Thor
Thor im Norden oder Donar bei den kontinentalen germanischen Völkern ist „der Donnerer“ (Nomen Agentis), ursprünglich als Gattungsname „der Donner“ (Appellativum) (as. Thunaer, ags. þunor, ahd. Donar, an. Þórr von urn. þunraʀ ‚donnern‘).<ref>Jan de Vries: Altnordisches Etymologisches Wörterbuch. S. 618.</ref><ref>Vladimir Orel: A Handbook of Germanic Etymology, Brill, Leiden – Boston 2003, S. 429.</ref> Daraus erschließt sich der gemeingermanische Gottesname *Þunaraz.<ref>Karl Helm: Altgermanische Religionsgeschichte, Bd. 1, S. 274–277 einschließlich Fußnoten.</ref> Thor/ Donar fungierte für die zur See fahrenden Völker als Gewitter- und Wettergott und war in weiterer Funktion innerhalb der bäuerlichen germanischen Gesellschaft Vegetationsgottheit. In den mythologischen eddischen Schriften hatte er die Aufgabe des Beschützers von Midgard, der Welt der Menschen.<ref>Jan de Vries: Die geistige Welt der Germanen. S. 186–187.</ref><ref>Rudolf Simek: Lexikon der Germanischen Mythologie. S. 417.</ref>
Inhaltsverzeichnis
Etymologie und Herkunft
Etymologie
Der Name der Gottheit ist eng verwandt mit dem von anderen, in ihrer Funktion ähnlichen indogermanischen Gottheiten. Iuppiter tonans, Zeus, der keltische Taranis nutzten als Waffe den steinernen Donnerkeil, der durch den Blitzstrahl vom Himmel zur Erde geworfen wurde.<ref>Herbert Rose: Griechische Mythologie. S. 43–45.</ref> Der Kampf, den Indra führte, ist atmosphärisch durch Blitz und Donner dargestellt. Der Begriff Himmel geht auf eine indogermanische Wortwurzel zurück, die Stein, Amboss bedeutet.<ref>Karl Helm: Altgermanische Religionsgeschichte, Bd. 1, S. 390.</ref><ref>Jan de Vries: Kelten und Germanen. S. 93.</ref><ref>Unsicher: Friedrich Kluge, Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage. Stichwort Himmel</ref> Vom gemeingermanischen *Þunraz wird gesagt (analog zu Zeus), dass dessen Donner dem Fahren eines Wagens über ein Gewölbe gleicht (ags. Þunorrād „Donnerfahrt“).<ref>Wolfgang Golther: Handbuch der Germanischen Mythologie. S. 305 Fußnote; volkskundliche Vergleiche zwischen Sprichwörtern in Norddeutschland und Skandinavien.</ref> Blitz und Donner künden das Nahen Thors in der nordischen Mythik.<ref>Snorri Sturluson: Skáldskaparmál Kap. 17; im Kontext des Hrungnir-Mythos.</ref> So geht der germanische Name des Gottes gleichlautend mit dem des Naturphänomens appellativ auf eine Wortwurzel zurück, die einen Schalllaut darstellt, wie er speziell in Wörtern für Donner und donnern wortgleichend verwendet wird; ig. *(s)ten.<ref>Julius Pokorny: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. Franke, Bern – München 1956, S. 1021.</ref><ref>Linguistic Research Center (University of Texas, Austin): Indo-European Lexicon; PIE Etymon and IE Reflexes.</ref> Hierzu als erläuternder Vergleich lat. tonare „donnern“, an. Þónarr „donnern“, ai. tanyu „donnernd“, ags. Þunian, ebenfalls „donnern“. Beim altnordischen Þórr gilt hingegen allein der Gottesname, die appellativische Bedeutung Donner entfällt in der Regel bis auf das Vorkommen in regionalen Dialekten (Norwegen) in denen tór wiederum der Bedeutung Donner entspricht. Auffallend ist die zweisilbige Namensform im kontinental-germanischen Bereich, wohingegen in der nordischen Form der Name nur einsilbig ist.<ref>Heinrich Beck: Donar – Þorr. S. 1.</ref>
