1940).<ref>Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Regime, in: Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids – Polen 1939–1941, Darmstadt 2004, S. 18 f.</ref> Insbesondere die Stahl- und Steinkohleproduktion hatte an der Kriegswirtschaft einen maßgeblichen Anteil. Die Industrieproduktion wurde systematisch gesteigert, während 75 % der Handwerksbetriebe und Einzelhandelsgeschäfte bis 1942 ersatzlos geschlossen wurden.
Ebenfalls große Bedeutung erlangte die Landwirtschaft in den annektierten Provinzen, besonders im Wartheland, das als ein Überschussgebiet galt. Die polnischen Großbetriebe wurden aufgelöst und an prominente Nationalsozialisten oder hohe Offiziere vergeben. Lediglich in Westpreußen und Südostpreußen konnten polnische Bauern auf ihren Höfen bleiben, mussten jedoch die Ernte an die deutschen Behörden liefern. Im Übrigen wurden mittelgroße Betriebe von Volksdeutschen übernommen und die polnischen Eigentümer in das Generalgouvernement deportiert. Im Jahre 1942 erbrachte allein das Wartheland mit drei Millionen Tonnen Getreide 13 % des deutschen Gesamtbedarfes, sowie 30 % des Zuckerbedarfes.<ref>Hans-Jürgen Bömelburg: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003, S. 69.</ref>
Wirtschaft im Generalgouvernement
Im Generalgouvernement hielten sich die Enteignungen im Vergleich zu den annektierten Gebieten in Grenzen. Die deutschen Besatzer konfiszierten jedoch das Vermögen des polnischen Staates, der Juden und der ins Ausland geflüchteten polnischen Bürger. Insgesamt machte dies etwa ein Drittel des Vermögensbestandes im Generalgouvernement aus. Der Bevölkerung wurden hohe Steuern auferlegt, deren Ertrag die Besoldung der im Generalgouvernement stationierten Wehrmacht, SS, Polizei und Verwaltung deckte. Zusätzlich wurden damit 1940 und 1941 die Straßenbauprogramme zur Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion finanziert.
Dem Generalgouvernement selbst wurde von Hitler trotz der Einwände des WiRüAmtes keine größere wirtschaftliche Bedeutung beigemessen. Es sollte lediglich Arbeitskräfte stellen und sich ansonsten mit dem Nötigsten selbst versorgen können. Man begann deshalb im Oktober 1939 damit, sämtliche vorhandenen Industrieanlagen und Maschinen zu demontieren und in das Deutsche Reich zu bringen. Dies verursachte Massenarbeitslosigkeit und Güterknappheit. Die Demontage hatte jedoch auch negative Folgen für die deutsche Rüstungswirtschaft, so dass man ab Januar 1940 dazu überging, die Fabriken im Generalgouvernement wieder instand zu setzen und ihre Produktion direkt zur Unterstützung der deutschen Kriegsanstrengungen einzusetzen. Im Zeitraum von September 1940 bis Juni 1944 stieg die Zahl jener Betriebe im Generalgouvernement, welche direkt für die Rüstungsindustrie produzierten, von 186 auf 404, was zu einem wesentlichen Teil auch darauf zurückzuführen war, dass einige deutsche Betriebe wegen der alliierten Bombenangriffe auf das Reichsgebiet nach Polen auswichen. Deren Produktion stieg im selben Zeitraum von 12.550.000 RM auf 86.084.000 RM.<ref>Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Regime, in: Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids – Polen 1939–1941. Darmstadt 2004, S. 20.</ref>
Während die Überschussgebiete in den angegliederten Provinzen bereits für das Deutsche Reich produzierten, war das Territorium des Generalgouvernements ein landwirtschaftliches Zuschussgebiet. Deshalb war die Sicherstellung der Selbstversorgung dort das vorrangige Ziel. Die Versuche, dies durch rationelle Bewirtschaftung zu erreichen, blieben bis 1942 erfolglos und die Erträge blieben wegen ungünstiger Witterungsbedingungen sogar noch hinter den Erträgen der Vorkriegszeit zurück. Um die Produktion zu steigern, wurden ab 1942 zur Eintreibung der Erträge Zwangs- und Terrormaßnahmen angewandt. Auf diese Weise, und auch durch die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, erreichte man einen sprunghaften Anstieg der landwirtschaftlichen Exporte. Waren noch 1940/41 lediglich 55.000 Tonnen Getreide und 122.000 Tonnen Kartoffeln in das Deutsche Reich exportiert worden, steigerte sich dies im Jahr 1943/44 auf 571.700 Tonnen Getreide und 387.000 Tonnen Kartoffeln. Zusätzlich versorgte das Generalgouvernement noch etwa 500.000 Soldaten der Wehrmacht, 50.000 Angehörige von Polizei und SS, sowie etwa 400.000 sowjetische Kriegsgefangene.<ref>Bogdan Musial: Das Schlachtfeld zweier totalitärer Regime, in: Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids – Polen 1939–1941. Darmstadt 2004, S. 21.</ref>
Aufarbeitung
Juristische Aufarbeitung
