Papyrologie


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Die Papyrologie (von griechisch πάπυρος pápyros: ,Papyrus(-staude)‘ und λόγος lógos: ‚Wort‘, ‚Lehre‘) ist eine Spezialdisziplin der Klassischen Altertumswissenschaft, hier vor allem der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte. Ihr Gegenstand sind altgriechische und lateinische Texte auf Papyrus, Ostraka, Pergament, Holz- und Bleitäfelchen und ähnlichen Beschreibstoffen. Papyri wurden überwiegend in Ägypten gefunden, wo sie seit dem dritten vorchristlichen Jahrtausend als Beschreibstoff verwendet wurden. Die von der Papyrologie behandelten Stücke in griechischer und lateinischer Sprache stammen aus der griechisch-römischen Zeit Ägyptens von etwa 300 v. Chr. bis 700 n. Chr., also aus dem Jahrtausend zwischen der Eroberung des Nillandes durch Alexander den Großen und der Abschaffung der griechischen Verwaltungssprache durch die Araber nach deren Herrschaftsübernahme im Zuge der islamischen Expansion. Sie sind daher als Zeugnisse der antiken Schriftkultur und Sozialgeschichte für Hellenismus, Kaiserzeit und Spätantike von herausragender Bedeutung.

Vornehmliche Aufgaben des Faches Papyrologie sind die Katalogisierung, Edition, sprachliche und sachliche Kommentierung sowie die Aufbereitung und Erforschung der Papyri als historischer Quellen sowie als sprachlicher Zeugnisse und bzw. oder literarischer Dokumente, ferner die Erforschung der antiken Schriftkultur, also der Praxeologie des Schreibens, Lesens und der Schriftlichkeit.<ref>Vgl. Michael R. Ott , Rebecca Sauer , Thomas Meier (Hrsg.), Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken, (= Materiale Textkulturen 1). de Gruyter, Berlin Boston München 2015.</ref> Zu Ihrer Bewältigung sind die umfassende Beherrschung des philologischen Rüstzeugs wie auch die Vertrautheit mit Methoden und Ergebnissen der althistorischen Forschung sowie zahlreicher weiterer Nachbarfächer erforderlich. Ob sie daher eher als Philologie oder als historische Grundwissenschaft anzusehen sei, ist auch unter Papyrologen je nach Bildungsgang und Interessenschwerpunkten umstritten. In jedem Fall handelt es sich um eine historische Geistes- und Kulturwissenschaft. Papyri, die nicht mit Texten in Altgriechisch oder Latein beschriftet worden sind, fallen in die Zuständigkeit anderer Disziplinen wie der Ägyptologie, Demotistik, Koptologie, Judaistik und der Islamwissenschaft, von denen einzelne auch von manchen Papyrologen beherrscht werden und mit denen die Papyrologie in interdisziplinärer Kooperation eng verbunden ist. In der deutschen Hochschulpolitik ist die Papyrologie als Kleines Fach eingestuft.<ref>siehe Seite der Arbeitsstelle Kleine Fächer über Papyrologie, abgerufen 31. Juli 2015 Die Seite gibt eine Übersicht über die Lehrstühle in Deutschland.</ref>

Verhältnis zu anderen Wissenschaften

Im Unterschied etwa zur antiken Numismatik und Epigraphik, die als Teildisziplinen der Alten Geschichte organisatorisch an diese angebunden sind, ist die Papyrologie als selbständiges Fach unentbehrliche Grundwissenschaft im Sinne Karl Brandis für eine ganze Reihe anderer Fachgebiete, da sie einen wichtigen Teil von deren Quellengrundlage erschließt und erforscht:

