Islamische Expansion
Die islamische Expansion bezeichnet die Eroberungspolitik der Araber von der Mitte der 630er Jahre an und (in diesem Artikel) die weitere Ausdehnung des Islam bis ins 8. Jahrhundert hinein. Der Schwerpunkt des Artikels liegt auf der militärischen Expansion. Die wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung wird im Artikel Blütezeit des Islam dargestellt. Mit dem Beginn der islamischen Expansion wird häufig auch das Ende der Antike angesetzt.
In den 630er Jahren begann der Angriff der Araber auf das Oströmische/Byzantinische Reich und das neupersische Sassanidenreich, wobei beide spätantike Großmächte von einem langjährigen Krieg gegeneinander stark geschwächt waren. Die Oströmer verloren 636 Palästina und Syrien, 640/42 Ägypten und bis 698 ganz Nordafrika an die Araber. Während die Oströmer ein Restreich mit dem Schwerpunkt Kleinasien halten konnten, ging das Sassanidenreich 651 unter. In den folgenden Jahrzehnten griffen die Araber auch zur See an und eroberten zu Beginn des 8. Jahrhunderts das Westgotenreich auf der Iberischen Halbinsel. Der arabische Vormarsch konnte jedoch im Osten von den Byzantinern gestoppt werden, während den Arabern im Westen nur kleinere Vorstöße in das Frankenreich gelangen. Damit begann im Frühmittelalter die fortdauernde Teilung Europas und des Mittelmeerraums in einen christlichen und einen islamischen Teil sowie des christlichen Teils in einen lateinischen und einen orthodoxen, der den Kulturkreis von Byzanz umfasste.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Ausgangssituation
- 2 Islamische Expansion
- 3 Administrative Maßnahmen der Araber in den eroberten Gebieten
- 4 Lage der Christen unter muslimischer Herrschaft
- 5 Gründe für den Fall Persiens und für die byzantinischen Gebietsverluste
- 6 Quellenlage
- 7 Literatur
- 8 Weblinks
- 9 Anmerkungen
Ausgangssituation
Der islamische Machtbereich erstreckte sich beim Tod des Propheten Mohammed 632 n. Chr. auf die arabische Halbinsel,<ref>Siehe W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Oxford 1962, S. 78-151 sowie Elias Shoufani: Al-Ridda and the Muslim Conquest of Arabia. Toronto 1973. S. 10-48</ref> deren Randgebiete weitgehend unter der Kontrolle des Byzantinischen Reichs (Ostrom) und des Sassanidenreichs standen.
Diese beiden Großmächte der Spätantike hatten sich bei ihrer Grenzverteidigung lange großteils auf arabische Stämme verlassen. Doch hatte der sassanidische Großkönig Chosrau II. das Reich der Lachmiden, deren Hauptstadt Hira im heutigen Südirak lag, bereits um 602 vernichtet. Ostrom stützte sich seit dem 5. Jahrhundert vielfach auf die teilweise christlichen arabischen Ghassaniden, die südlich von Damaskus herrschten.
Als Mohammed gestorben war, kam es unter den muslimischen Arabern zu einer Abfallbewegung (ridda), da viele Stämme der Ansicht waren, nur dem Propheten selbst verpflichtet gewesen zu sein. Der erste Kalif Abū Bakr entschied sich, weiter an einem nicht nur religiösen, sondern auch politischen Führungsanspruch festzuhalten, und unterwarf die Abtrünnigen militärisch; zugleich hielt man Ausschau nach neuen, gemeinsamen Feinden. Die Araber hatten bereits lange zuvor Plünderungs- und Raubzüge unternommen. Für die folgenden Eroberungszüge gegen Ostrom und Persien kamen religiöse, ökonomische und innenpolitische Motive zusammen, die die Araber antrieben.
Begünstigt wurden sie dabei durch die damalige ungewöhnliche Schwäche ihrer Gegner: Sowohl Ostrom als auch Persien waren von einem langen Krieg erschöpft, der von 602/603 bis 628/629 angedauert und alle Ressourcen beansprucht hatte, zumal beide Mächte zuvor im 6. Jahrhundert wiederholt gegeneinander Krieg geführt hatten (siehe Römisch-Persische Kriege). Beide Reiche waren ganz aufeinander fixiert und militärisch nicht auf einen Angriff der Araber eingerichtet. Kurz vor dem Tod des Kaisers Herakleios (610 bis 641), der die Sassaniden mit Mühe besiegt und so das Reich noch einmal gerettet hatte,<ref>Zum Perserkrieg und den Folgen vgl. Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 100ff.</ref> sollte dann die Hauptphase der arabisch-islamischen Expansion beginnen.<ref>Eine allgemeine und wichtige Gesamtdarstellung zur Lage des oströmischen Reiches im 7. Jahrhundert hat Haldon vorgelegt: John Haldon: Byzantium in the Seventh Century. 2. Aufl. Cambridge 1997. Zur Ausgangslage vgl. auch Robert G. Hoyland: In God's Path. The Arab Conquests and the Creation of an Islamic Empire. Oxford 2015, S. 8ff.</ref>
Islamische Expansion
Die arabische Eroberung des römischen Orients
Beginn der arabischen Angriffe
Bereits 629 war ein islamisch-arabisches Heer in Palästina eingefallen, jedoch im September bei Muta von oströmischen Truppen geschlagen worden.<ref>Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 231; Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 71–74.</ref> Da es sich um einen eher kleineren Vorstoß zu handeln schien, erregte dies bei den Oströmern kein besonderes Aufsehen. Tatsächlich scheinen Kaiser Herakleios und seine Berater die Gefahr zunächst nicht adäquat eingeschätzt zu haben.<ref>Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 233ff.</ref> Ende 633/Anfang 634 rückte dann aber eine arabische Armee nach Palästina und Syrien vor (siehe auch Islamische Eroberung der Levante). Herakleios delegierte die Verteidigung (wie schon zuvor) an einige seiner Generäle und scheint zunächst auf Zeit gespielt zu haben, um mehr Informationen über die Angreifer und den neuen Glauben zu erhalten; eventuell spielte auch sein womöglich verschlechterter Gesundheitszustand eine Rolle.<ref>Vgl. Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 237f.</ref>
Die folgenden Ereignisse lassen sich aus der teils recht reichhaltigen, aber oft auch problematischen islamischen Geschichtsschreibung (wobei die relevanten erhaltenen Werke erst im 9. Jahrhundert verfasst wurden) und einzelnen christlichen Quellen rekonstruieren, wenngleich gerade die frühe Phase der Expansion eher dürftig belegt ist sowie die genaue Chronologie, Zahlenangaben und andere Detailfragen oft eher unsicher sind.<ref>Zu den folgenden Ausführungen siehe allgemein: Fred Donner: Muhammad and the Believers. Cambridge MA u. a. 2010, S. 106ff.; Fred Donner: The Early Islamic Conquests. Princeton 1981, S. 91ff.; Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 31ff.; Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 66ff.; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 66ff.; Ralph-Johannes Lilie: Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. München 1976, S. 40ff.</ref> Im Februar 634 schlugen die arabischen Verbände die Oströmer bei Gaza,<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 42; Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 67 und S. 88ff.</ref> das sich aber noch bis in den Spätsommer 637 halten konnte. Noch 634 erlitten die Oströmer bei Dathin und Ajnadayn zwei weitere Niederlagen,<ref>Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 67 und S. 88ff.</ref> so dass die arabischen Verbände relativ tief nach Palästina und weiter nach Syrien vorstoßen konnten. 635 eroberten die Araber Damaskus; eine oft angenommene Belagerung ist fraglich, es kam aber in diesem Zusammenhang zu einer vertraglichen Übergaberegelung.<ref>Detailliert dazu Jens Scheiner: Die Eroberung von Damaskus. Quellenkritische Untersuchung zur Historiographie in klassisch-islamischer Zeit. Leiden/Boston 2010.</ref> Der Kapitulationsvertrag der Stadt Damaskus sollte Modellcharakter erhalten; zumindest spätere Regelungen sahen vor: Die nicht-muslimische Bevölkerung sollte eine Kopfsteuer (dschizya) entrichten, war dafür aber von den islamischen Steuern, der Zakat und der Sadaqa befreit. Außerdem wurde den Christen und Juden die eingeschränkte Ausübung ihrer Religion gewährt.