Angesichts der Gräueltaten in den von den Achsenmächten Deutschland, Japan und Italien besetzten Ländern, wurde auf Initiative von neun Londoner Exilregierungen im Jahr 1943 die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) ins Leben gerufen. Der Auftrag bestand in der Beweissicherung, Zusammenstellung von Täterlisten, Berichten an die Regierungen und Strafprozessvorbereitungen zu Kriegsverbrechen. Durch die Strafandrohung sollten potentielle Täter vor weiteren Taten abgeschreckt werden. Im Londoner Statut vom 8. August 1945 wurden die Straftaten für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Hauptkategorien zusammengefasst<ref>Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 (PDF)</ref>:
- Verbrechen gegen den Frieden (Art. 6a) durch Planung und Führung eines Angriffskrieges (entgegen Kellogg-Briand-Pakt von 1929)
- Kriegsverbrechen (Art. 6b): Mord, Misshandlungen, Deportationen zur Sklavenarbeit von Zivilpersonen und Kriegsgefangenen sowie die Plünderung und Zerstörung ohne militärische Notwendigkeit
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit Art. 6c: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen
Zahlreiche weitere Prozesse (z. B. die Rastatter Prozesse, der Frankfurter Auschwitz-Prozess und der Krakauer Auschwitzprozess) behandelten Vorfälle und Verbrechen in Polen, dadurch dass Polen, der erste militärisch angegriffene Staat war, zahlreiche Täter erste Erfahrungen dort sammelten, sehr viele Polen zur Zwangsarbeit in Polen und im Reich herangezogen wurden und die meisten Vernichtungslager in Polen lagen.
Forschung
Die polnische Literatur zur Geschichte der deutschen Besatzung in Polen 1939 bis 1945 ist äußerst umfangreich und komplex. Nach Schätzungen machen polnische Werke aus der Zeit der Volksrepublik etwa 80 % der vorhandenen Literatur aus, doch oft seien diese Bücher „durch lebensgeschichtliche Perspektive, Streichungen und Auslassungen durch Zensur und Selbstzensur sowie gezielte politische und ideologische Verzerrungen im Dienste kommunistischer Erinnerungspolitik nur mit Sach- und Vorkenntnissen benutzbar.“<ref>So Hans-Jürgen Bömelburg: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003, S. 52.</ref> Obwohl die älteren Arbeiten unersetzlich für die weitere Forschung sind, müssen sie deshalb vielfach neu bewertet werden. Die erste Welle von Aufarbeitung in Polen setzte bereits in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Mitte der 1950er Jahre erfolgte nach Lockerung der Zensur eine zweite Welle, der in den 1980er Jahren eine dritte folgte. Schwerpunktmäßig erschienen während der zweiten Welle grundlegende Überblickswerke, während im Zuge der dritten biographische Darstellungen vor allem der Widerstandsbewegung im Mittelpunkt standen. Erst zu Beginn der 1990er Jahre erfolgte auch eine gezielte Aufarbeitung der Judenverfolgung in Polen, sowie des polnisch-jüdischen Verhältnisses überhaupt. Am Ende der 1990er Jahre erschienen noch einmal zahlreiche Werke der Erinnerungsliteratur und allgemeine literarische Aufarbeitungen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Besatzungszeit stagniert jedoch seit 1989, wie auch die Forschungen zu der Problematik polnischer Kriegsgefangener im Deutschen Reich.<ref>Edmund Nowak: Polnische Kriegsgefangene im „Deutschen Reich“, in: Günter Bischof, Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.): Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. R. Oldenbourg Verlag, Wien/München 2005, S. 706–708.</ref> Die Gründe dafür sieht der Historiker Hans-Jürgen Bömelburg darin, dass die Forschung bis zum Ende des Kommunismus zentral organisiert war, danach jedoch ihre politische Funktion verlor. Seitdem besteht in der Praxis kein nationales Forschungszentrum mehr. Problematisch sei außerdem die Archivlage, da Akten über mehrere polnische, deutsche, weißrussische und ukrainische Bestände verteilt seien.<ref>Hans-Jürgen Bömelburg: Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939–1945, in: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003, S. 55.</ref>
