Tuwiner


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Sojoten)
Wechseln zu: Navigation, Suche
Datei:Tuvans.jpg
Chinesischer Tuwiner auf einem Pferd.

Tuwiner (tuwinisch Тыва/Tyva) ist der Name der größten nichtslawischen Ethnie im Altai-Sajan-Gebiet (Süd-Sibirien) (Russland, Mongolei, China). In der russischen Republik Tuwa stellen die mehr als 200.000 Tuwiner (1989: 198.448) die Bevölkerungsmehrheit (1989: 64,31 %). Sprachlich werden die Tuwiner heute den Turkvölkern zugerechnet. Sie selbst nennen sich Tyva kiži (Südsibirien) oder Dϊva giži (Altai).<ref>Oelschlägel 2004. S. 5.</ref>

Die Tuwiner gliedern sich in drei unterschiedliche Gruppen: Die mit Abstand größte Gruppe sind die Taŋdy Tyvazy/Dyvazy Südsibiriens. Zu ihnen zählen zudem die Sojon-Urianchai, die im Chöwsgöl-Aimag, der nördlichsten Provinz der Mongolei leben und dort „Caatan“ oder „Tsaatan“ (Rentierleute) genannt werden. In der Westmongolei siedeln die Chomdu Dϊvazϊ/Tyvazy und hoch am mongolisch-chinesischen Altai-Hauptkamm schließlich die Aldaj Dϊvazϊ/Altaj Tyvazy.<ref>Oelschlägel 2004. S. 6.</ref>

Alternativbezeichnungen

Andere Bezeichnungen für die Tuwiner sind Tyva, Tyvaner, Tuva und Tuvaner. Als Nebenformen gelten Tuwinen und Tuwinzen.

In der Vergangenheit waren die Tuwiner auch unter den Namen Sojonen, Sojoten und Urjanchaj bekannt, wobei letzteres Ethnonym sowohl turk- als auch mongolischsprachige Gruppen umfasst und in frühen Reiseberichten und wissenschaftlichen Publikationen die am häufigsten verwendete Bezeichnung für die Tuwiner ist.

Sprache und Religionen

Tuwinisch ist eine Turksprache, die starken Einflüssen des Mongolischen ausgesetzt ist. Seit 1940 wird sie kyrillisch geschrieben.

Der sogenannte „klassische Schamanismus“ war die traditionelle ethnische Religion der Tuwiner. Der Ethnologe Klaus E. Müller spricht hier von „Komplexschamanismus“ und meint damit jene Formen, die durch Berührungen mit anderen Religionen und benachbarten Agrargesellschaften eine komplexe Ritualkultur entwickelt haben.<ref>Klaus E. Müller: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale. 4. Auflage, C. H. Beck, München 2010 (Originalausgabe 1997), ISBN 978-3-406-41872-3. S. 30–33, 41.</ref> Bereits frühzeitig fand eine starke Vermischung mit dem Lamaismus statt. Es gab verschiedene Schamanentypen, die sich nach Abstammung und Art der Berufung aufgliederten. Heilung und Weissagung sind heute noch die häufigsten Aufgaben des Schamanen. Überliefert sind außerdem weitere vier Typen: Schamanen mit Maultrommel, mit Stock, mit Spiegel und solche, die nächtliche Rituale mit Trommel und Kostüm wagten.

Wie die benachbarten Mongolen – von denen die Einwohner Tuwas in der Mongolei kulturell stark beeinflusst sind – bekennen sich die dortigen Tuwiner offiziell überwiegend zum tibetischen Buddhismus. In Russland kommen altgläubige orthodoxe Christen hinzu. Die alt überlieferten schamanischen Praktiken haben jedoch immer noch eine große Bedeutung: Der tuwinische Schamanismus konnte sich auch über die Sowjetzeit retten. Die Einführung des Atheismus durch die Sowjets konnte sich nicht behaupten. Der Schamanismus verändert sich jedoch drastisch durch den Kontakt mit westlich-esoterischen Neoschamanen, die einen intensiven Austausch in Gang gesetzt haben. Dies wird möglicherweise die ursprünglichen Überlieferungen dieses Volkes verfälschen und überlagern.<ref>Anett C. Oelschlägel: Plurale Weltinterpretationen – Das Beispiel der Tyva Südsibiriens. Studies in Social and Cultural Anthropology, SEC Publications/Verlag der Kulturstiftung Sibirien, Fürstenberg/Havel 2013, ISBN 978-3-942883-13-9. S. 31, 60f.</ref> Der deutschsprachige Schriftsteller und Tuwa-Schamane Galsan Tschinag ist ein bekannter Repräsentant dieser Entwicklung.<ref>Heiko Grünwedel: Schamanismus zwischen Sibirien und Deutschland: Kulturelle Austauschprozesse in globalen religiösen Diskursfeldern. transcript-Verlag, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-8376-2046-7, S. 232ff.</ref>