Jarmuk und der Verlust Syriens
Die Oströmer blieben aber nicht untätig und organisierten eine Gegenoffensive. Im August 636 sahen sich die Araber daher dazu gezwungen, Damaskus und Homs (das antike Emesa) kurzzeitig zu räumen.<ref>Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 67.</ref> Im August 636 fand die Schlacht am Jarmuk im heutigen Jordanien statt.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 45f.; Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 112ff.; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 83–85.</ref> Das muslimische Heer wurde von zwei bedeutenden Kommandeuren geführt: Chālid ibn al-Walīd und Abū ʿUbaida ibn al-Dscharrāh. Die Details der folgenden Ereignisse sind problematisch zu rekonstruieren. Die oströmischen Truppen – vielleicht 40.000 Mann, eventuell aber auch deutlich weniger – unter dem Oberkommando des Generals Vahan waren zwar zunächst wohl in der Überzahl, jedoch erschöpft vom Marsch. Bevor es zur eigentlichen Schlacht kam, fanden wohl seit Juli 636 kleinere Gefechte statt. Die Überlegenheit der arabischen schnellen leichten Reiterei über die römischen Panzerreiter und topographische Nachteile vor Ort bewirkten schließlich, dass die Oströmer nach einem erbitterten Kampf entscheidend geschlagen wurden, nachdem die Araber den Oströmern den Rückzugweg abgeschnitten hatten.
Damit war das bislang christlich-römisch bestimmte Schicksal Syriens und Palästinas faktisch besiegelt, wenngleich die Oströmer die Kämpfe nicht einfach einstellten. So wurde versucht, zumindest Nordsyrien und das römische Mesopotamien zu sichern, was jedoch misslang.<ref>Vgl. Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge 1992, S. 147ff.</ref> Kaiser Herakleios, der nur wenige Jahre zuvor mit Mühe die Perser abgewehrt hatte, sah sein Lebenswerk zusammenbrechen und verließ Antiochia, bevor auch diese Stadt an die Araber fiel. Die kaiserlichen Armeen zogen sich nach Kleinasien zurück. Die Städte Syriens leisteten zwar teilweise selbstständig Widerstand, doch letztlich fielen alle an die Eroberer. Spätestens 638 kapitulierte auch das isolierte Jerusalem zu günstigen Bedingungen, während die bedeutende Hafenstadt Caesarea Maritima sich dank der kaiserlichen Flotte noch bis 640/41 halten konnte.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 48f.</ref>
Der Verlust Ägyptens
Den Arabern stand nun keine römische Feldarmee mehr im Weg, so dass sie nach Ägypten vorstießen, der Kornkammer Ostroms (siehe auch arabische Eroberung Ägyptens).<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 68ff.; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 139ff.</ref> Die Araber scheinen einige befestigte Orte umgangen zu haben, doch ist die Quellenlage für die arabische Eroberung Ägyptens vergleichsweise schlecht. Wohl Ende 639 begann der arabische Vormarsch, dessen erstes Opfer Pelusium war, bevor die Araber in das eigentliche Niltal vordrangen. Das Hauptziel war die strategisch wichtige Festung Babylon (heute Teil von Kairo). Im Juli 640 vernichteten die Araber ein kaiserliches Heer in der Schlacht von Heliopolis, das vom Statthalter Theodoros befehligt worden war.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 151.</ref> Babylon selbst fiel erst im April 641.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 152f.</ref>
Im Sommer 641 wurde Kyros, der ehemalige Patriarch von Alexandria, zu den Arabern entsandt, um einen Vertrag auszuhandeln. Er konnte mit dem arabischen Befehlshaber vor Babylon eine Vereinbarung erzielen, demnach die Oströmer Tribute zahlten und die Araber im Gegenzug versprachen, die Kampfhandlungen in Ägypten für elf Monate einzustellen und den Oströmern den Abzug aus Alexandria zu gestatten. Alexandria, die Weltstadt des Hellenismus, fiel endgültig im September 642 in arabische Hände;<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 74f.</ref> eine kaiserliche Gegenoffensive scheiterte.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 76.</ref> Nachdem der organisierte militärische Widerstand der kaiserlichen Truppen gebrochen war, arrangierte sich der größte Teil der Zivilbevölkerung in Syrien und Ägypten mit den Arabern – dies vielleicht umso eher, als die dortigen Christen zumeist „Miaphysiten“ waren und sich im Dauerstreit mit den „orthodoxen“ Kaisern befunden hatten. Inwieweit Streitigkeiten innerhalb der christlichen Kirche zum Erfolg der Araber beitrugen, ist aber in der Forschung inzwischen wieder sehr umstritten. Von größerer Bedeutung dürfte der Umstand gewesen sein, dass Syrien und Ägypten zuvor jahrelang sassanidisch gewesen und erst seit kurzem wieder oströmisch geworden waren; die kaiserliche Verwaltung hatte dort kaum wieder Fuß fassen können, als die Muslime angriffen. Loyalität gegenüber Konstantinopel scheint allenfalls die hellenisierte Elite empfunden zu haben. So hatten die Araber leichtes Spiel, sobald die reguläre Armee des Kaisers geschlagen war. Allerdings kam es im 8. Jahrhundert auch mehrmals zu Aufständen der christlichen Kopten gegen die muslimischen Herrscher.
Im Süden stießen die Araber in das alte Nubien vor, in die christlich beeinflussten Königreiche Nobatia und Makuria, wo ihnen die einheimischen Verteidiger jedoch erbitterten Widerstand leisteten und der arabische Vorstoß abgebrochen werden musste.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 76–78.</ref>
Weitere arabische Vorstöße auf oströmisches Gebiet
Im Kaukasusraum waren die Araber ebenso um Geländegewinne bestrebt. Das christliche Armenien wurde wiederholt von arabischen Truppen angegriffen und unterstellte sich 652/53 für günstige Bedingungen der arabischen Herrschaft, wofür Theodoros Rštuni jedoch in armenischen Quellen scharf kritisiert wurde.<ref>Vgl. Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 89f.</ref> In Kleinasien verhinderte die Gebirgskette des Taurus ein schnelles Vordringen; dies rettete den Rumpf des Imperiums vor dem Untergang. Die Oströmer nutzten recht erfolgreich eine Taktik der verbrannten Erde, dezentralisierten die Verteidigung und wichen einer erneuten großen Feldschlacht aus, so dass Kleinasien von ihnen trotz häufiger arabischer Raubzüge<ref>Vgl. Ralph-Johannes Lilie: Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. München 1976, S. 97ff.</ref> (Razzien) letztlich gehalten werden konnte. Die Oströmer bewiesen damit, dass sie notfalls flexibel auf militärische Herausforderungen reagieren konnten. Der mehrjährige innerarabische Bürgerkrieg ab 656 verschaffte ihnen zudem eine entscheidende Atempause, wobei Muʿāwiya I. 659 einen begrenzten Waffenstillstand schloss. Die Oströmer, deren Widerstand nach der Schlacht von Phoinix 655 schon fast gebrochen gewesen war, konnten diese Phase nutzen, um ihre Verteidigung zu reorganisieren. Konstans II., der Enkel des Herakleios, konnte die oströmische Position im Kaukasusraum stabilisieren und verlegte dann nach einem Feldzug gegen die Langobarden in Italien die kaiserliche Residenz für einige Jahre nach Sizilien, um einen Gegenschlag vorzubereiten, zu dem es aber nicht kam. Zwei großangelegte arabische Angriffe auf die Hauptstadt Konstantinopel wurden danach abgewehrt (siehe unten); doch genügten die oströmischen Kräfte, die nach dem langen Perserkrieg erschöpft waren, nicht mehr für eine größere Gegenoffensive.
In Nordafrika kämpften sich die Araber bis ins heutige Marokko vor.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 200ff.</ref> Bereits kurz nach der Eroberung Ägyptens unternahmen die Araber Vorstöße in die Region des heutigen Libyens, wo Tripolis 643 an sie fiel. Ein oströmischer Gegenvorstoß durch Gregor, den ehemaligen Exarchen von Karthago, der sich nun gegen Kaiser Konstans II. erhoben hatte, im Jahr 647 scheiterte und kostete Gregor das Leben. 670 stießen die Araber schließlich weiter nach Africa vor (wovon sich die arabische Bezeichnung Ifrīqiya ableitet). Das oströmische Karthago vermochte sich noch bis 697/698 zu halten, zumal die Berber zunächst die Araber bekämpften, wie sie zuvor auch die Römer bekämpft hatten. Der effektive Widerstand gegen die Araber in Nordafrika war aber endgültig gebrochen.
