Komposition (Grammatik)
Die Komposition oder Wortzusammensetzung ist in der Grammatik die Bildung eines neuen Wortes durch die Verbindung mindestens zweier bereits vorhandener Wörter (bzw. Wortstämme). Ein zusammengesetztes Wort wird Kompositum (Pl.: Komposita), Zusammensetzung oder Doppelwort genannt.
Die Komposition ist (in vielen Sprachen und insbesondere auch im Deutschen) neben der Derivation (Ableitung) die wichtigste Art der Wortbildung. Sie ist neben der Entlehnung – die allerdings nicht als Wortbildungsart gilt – das wichtigste Mittel, um bei Bedarf den bestehenden Wortschatz zu erweitern. Die Kompositionsbildung folgt dabei dem Prinzip der Univerbierung,<ref>Inhaltsverzeichnis
- 1 Begriff
- 2 Abgrenzung zu anderen Wortbildungsarten
- 3 „Kopf“ und „Kern“ bei der Komposition
- 4 Kompositionstypen
- 5 Sonderfälle
- 6 Fuge und Fugenelement (im Deutschen)
- 7 Siehe auch
- 8 Literatur
- 9 Weblinks
- 10 Einzelnachweise
Begriff
In manchen Darstellungen wird für eine Komposition verlangt, dass die miteinander verbundenen Elemente selbständig vorkommen können, also Wörter sein sollen.<ref>So z. B. Duden, Rechtschreibung und Grammatik – leicht gemacht. 2007, S. 126.</ref> Dies wäre der Fall in Beispielen wie:
- Beispiele
- Brief + Träger → Briefträger, Abfahrt + Zeit → Abfahrtszeit, fahren + Gast → Fahrgast, Fuß + Ball → Fußball, Fußball + Stadion → Fußballstadion.
Üblicherweise werden jedoch unter den Begriff der Komposition auch Verbindungen mit unselbständigen Elementen (Morphemen) einbezogen, solange es sich bei diesen um lexikalische Morpheme handelt. Als Komposita zählen somit auch Bildungen, die sogenannte Konfixe verwenden<ref>So auch Duden, Die Grammatik. 7. Auflage. 2005, Rn. 1002.</ref> wie in Biblio-thek oder Video-thek. Hier ist das Element -thek ein Konfix, d. h. kommt nicht frei vor, bildet aber einen Wortstamm für die Anfügung von Flexionsendungen, wie in Videothek-en.
Komposition lässt sich dann allgemein definieren als die Verbindung zweier Wortstämme, wobei jeder Stamm seinerseits zusammengesetzt sein kann oder auch nicht. Der zweite Stamm, also das Rechtsglied der Komposition, verhält sich hierbei als der Kopf des Kompositums, d. h. gibt die grammatischen Merkmale des Ganzen vor (etwa Genus) sowie die Bedeutungsklasse.
- Beispiel<ref>Nach Michael Schlaefer
- Lexikologie und Lexikographie. 2. Auflage. E. Schmidt, Berlin 2009, S. 22.</ref>
- Töpfereibetriebseröffnung = {Töpfereibetrieb} + {s} + {Eröffnung} (Komposition mit Fugenelement {s}). Rechtsglied: (die) Eröffnung ist der Kopf und macht das ganze Wort zu einem Femininum.
- Töpfereibetrieb = {Töpferei} + {Betrieb} (wiederum Komposition)
Wortbildungsmorpheme wie das -ei in Töpferei sind hier zwar als Bestandteil im Inneren des Erstglieds sichtbar, sind aber als solche nicht am Vorgang der Komposition beteiligt. Die Ableitung von Töpferei letztlich aus Topf ist ein Wortbildungsprozess, der insgesamt zur Bildung eines komplexen Wortstamms Töpferei führt:
- Töpferei = {Töpfer} + {-ei} (Ableitung mit Wortbildungsmorphem {-ei})
- Töpfer = {Topf} + {-er} (Ableitung mit Wortbildungsmorphem {-er})
Nur der so gebildete komplexe Wortstamm Töpferei als ganzer wird jedoch von der Kompositionsregel in der Bildung Töpferei+betrieb benutzt.