Kultur und Lebensweise

Datei:"Тывалап чугаалажыылыңар". Чурук 18.jpg
Darstellung traditioneller tuwinischer Kleidung
Datei:Tuvinka na olene.jpg
Die „Rentierleute“ reiten auch auf den Tieren

Traditionelle Wirtschaftsformen der Tuwiner sind die mobile Tierhaltung und ergänzende Jagd: In den Steppenregionen werden wie andernorts Yak, Pferd, Kamel, Schaf und Ziege gehalten, heute häufig durch das Rind ergänzt. Bei den Sesshaften bisweilen auch Schweine und Geflügel. In der Regel erfolgt die Viehwirtschaft jedoch halbnomadisch oder nomadisch. Vollnomaden sind die Rentier haltendenSojon-Urianchai in der Nord-Mongolei und die Tožu-Tyva<ref>Oelschlägel 2013. S. 22.</ref> im sibirischen Nordosten des Siedlungsgebietes, die beide in der Taiga leben. Während die Steppen-Tuwiner nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus Not zur teilweisen Subsistenzwirtschaft zurückkehren müssen, leben die Taiga-Tuwiner seit jeher vornehmlich auf diese Weise. Sie gehören damit zu den ganz wenigen Ethnien der Erde, die noch von traditionellem Nomadismus leben. Die Anbindung an die lokale Geldwirtschaft besteht zumeist über den Verkauf von Pelzen aus der Jagd.

Bei den in abgelegeneren Regionen der Mongolei (Altai, Sojon) lebenden Tuwinern hat sich die überlieferte Kultur bis heute am besten erhalten, insbesondere bei den „Rentierleuten“ der Nord-Mongolei. Auf der russischen Seite fand zur Sowjetzeit eine aggressive Russifizierung (u. a. zwangsweise Sesshaftmachung) statt, die zu einer starken Akkulturation geführt hat. Heute ist der Einfluss der mongolischen und kasachischen Kultur auf die westmongolischen und chinesischen Siedlungsgebiete am stärksten.<ref>Oelschlägel 2004. S. 6.</ref><ref>Oelschlägel 2013. S. 21, 26.</ref>

Tuwa gehört zum Kerngebiet des klassischen Schamanismus. Die Abgelegenheit und Eigenständigkeit hat hier bei einigen Gruppen zu einer weitgehenden Erhaltung dieser Weltanschauung bis heute geführt. Hier spielen insbesondere die rituelle Geisterbeschwörung im Rahmen der Krankenbehandlung und als Fürbitte für soziale Zwecke sowie das Orakel eine wichtige Rolle. Eingehend erforscht wurde der altaiische Schamanismus durch Leonid Pavlovič Potapov, einen tuwinischen Ethnologen. Erheblicheren Einfluss auf die gegenwärtige Entwicklung hat jedoch das Werk des tuwinischen Ethnologen Monguš Borachovič Kenin-Lopsaŋ, der nach dem Ende der Sowjetära die Gesellschaft der Schamanen „Düngür“ gründete, mit dem Ziel, den Schamanismus und Animismus („Alles ist beseelt“) in Tuwa wiederzubeleben und neue Schamanen auszubilden.<ref>Oelschlägel 2004. S. 9–16.</ref> Allerdings verursacht dies aufgrund eines intensiven Austauschs mit westlichen Schamanen einen deutlichen Kulturwandel vom traditionellen Schamanismus zum esoterisch geprägten Neoschamanismus.<ref>Oelschlägel 2013. S. 31, 60f.</ref>

Geschichte

Herkunft und Vorgeschichte der Tuwiner sind weitgehend unbekannt. Archäologische Funde und chinesische Quellen lassen darauf schließen, dass sie nicht die ersten Besiedler Tyvas waren. Unter den mobilen Hirtenvölkern fanden grundsätzlich häufig Vermischungen statt.<ref>Oelschlägel 2004. S. 5.</ref>

Nach dem Ende des Oiratenreiches gehörten die Tuwiner zu China, standen unter (ost)mongolischer Verwaltung und die einheimische Oberschicht war weitgehend mongolisiert. Von jeher waren die Tuwiner weitgehend selbstständig und widerstanden fremden Einflüssen.<ref>Oelschlägel 2013. S. 21, 26.</ref> Im 19. Jahrhundert setzte der Buddhismus sich allmählich als vorherrschende Glaubensrichtung durch.