Der Wochentag Donnerstag (engl. thursday, dän./ schwed. torsdag) ist nach Donar bzw. Thor benannt. Der Tag war bereits in der Antike den Göttern Zeus bzw. Jupiter geweiht (lat. dies Iovis, davon auch franz. jeudi, rum. joi, span. jueves, italien. giovedì) und wurde mit der Übernahme der ursprünglich babylonisch/ägyptischen 7-Tage-Woche<ref>Ursprünglich waren die Wochen des ägyptischen Sothiskalenders in die vier Mondphasen aufgeteilt. Mit Einführung des ägyptischen Verwaltungskalenders änderte sich dort die Anzahl der Wochentage, während der religiöse Mondkalender weiter die Mondphasen-Woche beibehielt, vgl. hierzu auch: Richard-Anthony Parker: Egyptian Astronomy, Astrology and calendrical reckoning, S. 713–714; Siegfried Schott: Altägyptische Festdaten. Verlag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz/ Wiesbaden 1950, S. 10–14; Rolf Krauss: Sothis- und Monddaten: Studien zur astronomischen und technischen Chronologie Altägyptens, Gerstenberg, Hildesheim 1985, S. 15–18 und Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Michael Meyer-Blanck, Karl-Heinrich Bieritz: Handbuch der Liturgik – Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche -. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-525-57210-7, S. 359.</ref> durch die Germanen dem lateinischen Begriff nachgebildet.<ref>Friedrich Kluge, Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage. Stichwort → Donnerstag</ref>
Herkunft und indogermanische Parallelen
Bei den indogermanischen Sprachvölkern und über sie hinaus hat der Himmelsgott Blitz und Donner in seiner Gewalt. Donar/Thor entstand vermutlich durch Abspaltung beziehungsweise Trennung der Funktion als Beherrscher der Naturphänomene Blitz und Donner von diesem Himmelsgott.<ref>Helmut Birkhan: Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. S. 303f., S. 320.</ref><ref>Friedrich Heiler: Erscheinungsformen und Wesen der Religion. S. 49–50.</ref><ref>Franz Rolf Schröder: Skadi und die Götter Skandinaviens. S. 117ff. ; Indra, Thor und Herakles. S. 1f., 33ff.</ref> Henrich Beck sieht eine Abspaltung von dieser Himmelsgottheit nicht als unbedingt gegeben an.<ref>Heinrich Beck: Donar – Þorr. S. 5.</ref> Aus der nur indirekt erschlossenen indogermanischen Urreligion entwickelte sich die Gottheit in ihrer Vorstellung unter regionalen kulturell-religiösen Schwankungen bei den germanischen Völkern fort.<ref>Franz Rolf Schröder: Skadi und die Götter Skandinaviens. S. 116f.</ref> Nach der Theorie von Georges Dumézil haben die drei Hauptgötter bei den indogermanischen Völkern jeweils eine Funktion, der donnernde Himmelsgott hat die erste Position inne. Bei den Germanen hat sich die Gestalt des Donnerers von der des Himmelsgottes getrennt, so dass er die zweite Funktion der „Stärke“ ausfüllt. Die „Drei-Funktionen-Theorie“ Dumezils hat in der Forschung Anhänger gefunden, seit der zweiten Auflage seiner „Altgermanische Religionsgeschichte“ (1956/57) besonders durch Jan de Vries oder durch Ake V. Ströms Abhandlung in „Germanische , ISBN 978-3-11-081503-0, S. 694–695.</ref>
Frühe römische Kaiserzeit
Aus der vorhistorischen Zeit sind in Norddeutschland und Jütland die anthropomorphen, sogenannten Pfahlgötzen überliefert, die nicht mit einer bestimmten namentlich später überlieferten Gottheit identifiziert werden können (siehe Germanische Religion im Artikel Germanen).
