Amygdalin


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Strukturformel
Strukturformel von D-Amygdalin
D-Amygdalin
Allgemeines
Name Amygdalin
Andere Namen
  • D-(−)-Mandelonitril-β-D-gentiobiosid
  • (R)-α-((6-O-β-D-Glucopyranosyl-β-D-glucopyranosyl)oxy)phenylacetonitril
  • Amigdalina
  • Laetrile
  • Lätril
  • fälschlich als Vitamin B17 bezeichnet
Summenformel C20H27NO11
CAS-Nummer 29883-15-6
PubChem 656516
Kurzbeschreibung

farblose<ref name="ROTH" /> als Trihydrat orthorhombische Kristalle<ref name=roempp>Eintrag zu Amygdalin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 1. Juni 2014.</ref>

Eigenschaften
Molare Masse 457,4 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

0,4 g·cm−3<ref name="ROTH" />

Schmelzpunkt

213 °C<ref name="ROTH" />

Löslichkeit
  • mäßig in Wasser (83 g·l−1 bei 25 °C)<ref name="ROTH" />
  • löslich in Ethanol<ref name=roempp/>
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung <ref name="Sigma">Datenblatt Amygdalin bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 9. März 2011 (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegeben</ref>
07 – Achtung

Achtung

H- und P-Sätze H: 302
P: keine P-Sätze <ref name="Sigma" />
EU-Gefahrstoffkennzeichnung <ref>Für Stoffe ist seit dem 1. Dezember 2012, für Gemische seit dem 1. Juni 2015 nur noch die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung gültig. Die EU-Gefahrstoffkennzeichnung ist daher nur noch auf Gebinden zulässig, welche vor diesen Daten in Verkehr gebracht wurden.</ref><ref name="ROTH">Datenblatt Amygdalin (PDF) bei Carl Roth, abgerufen am 14. Dezember 2010.</ref>
Gesundheitsschädlich
Gesundheits-
schädlich
(Xn)
R- und S-Sätze R: 22
S: 36/37/39
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Amygdalin (griechisch amygdalis, Mandelkern) ist ein cyanogenes Glycosid, das in Gegenwart von Wasser und dem Enzym β-Glucosidase Blausäure (HCN) abspaltet.

Chemische Eigenschaften

In verdünnten Säuren wird Amygdalin in Gentiobiose und Mandelonitril gespalten. Letzteres zerfällt weiter zu den typischen Bittermandelaromen Benzaldehyd und Blausäure; die Gentiobiose wird zu zwei Glucose-Molekülen hydrolysiert.

Stereoisomere

Das L-Enantiomer (L-Mandelonitril-β-D-gentiobiosid) wird als Neoamygdalin bezeichnet.

Vorkommen

Datei:Prunus padus Tuomi marjoja VII 04 2989 C.JPG
Amygdalin kommt in den Blättern und Samen sowie in der Rinde der Traubenkirsche Prunus padus L. vor.<ref name=Gossauer>Albert Gossauer: Struktur und Reaktivität der Biomoleküle, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, 2006, S. 458, ISBN 978-3-906390-29-1.</ref>

Bittere Aprikosenkerne, Apfelkerne, Bittere Mandeln und Samen von anderen Steinfrüchten enthalten Amygdalin in hohen Konzentrationen. Dieses kann bei der Verarbeitung der Ölsamen, beispielsweise zu Persipan, in Blausäure, Benzaldehyd und Glukose aufgespalten werden. Die freigesetzte Blausäure muss entfernt werden, die Kerne werden „entbittert“.

Vorkommen in Lebensmitteln

Amygdalin, Prunasin und andere cyanogene (blausäureabspaltende) Glykoside (Linamarin, Lotaustralin (Lein, Hülsenfrüchtler, Maniok u.a.), Dhurrin (Hirse), Taxiphyllin (Bambussprossen), Sambunigrin (Holunder) und über 70 weitere) kommen in einigen unverarbeiteten Lebensmitteln in relevanten Mengen (> 0,02 % gebundene Blausäure) vor. Durch traditionelle Verarbeitungsweisen wird der Blausäuregehalt aber auf ungefährliche Konzentrationen reduziert.

