Spinelli-Gruppe


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Logo der Spinelli-Gruppe

Die Spinelli-Gruppe (englisch Spinelli Group) ist eine am 15. September 2010 gegründete Initiative von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, die sich für den europäischen Föderalismus einsetzen. Zu ihren Zielen gehört es unter anderem, im Europäischen Parlament fraktionenübergreifende Mehrheiten für föderalistische Vorschläge zu erzielen sowie über das Parlament hinaus ein proeuropäisches Netzwerk aufzubauen. Die Gruppe ist nach Altiero Spinelli (1907–1986) benannt, einem historischen Vordenker der europäischen Integration.

Zu den Gründern der Spinelli-Gruppe zählen insbesondere Guy Verhofstadt, der Vorsitzende der liberalen Fraktion ALDE, sowie Daniel Cohn-Bendit, einer der Vorsitzenden der Fraktion Grüne/EFA. Die Spinelli-Gruppe wird außerdem von der Union Europäischer Föderalisten (UEF) unterstützt.<ref>Pressemitteilung der Union Europäischer Föderalisten, 15. September 2010: Federalist Campaign grows - new Spinelli initiative (englisch).</ref>

Organisation

Den Kern der Spinelli-Gruppe bildet die Steering Group, die sich aus 33 Mitgliedern zusammensetzt, die teilweise Mitglieder des Europäischen Parlaments sind, teilweise sich in anderer Weise als Politiker oder Intellektuelle für den europäischen Föderalismus einsetzen.<ref>Spinelli-Gruppe, Who we are.</ref> Eines der Gründungsmitglieder, Tommaso Padoa-Schioppa, verstarb Ende 2010.

Innerhalb des Europäischen Parlaments bildet die Spinelli-Gruppe die sogenannte MEP Spinelli Group, die alle Europaabgeordneten umfasst, die sich dem Online-Manifest angeschlossen haben. Derzeit sind dies rund 100 Abgeordnete. Außerhalb des Europäischen Parlaments existiert schließlich die Spinelli Network Group, die alle anderen Bürger umfasst, die das Online-Manifest der Initiative unterzeichnet haben und die jährlich zum Europatag zu einem Treffen in Brüssel zusammenkommen. Derzeit umfasst dieses Netzwerk etwas über 2000 Personen (Stand: März 2011).

Die folgende Tabelle listet die Mitglieder der Steering Group auf:

Mitglied Herkunftsland Europapartei Tätigkeit (Stand: 2010)
Delors, Jacques Jacques Delors FrankreichFrankreich Frankreich SPE ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission, Präsident des Think Tanks Notre Europe
Monti, Mario Mario Monti ItalienItalien Italien ehemaliges Mitglied der Europäischen Kommission und ehemaliger italienischer Ministerpräsident
Fischer, Joschka Joschka Fischer DeutschlandDeutschland Deutschland EGP ehemaliger deutscher Außenminister
Cox, Pat Pat Cox IrlandIrland Irland ELDR ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, ehemaliger Präsident der Europäischen Bewegung International<ref>EMI: Jo Leinen & Team bringen das größte proeuropäische Netzwerk auf Kurs. Europäische Bewegung Deutschland, 28. November 2011, abgerufen am 30. März 2012.</ref>
Thun, Róża Róża Thun PolenPolen Polen EVP Mitglied des Europäischen Parlaments
Nicolaidis, Kalypso Kalypso Nicolaidis GriechenlandGriechenland Griechenland,
FrankreichFrankreich Frankreich
Leiterin des European Studies Centre an der Universität Oxford
Hübner, Danuta Danuta Hübner PolenPolen Polen EVP Mitglied des Europäischen Parlaments
Schwan, Gesine Gesine Schwan DeutschlandDeutschland Deutschland SPE Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance
Barnavi, Elie Elie Barnavi IsraelIsrael Israel Historiker und Publizist, ehemaliger Botschafter Israels in Frankreich
Ferry, Jean-Marc Jean-Marc Ferry FrankreichFrankreich Frankreich Philosoph (Université Libre de Bruxelles)
Beck, Ulrich Ulrich Beck DeutschlandDeutschland Deutschland Soziologe (London School of Economics and Political Science)
Sen, Amartya Amartya Sen IndienIndien Indien Ökonom und Wirtschaftsphilosoph, Wirtschaftsnobelpreisträger 1998
Duff, Andrew Andrew Duff Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich ELDR Mitglied des Europäischen Parlaments, Präsident der Union Europäischer Föderalisten
Brok, Elmar Elmar Brok DeutschlandDeutschland Deutschland EVP Mitglied des Europäischen Parlaments
Dessewfy, Tibor Tibor Dessewfy UngarnUngarn Ungarn Soziologe (Loránd-Eötvös-Universität), Politikberater
Gozi, Sandro Sandro Gozi ItalienItalien Italien SPE Mitglied des Europäischen Parlaments (Fraktion S&D), Vizepräsident des Movimento Federalista Europeo
Swieboda, Pawel Pawel Swieboda PolenPolen Polen Publizist und Politikberater
Vandenberghe, Kurt Kurt Vandenberghe BelgienBelgien Belgien Beamter der Europäischen Kommission
Ricard-Nihoul, Gaëtane Gaëtane Ricard-Nihoul BelgienBelgien Belgien Politikberaterin, Generalsekretärin von Notre Europe
Triandafyllidou, Anna Anna Triandafyllidou GriechenlandGriechenland Griechenland Soziologin (Europäisches Hochschulinstitut)
Pinto, Diogo Diogo Pinto PortugalPortugal Portugal Generalsekretär der Europäischen Bewegung International
Grabbe, Heather Heather Grabbe Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich Politikberaterin, Leiterin des Open Society Institute in Brüssel
Streho, Imola Imola Streho UngarnUngarn Ungarn Rechtswissenschaftlerin (Sciences Po)
Girbea, Alina-Roxana Alina-Roxana Girbea RumänienRumänien Rumänien Publizistin
Verhofstadt, Guy Guy Verhofstadt BelgienBelgien Belgien ELDR Mitglied des Europäischen Parlaments, ALDE-Fraktionsvorsitzender
Cohn-Bendit, Daniel Daniel Cohn-Bendit FrankreichFrankreich Frankreich,
DeutschlandDeutschland Deutschland
EGP Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne/EFA-Fraktionsvorsitzender
Goulard, Sylvie Sylvie Goulard FrankreichFrankreich Frankreich EDP Mitglied des Europäischen Parlaments, Präsidentin der Europäischen Bewegung Frankreich
Durant, Isabelle Isabelle Durant BelgienBelgien Belgien EGP Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments
Cofferati, Sergio Sergio Cofferati ItalienItalien Italien SPE Mitglied des Europäischen Parlaments (Fraktion S&D)
Debeuf, Koert Koert Debeuf BelgienBelgien Belgien ELDR Kabinettschef von Guy Verhofstadt
Gaudot, Edouard Edouard Gaudot FrankreichFrankreich Frankreich EGP Berater der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
McLaughlin, Guillaume Guillaume McLaughlin Vereinigtes KonigreichVereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich ELDR Berater der Fraktion ALDE im Europäischen Parlament
Rieu, Mychelle Mychelle Rieu FrankreichFrankreich Frankreich EGP Mitarbeiterin der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament

Positionen

In einem auf der Homepage der Initiative veröffentlichten Manifest<ref>Spinelli-Gruppe, [1] (englisch).</ref> ruft die Spinelli-Gruppe zu einer engeren europäischen Integration auf, da Nationalismus und Intergouvernementalismus in einer globalisierten Welt nur zu politischer Ohnmacht führten. Sie kritisiert die vorgeblich gegenwärtige Tendenz, in der Nationalstaaten vermehrt ihre eigenen Interessen vor diejenigen der Europäischen Union als Ganzes setzten, und fordert ein „föderales und postnationales Europa, ein Europa der Bürger“.