Dies ändert sich durch den Kontakt der Germanen mit dem Römischen Reich. Tacitus beschreibt im Kapitel 9 seines Werkes Germania, einem Überblick über die Religion der Germanen, zumindest die religiösen Verhältnisse, welche aus der Rheinlage der Germania inferior heraus den Römern bekannt waren. Er nennt die germanischen Hauptgötter in römischer Interpretation. Aus der Nennung des Herkules lässt sich Donar ableiten, obwohl der germanische Name erst durch Runeninschriften aus der Zeit der Völkerwanderung verifizierbar ist (Nordendorfer Runenfibel) und andere spätere Quellen Donar zu Jupiter stellen. Zu dieser grundsätzlich nicht unproblematischen Ableitung Hercules = Donar hat unter anderen Karl Helm („Altgermanische Religionsgeschichte“) Stellung bezogen. Letztlich ist Tacitus' Bericht im Gegensatz zum 150 Jahre früher verfassten Germanenexkurs in Caesars De bello Gallico, wonach die Germanen nur Naturkräfte wie Sonne, Mond und Feuer verehren würden,<ref>Caesar, de bello Gallico 6, 21 auf Wikibooks.</ref> der erste konkrete seriöse Versuch einer Darstellung der germanischen Kultur und Religion, das jedoch mit allem Für und Wider und immer unter Berücksichtigung der besonderen römischen Perspektive.<ref>Dieter Timpe: Tacitus' Germania als religionsgeschichtliche Quelle. S. 434ff.; Helmut Birkhan: Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit… S. 315f.</ref> Tacitus zog Parallelen zur Figur des Hercules für den vergleichenden römischen Betrachter vermutlich auf der Grundlage, dass er bei Thor gleiche Wesensmerkmale erkannte. Als Verkörperung der Kraft ähneln sich Hercules und Thor auch in ihren Attributen, die des Hammers und der Keule, und analog dazu ebenfalls in beider Trink- und Essfreudigkeit, die bei Thor aus den späteren nordischen Quellen überliefert ist. Darüber hinaus schildert Tacitus, dass die Germanen den Hercules mit dem Singen des „Barditus“ ehrten<ref>Eugen Fehrle, Richard Hünnerkopf: Publius Cornelius Tacitus: Germania S. 69, 70 „Schlachtengesang“; Rudolf Much: Die Germania des Tacitus. S. 77–80.</ref>, und dies besonders auch vor einer Schlacht.<ref>Andreas Heusler: Altgermanische Dichtung. S. 54; Fehrle, Richard Hünnerkopf: Publius Cornelius Tacitus: Germania, Kapitel 3, 9. Erläuterungen S. 69-70, 81.</ref> In attischer Urzeit wurde den Athenern durch das delphische Orakel geraten, den Paian (Παιάν) als mythische Beschwörung des Sieges zu singen. 'Das Singen des Paian geht auf den Mythos von Apollon und dessen siegreichem Kampf mit Python zurück.<ref>Otto Höfler: Siegfried, Arminius und die Symbolik. S. 168; Kurt Hübner: Die Wahrheit des Mythos S. 195-196, 211; Franz Rolf Schröder: Skadi und die Götter Skandinaviens. S. 122, 123.</ref> Dieter Timpe betrachtet es durch die kompositionelle Stellung dieser Hercules-Erwähnung in Kap. 3 weder als ergiebig noch als naheliegend, zur Nennung des Hercules in Kap. 9 eine zwingende theologisch-systematische Verbindung zu sehen.<ref>Dieter Timpe: Tacitus' Germania als religionsgeschichtliche Quelle. S. 438, 439.</ref>
Dem Hercules/Donar wurden nach Tacitus Tieropfer dargebracht. In welchen religiös-kultischen Zusammenhängen dies geschieht, lässt Tacitus offen, und er verallgemeinert die Opferhandlungen dahingehend, dass sie dazu dienen, die Gottheit gnädig zu stimmen.<ref>Günter Behm-Blancke: Kult und Ideologie. S. 367, 368.</ref>
„Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare fas habent. Herculem et Martem concessis animalibus placant.“
„Von den Göttern verehren sie am meisten den Merkur; sie halten es für geboten, ihm an bestimmten Tagen auch Menschenopfer darzubringen. Herkules und Mars stimmen sie durch bestimmte Tieropfer gnädig.“
„Caesar transgressus Visurgim indicio perfugae cognoscit delectum ab Arminio locum pugnae; convenisse et alias nationes in silvam Herculi sacram ausurosque nocturnam castrorum oppugnationem. Si pestis et fames imminent Thor idolo libatur …“
