Patriarch
Ein Patriarch ist in vorreformatorischen Kirchen ein höchstrangiger Bischof mit alleiniger Jurisdiktionshoheit über ein Patriarchat.
Patriarchen gibt es in den orthodoxen und altorientalischen Kirchen sowie in der Römisch-katholischen Kirche, sie stehen an der Spitze der kirchlichen Hierarchie über dem Großerzbischof. Unter Patriarchen gibt es keine hierarchische Reihenfolge, sondern allenfalls protokollarische Ehrenvorränge. Ein Patriarch kann traditionell in seinem Gebiet patriarchale Synoden abhalten, Bischöfe und andere Ordinarien ernennen, Bistümer und Bistumsgrenzen festlegen, Kirchengesetze aufstellen und Kirchenrecht auslegen.
Die offizielle Anrede der Patriarchen lautet Seine Heiligkeit oder persönlich Eure Heiligkeit. In manchen Kirchen wird anstatt oder zusätzlich zu „Patriarch“ der Titel Katholikos benutzt, der im Wesentlichen dem eines Patriarchen entspricht. Die kirchliche Verwaltungseinheit heißt dementsprechend Katholikat. Ein Titularpatriarch hat wie ein Titularbischof keine faktische patriarchale Jurisdiktion und trägt nur den Titel eines Patriarchen.
Inhaltsverzeichnis
Wortherkunft
Das Wort stammt vom griechischen πατριάρχης patriarches „Stammvater eines Geschlechts“, „Urvater“<ref>W. Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch, Graz 1954. Band 2, S. 535</ref> (aus πατήρ patér „Vater“ und ἄρχων archon „Herrscher, Gebieter“<ref>W. Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch, Graz 1954. Band 1, S. 367</ref>, zurückgehend auf αρχή arché „Spitze/Anfang einer von Männern (Vätern) dominierten Gemeinschaft“, vergl. -archie; später übertragen auf „Führer“), siehe auch Patriarchat. Im Neugriechischem bedeutet αρχη „Beginn, Start“, im Altgriechischen „Anfang, Anfangspunkt, Regierung, Oberbefehl“<ref>W. Pape, Griechisch-deutsches Handwörterbuch, Graz 1954. Band 1, S. 365</ref>. Die griechische Bezeichnung wird in der Septuaginta in der Bedeutung von Erzvater verwendet.
Orthodoxe Kirchen
Orthodoxe Patriarchen stehen an der Spitze der vier verbleibenden spätantiken (altkirchlichen) Patriarchate (Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien, Jerusalem) und einiger der großen orthodoxen Landeskirchen (das heißt der Serbischen, Russischen, Bulgarischen und Rumänischen Orthodoxen Kirche). Die anderen orthodoxen Kirchen haben Metropoliten oder Erzbischöfe als Oberhäupter.
Die griechisch-orthodoxen Patriarchen sehen ihre Kirchen als Teil der Einen Katholischen und Apostolischen Kirche, der Orthodoxen Kirche, mit dem Ökumenischen Patriarchen als Ehrenoberhaupt. Weitere autonome Kirchen unterstehen einem der folgenden Patriarchen, die ein Mitspracherecht bei der Besetzung des jeweiligen Kirchenoberhauptes haben:
- altkirchlich
- nachkaiserlich
- Ilia II., Katholikos und Patriarch von ganz Georgien, Tiflis, Patriarchat seit 11. Jahrhundert, neu seit 1943
- Neofit, Patriarch von Bulgarien, Sofia
- Kyrill I., Patriarch von Moskau und der ganzen Rus
- Irinej, Patriarch von Serbien
- Daniel, Patriarch von Rumänien
Die Ukrainische Kirche Kiewer Patriarchats hat sich von der Jurisdiktionsgewalt des Moskauer Patriarchats abgespalten und beansprucht Autokephalie, und ihr Oberhaupt den Patriarchentitel. Diese Abspaltung gilt als nicht kanonisch, das heißt ungültig, da nicht vom Moskauer Patriarchat autorisiert.
- Filaret II., Patriarch von Kiew und der gesamten Rus-Ukraine, seit 1991 (im Gegensatz zum Metropoliten von Kiew der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats).