Nach der chinesischen Revolution errichtete das Zarenreich 1914 auf dem größten Teil des tuwinischen Gebietes das Protektorat Urjanchajski Kraj (Урянхайский край/Region Urjanchai). Auf die russische Revolution 1917 folgte eine Periode der Besetzung durch chinesische Truppen und verschiedene russische Bürgerkriegsparteien und schließlich 1921 die Gründung der freien „Volksrepublik Tannu-Tuwa“ (tuwinisch: Tahdy-Tywa Ulus Respublika). 1922 erfolgte auch die Gründung der Revolutionären Volkspartei TARN (tuwinisch: Tywa arattyh revoljustug namy). 1926 wurde sie in Tywa Arat Respublika/TAR (Tuwinische Volksrepublik) umbenannt.

Die erste „republikanische“ Regierung (1921–1924) führte der Adlige Nojan Bujan-Badyrgy, das feudale Oberhauptes des Choschun (Bezirks) Daa (mongolisch: Nojon Bujan-Badrachuund). Die Amtszeit der Regierung Donduk Kuular (1924–1929) war durch eine Politik der Anlehnung an die Mongolische Volksrepublik und Förderung des Buddhismus geprägt. Durch die Kulturrevolution 1929/1930 kamen sowjetisch geprägte Kader an die Macht, die eine Umgestaltung nach sowjetischem Vorbild einleiteten. Als Amtssprache wurde nun an Stelle des bisher verwendeten Altmongolischen eine tuwinische Schriftsprache entwickelt, die bis 1940 mit lateinischen Buchstaben geschrieben wurde.

1944 wurde das Gebiet der aufgelösten Volksrepublik als Autonome Oblast der RSFSR angegliedert, 1961 erhielt es den Status einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik. 1991 wurde diese zur Republik Tuwa umgebildet.

Verwandtschaftliche Beziehungen zur turkvölkischen Minderheit in der Mongolei

Die heute in der Westmongolei lebenden Dywa sind sprachlich-kulturell eng mit den Tuwinern verwandt. Ihnen blieb lange Zeit die Anerkennung als nationale Minderheit versagt, da sie im kasachisch dominierten Bajan-Ölgii-Aimag leben. Die Dywa wurden in älteren Quellen mitunter auch als Gök Mantschak oder Gök Tschuluutan bezeichnet, was auf die Bezeichnung einer Teilgruppe, nämlich Gök Mandtschak, zurückgeht. Gegenwärtig konsolidiert sich ihre Gemeinschaft im Tsengel-Sum durch Rückkehr von vorher in die Zentralmongolei ausgewanderten Familien. Die Zahl aller Tuwiner inklusive der Dywa dürfte in der Mongolei zwischen einigen Tausend und Zehntausend liegen, die verschiedenen Angaben sind widersprüchlich. Der tuwinische Journalist Mongal Sedip geht gar von 30.000 aus.

Tuwinische Minderheiten in China

In der VR China leben einige Tausend Dywa der Altairichtung (tuwinisch: Aldaj dshüktüch dyvasy). Der Name bezieht sich auf das Siedlungsgebiet der Minderheit, das sich südlich bis südwestlich des Altaikammes befindet. Je nach Quelle wird von 2.000 (1989) oder 5.000 (1992) Menschen ausgegangen. Obwohl die chinesische Regierung den Dywa Anfang der 1950er Jahre angeboten hatte, sie als eigenständige Nationalität („nationale Minderheit“) anzuerkennen, besteht diese Minderheit bis heute darauf, zu den Mongolen, im konkreten Fall zu den hier ansässigen Oiraten, gezählt zu werden. Als Grund wurde inoffiziell die Befürchtung genannt, als quantitativ kleine Gruppe dem Druck der ebenfalls turksprachigen, aber islamischen Kasachen nichts entgegensetzen zu können. Teil der quantitativ starken Gruppe der Mongolen zu sein, mit denen sie Religion und Lebensweise teilen und deren Sprache sie fast alle beherrschen, gebe ihnen ein Gefühl kultureller Sicherheit.

Bekannte Tuwiner

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

<references />