Abgrenzung zu anderen Wortbildungsarten
Die Komposition ist von der Derivation (Ableitung) und von der Konversion – soweit man diese nicht als einen Sonderfall der Derivation auffasst – zu unterscheiden. Die Konversion kommt ohne Hinzufügung von Lautmaterial aus, während die Komposition bestehende Morpheme miteinander verbindet.
Während die Derivation durch das Anhängen eines Affixes an einen Wortstamm gebildet wird, wird das Kompositum durch die Kombination von (freien) Wortstämmen oder (freien) lexikalischen Morphemen (oder Morphemfolgen mit einem lexikalischen Morphem als Kern) gebildet. Die Unterscheidung zwischen Komposition und Derivation ist idealtypisch zu nennen: „Der Übergang von Komposition zu Derivation … ist sowohl synchronisch als auch diachronisch fließend.“<ref name="bußmann_2002_komposition">Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Auflage. 2002, ISBN 3-520-45203-0 / Komposition.</ref>
„Kopf“ und „Kern“ bei der Komposition
Der grammatikalische Kopf einer Konstruktion überträgt seine grammatischen Eigenschaften auf das ganze Wort und steht beim Kompositum im Deutschen (und anderen germanischen Sprachen) in der Regel rechts außen (= Rechtsköpfigkeit). Der grammatische Kopf kann hierbei von dem Kern unterschieden werden: Während der Kopf die grammatischen Eigenschaften des zusammengesetzten Ausdrucks bestimmt, ist der Kern für die semantischen Eigenschaften zuständig. In der Regel gilt zwar Kopf = Kern, das heißt, der semantische Kern ist im Kompositum enthalten (endozentrische Konstruktion), es besteht aber auch die Möglichkeit Kopf ≠ Kern, das heißt, der semantische Kern befindet sich außerhalb des Kompositums (= exozentrisch).
Kompositionstypen
In der Sprachwissenschaft werden verschiedene Typen und Arten von Komposita unterschieden. Verbreitet ist die Einteilung in Determinativkomposita, Possessivkomposita und Kopulativkomposita. Daneben werden auch Rektionskomposita (deverbale Komposita) als synthetic compounds und Sonderfälle angeführt. Komposita können zudem nach der Art der Konstituenten systematisiert werden. Auch eine semantische Typisierung ist möglich.
Herkömmliche Typisierung
Herkömmlich werden Komposita nach semantischen Kriterien als Determinativkomposita, Possessivkomposita und Kopulativkomposita typisiert. Beim Determinativkompositum bestimmt (determiniert, spezifiziert) ein Wortglied das andere, während beim Kopulativkompositum die Glieder semantisch gleichberechtigt sind. Man spricht dabei bewusst von Typisierung und nicht von Einteilung. Die Typisierung in Determinativkomposita und Kopulativkomposita wird nicht (immer) als abschließende, eindeutige Einteilung angesehen.
- Beispiel
- ein nicht zuordenbares Kompositum ist „Vergißmeinnicht“.<ref>So Clément: Linguistisches Grundwissen, 2. Auflage, 2000, S. 39.</ref>
Das Possessivkompositum gilt zumeist als Sonderfall des Determinativkompositums. Daneben wird auch ein präpositionales Rektionskompositum angeführt.
Determinativkomposita (hypotaktische Komposita)
Das Determinativkompositum (im weiteren Sinn) ist ein Kompositum, bei dem zwischen den verbundenen Wörtern (Konstituenten) ein Über- und Unterordnungsverhältnis (ein „hypotaktisches (untergeordnetes) Verhältnis“,<ref name="kessel_2005_S104">Reimann Kessel: Basiswissen deutsche Gegenwartssprache, 2005, ISBN 3-8252-2704-9, S. 104.</ref> ein Bestimmungsverhältnis) besteht. Das heißt eine Wortzusammensetzung, bei der ein Wortteil (Grundwort, Determinatum) durch einen anderen Wortteil (Bestimmungswort, Determinans) näher bestimmt wird.