Die gleiche Stellung wie ein Patriarch – nicht dem Namen nach – haben Kirchenoberhäupter anderer Kirchentitel, die einer autokephalen orthodoxen Kirche vorstehen, siehe Orthodoxe Kirche.
Altorientalische Kirchen
Die Kirchen der Altorientalischen Patriarchen erkennen das Konzil von Chalcedon nicht an. Folgende Patriarchen und Katholikoi stehen Kirchen vor, die autokephal sind oder sich als solche betrachten:
- alexandrinischer Ritus
- Tawadros II., Papst von Alexandrien und Patriarch von ganz Afrika (Kopten), Kairo, Alexandrien
- Abune Mathias, Patriarch und Katholikus von Äthiopien, Addis Abeba, autokephal seit 1950, Patriarchat seit 1959
- Abune Dioskoros, Patriarch von Eritrea, Asmara, Patriarchat seit 1998
- antiochenischer (westsyrischer) Ritus
- Ignatius Aphram II. Karim, Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient, (Jakobiten), Damaskus
- Baselios Marthoma Paulose II., Katholikos des Orients, Kottayam, Kerala (Indien) (im Unterschied zum Katholikos von Indien, der abhängig ist vom jakobitischen Patriarchen von Antiochien und dem ganzen Orient)
- armenischer Ritus (Armenisch-apostolische Kirche)
- Karekin II. Nersissian, Oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier, Kathedra: Etschmiadsin; Sitz: Vagharshapat
- Aram I., Katholikos des Großen Hauses von Kilikien, vor 1915: von Sis
- Nourhan Manougian, Armenischer Patriarch von Jerusalem
- Mesrop Mutafyan, Armenischer Patriarch von Konstantinopel
- ostsyrischer Ritus („Nestorianer“)
- Mar Dinkha IV., Katholikos und Patriarch der Assyrischen Kirche des Orients, Kathedra: Seleukia-Ktesiphon (Babylon); Sitz: Chicago, USA
- Addai II., Katholikos und Patriarch der Alten Kirche des Orients, Bagdad, Patriarchat seit 1968
Einige Kirchenoberhäupter tragen den Titel Katholikos zusätzlich oder anstelle eines Patriarchentitels. Bei der Armeniern gehen die Katholikoi den Patriarchen voran.
Römisch-katholische Kirche
Das altkirchliche Patriarchat der Westkirche in Rom ist heute Papstsitz und der Papst Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Den von den Päpsten seit dem 5. Jahrhundert getragenen Titel als Patriarch des Abendlandes (oder Patriarch des Okzidents) führen die Päpste seit 2006 unter Benedikt XVI. nicht mehr<ref>Papst Benedikt XVI verzichtet auf Titel "Patriarch des Abendlandes" auf kath.net.de</ref><ref>Titel der Päpste auf der Seite katholisch.de</ref>. Sie stehen dennoch weiterhin der in altkirchlicher Tradition als Patriarch der Westkirche.
In der römisch-katholischen Kirche gibt es zehn Patriarchen, vier lateinische und sechs in den Katholischen Ostkirchen. Mit dem Papst haben acht Patriarchen eine eigene Jurisdiktion, während drei lateinische Patriarchen keine eigene Jurisdiktion besitzen. Das Griechisch-melkitische Patriarchat gliedert sich auf in drei Patriarchalsitze, die aber von einem Patriarchen geführt werden.
Die Jurisdiktionsgewalt des Papstes über die gesamte Weltkirche einschließlich der anderen Patriarchate beruht nicht auf der patriarchalen Jurisdiktion sondern auf dem Jurisdiktionsprimat. Die Patriarchen der römisch-katholischen Kirche benötigen teilweise die Bestätigung bestimmter Rechtshandlungen durch den Papst.
