Männlichkeit
Männlichkeit umfasst kulturell dem Mann zugeschriebene Eigenschaften. Dabei steht Männlichkeit dem Begriffspol Weiblichkeit gegenüber und ist wie diese ein kulturell-ideologisch verdichtetes Verständnis (im Gegensatz zum „Mannsein“, welches die tatsächlich gelebte Vielfalt repräsentiert). Die über Männlichkeit den Männern zugeschriebenen Eigenschaften unterliegen unter anderem dem kulturellen und sozialen Wandel (vgl. Weib und Frau); sie werden mit den biologisch männlichen Merkmalen als verbunden angesehen (vgl. Männchen). Inwieweit diese Zuschreibungen für sozialisiert oder angeboren (oder sogar „natürlich“ bzw. „göttlich gewollt“) erachtet werden, unterliegt ebenfalls dem sozialen Wandel. Unterschiedliche Religionen, Weltanschauungen und wissenschaftliche Positionen bieten dazu verschiedenste Modelle als Antworten an. Im wissenschaftlichen Bereich beschäftigen sich vor allem die Gender Studies mit diesen Fragen.
In engerem Sinne wird unter der Virilität (lateinisch virilis „männlich“) die männliche Stärke, die männlich-erotische Ausstrahlung, oft auch die Zeugungsfähigkeit („Manneskraft“) verstanden. Daher ist Mannbarkeit ein außer Gebrauch kommendes gehobenes Wort der Umgangssprache für die Geschlechtsreife des jungen Mannes, und Mannhaftigkeit wird in gehobener Sprache für Tapferkeit verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Männlichkeit im westlichen Kulturraum
Die im westlichen Kulturkreis dem „Männlichen“ unausgesprochen oder ausgesprochen zugeschriebenen Stereotype sind:
- eher physische Merkmale:
- (Körper-)Kraft – demgegenüber „weiblich“: (Körper-)Schwäche, Schönheit
- markant, „eckig“ – demgegenüber „weiblich“: abgerundet, rund
- rohe Sinnlichkeit – demgegenüber „weiblich“: Zartheit, ganzheitliche Erotik
- eher charakterliche Merkmale:
- Mut, Risikobereitschaft und Abenteuerlust – demgegenüber „weiblich“: Familiensinn, Furchtsamkeit, Zaghaftigkeit
- Aggression im Sinne von aktivem Zupacken, Angriffslust bis hin zum Extrem: Gewaltbereitschaft – demgegenüber „weiblich“: Friedfertigkeit, Geduld, oder mentaler Widerstand beispielsweise in Gestalt von List
- Führungsanspruch, Dominanz, Verlässlichkeit – demgegenüber „weiblich“: Duldsamkeit, Fügsamkeit, Wankelmut
- Besonnenheit, Selbstbeherrschung, auch Gefühlskälte, Coolness – demgegenüber „weiblich“: Impulsivität, Warmherzigkeit
- eher mentale Merkmale:
- technische und organisatorische Fähigkeiten – demgegenüber „weiblich“: soziale Kompetenzen
- Rationalität, auch: Abstraktes Denken, Zielstrebigkeit, Eigensinn – demgegenüber „weiblich“: Einfühlsamkeit, Spontaneität, Anpassungsfähigkeit, Irrationalismus
Diese Zuschreibungen werden außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses weithin für archetypisch gehalten, entpuppen sich aber bei näherer kritischer Betrachtung nicht selten als stereotype Rollenerwartungen. Die Zuschreibungen stehen im Gegensatz zu vielen Ergebnissen der Genderforschung, denn einige ihrer Ergebnisse verweisen auf eine faktische anthropologische Offenheit des Menschen. Von dieser Position ausgehend, werden obige Zuschreibungen auch ethisch kritisiert: Sie verletzten durch Beschränkung auf vorgefertigte Muster die menschliche Würde sowohl von Frauen als auch von Männern.
Solche Probleme verschärfen sich in einer Gesellschaft mit einer höheren Bewertung von Eigenschaften, die Männlichkeit zugeschrieben werden, gegenüber Eigenschaften, die Weiblichkeit zugeschrieben werden. Wenn diese sexistische Bewertungsproblematik dazu führt, dass „Männlichkeit“ zum Maßstab erhoben und „Weiblichkeit“ zur Abweichung gegenüber solcher Norm wird, wird in der Genderforschung von androzentrischen Geschlechterverhältnissen gesprochen.