Vielfach wird von einem Determinativkompositum (im engeren Sinn) nur dann gesprochen, wenn darüber hinaus zwischen den Wörtern/Morphemen (Konstituenten) ein endozentrisches Bedeutungsverhältnis besteht. Da auch das Possessivkompositum als hypotaktisches, jedoch nicht endozentrisches Kompositum aufgefasst wird, wird hier zwischen einem Determinativkompositum im weiteren und engeren Sinn unterschieden.<ref>Diese Unterscheidung wurde in der eingesehenen Literatur nicht vorgefunden.</ref>
Endozentrische hypotaktische Komposita (Determinativkomposita (im engeren Sinn))
Das Determinativkompositum (im engeren Sinn) (auch: „Endozentrisches Kompositum“ oder „Tatpurusha“) (Kopf = Kern) ist ein Determinativkompositum (im weiteren Sinn), bei dem ein „endozentrisches Bedeutungsverhältnis“ zwischen den beiden Konstituenten besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Bedeutung des Kompositums im Grundwort enthalten ist und durch das Bestimmungswort eine einschränkende Spezifizierung erhält.
- Beispiele
- Hochhaus, Speiseöl.
Bei Determinativkomposita in germanischen Sprachen bestimmt das Erstglied (Determinans, Bestimmungswort) das Zweitglied (Determinatum, Grundwort, Basiswort) näher. Bei romanischen Sprachen ist es umgekehrt.
- Beispiel
- Filterkaffee (deutsch) – aber café filtre (französisch)
Auch semitische Sprachen verfahren nach diesem Prinzip des hinteren Grundwortes.
- Beispiel
- Hebräisch cheder = Zimmer, ochel = Essen; chadar ochel = Esszimmer.
Das Determinans schränkt also das Determinatum semantisch ein, determiniert dies. Die syntaktischen Eigenschaften wie Wortart und Flexionsklasse (Kasus, Genus, Numerus) legt aber weiterhin das Basiswort fest.
- Beispiel
- grasgrün, Grüngras.
Schon als Übergang zu den Simplizia betrachtet man Wörter wie Junggeselle oder jene mit unikalem Morphem im ersten Glied, wie Himbeere, Schornstein, bei denen die formale Analyse nach Determinatum und Determinans keinen Sinn mehr ergibt.
Exozentrische hypotaktische Komposita
Komposita, in denen zwischen ihren Konstituenten ein Über-, Unterordnungsverhältnis besteht, das Bedeutungsverhältnis jedoch exozentrisch ist, werden hier exozentrische Determinativkomposita genannt. Das Bedeutungsverhältnis ist exozentrisch, wenn die Bedeutung der Zusammensetzung in der Zusammensetzung nicht explizit genannt wird. Als exozentrische hypotaktische Komposita werden herkömmlich die Possessivkomposita, vereinzelt auch die präpositionalen Rektionskomposita genannt.
Possessivkomposita
Beim Possessivkompositum (auch: possessivische (besitzanzeigende) Zusammensetzung,<ref>Langemann,Felgentreu (Hrsg.): Duden, Basiswissen Schule: Deutsch, 2. Auflage, 2006, ISBN 3-411-71592-8, S. 112.</ref> Bahuvrihi, Exozentrisches Kompositum) (Schema: Kopf ≠ Kern) besteht wie beim Determinativkompositum ein Determinationsverhältnis. Jedoch wird über das Zweitglied hinausgehend (exozentrisch) „eine andere Entität denotiert als das Zweitglied.“<ref name="bußmann_2002_poss">Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Auflage. 2002, ISBN 3-520-45203-0/Possessivkompositum.</ref>
- Beispiel
- Determinativkompositum: „Gesichtsmilch“; Possessivkompositum: „Milchgesicht“.<ref name="bußmann_2002_poss" />
Man kann sie auch als Bildungen pars pro toto (im zweiten Glied) auffassen: Großmaul, Dickwanst, Rotkehlchen etc.