Folgen der arabischen Expansion
Ostrom bzw. Byzanz verlor mit den vorderorientalischen Besitzungen zwei Drittel seines Territoriums und mehr als die Hälfte der Bevölkerung und der Steuereinnahmen. Die arabischen Razzien führten zudem auch in Kleinasien zum Untergang der meisten Poleis, die nun aufgegeben oder durch kleine, befestigte Siedlungen – man nannte ein solches Wehrdorf Kastron – ersetzt wurden. Zahlreiche Flüchtlinge strömten in die verbliebenen byzantinischen Gebiete und stärkten somit langfristig gesehen das Kaiserreich, das nun gänzlich seinen lateinisch-römischen Charakter verlor und sich zum griechisch-byzantinischen Reich des Mittelalters wandelte. Byzanz brauchte aber längere Zeit, um sich zu erholen und wieder zu einer (begrenzten) Offensive überzugehen, wenngleich einige byzantinische Gegenschläge noch in den 670er Jahren erfolgten. Doch blieb der Verlust nordafrikanischer Territorien wie auch von großen Teilen Syriens und Palästinas endgültig; er besiegelte das Ende der spätantiken Phase des Reiches, das in der Folge administrativ, militärisch und strukturell einen massiven Wandel durchlief. Die alte senatorische Aristokratie verschwand fast ganz und mit ihr die antike Lebensart sowie der Großteil der klassischen Bildung. Sie wurde durch eine neue Elite aus militärischen Aufsteigern ersetzt. Es ist denn auch kein Zufall, dass sich das Reich unter den Kaisern der syrischen Dynastie stabilisierte, die militärisch wieder erfolgreich agierten.
Die Lage für die christliche Bevölkerung in den eroberten Gebieten ist differenziert zu bewerten. Trotz einer insgesamt toleranten Haltung der arabischen Eroberer berichten mehrere Quellen, dass diese Eroberungen nicht ohne Gewaltakte an der Bevölkerung abgelaufen sind. Der ägyptische Christ Johannes von Nikiu berichtet in seiner wohl um 660 verfassten Chronik von Übergriffen seitens der Araber während der Eroberung des Nillandes, wenngleich andere Quellen ein positiveres Bild vermitteln.<ref>Zu diesen unterschiedlichen Berichten vgl. Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 350ff.</ref> Die arabischen Eroberungszüge verliefen offensichtlich allgemein nicht ohne Zerstörungen und Plünderungen. Die Christen (die noch längere Zeit in der Mehrheit waren) konnten zwar grundsätzlich ihren Glauben eingeschränkt ausüben, dennoch kam es bereits im späten 7./frühen 8. Jahrhundert verstärkt zu repressiven Maßnahmen und (staatlich begünstigten) Übergriffe auf Nichtmuslime (siehe unten).
Die arabische Eroberung des sassanidischen Perserreiches
Aus G. Droysens Historischem Handatlas, 1886
Etwa gleichzeitig mit der Invasion der römischen Besitzungen begann auch die Eroberung des Sassanidenreichs, das seit über 400 Jahren neben den Römern die wichtigste Macht in der Region gewesen war.<ref>Einen guten Überblick zum ausgehenden Sassanidenreich bietet Josef Wiesehöfer: The Late Sasanian Near East. In: Chase Robinson (Hrsg.): The New Cambridge History of Islam. Bd. 1. Cambridge 2010, S. 98–152.</ref> Die Lage für Persien, wo der Zoroastrismus dominierte, aber auch das Christentum eine nicht unwichtige Rolle spielte, war strategisch zu diesem Zeitpunkt ungünstig. Den Puffer, den die arabischen Lachmiden als persische Vasallen gebildet hatten, war bereits zur Zeit von König Chosrau II. weggefallen. Besonders die nach 628 einsetzenden Macht- und Bruderkämpfe der Sassaniden nach dem verlorenen Krieg gegen Herakleios schwächten das persische Widerstandsvermögen gegen die muslimischen Araber. Zwischen 628 und 632 regierten mehrere Herrscher (teils zeitgleich in verschiedenen Teilen des Reiches), darunter zwei Frauen. Erst Ende 632 war wieder innere Ruhe eingekehrt; als die arabischen Angriffe begannen, organisierte der neue, noch sehr junge Großkönig Yazdegerd III. die Verteidigung. Tatsächlich konnte ein erster arabischer Angriff 634 in der Schlacht an der Brücke erfolgreich abgewehrt werden; doch erneute innere Wirren hinderten die Sassaniden daran, diesen Sieg auszunutzen.<ref>Zur Eroberung des Sassanidenreiches (mit weiterer Literatur) Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 49ff.; Michael Morony: Iran in the Early Islamic Period. In: Touraj Daryaee (Hrsg.): The Oxford Handbook of Iranian History. Oxford 2012, S. 208ff.; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 98ff. und 169ff.</ref> Der sassanidische spahbedh („Reichsfeldherr“) Rostam Farrokhzād, der die westlichen Grenztruppen befehligte, musste nach dem Sieg vielmehr mit seinen Truppen nach Ktesiphon ziehen, um eine Revolte zu unterdrücken.
Die Perser stellten sich dem weiteren Vordringen der Araber dennoch entgegen, zumal das sassanidische Heer trotz des langen Krieges gegen Ostrom durchaus noch kampfstark war. Bei Kadesia im Südirak kam es im Januar 638 (nicht 636 oder 637)<ref>Zum Zeitpunkt siehe James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Oxford 2010, S. 116f.</ref> zur zweiten großen Schlacht, über die aber nur wenig konkret bekannt ist.<ref>Vgl. Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 108ff.</ref> Rostam Farrokhzād kam diesmal nach erbittertem Kampf ums Leben, und den Arabern fiel das reiche Mesopotamien samt der reichen sassanidischen Hauptresidenz Ktesiphon in die Hände. Der schnelle Zusammenbruch der sassanidischen Grenzverteidigung im Zweistromland war dabei vielleicht auch durch die Reformen bedingt, die Chosrau I. im 6. Jahrhundert durchgeführt hatte: Seither stand immer nur eine Grenzarmee eventuellen Angreifern gegenüber, während in der Tiefe keine weiteren Truppen gestaffelt waren. Überdies scheinen sich eine Reihe von Aristokraten nicht am Kampf gegen die Invasoren beteiligt zu haben; so griff etwa die sassanidische Nordwestarmee nicht in die Kämpfe ein. Die Araber drangen anschließend nach Chuzestan vor.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 126ff.</ref>
Die weiteren Abwehrmaßnahmen der Perser verliefen zunächst unkoordiniert, später verstärkte sich der Widerstand aber wieder. Yazdegerd III. zog sich in das iranische Hochland zurück, wo der König noch Ressourcen mobilisieren konnte. Besonders im persischen Kernland, der iranischen Hochebene östlich des Tigris, kamen die Araber anfangs nur langsam voran. Tatsächlich scheinen die Araber überlegt zu haben, ob ein weiterer Vorstoß Sinn ergeben würde, da man wohl die Risiken erkannte.<ref>Vgl. Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 170f.</ref> 642 bereitete Yazdegerd III. eine große Gegenoffensive vor, und so versammelten auch die Araber ein starkes Heer. Bei Nehawend (südlich des heutigen Hamadan) kam es zur Entscheidungsschlacht.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 171ff.</ref> Die Perser waren wohl in der Überzahl, allerdings sind Zahlen von 150.000 Mann oder mehr dem Bestreben arabischer Chronisten zuzuschreiben, den Sieg noch glorreicher erscheinen zu lassen. Konkrete Angaben sind nur schwer zu machen: Dass die Araber etwa 30.000 Mann in die Schlacht führten, scheint plausibel;<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 171.</ref> das sassanidische Heer dürfte zahlenmäßig zumindest leicht überlegen gewesen sein. Zunächst schienen die Perser zu siegen, doch dann wurden sie von den Arabern, die selbst schwere Verluste erlitten, aus ihrer Stellung gelockt und nach hartem Kampf niedergemacht. Die schwergepanzerte sassanidische Kavallerie konnte gegen die leichte, schnell operierende arabische Reiterei wenig ausrichten. Die Perser unterlagen, und damit stand auch das iranische Hochplateau den Invasoren offen.