„Thor hat den Vorsitz in der Luft, er lenkt Donner und Blitz, gibt Wind und Regen, heiteres Wetter und Fruchtbarkeit. […] Wenn Pest und Hungersnot drohen, wird dem Götzen Thor geopfert …“
In Norwegen und Island wurde Thor vor allem von der bäuerlich lebenden Bevölkerung als wichtigster Gott verehrt, altnordisch „mest tignaðr … hǫfðingi allra goða“. Er ist, wie der schwedische Religionshistoriker Ake V. Ström hervorhebt, der „Sohn der Erde – Jarðar burr“ oder „Jarðar sunr“ (Lokasenna 58, Þrymskviða 1 und Haustlǫng 14) und wird in der Folge von diesen Menschen als erdverbunden und mit der Fruchtbarkeit von Feld und Flur unmittelbar eng in Bezug stehend gedacht und empfunden.<ref>Ake V. Ström, Haralds Biezais: Germanische und Baltische Religion. S. 140.</ref> Odin als höchsten Gott zu verehren war in Skandinavien vor allem eine höfische Sitte der spätheidnischen skaldischen Versdichtung im 9. und 10. Jahrhundert, was sich aus einem Vers des eddischen Hárbarðslióð (Das Harbard-Lied), aus der Rede Odins Str. 24 herleiten lässt:
„Óðinn á iarla, þá er í val falla, enn Þórr á þræla kyn.“
„Das Knechtsvolk hat Thor, doch die Könige Odin, die da fallen im Feld.“
„Wenn sie (die Normannen) auf Beutezüge und Heerfahrten auszogen, pflegten sie früher zu opfern, im Dienst an ihrem Gott Thur.“
„En Óðin ok þá höfðingja tólf blótuðu menn, ok kölluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan. Eptir Óðins nafni var kallaðr Auðun, ok hétu menn svá sonu sína, en af Þórs nafni er kallaðr Þórir eða Þórarinn, eða dregit af öðrum heitum til, svá sem Steinþórr eða Hafþórr, eða enn breytt á fleiri vega.“
„Nach Odin bildete man den Namen Audun, und so nannten die Menschen ihre Söhne; die Namen Tore oder Toraren waren nach Thor gebildet, und auch mit anderen Begriffen wurde Thor im Namen verbunden; und so entstanden Namen wie Steintor oder Havtor und mancherlei andere.“
„Þorgrímr reisti bú um vórit at Hofi … Þar stód Þórr í miðju ok önnur goð á tvær hendr;“
„Er (Thorgrim) ließ einen großen Tempel in seinem umhegten Hofplatz errichten … Da stand in der Mitte Thor und andere Götter zu beiden Seiten.“
„… Hallstein und die Leute von Reykjanes hatten einen Thorstempel dort im Westen errichtet, nachdem ein großer Baum an sein Land getrieben war, als er geopfert hatte. Und dahin entrichteten sie ihren Beitrag.“
„Ihm (Thor) brachten sie nicht etwa Haustiere, auch nicht Viehherden, ebenso wenig Wein oder Feldfrüchte dar, sondern sie opferten immer Menschenblut; denn sie hielten es unter allen Opfern für das wertvollste.“
Zutreffender sind Opferungen von Tieren, gerade im Hinblick auf die mythische Verbindung zwischen Thor und seinen Ziegenböcken Tanngnjostr und Tanngrisnir. Nach Rudolf Simek könnte die unten beschriebene Szene der Opferung und anschließenden Wiederbelebung der Ziegenböcke „Reminiszenz von Thorsopfern sein, welche archaischer wirken als die Angaben christlicher Autoren und deren phantastischen Berichte von Menschenopfern“ („Lexikon der Germanischen Mythologie“ Seite 420, Stuttgart 2006). Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Bericht aus den Landnámabók Kap. 73 über ein Thorsopfer in Island beim Ort Þórsnes zu sehen, wo dem Delinquenten nach einem dómr, einem Rechtsspruch, auf einem „Thorsteiin“ vermutlich das Rückgrat gebrochen wurde. Menschenopfer waren über den gesamten räumlichen wie zeitlichen Rahmen der paganen Epoche bei den germanischen Völkern selten, solche an Thor zudem nicht belegbar.<ref>Heinrich Beck: Donar – Þorr. S. 2.</ref><ref>Günter Behm-Blancke: Kult und Ideologie. S. 363ff.</ref><ref>Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen. S. 42ff.</ref>