Alle diese Bildungen lassen sich mit einem haben-Syntagma paraphrasieren („Jemand, der ein großes Maul hat“). Mit zeitlicher Entfernung kann die Empfindung der einzelnen Komponenten dann aber verloren gehen, die Paraphrasierung sinnlos werden: Bei Grünschnabel oder Rotkehlchen, Löwenzahn etc. ist die Idiomatisierung bereits so stark fortgeschritten, dass sie als Simplizia empfunden werden können.
Noch einmal hiervon abzusondern sind Bildungen wie Dickhäuter, Tausendfüßer, Linkshänder etc. die noch ein derivatives -er aufweisen. Bei ihnen handelt es sich um sog. Zusammenbildungen, eine Form der Ableitung.
Rektionskomposita
In Rektionskomposita hat das Zweitglied eine Argumentstruktur, die vom Erstglied erfüllt wird. Beispielsweise kann der Kopf eines Rektionskompositum von einem transitiven Verb abgeleitet sein.
- Beispiel
- fahren <_AGENS, _THEMA> → Fahrer <_THEMA> → Taxifahrer <_>
Viele Linguisten betrachten ein Kompositum nur dann als Rektionskompositum, wenn das Erstglied tatsächlich ein realisiertes Argument des Verbs ist: Taxifahrer = jmd. fährt Taxi. Ist dies nicht der Fall, wie bspw. in Unfallfahrer ≠ jmd. fährt einen Unfall, wird dieses nicht als Rektionskompositum, sondern als Nicht-Rektionskompositum (Olsen (1986)) oder als Determinativkompositum (Selkirk (1982)) analysiert. Oft wird auf diese Unterscheidung allerdings auch verzichtet.
Das präpositionale Rektionskompositum ist ein exozentrisches hypotaktisches Kompositum, das im Unterschied zum Possessivkompositum als Erstglied eine Präposition hat.<ref name="kessel_2005_S104f">Kessel, Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache, 2005, ISBN 3-8252-2704-9, S. 104 f.</ref>
- Beispiele
- „Vor+mittag“, „Unter+tasse“, „Über+see“<ref name="kessel_2005_S104f" />
Kopulativkomposita (parataktische Komposita)
Kopulativkomposita (auch: Dvandva, Koordinativkomposita) sind Komposita aus zwei oder mehr Bestandteilen derselben Kategorie, welche in einem Verhältnis der Koordination (ein „parataktisches (nebengeordnetes) Verhältnis“<ref name="kessel_2005_S105">Kessel, Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache, 2005, ISBN 3-8252-2704-9, S. 105.</ref>) und nicht der Über- oder Unterordnung stehen. Das Besondere der Kopulativkomposita ist, dass die Konstituenten semantisch gleichwertig sind und nicht die eine der anderen untergeordnet ist. Deshalb spricht man hier von Kopflosigkeit oder auch von Doppelköpfigkeit.
- Beispiele
- süßsauer, nasskalt, gelbrot, Hosenrock, aber auch mit Bindestrich: Castrop-Rauxel, Elsaß-Lothringen, Nordrhein-Westfalen und Zahladjektive wie einundzwanzig, Fahnenfarben wie schwarzrotgold, die aber in der Reihenfolge konventionalisiert sind.
Wenn die Reihenfolge nicht lexikalisiert ist, können (theoretisch) die Glieder ohne Sinnverlust vertauscht werden, wie bei Spieler-Trainer sowie Trainer-Spieler.<ref name="bußmann_2002_kopu">Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Auflage. 2002, ISBN 3-520-45203-0/Kopulativkompositum.</ref>
In manchen Fällen sind Bildungen wie graublau je nach Wortakzentuierung und Kontext determinativ oder kopulativ interpretierbar.