  • Die Alte Geschichte, vor allem ihre Teildisziplinen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, kann aus der Analyse von auf Papyrus erhaltenen Dokumenten Rückschlüsse auf das antike Alltagsleben und wirtschaftliche Zusammenhänge (z. B. Preisentwicklungen) bzw. Handels- und Kommunikationswege ziehen, da Papyri zu diesen in der literarischen Überlieferung zumeist vernachlässigten Bereichen wichtige Informationen liefern können.
  • Papyri erlauben eine – im Vergleich zu anderen Territorien – sehr detaillierte Rekonstruktion der Herrschafts-, Heeres- und Verwaltungsorganisation des Ptolemäerreiches sowie der Verwaltung der römischen Provinz Aegyptus und ihrer Prinzipien.
  • Die Historische Demographie kann aus Papyrusurkunden vergleichsweise zuverlässige Schätzungen zu Bevölkerungsdichte und -veränderungen im antiken Ägypten gewinnen.
  • Die antike Rechtsgeschichte analysiert Rechtsurkunden (etwa über Kauf, Pacht, Kreditgeschäfte, Heirats-, Arbeitsverträge usw.) und verfolgt die Entwicklung des Rechtswesens insbesondere in hellenistischer Zeit.
  • Die Religionswissenschaft, Theologie und Kirchengeschichte wertet die auf Papyrus erhaltenen frühesten Zeugnisse für den Text des griechischen Alten und Neuen Testaments aus und interpretiert die zahlreichen Papyrusfunde mit frühchristlicher apokrypher oder patristischer Literatur. Papyri werden in der Textkritik des Neuen Testaments mit dem Buchstaben P in Fraktur mit einer hochgestellten Nummer abgekürzt: <math>\mathfrak{P}</math>n.
  • Die Erforschung der antiken Magie stützt sich in erheblichem Maße auf Papyri als Quellen.
  • Die Sprachwissenschaft verfolgt anhand von Papyri das Entstehen der antiken griechischen Volkssprache, der sogenannten Koine, einer Zwischenstufe auf dem Weg vom klassischen Altgriechisch zum Neugriechischen.
  • Der Medizingeschichte stellt sie wichtige Quellen für das antike Gesundheitswesen und seine Praxis bereit.
  • Die Klassische Philologie erhält zum einen ausschließlich auf Papyrus überlieferte, sonst unbekannte Texte, zum anderen wichtige frühe Textzeugen für die antike Textgeschichte und die Textkritik der durch mittelalterliche Handschriften überlieferten und daher schon bekannten Texte.
  • Die Philosophie erhält vor allem durch die verkohlten Papyri aus der Villa dei Papiri bei Herculaneum bisher unbekannte Texte, etwa des Epikur und seiner Schüler oder des Philodemos von Gadara.
  • Die Kunstgeschichte und die Archäologie ziehen auf Papyri überlieferte Zeichnungen und Malereien heran.
  • Die Ägyptologie, die Koptologie, die Arabistik und die Islamwissenschaft kooperieren mit der Papyrologie vor allem bei der Erforschung der zahlreichen Bilinguen.

Von der Papyrologie ist die Epigraphik abzugrenzen, die sich vorwiegend mit Inschriften auf Stein und Metall befasst, traditionell aber auch Texte auf Schreibtäfelchen behandelt, wie sie etwa von dem Archäologen Robin E. Birley im römischen Vindolanda gefunden wurden.<ref>Vgl. Vindolanda tablets online; vgl. Artikel "Vindolanda tablets" der englischen Wikipedia.</ref> Deren äußerst anspruchsvolle Entzifferung und Edition gelang jedoch erst dem Team um den papyrologisch geschulten Althistoriker Alan K. Bowman und den Papyrologen J. David Thomas.