Eine vergleichbare Stellung, aber keine patriarchale Jurisdiktion besitzen die Großerzbischöfe. Sie sind Oberhäupter katholischer Ostkirchen, die nicht zu den altkirchlichen Patriarchaten oder Katholikaten zählen, oder aus Gründen der Ökumene mit anderen Kirchen keinen Patriarchentitel führen. Bei Großerzbischöfen muss der Papst die Wahl bestätigen, bevor der Erwählte inthronisiert und sein Amt antreten kann.<ref>Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium: Can. 153</ref> Für Patriarchen ist eine Bestätigung der Wahl nicht erforderlich. Der neugewählte Patriarch bittet den Papst lediglich schriftlich um die sogenannte Ecclesiastica Communio.<ref>Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium: Can. 76</ref>
- Lateinische Kirche
Innerhalb der lateinischen Kirche gibt es zurzeit vier Patriarchen. Drei von ihnen stehen Diözesen mit Patriarchalsitz vor, einer steht als Erzbischof einem Erzbistum vor.
- Fouad Twal, Lateinischer Patriarch von Jerusalem
- Manuel José Macário do Nascimento Clemente, Patriarch von Lissabon
- Francesco Moraglia, Patriarch von Venedig
- Filipe Neri António Sebastião do Rosário Ferrão, Patriarch von Ostindien, Erzbischof von Goa und Daman
- Patriarch von Westindien (vakant seit 1963)
- Katholische Ostkirchen
- Ibrahim Isaac Sidrak, Koptischer Patriarch von Alexandrien
- Béchara Pierre Raï, Maronitischer Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient (Kardinalbischof)
- Ignatius Joseph III. Younan, Syrischer Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient
- Gregor III. Laham, Melkitischer Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient, – von Alexandrien, – von Jerusalem
- Louis Raphaël I. Sako, Patriarch von Babylon
- Grégoire Bedros XX. Ghabroyan, Patriarch von Kilikien der Armenier
Andere Kirchen
Auch die Oberhäupter der Katholisch-Apostolischen Kirche Brasiliens und Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche werden als Patriarchen bezeichnet.
Literatur
- Annuario pontificio. per l'anno 2007. ZDB-ID 370-0 (Päpstliches Jahrbuch).
- Niccolò Del Re (Hrsg.): Vatikan-Lexikon. Lizenzausgabe. Pattloch, Augsburg 1998, ISBN 3-629-00815-1.
- Orthodoxia. Jg. 2007, ZDB-ID 585333-3 (Jahrbuch für die Orthodoxie).
- Steyler Missionswissenschaftliches Institut (Hrsg.): Atlas Hierarchicus. Descriptio geographica et statistica insuper notae historicae Ecclesiae Catholicae. 5. editio elaboravit. St. Gabriel-Verlag, Wien 1992, ISBN 3-85264-399-6 (Jurisdiktionsbezirke, Statistik).
Einzelnachweise
<references />
Lateinische (Römische) Kirche: Rom (Liste) | Jerusalem (Liste, seit 1099) | Venedig (titular, Liste, seit 1457) | Lissabon (titular, Liste, seit 1716) | Westindien (titular, Liste, 1524–1963) | Ostindien (titular, Liste, seit 1886)
Unierte Kirchen: Antiochia (Maroniten, Liste, seit 687) | Babylon (Chaldäer, Liste, seit 1553) | Antiochia (Syrer, Liste, seit 1662) | Antiochia, Alexandria, Jerusalem (Melkiten, Liste, seit 1709) | Kilikien (Armenier, Liste, seit 1740) | Alexandria (Kopten, Liste, seit 1895)
Aufgehoben: Aquileia (Liste, 567–1751) | Grado (Liste, 568–1451) | Antiochia (Liste, 1100–1964) | Konstantinopel (Liste, 1204–1964) | Alexandria (1219–1964)
Rom | Venedig | Agrigent | Ancona-Osimo | Bari-Bitonto | Benevent | Bologna | Cagliari | Campobasso-Boiano | Catania | Catanzaro-Squillace | Chieti-Vasto | Cosenza-Bisignano | Fermo | Florenz | Foggia-Bovino | Genua | Görz | L’Aquila | Lecce | Messina-Lipari-Santa Lucia del Mela | Mailand | Modena-Nonantola | Neapel | Oristano | Palermo | Perugia-Città della Pieve | Pesaro | Pescara-Penne | Pisa | Potenza-Muro Lucano-Marsico Nuovo | Ravenna-Cervia | Reggio Calabria-Bova | Salerno-Campagna-Acerno | Sassari | Siena-Colle di Val d’Elsa-Montalcino | Syrakus | Tarent | Turin | Trient | Udine | Vercelli