Der organisierte Widerstand brach nicht sofort zusammen, wenngleich sich mehrere persische Adlige offenbar mit den Invasoren verständigten. In der Bevölkerung kam es in den folgenden Jahren immer wieder zu Aufständen, wobei die Araber teils als „Teufel“ bezeichnet wurden.<ref>Vgl. Abd al-Husain Zarrinkub: The Arab Conquest of Iran and Its Aftermath. In: The Cambridge History of Iran. Band 4 (The period from the Arab invasion to the Saljuqs). Cambridge 1975, S. 28.</ref> Des Weiteren benötigten die Araber einige Zeit, um verschiedene befestigte Städte zu erobern, deren Besatzungen oft nicht einfach aufgaben (Istachr und Jur hielten noch im Jahr 650 aus).<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 173ff.</ref> Während die Araber in das persische Herzland vordrangen, unternahmen sie gleichzeitig an der iranischen Küste systematische Vorstöße. In einigen Regionen sollten die Perser dennoch jahrzehntelang Widerstand leisten. Tatsächlich brauchten die Araber zur Eroberung des Sassanidenreichs länger als für die Eroberung Syriens und Ägyptens von den Oströmern. Die Eroberung Irans war denn auch mit erheblichen Verlusten verbunden. Dies scheint die Araber in ihrer Entschlossenheit bestärkt zu haben, eine vollständige Unterwerfung der Sassaniden zu erreichen. Bei der Einnahme von Istachr richteten sie sogar ein Massaker unter der Bevölkerung an, die loyal zu Yazdegerd gestanden hatte; angeblich sollen 40.000 Menschen getötet worden sein.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 85f.</ref>
Der letzte Sassanide Yazdegerd III., der nach 642 vergeblich um einen koordinierten Widerstand bemüht war, zog sich schließlich in den äußersten Nordosten des Reiches nach Merw zurück.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 187ff.</ref> Dort wurde er von einem Untergebenen getötet – noch Jahrhunderte später trugen dessen Nachfahren aufgrund dieser Tat den Beinamen „Königsmörder“. Versuche seines ältesten Sohnes Peroz, die Macht mit chinesischer Hilfe wieder zu erringen, scheiterten;<ref>Vgl. Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 87.</ref> er starb im Fernen Osten am Hof der Tang-Kaiser. Das Sassanidenreich und damit die letzte Reichsbildung des Alten Orients verschwand so von der Bühne der Weltgeschichte, auch wenn die sassanidische Kultur einen starken Nachhall im Kalifat der Abbasiden fand und somit den staatlichen Untergang überdauerte. Erst um 900 bildeten die Muslime im Iran die Mehrheit; noch im 11. Jahrhundert sind bedeutende zoroastrische Minderheiten bezeugt, zoroastrische Feuer brannten im Südosten des Iran sogar noch im 13. Jahrhundert.<ref>Monika Gronke: Geschichte Irans. München 2003, S. 17f.</ref> Bezeichnenderweise behielten die Perser im Gegensatz zu den meisten anderen von den Arabern eroberten Völkern auch ihre Sprache bei, und mehrere mächtige Adelsgeschlechter, die sich rechtzeitig mit den Arabern verständigt hatten, behielten ihre Stellung noch über Jahrhunderte.
Zentralasien und Sindh
Im Osten drangen die Araber bis an die Grenzen Chinas und Indiens vor. In Transoxanien eroberten sie die türkischen Besitzungen, verbunden mit deren langsamer und folgenschwerer Islamisierung. Paykand fiel 706, Buchara 709 und Samarkand 712.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 150.</ref> Hierbei wurde den Arabern allerdings hartnäckig Widerstand geleistet.<ref>Vgl. zum arabischen Vordringen in Zentralasien: Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 181ff.; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 225ff.</ref> Die Araber mussten im Lauf der Kämpfe mit der türkischen Stammesgruppe der Türgesch (die das politische Erbe der Westtürken antraten) unter Suluk, anderen Stammesgruppen und den Stadtstaaten in Sogdien mehrere schwere Rückschläge hinnehmen, wodurch der weitere arabische Vormarsch stark behindert wurde. So erlitten die Araber 724 eine schwere Niederlage, die von Tabari als „Tag des Durstes“ bezeichnet wurde und die einen Aufstand gegen die Araber in Transoxanien auslöste, so dass die Araber zeitweise mehrere Städte aufgeben und nur Samarkand halten konnten; 731 konnte ein muslimisches Heer nur knapp der Vernichtung entgehen.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 184.</ref> Erst der Tod Suluks im Jahr 738 scheint den organisierten Widerstand beendet zu haben.
Nicht nur die Araber, auch die Chinesen verfolgten in Zentralasien eigene Interessen. Suluk wurde 736 sogar von einem chinesischen Heer besiegt.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 185.</ref> Nachdem der Widerstand gegen die Araber faktisch erloschen war, kam es zwischen dem Kalifat und Chinesen zur offenen Konfrontation. Im Sommer 751 besiegten die Araber in der Schlacht am Talas ein chinesisches Heer.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 186f.</ref> Die Bedeutung der Schlacht wurde wohl teils übertrieben. Allerdings wurde der chinesische Einfluss in Zentralasien letztlich zu Gunsten des arabisch-islamischen zurückgedrängt.
Um 710 unternahmen die Araber auch erste Vorstöße nach Sindh, wofür die Quellenlage allerdings sehr schlecht ist.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 190–195; Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 296–308.</ref> Ein weiteres Ausgreifen nach West- und Zentralindien wurde jedoch in der Folgezeit durch die arabische Niederlage gegen die dortigen Regionalherrscher der Rashtrakutadynastie verhindert, deren Armeen den arabischen Truppen durchaus gewachsen waren.
Die arabischen Eroberungen in Europa
Die Araber rüsteten sich unter dem Kalifen Umar Ibn al-Chattab als Seemacht und trafen damit den Lebensnerv von Byzanz. 649 unternahmen sie einen Vorstoß nach Zypern (dessen Einnahmen 688 vertraglich zwischen Byzanz und dem Kalifat aufgeteilt wurden), 654 plünderten sie Rhodos und 655 konnten die Araber in der Schlacht von Phoinix das erste Mal eine byzantinische Flotte schlagen, wenngleich die Byzantiner weiterhin über eine beachtliche Flotte verfügen konnten.<ref>Zum Krieg zur See siehe zusammenfassend Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 324ff. Ausführlicher ist Ekkehard Eickhoff: Seekrieg und Seepolitik zwischen Islam und Abendland. Das Mittelmeer unter byzantinischer und arabischer Hegemonie. Berlin 1966.</ref>
717/18 belagerten sie Konstantinopel, ohne dass ihnen die Einnahme gelang;<ref>Vgl. Ralph-Johannes Lilie: Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. München 1976, S. 122ff.</ref> ob es auch 674 bis 678 zu einer regelrechten Belagerung kam, ist in der neueren Forschung hingegen umstritten.<ref>Marek Jankowiak: The first Arab siege of Constantinople. In: Travaux et Mémoires du Centre de Recherche d'Histoire et Civilisation de Byzance. Bd. 17. Paris 2013, S. 237–320.</ref> Dem Aufhalten der arabischen Expansion durch den überaus fähigen byzantinischen Kaiser Leon III.<ref>Leslie Brubaker, John F. Haldon: Byzantium in the Iconoclast era, ca 680-850. A History. Cambridge 2011, S. 70ff.</ref> kommt wohl der bedeutendere Rang zu als dem späteren, oft überschätzten Sieg der Franken (siehe unten). Leon konnte die Araber auch 740 in Kleinasien schlagen. Mit den byzantinischen Erfolgen war der arabisch-islamische Vorstoß in Kleinasien beendet, da auch die Ressourcen bei weitem überstrapaziert waren. Kämpfe der Araber mit den Chasaren im Kaukasusraum verliefen für die Araber eher ungünstig (722 wurde ein arabischer Verband gestellt und vernichtet, 726 wurde der arabische Gouverneur von Armenien getötet), so dass sich beide Seiten schließlich verständigten.<ref>Robert G. Hoyland: In God's Path. Oxford 2015, S. 188–190.</ref>
Nach der Eroberung der nordafrikanischen Küstengebiete landeten im Jahr 711 muslimische Truppen (vorwiegend Berber) unter Tāriq ibn Ziyād bei Gibraltar (Berg des Tariq). Die Westgoten wurden im Juli 711 in der Schlacht am Río Guadalete geschlagen. 711 bis 719 wurde die Iberische Halbinsel erobert. 720 fiel Narbonne an die muslimischen Truppen (der Landstrich um Narbonne wurde von ihnen bis 759 gehalten), die immer wieder auf fränkisches Gebiet vordrangen. Ein Vorstoß in das Frankenreich im Jahr 732 wurde durch Karl Martell in der Schlacht von Tours und Poitiers gestoppt, doch ist die Bedeutung der Schlacht lange Zeit eher überschätzt worden, zumal es sich wohl um einen begrenzten Raubzug gehandelt hat.<ref>Vgl. Ulrich Nonn: Die Schlacht bei Poitiers 732. Probleme historischer Urteilsbildung. In: Rudolf Schieffer (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte des Regnum Francorum. Referate beim Wissenschaftlichen Colloquium zum 75. Geburtstag von Eugen Ewig am 28. Mai 1988. Sigmaringen 1990, S. 37–56 (online).</ref> In der Folgezeit entstand, nach dem Ende des umayyadischen Kalifats, in Al-Andalus ein selbständiges umayyadisches Reich, das Emirat von Córdoba, das später zum Kalifat von Córdoba wurde.