In Deutschland begann die Aufarbeitung dieses Themas erst in den 1960er Jahren, wobei man in Westdeutschland dazu neigte, wenigen Institutionen wie dem SS- und Polizeiapparat die alleinige Verantwortung für Verbrechen zuzuweisen. In der Deutschen Demokratischen Republik hingegen wurde diese Verantwortung gemäß der offiziellen Faschismustheorie der Großindustrie zugeordnet. Die neuere deutsche Forschung (seit den 1970ern) konzentrierte sich auf die nationalsozialistische Kulturpolitik und ihren Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung sowie auf den Mord an den polnischen Juden. Nicht zuletzt „auf Grund des gegenwärtigen Standes der internationalen Holocaustforschung kann man für erwiesen erachten, dass die antisemitische Politik in den einzelnen von Nazi-Deutschland okkupierten Territorien alle Sphären des Lebens der jüdischen Bevölkerung betroffen hat.“<ref>Zit. n. Jaroslava Milotová, Michael Wögerbauer: Theresienstädter Studien und Dokumente 2005, Sefer, Prag 2005, ISBN 80-85924-46-3, S. 10.</ref> Vor allem ist aber auch die Täterforschung fast ausschließlich in Deutschland zu finden, da hier die notwendigen Archive zur Verfügung stehen. Ein zentrales Problem blieb jedoch, dass grundlegende polnische Werke aufgrund der Sprachbarriere nicht herangezogen wurden. Nach dem Ende des Kalten Krieges besserte sich die Situation. Zum einen wurden vermehrt Veröffentlichungen in englischer Sprache vorgelegt, zum anderen eigneten sich vor allem jüngere Wissenschaftler polnische Sprachkenntnisse an.
Literatur
- Eberhard Aleff: Das Dritte Reich. Hannover 1973.
- Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Frankfurt/Main 1995, ISBN 3-596-11268-0.
- Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-10-000420-5.
- Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Fischer TB, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-596-16307-2, ident. mit: Bundeszentrale für polit. Bildung, Schriftenreihe Band 550, 2006, ISBN 3-89331-679-5, zugleich Diss. Univ. Köln, 2004.
- Jochen Böhler: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen. Frankfurt am Main 2009, ISBN 3-8218-5706-4.
- Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. Frankfurt am Main 1965.
- Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee – Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. München 2003 (= Beiträge zur Militärgeschichte 57), ISBN 3-486-56715-2.
- Wolfgang Curilla: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939–1945. Schöningh, 1. Aufl. 2011, ISBN 978-3506770431.
- Antoni Czubinski: Western Poland under Nazi Occupation. In: David W. Pike (Hrsg.): The Opening of the Second World War, New York/San Francisco/Bern 1991.
- Christian Hartmann, Sergej Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Frühjahr 1939. Eine Ansprache des Generalstabschefs des Heeres. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997).
- Tobias Jersak: Entscheidung zu Mord und Lüge. Die deutsche Kriegsgesellschaft und der Holocaust. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München 2004.
- Stefan Lehnstaedt: Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und Minsk 1939–1944. (Zugl. Diss. LMU München 2007/08) Oldenbourg, München 2010, ISBN 978-3-486-59592-5 (Leseprobe bei Google Books).
- Richard C. Lukas: Forgotten Holocaust. The Poles Under German Occupation 1939–1944. New York 1997, ISBN 0-7818-0901-0.
- Edmund Nowak: Polnische Kriegsgefangene im „Deutschen Reich“. In: Günter Bischof, Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.): Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. Gefangennahme, Lagerleben, Rückkehr. R. Oldenbourg Verlag, Wien/München 2005, ISBN 3-486-57818-9.
- Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/2, München 2005.
- Klaus-Michael Mallmann, Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids. Polen 1939–1941. Darmstadt 2004, ISBN 3-534-18096-8.
- Janusz Piekałkiewicz: Polenfeldzug. Hitler und Stalin zerschlagen die Polnische Republik. Augsburg 1998.
- Horst Rohde: Hitlers erster „Blitzkrieg“ und seine Auswirkungen auf Nordosteuropa. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 2, Stuttgart 1988.
- Alexander B. Rossino: Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, Ideology and Atrocity. University Press of Kansas, Kansas City 2003, ISBN 0-7006-1234-3.
- Robert Seidel: Deutsche Besatzungspolitik in Polen. Der Distrikt Radom 1939–1945. Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, ISBN 978-3-506-75628-2.
- Timothy Snyder: Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62184-0.
- Tomasz Szarota: Polen unter deutscher Besatzung, 1939–1941. Vergleichende Betrachtung. In: Bernd Wegener (Hrsg.): Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum „Unternehmen Barbarossa“. Piper, München/Zürich 1991, ISBN 3-492-11346-X.
- Hans Umbreit: Auf dem Weg zur Kontinentalherrschaft. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 5/1, Stuttgart 1988.
- Hans Umbreit: Die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten 1942–1945. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 5/2, Stuttgart 1999.
Weblinks
Einzelbelege
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