Eine wichtige mit der Papyrologie verbundene Grundwissenschaft ist die Paläografie, die Lehre von den Buchstabenformen und der Schriftentwicklung, die allerdings auch Schriften auf nicht zum Aufgabenbereich der Papyrologie gehörenden Schreibgründen umfasst und die Geschichte der Schrift in ihrer Gesamtheit nicht nur innerhalb, sondern auch jenseits der Zeitgrenzen erforscht, die der Papyrologie gesetzt sind. Da die Mehrzahl der Papyri nicht in Buchschrift,<ref>Palaeographie – Grundbegriffe. Seite der Uni Passau</ref> sondern in Kursivschrift geschrieben ist und der Erhaltungszustand oft schlecht und lückenhaft ist, stellt die Entzifferung hohe Anforderungen und erfordert entsprechende Kenntnisse, um die Texte lesen und edieren zu können. Die Paläografie ermöglicht außerdem eine annähernde Altersbestimmung, da bestimmte Schriftformen oder Schreibgewohnheiten wie der Gebrauch bestimmter Abkürzungen sich zeitlich einordnen lassen.

Dokumentarische und literarische Papyri

Die Papyrologie unterscheidet wie andere textforschende Disziplinen zwischen dokumentarischen und literarischen Texten. Zu den dokumentarischen Texten, die den weitaus größten Teil der erhaltenen Papyri ausmachen, gehören unter anderem Urkunden, Privatbriefe, Verträge und Landlisten. Bei diesen Funden spricht man auch von Überrestquellen, weil zur Zeit der Entstehung dieser Dokumente niemand an die Weitertradierung dachte und die Erhaltung dieser Domumente mehr oder weniger dem Zufall zu verdanken ist.

Zu den literarischen Papyri zählt man alle Exemplare auf Papyrus erhaltener Texte, welche in die direkte Überlieferung eingegangen sind (oder wenigstens hätten eingehen können). Es sind Texte, die sich aufgrund ihres allgemeinen Interesses und ihrer literarischen Qualität an ein zeitgenössisches Publikum und eventuell darüber hinaus an die Nachwelt wenden. Solche Papyri dienten unter Umständen auch als Grundlage für die Abschrift von Kopien und damit der Verbreitung und Textüberlieferung.

Herkunft der Papyri

Ptolemäerzeit und Ägypten als Provinz des Imperium Romanum

Zwischen 332 v. Chr., als Alexander der Große Ägypten eroberte, und 642 n. Chr., als das Land durch islamische Araber eingenommen wurde, war die Amts- und Verkehrssprache in Ägypten überwiegend Altgriechisch.<ref>Vgl. beispielsweise: Karl Sudhoff: Ärztliches aus griechischen Papyrus-Urkunden. Bausteine zu einer medizinischen Kulturgeschichte des Hellenismus (= Studien zur Geschichte der Medizin. Heft 5/6, ISSN 0256-2634). Barth, Leipzig 1909.</ref> Nur die Papyri in dieser Sprache sowie die (recht wenigen) lateinischen Stücke werden von der Papyrologie behandelt. Die frühesten bislang bekannten griechischen Papyri aus Ägypten sind im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden. Da die Araber einige Jahrzehnte an der herkömmlichen Verwaltung des Nillandes festhielten, wurde Griechisch dort erst 693 als Amtssprache abgeschafft.

Im Römischen Reich

Ein kleiner Teil der erhaltenen Papyri stammt aus anderen Bereichen des Römischen Reiches – denn im ganzen Imperium wurde dieses Material verwendet -, doch war die Voraussetzung für eine Erhaltung nirgends so günstig wie im ägyptischen Wüstensand. Bedeutende Papyrusfunde außerhalb Ägyptens sind die Papyri von Herculaneum (wo die Papyri durch die Asche des Vesuvs 79 n. Chr. zwar verkohlt wurden, aber erhalten blieben und dank moderner Technik lesbar gemacht werden können) oder die Papyri aus Dura Europos am Euphrat sowie diejenigen aus dem nabatäischen Petra.<ref>Vgl. Artikel "Petra papyri" der englischen Wikipedia; Information zu den Petrapapyri auf der Seite nabataea.net</ref>

In anderen Sprachen

Auf Papyri gefundene Texte in ägyptischer Sprache (Hieratisch, Demotisch, Koptisch), auf Hebräisch, Persisch, Arabisch und in anderen Sprachen fallen in den Bereich anderer Disziplinen (z. B. der Ägyptologie).