Weitere Zeugnisse von Thor sind Bildsteine, Runensteine und einige wenige Brakteatfunde beziehungsweise Amulette im skandinavischen Raum, letztere vor allem kenntlich durch die Nennung des Götternamens in Runeninschriften. Sechs Steine aus Dänemark und Schweden tragen die Abbildung des Thorshammers. Vier wikingerzeitliche Runensteine aus beiden Ländern bezeugen die Verehrung Thors mit der transliterierten appellativischen Weiheformulierung „Þur uiki – Thor weihe!“. Ake V. Ström sieht in diesen Weiheformeln und gleichlautenden literarischen Motiven ein deutliches Anzeichen für die besondere Fruchtbarkeits- und Schutzfunktion Thors.<ref>Ake V. Ström, Haralds Biezais: Germanische und Baltische Religion. S. 140.</ref><ref>Heinrich Beck: Donar – Þorr. S. 2.</ref><ref>Rudolf Simek: Lexikon der Germanischen Religion. S. 420–422.</ref> Edith Marold sieht in den Inschriften des 9. und 10. Jahrhunderts mit dem Weihebezug eine späte Neubildung paganer Religiosität unter christlichem Einfluss.<ref>Edith Marold: Thor weihe diese Runen. S. 222.</ref>„Þur uiki þisi kuml“
„Thor, weihe diese(n) Grabhügel.“
„Þur uigi þik þursa trutin“
„Thor weihe (oder verfluche) dich, der Herr der Riesen.“
„Viele seiner Freunde entschlossen sich mit ihm zur Fahrt. Er brach den Tempel ab und nahm das meiste Holz, aus dem er gebaut war, mit sich, und ebenso die Erde unter dem Altar, auf dem Thor (als Idol) gesessen hatte. Danach stach Thorolf in See … Da warf Thorolf seine Hochsitzpfeiler über Bord, die in dem Tempel gestanden hatten; in einen von ihnen war ein Bild Thors geschnitzt. Er bestimmte, dass er sich dort auf Island ansiedeln wolle, wo Thor sie an Land kommen ließe … Er nahm Land im Süden des Fjordes … Danach suchten sie das Land ab und fanden, dass Thor an einem weiter nach dem Meer zu gelegenen Vorgebirge … mit den anderen Pfeilern an Land gekommen war. Das hieß seitdem „Thorness“.“
Ungefähr ein Viertel der Personennamen, die im Landnámabók der Siedler aufgelistet werden, basieren auf Thor. Nach Rudolf Simek weist dies neben den starken Familientraditionen besonders auf die massive Thorverehrung im Ursprungsland Norwegen hin. Jan de Vries führt aus, dass von den 4000 Personennamen, die dem Landnámabók zu entnehmen sind, 984 mit Thor zusammengesetzt sind, und dass die Bedeutung sich besonders dadurch verdeutlicht, dass im Gegensatz dazu lediglich vier Namen auf Freyr basieren – und kein einziger Name auf Odin zurückzuführen ist.<ref>Rudolf Simek: Lexikon der Germanischen Mythologie. S. 419, Sp. 2.</ref><ref>Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. Bd. 2, S. 120, 147f.</ref>
„Thor ist ein Gott, zu dem der heidnische Germane in all seinen Handlungen Zutrauen hat, dessen Hilfe er immer gewiss ist, der treue Freund, der ihn durch das ganze Leben begleitet und unter dessen Hammerzeichen er die letzte Ruhe findet.“
Aus der Zeit der Christianisierung der nordwestlichen Regionen Skandinaviens treten deutliche Formen von Synkretismus auf, in denen die tradierte Anhänglichkeit an Thor besonders in Not- und Gefahrensituationen gegenüber dem formal bekannten christlichen Glauben in den Vordergrund gelangt. In die Spätphase beziehungsweise in die Übergangszeit zur Annahme der christlichen Religion gehört der aufkommende Brauch, den Thorshammer zu tragen, als ein bewusster Akt in Analogie zum Tragen des Kruzifix. In dieser Gegenüberstellung von Thor und Christus sieht Edith Marold die oben erläuterte Weihefunktion Thors.<ref>Edith Marold: Thor weihe diese Runen. S. 221.</ref> Einer der Siedler aus der Eyrbyggja saga mit Namen Helgi war zwar ein Christ, vertraute jedoch bei Seefahrten bewusst auf Thor. Ein Textauszug aus der Oláfs saga Tryggvasonar kann durch die dort geschilderte Begegnung König Olaf Tryggvasons mit Thor und durch die Äußerungen des Gottes als Nachhall der alten paganen Religion gelten und zeigt gleichzeitig, wie sie – personifiziert durch Thor – abgelegt wurde. Olaf Tryggvason begegnet bei einer Segelfahrt an der Küste einem rotbärtigen stattlichen Mann (Thor), der auf einem Felsen steht, und bittet ihn an Bord des Schiffes, um dessen alte Geschichten erzählt zu bekommen:
„Hann svarar: „Þar tek ek þá til, herra! at land þetta, er vér siglum nú fur, var byggt forðum daga af risum nǫkkurrum, en risar þeir fengu með atburð brádðan bana, svá at þeir dó náliga allir senn, svá at eigi varð meirr eptir en konur tvær; síðan tóku menn af austrlǫndum at byggja land þetta, en þær enar miklu konur veittu því fólki mikinn yfirgang ok úmaka, ok þrǫngðu þeira manna ráðí, er landit bygðu, alt þar til er landsmenn tóku þat ráð at heita á þetta hit rauða skegg til hjalpar sér, en ek greip þegar hamar minn, ok sló ek þær báðar til bana, ok hefir þetta landsfólk haldit því at kalla á mik til flutings, ef þeir hafa nǫkkurs viðþurft, alt hertil er þú hefir, konungr! mjǫk svá eytt ǫllum mínum vinum, sem hefnda væri fyrir vert!“ – Ok í þessu leit hann aptr ímóti konungi, ok glotti við, í því er hann bikti sér út af borðinu, svá skjótt sem kólfi skyti á sjáinn, ok sá þeir hann aldri síðan.“
„Er erwiderte: „Damit beginne ich, Herr, dass dieses Land, an dem wir nun entlangsegeln, in alten Zeiten von Riesen bewohnt war. Aber die Riesen kamen einmal raschen Todes um, so dass sie fast alle zugleich starben und niemand mehr übrig blieb als zwei Weiber. Danach siedelten sich Leute aus östlichen Landen hier an, aber die großen Weiber fügten ihnen großen Verdruss und manche Gewalttätigkeit zu und bedrängten die Leute, die das Land besiedelt hatten, in ihrer Lage so lange, bis sie sich zuletzt entschlossen, diesen roten Bart um Hilfe anzurufen. Sogleich ergriff ich meinen Hammer und schlug sie beide tot, und das Volk dieses Landes blieb dabei, mich um Beistand anzurufen, wenn es not tat, bis du, König, alle meine Freunde vernichtet hast, was wohl der Rache wert wäre!“ – Dabei schaute er auf den König zurück und lächelte bitter, indem er sich so schnell über Bord stürzte, als wenn ein Pfeil ins Meer schösse, und niemals sahen sie ihn wieder.“
Thor in der nordischen Mythologie
Die altnordische Literatur zeichnet ein deutliches Bild von Thor in den sogenannten „Thorsmythen“. Die einzelnen Motivlagen wurden teilweise literarisch überformt und zeigen Thor folglich in den zum Teil schwankhaften Gedichten der Lieder-Edda sogar als Witzfigur. In der Zusammenfassung wird Thor wie folgt geschildert und beschrieben:
Thor ist nach Odin der oberste und gefürchtetste der Götter. Er ist der Sohn von Odin und Jörd (der Erde), seine Ehefrau ist die schöne goldhaarige Sif, mit der er eine Tochter, Thrud (Kraft), hat. Mit der Jotenjungfrau Jarnsaxa, einer Riesin, die von solcher Schönheit ist, dass Thor, obwohl ein geschworener Feind der Joten (Riesen), mit ihr schläft, hat er zwei Söhne, Magni und Modi. Sein Lieblingssohn ist Magni, der ihm unter allen an Mut und Stärke am ähnlichsten ist. Thors Reich heißt Thrudvangr, und der Palast darin, Bilskirnir, ist mit 540 Sälen der größte, der je in Asgard erbaut worden ist.
„Segia mun ec til nafns míns, þótt ec secr siác, oc til allz øðlis: ec em Óðins sonr, Meila bróðir, enn Magna faðir, þrúðvaldr goða; við Þór knáttu hér doma. Hins vil ec nú spyria, hvat þú heitir.“
„Meinen Namen sollst du erfahren, wenn ich auch friedlos bin, und meine Abkunft auch: ich bin Odins Sohn, Meilis Bruder und Magnis Vater, der Rater Kraftherrscher …“
„Vingþórr ec heiti – ec hefi víða ratað – sonr em ec Síðgrana..“
„Wingthor heiß ich – ich bin weit gezogen – und bin Sidgranis Sohn.<ref>Rudolf Simek: Lexikon der Germanischen Mythologie. S. 370. „der mit langem Schnauzbart“, ein Beiname Odins.</ref>“
Furchtbar fährt Thor auf seinem Wagen daher, rollend, donnernd, über den Wolken, gezogen von den Ziegenböcken; doch noch schrecklicher ist er, wenn er seinen Kraftgürtel Megingjarder umschnallt, der ihm doppelte Kraft verleiht, und wenn er mit seinen Eisenhandschuhen den Hammer Mjölnir fasst und zermalmend unter seine und der Götter Feinde tritt. Hervorstechend ist hier seine Fehde mit den Riesen.
