Prozession
Eine Prozession (lat. procedere vorrücken, voranschreiten; in der Bedeutung „Bittprozession“ auch lat. rogatio von rogare beten, bitten) ist ein religiöses Ritual, bei dem eine Menschengruppe einen nach bestimmten Regeln geordneten feierlichen Umzug oder Umgang, meist zu Fuß, vollzieht. Im säkularen Bereich entsprechen ihr Festzug, Parade, Trauerzug, Demonstration.
Inhaltsverzeichnis
Katholizismus
Man unterscheidet bei den Prozessionen Grundtypen, deren Aspekte sich häufig überschneiden:
- die funktionale Prozession (gestaltetes Gehen), bei der heiligen Messe z. B. der (feierliche) Einzug und die Gabenprozession
- die theophorische (die Gottheit oder Göttliches mitführende) Prozession, das Mitführen und Zeigen eines verehrten Gegenstandes oder Symbols, zum Beispiel des Allerheiligsten in der Fronleichnamsprozession oder einer anderen Sakramentsprozession, die Palmprozession oder Reliquienprozessionen
- die mimetische Prozession (das Nachahmen eines heilsgeschichtlichen oder mythologischen Geschehens), z. B. die Palmprozession, Karfreitagsprozession
- Flurumgänge oder Flurumritte in Anlehnung an germanische Rechts- und Kultbräuche, wonach jeder Grundeigentümer einmal im Jahr seinen Besitz umschreiten musste, um den Besitzanspruch aufrechtzuerhalten oder Gefahren abzuwenden<ref>Manfred Becker-Huberti: Feiern, Feste, Jahreszeiten. Lebendige Bräuche im ganzen Jahr, Freiburg-Basel-Wien 1998, ISBN 3-451-27702-6, 300, 373.</ref>, z. B. Flur- oder Bittprozessionen, Hagelprozessionen oder Reiterprozessionen zu Ehren von (Reiter-)Heiligen oder als Osterritt
- die demonstrative Prozession (in Bewegung gebrachte Versammlungen), z. B. feierliches Geleiten eines neugeweihten Bischofs zum Bischofshaus, Prozession mit dem Sarg bei der kirchlichen Begräbnisfeier.
- Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist auch das Bild von der Kirche als „wanderndem Gottesvolk“ bestimmend geworden, dessen Mitte Christus, das „Brot des Lebens“, ist.
Bei der Fronleichnamsprozession überschneiden sich das theophore (Mitführen des Allerheiligsten in der Monstranz) und das demonstrative Element. Mit dem viermaligen Vortrag des Evangeliums und der Erteilung des sakramentalen Segens in alle Himmelsrichtungen und über die Stadt werden auch Elemente der Flurumgänge aufgenommen. Im Rheinland wird die eucharistische Prozession mancherorts Gottestracht genannt (von mhd. trahte, Substantiv zu tragen<ref>Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., Berlin 1999, ISBN 3-11-016392-6, 830</ref>).
Bei Prozessionen ist der Vorgang des feierlichen Schreitens entscheidend, während es kennzeichnend für Wallfahrten und Pilgerfahrten ist, dass sie zu einem − oftmals weit entfernten − Ziel führen. Wallfahrten werden oft auf dem letzten Stück vor Erreichen des Zieles, etwa dem Weg vom Ortsrand des Wallfahrtsortes zur Wallfahrtskirche, als Prozession gestaltet („Einholen“ der Wallfahrt).
Während einer Prozession können Litaneien, Psalmen oder Hymnen gebetet oder gesungen oder der Rosenkranz gebetet werden. Katholische Prozessionen in Mitteleuropa werden oft von Blasmusikkapellen begleitet. Diese intonieren Kirchenlieder oder Prozessionsmärsche, die die Andacht fördern und das gemeinsame Gehen erleichtern sollen. Die Straßenränder und Häuser sind häufig durch Fähnchen, frische Zweige und Blumen geschmückt. Im oberbayerischen Alpenvorland und im österreichischen alpenländischen Raum werden anstelle der Prozessionsfähnchen meist rote sogenannte „Ziertücher“, oft mit Goldbordüren versehen, an den Fensterbrettern der Häuser angebracht. Mancherorts werden auf dem Prozessionsweg kunstvolle Blumenteppiche gelegt. Früher waren auch „Triumphbögen“ über dem Weg üblich, heute noch als „Ehrenpforte“ in Mardorf bei Amöneburg in Hessen.<ref>Manfred Becker-Huberti: Feiern, Feste, Jahreszeiten. Lebendige Bräuche im ganzen Jahr, Freiburg-Basel-Wien 1998, ISBN 3-451-27702-6, 341</ref>
Sonderformen der Prozession sind
- abendliche Lichterprozessionen, bei denen die Prozessionsteilnehmer Kerzen tragen, häufig an Wallfahrtsorten oder aus Anlass von Festwochen oder Festoktaven
- die in Oberschwaben, Tirol, im Schwarzwald, im Bayerischen Wald und in der Lausitz verbreiteten Reiterprozessionen (Blutritt in Weingarten, Sankt-Jodok-Ritt in Tännesberg, Antlassritt, Kötztinger Pfingstritt, Leonhardifahrt von Bad Tölz, das sorbische Osterreiten, im Rheinland der Gymnicher Ritt)
- die Echternacher Springprozession
- Schiffsprozessionen, z. B. auf dem Chiemsee, dem Staffelsee in Seehausen und auf dem Rhein die Mülheimer Gottestracht in Köln-Mülheim.