Die höchsten Blausäuregehalte weisen die Steinfrüchte einiger Rosengewächse auf, v.a. Bittermandeln und Aprikosenkerne. So enthalten Aprikosenkerne bis zu 8 % Amygdalin <ref>giftpflanzen.com: Steinobst (Prunoidaea)</ref>, entsprechend etwa 0,4 % gebundene Blausäure, Bittermandeln bis zu 5 % (0,3 % Blausäure).<ref>giftpflanzen.com: Bittermandel (Prunus dulcis var. amara)</ref>

Von Anhängern des Amygdalin werden oft auch andere Lebensmittel genannt, die aber entweder nur unwesentliche Mengen an cyanogenen Glykosiden enthalten (Brombeeren, Erdbeeren, Gartenbohnen, Erbsen) oder bei denen durch traditionelle Zubereitungsweisen die Blausäure weitestgehend entfernt wird (Maniok/Tapioka, Yams, Limabohne).

Die Limabohne enthält in rohem Zustand beispielsweise 0,2–0,3 % gebundene Blausäure (200–300 mg/100 g), Gartenbohnen und Erbsen aber nur 0,002 % (2 mg/100 g).<ref>H.-D. Belitz, W. Grosch, P. Schieberle: Lehrbuch der Lebensmittelchemie. 6. Auflage, 2008, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, ISBN 978-3540732013.</ref> Kirschsaft immerhin noch 0,00005 % (500 µg/l). Die tödliche Dosis beim Menschen liegt bei etwa 50 mg Blausäure (0,5–3,5 mg/kg Körpergewicht). Als unbedenklich dagegen gelten 5 µg/kg Körpergewicht, wie sie durch gewöhnliche Lebensmittel niemals überschritten werden, zumal die Nahrungsmittel mit etwas höherem Gehalt an gebundener Blausäure (Hülsenfrüchte) nicht roh verzehrt werden. Ein einziger Aprikosenkern enthält aber bereits 0,5 mg Blausäure, so dass man besser nicht mehr als ein bis zwei solcher Kerne pro Tag verzehren sollte.

Medizinische Verwendung

Datei:Laetrile.svg
Laetril, CAS-Nr. 1332-94-1, ist ein halbsynthetisches Glykosid und wird manchmal mit Amygdalin verwechselt.

Amygdalin („Amigdalina“) wird, ebenso wie das halbsynthetische und gleichfalls cyanogene Laevo-Mandelsäurenitril-β-glucuronisid („Laetrile“, „Lätril“), auch unter dem Phantasienamen Vitamin B17, alternativmedizinisch zur Vorbeugung vor und Behandlung von Tumorerkrankungen (Krebs) verwendet. Die Bezeichnung als Vitamin ist irreführend, da Amygdalin kein für den menschlichen Stoffwechsel essenzieller Stoff ist.

In der Krebsbehandlung ist die perorale („B17"-Tabletten, Zerkauen von Aprikosenkernen) und intravenöse Gabe von Amygdalin beschrieben. Aus Sicht der wissenschaftlich begründeten Medizin ist Amygdalin in dieser Anwendung als ein „unseriöses Wundermittel" anzusehen. Der postulierte Wirkmechanismus soll auf einer Aufspaltung des Amygdalins in Benzaldehyd, Glucose und die hoch toxische Blausäure (Cyanwasserstoff) unter Beteiligung des Enzyms β-Glucosidase beruhen. Durch ein angeblich vermehrtes Vorkommen von β-Glukosidase in Tumorzellen soll dort örtlich begrenzt vermehrt giftige Blausäure gebildet werden und selektiv zum Absterben der Tumorzelle führen. Tatsächlich aber kommt β-Glukosidase in weitgehend gleichen, zudem nur äußerst geringen Mengen in gesunden Zellen und in Tumorzellen vor.<ref>N. N. (1991): Unproven Methods of Cancer Management. Laetrile. In: CA Cancer J. Clin. Bd. 41, S. 187–192; PMID 1902140; PDF.</ref> Eine weitere Hypothese ist, dass das vermeintliche Fehlen des Enzyms Rhodanase in Tumorzellen dort selektiv eine Blausäureanhäufung bewirke. Rhodanase vermag geringere Mengen von Cyaniden durch Umwandlung in das vergleichsweise untoxische Thiocyanat zu entgiften und kommt insbesondere in der Leber vor.