Einst stiehlt Thrym Thor seinen Hammer, während dieser schläft. Als Thor aufwacht, gerät er in hilflose Wut, da er sich seiner wichtigsten Waffe beraubt sieht. Loki fliegt, mit Freyas Federkleid ausgestattet, durch die Gegend, erspäht Thors Hammer in Riesenheim und stellt Thrym zur Rede. Thrym will den Hammer nur unter der Bedingung zurückgeben, dass er die Göttin Freya zur Frau bekommt. Freya gerät allerdings in große Wut, als Loki ihr dies erzählt. Daraufhin schlägt Heimdall vor, Thor zu verkleiden, ihn als Braut zu schmücken und ihn Thrym als Freya zu präsentieren. Thor hat zwar Bedenken, dass man ihn auslachen könnte, doch Loki sagt, bald würden die Thursen in Asgard herrschen, wenn er sich nicht seinen Hammer zurückhole. Beide reisen, als Braut und Magd verkleidet, zu Thrym. Thor fällt durch das Donnern, das seine Reise begleitet, seinen stechenden Blick, als Thrym ihm den Brautkuss geben will, und seine unglaubliche Gefräßigkeit beim Brautfest auf, Loki weiß allerdings Thrym immer wieder zu beruhigen. Zur Vollendung der Festlichkeiten läßt der Riesenfürst seiner Braut Thors Hammer Mjölnir in den Schoß legen, woraufhin der Donnergott seinen Hammer fasst und alle anwesenden Riesen, darunter auch Thrym, erschlägt.„Þá qvað þat Þrymr, þursa dróttinn:"Berið inn hamar, brúði at vígia, leggit Miollni í meyiar kné, vígit ocr saman Várar hendi!" Hló Hlórriða hugr í briósti, er harðhugaðr hamar um þecþi; Þrym drap hann fyrstan, þursa dróttin, oc ætt iotuns alla lamði.“
„Da sagte Thrym, der Thursen König: Bringt den Hammer, die Braut zu weihen! Leget Mjöllnir der Maid in den Schoß! Mit der Hand der War weiht uns zusammen! Das Herz im Leib lachte da Thor, als der hartgemute den Hammer sah: erst traf er Thrym, der Thursen König; der Riesen Geschlecht erschlug er ganz.“
Eine oft zitierte und kommentierte Passage schildert die Verspeisung der den Wagen Thors als Gespann ziehenden Ziegenböcke und deren Wiederbelebung (siehe Thors Böcke).
Im Anschluss daran gelangt Thor, nunmehr mit begleitender Gruppe, zur Burg des Königs Utgartloki (Außenwelt-Loki Herr über Dämonen), der ihn durch gezieltes Demütigen bzw. das Infragestellen seiner göttlichen Macht und Kräfte herausfordert. Thor erhält drei Aufgaben von dem König. Zuerst fragt der König Thor, was er zu leisten vermöge, worauf Thor entgegnet, dass er es wie keiner sonst verstehe, das Trinkhorn zu leeren. Aber Thor versagt. Selbst bei dreimaligem Ansetzen gelingt es ihm nicht, das Horn zu leeren. Es kommt aber noch schlimmer. Utgartloki fordert Thor auf, seine Götterkraft unter Beweis zu stellen, indem er diese Kraft offen anzweifelt. Der Gegner ist eine Gegnerin. Es stellt sich die alte Frau Elli zum Ringkampf, und der Gott versucht sie mit allen Kräften ins Wanken zu bringen, vermag es aber nicht. Nun bemüht seine Gegnerin ihre Kräfte, und bald muss Thor geschlagen in die Knie gehen. Die dritte Aufgabe ist das Hochheben einer Katze; auch dies misslingt dem Gott.
Beschämt und gedemütigt ziehen sie weiter; kaum haben sie die Burg verlassen, klärt der König sie auf, dass alles auf Grund eines Zaubers so geschehen sei. Utgardloki erklärt, das Trinkhorn, aus dem Thor trank, habe Verbindung zum Meer gehabt, und die alte Frau sei das Alter selbst gewesen, das niemand besiegen könne. Die Katze wiederum sei die verzauberte Midgardschlange gewesen. Er habe Übernatürliches in den einzelnen Situationen geleistet. Thor, wütend, sich so getäuscht zu wissen, greift nach seinem Hammer, und in diesem Augenblick befinden sie sich alle auf einer weiten Ebene.