Damit verlor die erste große und entscheidende Phase der arabisch-islamischen Expansion an Dynamik, zumal die Ressourcen des Kalifats begrenzt waren. Die Araber gingen im 9. Jahrhundert aber noch wiederholt gegen Byzanz vor.<ref>Vgl. zum Folgenden etwa Warren Treadgold: The Byzantine Revival, 780-842. Stanford 1988, S. 248ff.</ref> 827 landeten die Araber auf Sizilien und brachten die Insel um 900 in ihre Gewalt (Fall von Syrakus 878, Fall Taorminas 902). Im östlichen Mittelmeerraum konnten die Araber einige Zeit erfolgreich agieren, teils in Form offener Piraterie<ref>Vgl. Ekkehard Eickhoff: Seekrieg und Seepolitik zwischen Islam und Abendland. Das Mittelmeer unter byzantinischer und arabischer Hegemonie. Berlin 1966, S. 65ff. und S. 173ff.</ref> (z. B. Leon von Tripolis), wenngleich die byzantinische Flotte keineswegs ausgeschaltet war. 823/28 eroberten die Araber Kreta, was ein schwerer Schlag für die Byzantiner war. Im 10. Jahrhundert erfolgten dann allerdings die erfolgreichen byzantinischen Gegenoffensiven: 961 erfolgte die Rückeroberung Kretas, Zypern fiel 965 an die Byzantiner, die kurzzeitig auch nach Syrien vordrangen. Ab dem 12. Jahrhundert erfolgte eine Schwächung der islamischen Kräfte durch die Kreuzzüge. Im Westen wurden die islamischen Emirate ab dem Hochmittelalter Stück für Stück zurückgedrängt: auf der Iberischen Halbinsel durch die Reconquista der christlichen Könige, die 1492 ihren Abschluss fand, und im 11. Jahrhundert durch die normannische Eroberung Siziliens.
Administrative Maßnahmen der Araber in den eroberten Gebieten
In Syrien teilten die Araber das Land nach byzantinischem Vorbild in vier Verwaltungsregionen auf. Es wurden auch ehemalige Verwaltungsbeamte übernommen, was zur Folge hatte, dass Griechisch (in den ehemaligen oströmischen Gebieten) und Persisch (im ehemaligen Sassanidenreich) als Verwaltungssprache weiterhin benutzt wurden;<ref>Vgl. Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 13f.</ref> die griechische Verwaltung wurde von Damaskus aus geregelt, die persischsprachige von Kufa aus. Erst in der Regierungszeit Abd al-Maliks wurden beide Sprachen in der Verwaltung durch das Arabische ersetzt und langsam zurückgedrängt. Des Weiteren benutzten die Araber zunächst die im Umlauf befindlichen byzantinischen und sassanidischen Münzen, die oft nur leicht verändert nachgeprägt wurden, bis sie selbst neue Münzen prägten, die keine Bilder mehr aufwiesen.<ref>Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 11.</ref> Die Araber gründeten auch neue Städte (Kufa, Basra, Fustat, Kairouan, Fès), die zunächst als Militärlager dienten, aber schließlich die Funktion von Verwaltungs- und Kulturzentren übernahmen.
Offenbar änderten die Araber relativ wenig an den bestehenden Verwaltungssysteme, die ohnehin effektiv gearbeitet hatten. Zunächst war der neue Großstaat aber relativ locker aufgebaut, wobei die Gouverneure weitgehend freie Hand hatten. Erst Muawiya I., der eigentliche Organisator des Kalifenreiches, schuf eine straffere Zentralverwaltung.<ref>Vgl. bezogen auf das Fallbeispiel Ägypten nun auch Petra M. Sijpesteijn: Shaping a Muslim State. The World of a Mid-Eighth-Century Egyptian Official. Oxford 2013.</ref> Dabei waren in den ehemals byzantinischen Gebieten zunächst immer noch überwiegend Christen tätig, wie etwa Sarjun ibn Mansur, der unter Muawiya für die Finanzen zuständig war. Die Islamisierung bzw. Arabisierung der eroberten Gebiete zog sich über einen längeren Zeitraum hin und machte anfangs nur langsam Fortschritte. Dazu trug bei, dass erst in der Abbasidenzeit die Aufstiegsmöglichkeiten für nicht-arabische Muslime zunahmen.
Lage der Christen unter muslimischer Herrschaft
Die christlichen Kirchen in Ägypten, Syrien und Mesopotamien behielten noch längere Zeit ihre Bedeutung und die Mehrheit der Bevölkerung unter arabischer Herrschaft blieb noch lange christlich.<ref>Überblick bei Gilbert Dragon, Pierre Riché und André Vauchez (Hrsg.): Die Geschichte des Christentums. Band 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642–1054). Freiburg u.a. 1994, S. 391ff.</ref> Einige Christen arbeiteten zunächst weiterhin in der Verwaltung des Kalifenreichs, andere waren am Kalifenhof als Gelehrte tätig, wie z. B. Mitte des 8. Jahrhunderts Theophilos von Edessa. Die arabische Herrschaft stieß nach Abschluss der Eroberung zunächst anscheinend auf keinen nennenswerten Widerstand, zumal die Araber die alte Verwaltungsordnung nutzten und sich so gesehen zunächst relativ wenig änderte.