Hinduismus und Buddhismus
Auch in den asiatischen Religionen, wie z. B. dem Hinduismus oder Buddhismus, sind Prozessionen ein wichtiger Teil des religiösen Lebens.
Geschichte
Griechenland
Prozession waren wichtige Teile mehrerer antiker Kulte. Das bekannteste Beispiel ist die Panathenäen-Prozession von Athen auf die Akropolis.
Rom
Die in festgelegter Reihenfolge der Beteiligten durchgeführte Pompa zu Beginn von Zirkusveranstaltungen (pompa circensis) oder Theateraufführungen (pompa theatri) war seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. fester Bestandteil des öffentlichen Lebens. Ebenso gab es Trauerzüge (pompa funebris) bei Begräbnisfeierlichkeiten. Kaiserliche Triumphzüge (pompa triumphalis) bildeten einen wichtigen Teil des politischen Lebens des Dominats. Im Osten wurden sie seit dem Ende des 4. Jahrhunderts selten, öffentliche Auftritte des Kaisers fanden nun vor allem in der Rennbahn, dem byzantinischen Äquivalent des Fußballstadions, statt.
Christlicher Osten
Den christlichen Autoren galten die heidnischen Prozessionen (pompae) als heidnische Sitte, der man wegen des Kaiser- und Vielgötterkultes als gläubiger Christ fernzubleiben hätte (siehe pompa diaboli). Zu Ostern fand jedoch in christlichen Gemeinden seit spätestens dem 4. Jh eine Prozession an der Grabeskirche in Jerusalem statt. Prozessionen fanden auch bei der Überführung von Reliquien statt, wie Johannes Chrysostomos etwa für 398 und 403 (Phokas von Pontos) beschreibt. Die Teilnehmerzahl solcher Prozessionen war auch ein wichtiger Anhaltspunkt für die Stärke innerkirchlicher Fraktionen. Eine reiche Ausstattung konnte die Anziehung der jeweiligen Glaubensrichtung durchaus stärken. Auch die Überführung der Reliquien des Chrysostomus 438 war von einer Prozession begleitet.
626 fand eine Prozession um die Mauern von Konstantinopel statt, um einen Angriff der Awaren und Perser abzuwehren, angeführt durch den Patriarchen Sergios (610–638), der eine Ikone mit dem Abbild Christi trug. Seit dem Beginn des 9. Jh wurde bei solchen Prozessionen der Mantel der Gottesmutter aus der Kirche Theotokos in den Blachernen mitgeführt.
Unter dem Patriarchen Timothäus sind für Konstantinopel ab 511 durch Theodor Lektor regelmäßige wöchentliche Prozessionen nachgewiesen, in diesem Falle zu der Kirche Theotokos Chalkoprateia.
Spätantike
Um 470 hielt Mamertus, wie es durch einen Brief von Sidonius Apollinaris belegt ist, eine Prozession in Vienne ab, die vermutlich um die Stadtmauern führte. Die erste schriftlich belegte Prozession in Rom fand 590 unter der Leitung von Gregor dem Großen nach St. Maria Maggiore statt und sollte die Pest abwehren.
Literatur
- Leslie Brubaker: Topography and public space in Constantinople. In: Mayke de Jong and Francis Theuws (Hrsg.): Topographies of power in the early Middle Ages. Brill, Leiden 2001, ISSN:1386-4165 (Transformation of the Roman world Bd. 6) .
- Anton Quack: Prozession. I. Religionsgeschichtlich. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). 3. Auflage. Band 8, Herder, Freiburg im Breisgau 1999, Sp. 678f.
- Sabine Felbecker: Prozession. II. Liturgisch. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). 3. Auflage. Band 8, Herder, Freiburg im Breisgau 1999, Sp. 679f.
- Peter Kritzinger: The Cult of Saints and Religious Processions in Late Antiquity and the Early Middle Ages. In: Sarris Peter u.a. (Hrsg.): An Age of Saints? Brill, Leiden 2011, S. 36-48.
- Lena Krull: Prozessionen in Preußen. Katholisches Leben in Berlin, Breslau, Essen und Münster im 19. Jahrhundert. Ergon Verlag, Würzburg 2013, ISSN: 2195-1306, ISBN 978-3-89913-991-4 (Religion und Politik Band 5).
- Wolfgang Meurer (Hrsg.): Volk Gottes auf dem Weg. Bewegungselemente im Gottesdienst. Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1989, ISBN 3-7867-1433-9.
- Fred G. Rausch: Prozession. III. Frömmigkeitsgeschichtlich. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche (LThK). 3. Auflage. Band 8, Herder, Freiburg im Breisgau 1999, Sp. 680f.
- Liutgard Gedeon: Prozessionen in Frankfurt am Main. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 52 (2000), S. 11-53.
Weblinks
Einzelnachweise
<references />