Typenbildung nach Jacob oder Wilhelm Grimm
Während die Typenbildung in Determinativ-, Possessiv- und Kopulativkomposita als synchronisch qualifiziert wird<ref name="bußmann_2002_kompositum">Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft; 3. Auflage; 2002, ISBN 3-520-45203-0/Kompositum.</ref> hat Grimm unter historisch-genetischem Aspekt echte/eigentliche Komposita durch Juxtaposition, Kasuskomposita (uneigentliche/unechte Komposita) und verdunkelte („versteinerte“) Zusammensetzungen unterschieden.<ref name>Einzelheiten bei Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft; 3. Auflage; 2002, ISBN 3-520-45203-0/Komposition.</ref>
Typisierung von Nomina nach semantischen Mustern
Typ | Beschreibung | Zusammensetzung | Beispiele |
---|---|---|---|
Substanz-Nomina | B besteht aus A | BS + BS |
|
affizierende Nomina | B wird durch A bewirkt | BV + BS |
|
effizierende Nomina, Nomina resultativa |
B bewirkt A | BV + BS |
|
Nomina agentis | B tut A | BV + BS |
|
Nomina patientis | B ist Ziel von A | BV + BS |
|
Nomina instrumenti | A wird mit B getan | BV + BS |
|
B wird mit A getan | BS + BS |
| |
Nomina loci | A geschieht in B | BV + BS |
|
B geschieht in A | BS + BS |
| |
Nomina directionalia | B geschieht nach A |
| |
B geschieht in Richtung A |
| ||
Nomina temporis | A finden an B statt | BV + BS |
|
B finden an A statt | BS + BS |
| |
A dauert B | BV + BS |
| |
Nomina finalia | B zum Zwecke von A | BS + BS |
|
Nomina causalia | B wegen A | BS + BS |
|
B um A willen | BS + BS |
| |
Nomina conditionalia | A gibt den Anlass für B an |
| |
Nomina modalia | A gibt das Wie für B an |
|
Anmerkung: Mit linguistischen Pluralformen wie Nomina loci (eigentlich: Substantiv im Nominativ Plural gefolgt von einem Substantiv im Genitiv Singular) sind nicht mehrere Bezeichnungen einer Sache gemeint, sondern Bezeichnungen mehrerer Sachen. Die sinnigen lateinischen Plurale sind dementsprechend wie nomina locorum (Substantiv im Nominativ Plural gefolgt von einem Substantiv im Genitiv Plural) gebildet.
Typisierung nach den beteiligten Wortarten
Die unmittelbaren Konstituenten eines Kompositums können unterschiedlichen Wortarten angehören. „Fast alle Wortarten können miteinander kombiniert werden.“<ref>Langemann, Felgentreu (Hrsg.): Duden, Basiswissen Schule: Deutsch; 2. Auflage; 2006, ISBN 3-411-71592-8, S. 111.</ref> Es gibt „grundsätzlich keine Einschränkungen.“<ref>So Reimann Kessel: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache, 2005, S. 102.</ref> Allerdings kann ein Kompositum auch einer Wortart angehören, die keines seiner Bestandteile hat. So sind Zusammensetzungen mit Präpositionen als zweitem Glied üblicherweise selbst keine Präpositionen („nebenan“).
Beispiele:<ref>Beispiele überwiegend nach Kessel, Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache, 2005, S. 102.</ref>
1.\2. Bestandteil | Substantiv | Verb | Adjektiv | Adverb | Präposition |
---|---|---|---|---|---|
Substantiv | Wort+bildung | seil+tanzen | blitz+schnell | fluss+abwärts | |
Verb | Koch+topf | dreh+bohren | klopf+fest | Tauge+nichts | Reiß+aus |
Adjektiv | Blau+helm | rein+waschen | hell+gelb | rund+weg | rund+um |
Adverb | Wieder+wahl | davon+laufen | immer+grün | immer+fort | außen+vor |
Präposition | Gegen+satz | wider+sprechen | vor+laut | vor+weg | neben+an |
Weitere Beispiele:
- (Substantiv + Substantiv; N+N-Komposita): „Fuge+n+element“
- (Adjektiv + Substantiv (+ Substantiv)): „Breit+maul+frosch“; „Dünn+brett+bohrer“
- (Pronomen + Substantiv): „All+heilmittel“, „Ich+bewusstsein“
- (Partizip + Substantiv): „Bedeckt+samer“, „Lebend+gewicht“
Komposita kann man auch nach der Wortart der Kopfkonstituente einteilen in:<ref name="bußmann_2002_kompositum" />
- Substantivkomposita (Nomenkomposita, Nominalkomposita)
- „Renn+wagen“
- Adjektivkomposita
- „himmel+blau“
- Verbkomposita
- „zusammen+setzen“
„Es gibt Tiere, Kreise und gibt Ärzte. Es gibt Tierärzte, Kreisärzte und Oberärzte. Es gibt einen Tierkreis und einen Ärztekreis. Es gibt auch einen Oberkreistierarzt. Ein Oberkreistier aber gibt es nicht.“
Sonderfälle
Zusammenrückungen, Amalgamierungen
Zusammenrückungen, auch Amalgamierungen genannt, also Wörter wie Taugenichts, Nimmersatt, Gottseibeiuns, Dreikäsehoch, Vergissmeinnicht, fußbreit, fortan sind in der Forschung in ihrer Zuordnung umstritten. Nach Bußmann stellen sie eine Ausnahme bei der Komposition dar, da das 2. Glied nicht Wortart und Flexionsklasse bestimmt.<ref name="bußmann_2002_kompositum" />
Autokomposita, Iterativkomposita
Die Reduplikation, auch Iteration, ist eine schwach produktive Wortbildungsart, bei der durch Doppelung eines Wortes ein Kompositum gebildet wird. Gelegentlich wird dabei der anlautende Konsonant variiert, meist aber der Stammvokal des Ausgangswortes.
- Beispiel
- Konsonantenvariation: Schickimicki, larifari;
- häufiger ist Vokalvariation: Mischmasch, Wirrwarr, Schnickschnack.
Nicht zur Reduplikation gehören Onomatopoetika wie Kuckuck, Tamtam, Wauwau, die nicht aus Wörtern gebildet, sondern lautmalerisch urgeschöpft werden. Ebenfalls nicht als Reduplikationsprodukte, sondern als Determinativkomposita werden hier die sogenannten Selbstkomposita verstanden, die vorrangig der Hervorhebung dienen, z. B. Film-Film, graugraue Hemden.
Affixoide Wortbildungen
Sie stehen funktional zwischen Kompositum und Derivation. Affixoide sind wortwertige Affixe, was bedeutet, dass sie (noch) nicht den Grad an Entkonkretisierung erreicht haben, den nichtwortwertige Affixe (bereits) besitzen. Während im Kopulativkompositum fettfrei ein (suffixoides) Affixoid darstellt, welches nicht auf fett angewiesen ist und nur eine Teilbedeutung des Lexems frei mitträgt, verhält es sich bei fettlöslich anders: das Affix lich (von ahd. lich = Körper, Gestalt) besitzt (heute) keinen Wortwert mehr.<ref>Damaris Nübling: Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels, 2014; S. 73–74.</ref>
Die Unterschiede zwischen reihenbildenden Affixoiden und nichtreihenbildenden Komposita lassen sich an folgenden Beispielen veranschaulichen.
Affixoide (reihenbildende) Komposita sind:
- Präfixoide: Star-dirigent, Problem-kind, Traum-frau, Riesen-freude, sau-müde;
- Suffixoide: Ehe-muffel, Geräusch-armut, trink-fest.
Nichtreihenbildende Komposita: Problembewusstsein, Saumagen
Ebenfalls kann es vorkommen, dass Komposita mehrdeutig sind, d. h. Komposita die auf Grund dieser beiden Wortbildungsmöglichkeiten zwei Bedeutungen haben:
- Traumarbeit: 1. In der Psychologie: Arbeit, die der Traum leistet, nämlich die Umformung und Aufarbeitung unbewusster libidinöser Wünsche; 2. (präfixoid) traumhaft schöne Arbeit.
- Bombenauto: 1. Auto, in dem eine Bombe versteckt ist; 2. (präfixoid) ein ganz tolles Auto.