Im religiösen Bereich waren die Araber recht tolerant, jedenfalls solange es nicht „Heiden“ betraf: Anhänger der Buchreligionen – also Christen, Juden und in Persien auch die Zoroastrier – durften ihren Glauben behalten und durften nicht dazu gezwungen werden, diesen aufzugeben.<ref>Vgl. grundsätzlich Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980.</ref> Während Juden und Christen mehrfach im Koran erwähnt werden, stellen die Zoroastrier einen Sonderfall dar, denn sie werden nur ein einziges Mal in Sure 22,17 erwähnt und gehörten streng genommen keiner Offenbarungsreligion an. Nach einigem Zögern wurden sie aber von muslimischen Religionsgelehrten miteinbezogen und nicht als Götzenverehrer betrachtet, die zwangsbekehrt werden sollten.<ref>Zum Verhältnis Zoroastrismus und Islam vgl. einführend Shaul Shaked: Islam. In: Michael Stausberg, Yuhan Sohrab‐Dinshaw Vevaina (Hrsg.): The Wiley Blackwell Companion to Zoroastrianism. Chichester 2015, S. 491–498.</ref> Die Überlieferung zeigt zudem, dass muslimische Autoren (später vor allem solche persischer Abstammung) ein recht großes Interesse am Zoroastrismus hatten und iranische Elemente teils die frühe arabisch-islamische Literatur beeinflusst haben.<ref>Vgl. Shaul Shaked: Islam. In: Michael Stausberg, Yuhan Sohrab‐Dinshaw Vevaina (Hrsg.): The Wiley Blackwell Companion to Zoroastrianism. Chichester 2015, hier S. 492–495.</ref>
Im Koran wird strikt zwischen den Muslimen und Andersgläubigen unterschieden, so dass Christen und Juden zwar ein Teil-Glauben zugestanden, ihnen aber auch ein Teil-Unglauben unterstellt und der Absolutheitsanspruch beider Religionen bestritten wird, da der Islam der einzig wahre Glauben sei.<ref>Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 31–33.</ref> Die Andersgläubigen mussten eine spezielle Kopfsteuer (Dschizya)<ref>Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 171ff.</ref> entrichten, durften ihren Glauben behalten, jedoch nicht in der Öffentlichkeit ausüben,<ref>Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 146f.</ref> der Neubau von Synagogen und Kirchen in Städten und größeren Ortschaften war untersagt<ref>Vgl. Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 147f.</ref> und sie durften keine Waffen tragen, wenngleich unter den ersten Kalifen sogar christliche Araber als Soldaten zwangsverpflichtet wurden<ref>Zur Zwangsverpflichtung vgl. Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 90f.</ref> und Andersgläubige auch zu militärischen Hilfsdiensten verpflichtet waren. Ebenso wurden im Erbrecht Einschränkungen vorgenommen und teils spezielle Kleidungsvorschriften erlassen. Durch diese Maßnahmen wurde deutlich hervorgehoben, dass die nichtmuslimische Mehrheitsbevölkerung den Muslimen rechtlich keineswegs gleichgestellt war. Dieser Status wird als Dhimma bezeichnet,<ref>Zum Rechtsstatus siehe auch Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 138ff.</ref> der neben Juden und Christen auch den Zoroastriern (sowie den Sabiern, die aber eher eine lokale Rolle spielten) zuerkannt wurde. Demnach handelte es sich um „Schutzbefohlene“, deren Religion eine gewisse Freiheit genießt, aber grundsätzlich dem Islam unterworfen ist, deren Anhänger nicht als vollwertige Gläubige anerkannt sind und gegen die im Koran teilweise durchaus auch polemisiert wird.<ref>Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 47–52.</ref> Hierbei stand nicht zuletzt die Anerkennung der prophetischen Sendung Mohammeds und die koranische Offenbarung im Zentrum der muslimischen Betrachtungen, da diese Aspekte im Judentum und im Christentum freilich nicht vorkamen. Viele Bestimmungen gehen hierbei noch auf die Phase der islamischen Geschichte zurück, als sich die muslimische Gemeinde konstituierte und in einem Kampf um die Selbstbehauptung befand.<ref>Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 52f.</ref>
Grundsätzlich war das Verhalten der neuen muslimischen Herren gegenüber der zahlenmäßig weit überlegenen christlichen Mehrheitsbevölkerung oft von Zweckmäßigkeiten geprägt: Man nutzte Christen in der Verwaltung, weil diese damit vertraut waren, und man benutzte die Schutzverträge, um die christliche Mehrheitsbevölkerung unter eine gewisse Kontrolle zu bringen, da man auf deren Mitwirken angewiesen war; die zunächst ausgeübte Toleranz gegenüber Nichtmuslimen entsprang demnach vor allem praktischen Erwägungen.<ref>Vgl. Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 149.</ref> In der Anfangszeit nach der Eroberung gestaltete sich das Zusammenleben zunächst ohne größere Schwierigkeiten.<ref>Vgl. Adel Theodor Khoury: Toleranz im Islam. München/Mainz 1980, S. 89f.</ref> Dies änderte sich allerdings in der folgenden Zeit, als es zu Übergriffen und restriktiven Maßnahmen gegen Christen kam, so bereits Ende des 7. Jahrhunderts.<ref>Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 46ff.; Milka Levy-Rubin: Non-Muslims in the Early Islamic Empire: From Surrender to Coexistence. Cambridge 2011, S. 100ff.</ref> Dies hing mit der jeweiligen Religionspolitik des regierenden Kalifen zusammen. Als im Jahr 699 Arabisch Amtssprache in der Verwaltung wurde und damit Griechisch bzw. Mittelpersisch ablöste, war dies anscheinend auch mit dem Verbot verbunden, Nichtmuslime in der Verwaltung zu beschäftigen.<ref>Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 49.</ref> Christen (und Zoroastrier im ehemaligen Perserreich) durften somit keine hohen staatlichen Posten mehr bekleiden und wurde von einem erheblichen Teil der Gesellschaft ausgeschlossen; Johannes von Damaskus zog sich denn auch um 700 in ein Kloster zurück.
Das Gesellschaftsleben wurde verstärkt auf den neuen islamischen Glauben ausgerichtet und die Lebenssphären von Muslimen und Nichtmuslimen sollten offenbar bewusst voneinander getrennt werden. Dies lässt sich unter anderem an den erwähnten neuen Münzprägungen dieser Zeit ablesen (seit ca. 697), die ohne Bilder, dafür aber mit Koransuren (Sure 112) versehen waren.<ref>Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 50.</ref> Religiöse Kulthandlungen von Nichtmuslimen, die zunächst kaum behindert wurden, wurden noch in der späten Umayyadenzeit stärker eingeschränkt; hinzu kamen Handlungen, die ein gewisses Überlegenheitsgefühl der muslimischen Herrscher gegenüber Nichtmuslimen demonstrierten.<ref>Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 51.</ref> So wurden im Kalifat die öffentliche Präsentation von Kreuzen und christliche Gebete in der Öffentlichkeit untersagt sowie eventuell einzelne Kirchen zerstört (die Quellenlage für den letzten Punkt ist nicht eindeutig).<ref>Milka Levy-Rubin: Non-Muslims in the Early Islamic Empire: From Surrender to Coexistence. Cambridge 2011, S. 101.</ref> Sicher ist, dass restriktive Maßnahmen und Regulationen speziell im Hinblick auf Christen zunahmen.<ref>Vgl. den detaillierten Überblick bei Milka Levy-Rubin: Non-Muslims in the Early Islamic Empire: From Surrender to Coexistence. Cambridge 2011, S. 102ff.</ref> So kam es nun verstärkt zu Eingriffen der muslimischen Herrscher in innerchristliche Angelegenheiten und auch zur Konfiszierung von Kirchen; seit dem 9. Jahrhundert entstanden zudem Werke muslimischer Autoren, in denen gegen andere Buchreligionen polemisiert wurde.<ref>Vgl. zu diesen gegen Nichtmuslime gerichtete Maßnahmen die Zusammenfassung bei Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 51–54 und S. 150–152.</ref>