Mode, Jugendkulturen, Werbung, Filme und andere Medien bieten immer wieder neue Männlichkeitsbilder und -ideale an und verstärken, variieren oder relativieren damit diese Zuschreibungen. Beispiele: die Filme Easy Rider und Terminator, der Mythos Cowboy (Westernromane, Film, Mode), der Marlboro Man der Werbung – aber auch als Relativierung der Hippie u. a. m.
Biologie
Auch bestimmte Eigenschaften des männlichen Körpers werden vielfach als Sinnbild von Männlichkeit interpretiert. So gelten körperliche Größe, eine ausgeprägte Muskulatur, eine tiefe Stimme, breite Schultern, markante Gesichtszüge und eine starke Körperbehaarung, insbesondere der Brust, als typisch männliche Merkmale.
Soziologie
„Männliches“ Handeln und Verhalten wird eingehender – auch im Kulturvergleich – in der soziologischen Rollentheorie behandelt.
Die aktuelle Geschlechterforschung spricht seit den Publikationen der australischen Soziologin Raewyn Connell von Männlichkeit auch in der Mehrzahl, d. h. von „Männlichkeiten“. Connell erarbeitete in historischen und kulturellen Analysen, dass es nicht nur eine, sondern viele Ausprägungen von Männlichkeit gebe, die auch in ein und derselben Kultur gleichzeitig existieren könnten. Jene, die in einer Kultur als vorherrschend akzeptiert wird, wird von ihr „Hegemoniale Männlichkeit“ genannt.
Siehe auch
- Gender – Geschlechterrolle
- Männerforschung – Mannesalter – Junge (Bub) – Jungenarbeit – Metrosexualität – Straight-Queer Masculinities – Chauvinismus – Maskulinismus – Patriarchat (Soziologie)
- Weiblichkeit – Effemination
Literatur
- Başar Alabay: Kulturelle Aspekte der Sozialisation – Junge türkische Männer in der Bundesrepublik Deutschland. Springer VS, 2012. ISBN 978-3-531-19609-1.
- Élisabeth Badinter: XY. Die Identität des Mannes. München 1993, ISBN 3-492-03634-1.
- Claudia Benthien, Inge Stephan (Hrsg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Böhlau, Köln u. a. 2003, ISBN 3-412-10003-X.
- Ingo Bieringer, Walter Buchacher, Edgar J. Forster: Männlichkeit und Gewalt. Konzepte für die Jungenarbeit. Verlag für Sozialwissenschaften, 2000, ISBN 3-8100-2612-3.
- Lothar Böhnisch: Männliche Sozialisation. Eine Einführung. Juventa, Weinheim 2004, ISBN 3-7799-1372-0.
- Ralf Bönt: Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann. Pantheon Verlag, München 2012, ISBN 978-3-570-55185-1 (Besprechung bei perlentaucher.de).
- Nils Borstnar: Männlichkeit und Werbung. Inszenierung – Typologie – Bedeutung. Ludwig, Kiel 2002, ISBN 3-933598-23-0.
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- Ute Frevert: „Mann und Weib, und Weib und Mann“. Geschlechter-Differenzen in der Moderne. München 1995, ISBN 3-406-39200-8.
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- Wolfgang Schmale: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000). Böhlau, Wien 2003, ISBN 3-205-77142-7.
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- Klaus Theweleit: Männerphantasien. Roter Stern, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-87877-111-8.
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Weblinks
- Mark Juergensmeyer: Die Welt der Cowboy-Mönche. Terror und Männlichkeit. In: Frankfurter Rundschau. 20. April 2004, abgerufen am 5. Oktober 2013 (PDF; 91 kB).
- Themenausgabe: Männer/Männlichkeit. In: Das Parlament, Nr. 46. Deutscher Bundestag, 8. November 2004, abgerufen am 5. Oktober 2013.
- Broschüre: Männlichkeit. In: Forum Sexualaufklärung und Familienplanung 2/3-1996. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Oktober 1996, abgerufen am 5. Oktober 2013 (zur sexualpädagogischen Jungenarbeit; als PDF downloadbar).
- Blog: XY online. David Houlder, 2013, abgerufen am 5. Oktober 2013 (englisch, Online-Magazin über Männlichkeiten, mit umfassender Bibliographie).