- Scheißhaus: 1. derb für: Toilette, Abort; 2. (präfixoid) Haus, das in einem bestimmten Zusammenhang als ärgerlich empfunden wird, blödes Haus (wegen dieses Scheißhauses kann ich nicht in den Urlaub fahren, ich muss es noch immer abbezahlen).<ref>Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Lexicographica Series Maior 84: Wörterbücher in der Diskussion III, 1998; Darin: Wolfgang Müller: Wörterbücher der Zukunft oder Terrae incognitae, S. 212–222.</ref>
Fuge und Fugenelement (im Deutschen)
Die Nahtstelle zwischen den Wortstämmen, die die Glieder eines Kompositums bilden, wird Fuge oder Kompositionsfuge genannt.<ref name="kürschner_2003_S70">Kürschner: Grammatisches Kompendium, 4. Auflage, 2003, ISBN 3-8252-1526-1, S. 70.</ref> Diese kann durch ein spezielles Fugenelement gekennzeichnet sein.<ref name="kürschner_2003_S70" />
- Beispiel
- Das „s“ in „Komposition-s-fuge“
Als Fugenelemente erscheinen im Deutschen hauptsächlich -(e)s-, -e-, -(e)n- und -er- wie in Liebeslied, nötigenfalls, Wartezimmer und gewissermaßen. Die Fugenelemente im Deutschen sind aus Flexionsendungen oder andernorts geschwundenen Teilen des Wortstamms entstanden, wurden aber später in Analogie dazu gebildet. Man unterscheidet paradigmatische Fugenelemente, d. h. Laute bzw. Lautverbindungen, die dem Flexionsparadigma des Erstglieds entsprechen, z. B. Genitiv-/Plural-Morphologie (Geistesblitz, Geisterfahrer) und unparadigmatische Fugen, die nicht zum Flexionsparadigma des Erstglieds gehören, z. B. Liebesbrief, Beobachtungssatellit.<ref>Altmann, Kemmerling, 2005.</ref> Vollständige Regeln für ihr Auftreten gibt es nicht. Einige Suffixe verlangen jedoch immer das Anhängen eines Fugen-s, so etwa bei -keit, -heit, -schaft, -ung, -ut, -ion, -tät, -tum.
- Beispiele
- Freiheitsliebe; Landschaftsgärtnerin; Meinungsbildung.
Siehe auch
Literatur
- Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft; 4. Aufl.; Kröner-Verlag, Stuttgart, 2008, ISBN 3-520-45204-9.
- Elke Donalies: Die Wortbildung des Deutschen: Ein Überblick, Narr-Verlag, Tübingen 2002, ISBN 3-8233-5157-5, 2. Auflage, 2005.
- Johannes Erben: Einführung in die deutsche Wortbildungslehre, 3. neubearbeitete Auflage, Schmidt, Berlin 1993, ISBN 3-503-03038-7.
- Wolfgang Fleischer, Irmhild Barz, unter Mitarbeit von Marianne Schröder: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache; 2., durchgesehene und ergänzte Auflage; Niemeyer-Verlag, Tübingen 1995, ISBN 3-484-10682-4.
- Susan Olsen: Wortbildung im Deutschen. Eine Einführung in die Theorie der Wortstruktur; Kröner, Stuttgart 1986, ISBN 3-520-66001-6.
- Susan Olsen: „Argument-Linking“ und unproduktive Reihen bei deutschen Adjektivkomposita; in der Zeitschrift für Sprachwissenschaft, Band 5, S. 5–24, 1986b., ISSN (online) 1613-3706, ISSN (gedruckt) 0721-9067.
- Lorelies Ortner, Elgin Müller-Bollhagen u. a.: Substantivkomposita. (Komposita und kompositionsähnliche Strukturen 1), de Gruyter, Berlin 1991, ISBN 3-11-012444-0.
- Maria Pümpel-Mader, Elsbeth Gassner-Koch, Hans Wellmann unter Mitarbeit von Lorelies Ortner: Adjektivkomposita und Partizipialbildungen. (Komposita und kompositionsähnliche Strukturen 2), de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-012445-9.
- Elisabeth O. Selkirk: The syntax of words, 2. Auflage, MIT Press, Cambridge, Mass. 1982, ISBN 0-262-19210-1/ISBN 0-262-69079-9.
Weblinks
- Komposita – zusammengesetzte Wörter – aus Verben und Substantiven, die neue Adjektive ergeben (Memento vom 15. März 2008 im Internet Archive)
Einzelnachweise
<references/>