Laut <ref>http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=pharm4_24_2003 Pharmazeutische Zeitung 24. April 2003</ref> wird injiziertes Amygdalin, sofern es frei von Amygdalase ist, fast vollständig mit dem Harn wieder ausgeschieden. Eingenommenes Amygdalin führe jedoch zu teilweise hohen und kritischen Blausäurekonzentrationen im Körper. Die Behauptung, Cyanide würden besonders in Krebszellen freigesetzt und führten dort selektiv zu einer therapeutischen Wirkung, sei durch Studien widerlegt. Hingegen gäbe es Versuche, durch drug targeting die selektive Wirkung zu erhöhen, indem man β-Glukosidase an krebsassoziierte monoklonale Antikörper binde.

Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Nachweise einer therapeutischen Wirksamkeit. Eine klinische Studie aus dem Jahr 1982<ref>Moertel, CG., et al. (1982): A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer.N Engl J Med. 306(4): S. 201–206. PMID 7033783.</ref> zeigte bei an Krebs erkrankten Menschen keinen therapeutischen Effekt nach Einnahme von Amygdalin, es traten jedoch bei einigen Patienten Symptome einer Cyanidvergiftung auf. Ein Review aus dem Jahr 2006<ref>Milazzo, S. et al. (2006): Laetrile for cancer: a systematic review of the clinical evidence. Supportive Care in Cancer. 15(6), S. 583–595; doi:10.1007/s00520-006-0168-9; PMID 17106659.</ref> ergab, dass es keine klinischen Studien gibt, die Hinweise auf eine therapeutische Wirksamkeit liefern.

Rechtliche Aspekte für Deutschland

Ärzte haben im Rahmen der Therapiefreiheit eine freie Arzneimittelauswahl. Eingeschränkt wird diese allein durch § 5 des deutschen Arzneimittelgesetzes, der die Abgabe und Anwendung von bedenklichen Arzneimitteln verbietet. Amygdalinhaltige Fertigarzneimittel gibt es keine im Markt. Inwieweit amygdalin- bzw. andere mandelonitrilhaltige Einzelanfertigungen (Rezepturarzneimittel) als bedenklich anzusehen sind, kann fallweise verschieden sein. Von offizieller Seite werden sie grundsätzlich als bedenklich eingestuft,<ref>AMK-Empfehlungen zur Prüfung der Abgabefähigkeit von Rezepturarzneimitteln (PDF; 423 kB), April 2011.</ref> da der begründete Verdacht auf eine Freisetzung von giftiger Blausäure besteht. Dennoch wurde 2007 einer Apotheke in Hannover nach einem Rechtsstreit die Verkehrsfähigkeit des dort auf ärztliche Verordnung angefertigten amygdalinhaltigen Rezepturarzneimittels rechtskräftig zugebilligt. Das Gerichtsurteil<ref name="urteil">Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (AZ 11 LB 350/05) zu einem Amygdalin-Rezepturarzneimittel aus Hannover PDF</ref> stützte sich auf ein toxikologisches Gutachten, dem zufolge die Bildung von Blausäure im gegenständlichen Rezepturarzneimittel auszuschließen sei und dieses somit keine gesundheitliche Gefährdung darstelle. Bei dem verwendeten Ausgangsstoff handele es sich um hochreines Amygdalin, das aufgrund einer fehlenden Verunreinigung mit Amygdalase keine enzymatische Spaltung mit der Folge von Blausäurebildung erwarten lasse. Eine generelle Unbedenklichkeit von amygdalinhaltigen Rezepturarzneimitteln stellte das Gericht hingegen in Abrede und verwies auf die übereinstimmenden Meinungen von Apothekerkammer und Gerichtsgutachter, die davor warnten, Amygdalin unklarer Herkunft und ungeklärter Reinheit einzunehmen. Die behördliche Einschätzung der Bedenklichkeit amygdalinhaltiger Arzneimittel wurde 2014 durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nochmals bekräftigt.<ref>N. Lilienthal: Amygdalin – fehlende Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen. In: Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Nr. 3, 2014, S. 7-13.</ref>