Papyri aus der islamischen Zeit sind überwiegend Briefe, Urkunden, juristische Texte (Personen-, Erb-, Ehe- und Prozessrecht). Ferner gibt es literarische (d. h. außerkoranische) Texte aus dem 9. Jahrhundert.<ref>Siehe die angegebene Literatur von N. Abbot, A. Grohmann und R. G. Khoury.</ref>

Auswertung und Aufbewahrung

Allgemein ausgebildete Altertumswissenschaftler sind im Bereich der Papyrologie kaum in der Lage, mit unedierten Quellen zu arbeiten, da nur wenige Experten über die notwendigen Spezialkenntnisse verfügen. Allenfalls Papyri, die in sogenannter Buchschrift verfasst sind, erschließen sich auch den übrigen Forschern. Der Aufarbeitung und Edition der Papyri durch die Papyrologen kommt daher besondere Bedeutung zu, da von dieser Spezialdisziplin Forscher unterschiedlichster Fachrichtungen abhängig sind (siehe oben). Bei der Erfassung und Erschließung des Materials hat das Fach frühzeitig die enormen Möglichkeiten der Digitalisierung erkannt.

Das Institut für Papyrologie der Universität Heidelberg<ref>http://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zaw/papy/</ref> führt unter Leitung von Andrea Jördens das von Dieter Hagedorn initiierte Gesamtverzeichnis aller publizierten griechischen Papyri Ägyptens.<ref>Heidelberger Gesamtverzeichnis der griechischen Papyrusurkunden Ägyptens</ref> Außerdem werden dort weitere unentbehrliche, noch auf Friedrich Preisigke zurückgehende Forschungsinstrumente des Faches bearbeitet:

  • die Berichtigungsliste der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten (in Kooperation mit Francisca A. J. Hoogendijk, Papyrologisch Instituut der Universität Leiden), eine systematische Erfassung sämtlicher Berichtigungsvorschläge zur Lesung von Papyrustexten
  • das Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten, die vollständige Erfassung des Wortmaterials und der Belegstellen in den Papyri
  • das Sammelbuch der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten, die Erfassung sämtlicher verstreut edierter Papyri in einer Standardedition

Weitere wichtige Hilfsmittel sind die von Roger Bagnall, Direktor des Institute for the Study of the Ancient World der New York University, geleiteten Projekte Papyri.info,<ref></ref> befinden sich in Gießen,<ref>Giessener Papyrussammlungen</ref> Hamburg,<ref>

  • Ludwig Mitteis, Ulrich Wilcken: Grundzüge und Chrestomathie der Papyrusurkunde, Bd. 1-2. Teubner, Leipzig 1912.
  • Hans-Julius Wolff: Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer und des Principats (Handbuch des Altertums X 5, 2), Organisation und Kontrolle des privaten Rechtsverkehrs. Ch. Beck, München 1978.
  • Hans-Julius Wolff: Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer und des Principats (Handbuch des Altertums X 5, 1), Bd. 1 Bedingungen und Triebkräfte der Rechtsentwicklung, hg. von Hans-Albert Rupprecht. Ch. Beck, München 2002 ISBN 978-3-406-48164-2
  • Zeitschriften/Periodika

    Umfangreiches Verzeichnis, auch der gängigen Abkürzungen:

    Schriftenreihen

    Ein detailliertes Verzeichnis der Schriftenreihen, auch mit gängigen Abkürzungen: [8]

    Ostraka und Täfelchen

    Ein detailliertes Verzeichnis der Editionen, auch mit gängigen Abkürzungen: [9]

    Hilfsmittel

    Ein detailliertes Verzeichnis der Hilfsmittel und Nachschlagewerke, auch mit gängigen Abkürzungen: [10]

    Weblinks

    Einzelnachweise

    <references />