Der insgesamt steigende Druck blieb nicht ohne Auswirkungen: In Ägypten revoltierten die christlichen Kopten zwischen 725 und 773 allein sechsmal gegen die muslimische Herrschaft, doch wurden die Aufstände niedergeschlagen.<ref>Bertold Spuler: Die morgenländischen Kirchen. Leiden 1964, S. 288f.</ref> Die Übergriffe nahmen dann spürbar im 9. Jahrhundert wieder zu, als einzelne Kirchen geplündert und zerstört wurden.<ref>Vgl. etwa Geschichte des Christentums. Bd. 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser (642-1054). Hrsg. von G. Dagron/P. Riché/A. Vauchez. Dt. Ausgabe hrsg. von Egon Boshof. Freiburg u.a. 1994, S. 395f. und S. 430.</ref> Ebenso nahm die Steuerbelastung zu. Insgesamt ist festzuhalten, dass es (nach restriktiven Maßnahmen bereits in der späten Umayyadenzeit) seit der frühen Abbasidenzeit, als sich die islamische Gemeinschaft in den eroberten Gebieten langsam zu konsolidieren begann, zu einer von staatlichen Stellen betriebenen Gängelung von Christen im Alltag kam. Sie durften ihren Glauben zwar behalten, es kam aber zu sozialen Demütigungen und zu Phasen der Unterdrückung mit gezielten Verfolgungen, wobei politische und religiöse Motive miteinander vermischt wurden, wenngleich es Phasen gab, in denen gewisse Maßnahmen zumindest zeitweise gelockert wurden.<ref>Vgl. zusammenfassend Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 150–152.</ref> Um 900 wurden zwar noch einmal für kurze Zeit Verwaltungsposten mit Christen und Juden besetzt, doch ein 908 erlassenes Edikt verbot erneut die Beschäftigung von Nichtmuslimen in öffentlichen Funktionen: Christen und Juden durften demnach nur als Ärzte (wobei etwa christliche Ärzte am Kalifenhof durchaus einen guten Ruf genossen) oder Bankiers beschäftigt werden, zudem wurden für beide Gruppen spezielle Kleidungsvorschriften erlassen.<ref>Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 130.</ref> Eine wichtige Quelle für Repressionen stellt unter anderem die Chronik des Pseudo-Dionysius von Tell Mahre dar. Der früheste christliche Bericht über das Verhältnis von Christen und Muslimen stammt von dem Katholikos Ischo-Jab III.<ref>Zur „Sicht der Besiegten“ vgl. Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. Philadelphia 2007, S. 344ff.; zu den nichtmuslimischen Quellen siehe Robert G. Hoyland: Seeing Islam as Others Saw It. A Survey and Evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam. Princeton 1997.</ref>
Die Zahl der Konvertiten blieb in den eroberten Gebieten zunächst offenbar gering, da sich die damit verbundenen Vorteile in den ersten Jahrzehnten in engen Grenzen hielten: Bis zur Machtübernahme der Abbasiden konnten unabhängig von der Religion nur Männer Karriere machen, die eine arabische Herkunft nachzuweisen vermochten. Christentum und Zoroastrismus wurden nur nach und nach zurückgedrängt; wohl erst um das Jahr 1000 sprach die Mehrheit der Bevölkerung Ägyptens und des Irak Arabisch, während in Persien die eigene kulturelle Identität stärker bewahrt werden konnte.<ref>Zusammenfassend und mit weiterer Literatur siehe Chris Wickham: The Inheritance of Rome. A History of Europe from 400 to 1000. London 2009, S. 285–288.</ref> Anscheinend waren auch einige muslimische Theologen und Rechtsgelehrte der Ansicht, dass diskriminierende Maßnahmen gegenüber Nichtmuslimen den Übertritt zum Islam forcieren würden; der soziale Druck war daher wohl ein wichtiger Faktor bei der „Islamisierung“ der eroberten Gesellschaften, wo die christliche Mehrheitsbevölkerung mit der Zeit zu einer Minderheit wurde.<ref>Vgl. Wolfgang Kallfelz: Nichtmuslimische Untertanen im Islam. Wiesbaden 1995, S. 153.</ref>
Gründe für den Fall Persiens und für die byzantinischen Gebietsverluste
Die Gründe für den Erfolg der arabisch-islamischen Eroberungen im 7. und frühen 8. Jahrhundert – also durchaus über einen längeren Zeitraum und auch nicht ohne verlustreiche Kämpfe für die Araber – werden in der Forschung immer noch diskutiert. Es kann dazu keine allgemeingültige Erklärung geben, vielmehr wurde der Erfolg (es bieten sich Parallelen mit dem Alexanderzug und den mongolischen Eroberungen an) durch eine Vielzahl von Faktoren begünstigt.
Ostrom (Byzanz) und Persien waren vom langen Krieg gegeneinander erschöpft. Seit 540 hatte es nur gut 20 Jahre lang Frieden zwischen den beiden Mächten gegeben, im letzten Krieg hatten die Sassaniden die Römer an den Rand des Untergangs gebracht (siehe auch Römisch-Persische Kriege). Die oströmische Armee war nach den langen Kriegen gegen die Perser aus finanziellen Gründen demobilisiert worden und benötigte eine lange Vorlaufzeit, um wieder aktiviert zu werden.<ref>Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 221f.</ref> Das Sassanidenreich war derweil wohl weniger durch die Kämpfe mit den Römern als vor allem durch die seit 628 tobenden Bürgerkriege geschwächt; der große persische Sieg in der Schlacht an der Brücke 634 illustriert, dass man den Muslimen militärisch durchaus gewachsen gewesen wäre, wenn es Yazdegerd III. gelungen wäre, sein Reich im Inneren zu befrieden. Stattdessen aber liefen viele persische Magnaten zu den Angreifern über.<ref>Vgl. Michael Morony: Iran in the Early Islamic Period. In: Touraj Daryaee (Hrsg.): The Oxford Handbook of Iranian History. Oxford 2012, S. 208–226.</ref>
Für Ostrom spielten die Folgen des langen Krieges mit Persien eine größere Rolle als für die Sassaniden. So waren die orientalischen Provinzen Ostroms erst wenige Jahre vor dem arabischen Angriff wieder in das Imperium integriert worden; die Identifizierung mit der fernen Zentrale in Konstantinopel, die eigentlich nur durch gnadenlose Steuereintreiber in Erscheinung trat, dürfte bei vielen Menschen gering gewesen sein. Weiter war die orthodoxe kaiserliche Reichsregierung in Syrien und Ägypten nicht besonders beliebt, da hier der Miaphysitismus vorherrschend war. Allerdings ist es wohl keineswegs so gewesen, dass die Ankunft der Araber in den orientalischen Provinzen überall auf Wohlgefallen stieß; oft genug beteiligten sich etwa Ägypter und Syrer am Widerstand gegen die Invasoren. Vielleicht wurde die Begründung, dass man in Ägypten und Syrien mit der Religionspolitik der Kaiser unzufrieden war, auch von der älteren Forschung zu oft undifferenziert übernommen; in der neueren Forschung ist diese These jedenfalls wieder sehr umstritten.<ref>Knapp resümierend: Wolfram Brandes: Herakleios und das Ende der Antike im Osten. Triumphe und Niederlagen. In: Mischa Meier (Hrsg.), Sie schufen Europa. München 2007, S. 248–258, hier S. 257. Zu Kritik an der Ansicht, miaphysitische Illoyalitäten hätten die arabische Eroberung begünstigt, vgl. etwa John Moorhead: The monophysite response to the Arab invasions. In: Byzantion 51 (1981), S. 579-591; Harald Suermann: Copts and the Islam of the Seventh Century. In: Emmanouela Grypeou, Mark Swanson, David Thomas (Hrsg.): The Encounter of eastern Christianity with early Islam (The History of Christian-Muslim Relations 5). Leiden/Boston 2006, S. 95-109.</ref> Insgesamt aber hatte man wohl weder in Konstantinopel noch in Ktesiphon mit einer derartigen religiösen Energie gerechnet, geschweige denn mit einer derartigen Invasion, wenn es auch zuvor einige Anzeichen gegeben hatte. Die Religion hatte so schon im letzten römisch-persischen Krieg eine wichtige Rolle gespielt, als Kaiser Herakleios die Abwehr der Perser mit einem Abwehrkampf der Christenheit gleichsetzte und seit 622 auch arabische foederati in sein Heer aufnahm.<ref>Vgl. beispielsweise Walter E. Kaegi: Heraclius. Cambridge 2003, S. 113f. und S. 126.</ref>
Außerdem genehmigten die Araber der unterworfenen Bevölkerung die (allerdings eingeschränkte) Ausübung ihrer Religion gegen eine Kopfsteuer, wenngleich es noch im 7. Jahrhundert zu restriktiven Maßnahmen und Übergriffen gegenüber Nichtmuslimen kam (siehe oben), die von Beginn an im Kalifat gegenüber Muslimen rechtlich benachteiligt waren. Erst allmählich wurde die Bevölkerung islamisiert, sicherlich auch, weil sonst faktisch kaum Aufstiegschancen gegeben waren, ihre Rechtsposition (Dhimma) insgesamt prekär war und restriktive Maßnahmen gegenüber Nichtmuslimen einen Übertritt begünstigten. Vorerst durften die Eroberer kein Land als privates Eigentum übernehmen, später änderte sich dies. Allerdings gab es reiche Beute, was für viele Stämme sicherlich ein großer Anreiz bei diesen Kriegszügen war. Ohnehin scheinen wirtschaftliche Erwägungen (wie die Handelsinteressen der Quraisch) eine wichtigere Rolle gespielt zu haben als oft unterstellte religiöse Erwägungen.<ref>Vgl. Heinz Halm: Die Araber. 2. Aufl. München 2006, S. 27f.</ref> Elemente der bisherigen Verwaltung wurden von den Arabern übernommen. So blieb etwa Griechisch bis zum Ende des 7. Jahrhunderts die Amtssprache in den eroberten oströmischen Gebieten, und das sassanidische Steuersystem wurde in Persien beibehalten.