Im Einzelnen lehnt die Spinelli-Gruppe etwa in den Budgetverhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2013–2020 die von verschiedenen Mitgliedstaaten vorgeschlagene Absenkung des EU-Haushalts ab. Sie setzt sich für eine bessere europäische Wirtschaftsregierung sowie für die Einführung transnationaler Listen bei Europawahlen ein.<ref>EurActiv, 16. September 2010: Förderung des Föderalismus: Spinelli-Gruppe sucht Unterstützer.</ref>

Aktionsweise

Innerhalb des Europäischen Parlaments versucht die Spinelli-Gruppe, bei wichtigen Abstimmungen Mehrheiten für föderalistische Positionen zu organisieren. Außerdem nimmt sie über Schriftliche Erklärungen des Europäischen Parlaments Einfluss auf Entscheidungen anderer Organe der Europäischen Union. Zudem organisiert die Spinelli-Gruppe ein jährlich am Europatag stattfindendes Treffen aller Unterzeichner des Online-Manifests sowie weitere Tagungen und Podiumsdiskussionen zu europäischen Themen. Jeweils vor den Gipfeln des Europäischen Rates findet der sogenannte „Schatten-Rat“ statt, bei dem Mitglieder der Spinelli-Gruppe föderalistische Positionen zu den auf dem Gipfel verhandelten Themen präsentieren.<ref>EurActiv, 23. März 2011: „Schatten“-EU-Gipfel kritisiert EU-Leader für Mangel an Initiative heftig.</ref>

Altiero Spinelli

Hauptartikel: Altiero Spinelli

Die Gruppe ist in verschiedener Hinsicht durch ihren Namensgeber Altiero Spinelli, einen der Vordenker der europäischen Integration und Gründer der Union Europäischer Föderalisten, beeinflusst. So hat die Form als fraktionenübergreifende Organisation innerhalb des Europäischen Parlaments einen Vorläufer in einer Initiative Spinellis, der am 9. Juli 1980 eine ähnliche Organisation, den Krokodilsclub gründete, um Unterstützer für sein Projekt eines Verfassungsvertrags für die Europäische Union zu sammeln.

Auch das Manifest der Spinelli-Gruppe nimmt durch ein Zitat auf Spinellis 1941 verfasstes Manifest von Ventotene Bezug, in dem dieser erstmals die Gründung eines europäischen Bundesstaates gefordert hatte. Das während des Zweiten Weltkriegs im Gefängnis verfasste damalige Manifest war jedoch antifaschistisch motiviert; Spinelli und sein Co-Autor Ernesto Rossi sprachen sich vor diesem Hintergrund - im Widerspruch zur späteren Verfasstheit der EU und der Zielsetzung der Spinelli-Gruppe - für ein revolutionäres, sozialistisches Europa aus: „Die europäische Revolution muss sozialistisch sein, um unseren Bedürfnissen gerecht zu werden; sie muss sich für die Emanzipation der Arbeiterklasse und die Schaffung menschlicherer Lebensbedingungen einsetzen“. Auch weisen Spinelli und Rossi im Manifest von Ventotene auf den „Militarismus“ hin, welcher „den reaktionären Kräften der privilegierten Klassen“ diene, während die heutige Europäische Union der weltweit größte Produzent und Exporteur von Kriegswaffen ist.

Zwei der Gründungsmitglieder der Gruppe sind familiär mit Altiero Spinelli verbunden: Tommaso Padoa-Schioppa war der Lebensgefährte von Spinellis Tochter Barbara Spinelli, Amartya Sen war mit Spinellis Stieftochter Eva Colorni verheiratet. <ref>Abels, Gabriele/Oestler, Frieder: Von Krokodilen, Hebammen und großen Männern – Spinellis Erben und ihr Plädoyer für ein föderalistisches und post-nationales Europa. In: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (Hg.): Jahrbuch des Föderalismus 2014. Baden-Baden: Nomos 2014, S. 476-491.</ref>

Weblinks

Einzelnachweise

<references />