Um diese Scharte auszuwetzen, macht sich Thor in Begleitung des Riesen Hymir auf den Weg zur Midgardschlange im Meer. Sie fahren so weit hinaus, dass dem Riesen angst und bange wird. Thor bestückt den Haken einer Angelschnur mit einem Ochsenkopf als Köder. Die Schlange beißt an, fühlt ihre Verletzung und schlägt so hart an, dass Thor, die Schnur in den Händen haltend, auf die Reling des Bootes schlägt und seine Götterkraft sich derart verstärkt, dass seine Beine den Bootsrumpf durchstoßen und er auf dem Meeresgrund steht, wo er sich weiter gegen den Zug der Schlange stemmt. Thor zieht die Schlange in die Höhe und schaut sie mit glühenden Augen an. Diese versucht ihn mit ihrem Gift zu besprühen. Thor ergreift seinen Hammer, um die Schlange zu erschlagen, doch der vor Angst erschütterte Hymir durchtrennt die Schnur. Der Gott stürzt vor Zorn den Riesen mit dem Kopf zuerst ins Meer, so dass dessen Beine sich nach oben strecken. Dann watet Thor zurück ans trockene Land. In abweichender Version gelangen beide an Land, nachdem Thor dem Hymir eine Ohrfeige gegeben hat.„Egndi á ǫngul, sá er ǫldom bergr, orms einbani, uxa hǫfði; gein við ǫngli, sú er goð fiá, umgiorð neðan allra land. Dró diarfliga dáðraccr Þórr orm eitrfán upp at borði; hamri kníði háfiall scarar, ofliótt, ofan úlfs hnitbróður“
„Auf die Angel spießte das Ochsenhaupt, der die Menschen schirmt, der Schlange Feind; vom Grunde griff gierig den Köder, den die Asen hassen, der Erdgürter. Zur Reling riss rüstig der Wurm, den giftglänzenden, der Gatte Sifs; mit dem Hammer hieb auf des Haares Berg Walvaters Sohn dem Wolfsbruder.“
In der Ragnarök findet Thor wie die meisten anderen Asen sein Ende, bezeichnenderweise durch die Midgardschlange. Die Schlange greift Thor an und verpestet durch ihre Ausdünstungen das Meer und die Luft. Thor erschlägt sie mit seinem Hammer, wankt aber neun Schritte zurück und ertrinkt dann in den Giftströmen, die das Untier ausspeit.<ref>Felix Genzmer: Edda – Götter und Heldenlieder. 1981 (Hrsg. Kurt Schier) ehem. Sammlung Thule Bd. 1, 2</ref><ref>Gustav Neckel, Felix Niedner: Snorra-Edda. Sammlung Thule, Bd. 20 Neudruck 1966.</ref>
Siehe auch
- Angelsächsische Religion
- Nordische Mythologie
- Nordgermanische Religion
- Tanngnjostr und Tanngrisnir, Thors Ziegenböcke
- Liste der Beinamen Thors
Literatur
- Thorsten Andersson: Orts- und Personennamen als Aussagequelle für die altgermanische Religion. In: Heinrich Beck, Detlev Ellmers, Kurt Schier (Hrsg.): Germanische Religionsgeschichte – Quellen und Quellenprobleme. Ergbde zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 5. De Gruyter, Berlin/ New York 1992, ISBN 3-11-012872-1, S. 508–540.
- Walter Baetke: Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen. Moritz Diesterweg, Frankfurt/M. 1944.
- Walter Baetke: Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur. WBG Darmstadt, 1976.
- Heinrich Beck: Donar – Þorr. In: Heinrich Beck, Herbert Jankuhn, Kurt Ranke, Reinhard Wenskus (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 6, de Gruyter, Berlin/ New York 1986, ISBN 3-11-010468-7, S. 1–7.
- Günther Behm-Blancke: Kult und Ideologie. In: Bruno Krüger (Hrsg.): Die Germanen – Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. 4. Auflage. Bd. 1, Akademie-Verlag, Berlin 1983 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Bd. 4).
- Helmut Birkhan: Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. Der Aussagewert von Wörtern und Sachen für die frühesten keltisch-germanischen Kulturbeziehungen. In: Sitzungsberichte d. Österr. Akad. d. Wiss. phil.-hist. Kl. 272, Böhlau, Wien 1970.
- Rene Derolez: Götter und Mythen der Germanen. Verlag F. Englisch, Wiesbaden 1976.
- Wilhelm Boudriot: Die Altgermanische Religion in den kirchlichen Zeugnissen. WBG, Darmstadt 1964.
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Weblinks
- Artikel Donner und Donnerstag im Nederlands Etymologisch Woordenboek
- runeberg.org: Schwedisch etymologisches Wörterbuch
- Runenprojekt der Uni Kiel – Deutungen der Runenfiebel Nordendorf 1
Einzelnachweise
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