Quellenlage
Die Quellenlage zu den arabischen Eroberungsfeldzügen gegen Ostrom/Byzanz und Persien ist ebenso wie die darauf aufbauenden Rekonstruktionen sehr problematisch.<ref>Speziell mit dem Problem der Überlieferung befasst sich die ausführliche Studie von James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Oxford 2010.</ref> Lange Zeit folgte man in den Grundzügen weitestgehend den detailreichen islamisch-arabischen Quellen. In der neueren Forschung nehmen aber inzwischen die meisten Forscher eine kritischere Haltung gegenüber den erst mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte später entstandenen islamischen Texten, von denen ein Teil der Berichte nicht zutreffend oder verfälscht ist, und den darauf fußenden Rekonstruktionsversuchen ein.<ref>Siehe beispielsweise Mark Whittow: The Making of Byzantium, 600-1025. Berkeley 1996, S. 82ff.</ref> Auch jene Historiker, die die umfangreiche arabische Überlieferung zu den Feldzügen (Futūh) weiterhin und aufgrund der schwierigen Quellenlage notgedrungen heranziehen, sehen inzwischen meistens die Problematik der Quellenüberlieferung und bewerten viele Aussagen skeptischer, als es in der älteren Forschung üblich war.<ref>Dies gilt z.B. für Hugh Kennedy (The Great Arab Conquests, S. 12ff.) und Fred Donner (Muhammad and the Believers, S. 91f.).</ref> Eine sehr umstrittene Extremposition nehmen dabei Forscher ein, welche den gesamten Ereignisablauf der frühislamischen Geschichte in Frage stellen, den Islam für eine ursprünglich christliche Häresie und die Gestalt des Propheten Mohammed teils sogar für eine spätere Erfindung halten.<ref>Siehe Karl-Heinz Ohlig (Hrsg.): Der frühe Islam. Eine historisch-kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen. Berlin 2007. Dafür, dass der Koran im Kern eine fehlerhafte Übersetzung eines syrischen christlichen Traktats ins Arabische sei, plädiert Christoph Luxenberg: Die syro-aramäische Lesart des Koran: Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache. Berlin 2011. Scharfe Kritik an der „Saarbrücker-Schule“ um Ohlig findet sich etwa bei Tilman Nagel: Mohammed: Leben und Legende. München 2008, S. 838f. Eine vermittelnde Position nimmt Fred Donner ein, der annimmt, dass Mohammed eine monotheistische Bewegung aller Gläubigen vorschwebte, die Christen (und Juden) umfasste, und dass sich der Islam erst seit dem frühen 8. Jahrhundert in eine andere Richtung und zu einer eigenständigen Religion entwickelte (Fred Donner: Muhammad and the Believers. Cambridge, MA u. a. 2010, S. 56ff. und S. 194ff.).</ref>
Über die arabischen Feldzüge berichten von den erhaltenen Quellen auf islamischer Seite (allerdings mit einem deutlich zeitlichen Abstand zu den geschilderten Ereignissen) unter anderem Baladhuri und Tabari recht detailliert, wobei ihre Schilderungen – wie etwa Chronologie, Zahlenangaben und auch einigen inhaltlichen Aussagen – nicht immer zuverlässig sind. Aus christlicher Sicht liegen nur verstreute Aussagen vor, die teilweise recht zeitnah zum Geschehen verfasst wurden und wichtige Informationen vermitteln. Dazu zählen etwa das armenische Geschichtswerk des Pseudo-Sebeos (das in der Forschung als recht zuverlässig gilt), die ihrerseits problematische Chronik des Johannes von Nikiu sowie verschiedene syrisch-christliche Chroniken. Mittelbyzantinische Autoren wie Theophanes konnten zudem auf einige heute verlorene Werke zurückgreifen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die verlorene syrische Chronik des Theophilos von Edessa, die wichtige und wohl weitgehend korrekte Informationen enthielt. Sie wurde (teilweise indirekt) von mehreren syrischen Autoren sowie dem christlichen Araber Agapios von Hierapolis herangezogen; vermittelt über eine Zwischenquelle wurde sie im frühen 9. Jahrhundert dann auch von Theophanes benutzt.<ref>Vgl. dazu nun Robert Hoyland (Hrsg.): Theophilus of Edessa's Chronicle and the Circulation of Historical Knowledge in Late Antiquity and Early Islam (Translated Texts for Historians 57). Liverpool 2011.</ref> In pseudo-historischen Quellen wurde von christlichen Autoren zudem die überraschende Herrschaftsübernahme durch die Araber verarbeitet (z. B. Apokalypse des Pseudo-Methodius).
Neben den erzählenden Quellen spielen ebenso Münzen, Inschriften, Papyri und Bauwerke eine Rolle, wenngleich diese nur jeweils über (teils jedoch bedeutende) Einzelaspekte Aussage geben; die Interpretation dieser Zeugnisse (so etwa der arabischen Inschrift im Felsendom) ist allerdings zum Teil ihrerseits umstritten.
Literatur
- Averil Cameron u. a. (Hrsg.): The Byzantine and Early Islamic Near East. Band 1ff. Darwin Press, Princeton NJ 1992ff., ISBN 0-87850-107-X.
- Fred M. Donner: Muhammad and the Believers. At the Origins of Islam. The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge MA u. a. 2010, ISBN 978-0-674-05097-6.
- Fred M. Donner: The Early Islamic Conquests. Princeton University Press, Princeton NJ 1981, ISBN 0-691-05327-8.
- James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century. Oxford University Press, Oxford u. a. 2010, ISBN 978-0-19-920859-3.
- Robert G. Hoyland: In God's Path. The Arab Conquests and the Creation of an Islamic Empire. Oxford University Press, Oxford 2015.
- Robert G. Hoyland: Seeing Islam as Others Saw It. A Survey and Evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam. Darwin Press, Princeton NJ 1997.
- Walter E. Kaegi: Byzantium and the Early Islamic Conquests. Cambridge University Press, Cambridge 1992, ISBN 0-521-48455-3.
- Walter E. Kaegi: Muslim Expansion and Byzantine Collapse in North Africa. Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 978-0-521-19677-2.
- Walter E. Kaegi: Confronting Islam: emperors versus caliphs (641–c. 850). In: Jonathan Shepard (Hrsg.): The Cambridge History of the Byzantine Empire. c. 500–1492. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2008, ISBN 978-0-521-83231-1, S. 365ff.
- Hugh Kennedy: The Great Arab Conquests. How the Spread of Islam changed the World we live in. Da Capo, Philadelphia PA 2007, ISBN 978-0-306-81585-0.
- Hugh Kennedy: The Byzantine and Early Islamic Near East. Ashgate Variorum, Aldershot u. a. 2006, ISBN 0-7546-5909-7 (Variorum Collected Studies Series 860).
- Ralph-Johannes Lilie: Die byzantinische Reaktion auf die Ausbreitung der Araber. Studien zur Strukturwandlung des byzantinischen Staates im 7. und 8. Jahrhundert. Institut für Byzantinistik und Neugriechische Philologie der Universität München 1976 (Zugleich Dissertation an der Universität München 1975, ohne ISBN).
- Michael G. Morony: Iraq after the Muslim Conquest. Princeton University Press, Princeton NJ 1984, ISBN 0-691-05395-2 (Princeton studies on the Near East).
- Albrecht Noth: Früher Islam. In: Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt. 3. erweiterte Auflage. Beck, München 1994, S. 11–100, ISBN 3-406-38113-8.
- Werner Schmucker: Untersuchungen zu einigen wichtigen bodenrechtlichen Konsequenzen der islamischen Eroberungsbewegung. Selbstverlag des Orientalistischen Seminars der Universität, Bonn 1972 (Bonner Orientalistische Studien. NS 24, ISSN 0340-6377).
- Thomas Sizgorich: "Do Prophets Come with a Sword?" Conquest, Empire and Historical Narrative in the Early Islamic World. In: American Historical Review 112, 2007, S. 993–1015.
Weblinks
- Artikel aus Iran Chamber (englisch)
- Quellenauszug zur Eroberung Alexandrias (englisch)
Anmerkungen
<references />