Unerwünschte Wirkungen

Nach der Einnahme von amygdalinhaltigen Lebensmitteln oder Zubereitungen besteht die Gefahr der tödlichen Vergiftung durch Blausäure. Tödliche Vergiftungsfälle durch Aprikosenkerne sind in der toxikologischen Literatur gut belegt.<ref>Herbert, V. (1979): Laetrile: the cult of cyanide. Promoting poison for profit.Am J Clin Nutr. 32(5), S. 1121–1158; PMID 219680; PDF.</ref> In Regionen, in denen der Verzehr von Aprikosenkernzubereitungen üblich ist, wird durch die Zubereitungstechnik der Amygdalingehalt gesenkt. Werden diese Zubereitungstechniken nicht genau eingehalten, kann es zu tödlichen Vergiftungsfällen kommen. In der toxikologischen Literatur werden Vergiftungsfälle auch konkret für die Therapie mit Amygdalin beschrieben.

Die niedrigste tödliche Dosis einer erwachsenen Person mit 60 kg liegt bei 0,57 mg/kg Körpergewicht, das sind etwa 40 Aprikosenkerne.<ref>Lindner, E. (1990). Toxikologie der Nahrungsmittel.</ref> Betrachtet man den Blausäuregehalt vor dem Hintergrund des niedrigsten Wertes der Metabolisierungsrate (Entgiftungsrate) für Blausäure von 0,1 mg/kg/h, resultieren daraus folgende Zahlen: Ein Erwachsener kann damit pro Stunde 6,0 mg Blausäure durch Metabolisierung entgiften, was einer Verzehrrate von rund 7 Kernen pro Stunde entspricht.<ref>Kaschuba WA, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.</ref> Die für Ratten bestimmte letale Dosis liegt zwischen 405 mg/kg (Reinstoff),<ref name="ChemIDplus" /> 522 mg/kg (Reinstoff),<ref>G. W. Newton, E. S. Schmidt, J. P. Lewis, E. Conn, R. Lawrence: Amygdalin toxicity studies in rats predict chronic cyanide poisoning in humans. In: The Western journal of medicine. Band 134, Nummer 2, Februar 1981, S. 97–103, PMID 7222669. PMC 1272529 (freier Volltext).</ref> unter 600 mg/kg (mit Glucosidase),<ref name="PMID 2932206">S. R. Adewusi, O. L. Oke: On the metabolism of amygdalin. 1. The LD50 and biochemical changes in rats. In: Canadian Journal of Physiology and Pharmacology. Band 63, Nummer 9, September 1985, S. 1080–1083, PMID 2932206.</ref> und 880 mg/kg (Reinstoff).<ref name="PMID 2932206" />

Literatur

  • Campa, C., et al. (2000): Analysis of cyanogenic glycosides by micellar capillary electrophoresis.J Chromatogr B Biomed Sci Appl. 739(1), S. 95–100; PMID 10744317.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

<references />

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