Boulevard
Boulevard [bulvaʁ] sind breite, meist als Straßenring angelegte, von Bäumen flankierte und entlang einer ehemaligen Stadtmauer verlaufende Straßen in Großstädten. Sie umgeben folglich die ehemalige Kernstadt ringförmig.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Wortherkunft aus dem Mittelniederländischen „bulwerc“ (deutsch Bollwerk, engl. bulwark, ital. balvardo) lässt auf ihre ursprüngliche bauliche Orientierung schließen. Sie wurden auf städtischen Freiflächen angelegt, wo einstmals Stadtmauern standen, die eine Stadt meist kreisförmig oder halbkreisförmig umringten. Zunächst tauchte die Bezeichnung „Le Grand Boulevart“ jedoch als Name für eine ummauerte Freifläche auf, die sich auf einer 1654 von Jean Boisseau gezeichneten Karte neben der Bastille am heutigen Boulevard Beaumarchais befand.
Ab Juni 1670 wurden in Paris die unter Philippe Auguste errichteten Forts und Stadtmauern unter König Louis XIV. abgerissen und die Gräben verfüllt. An ihrer Stelle sollten Straßen gebaut werden. Es gab zwei Projekte innerhalb der „boulevard intérieur“, die nördlichen („boulevard du Nord“) und südlichen („boulevard du Midi“). Ihre Bezeichnung weist auf ihre (heutige) Lage hin, denn die nördlichen liegen im Rive Droite (also nördlich der Seine), die südlichen entsprechend im Rive Gauche (südlich der Seine). Die nördlichen mit einer Länge von 2.643 Metern wurden ursprünglich in 12 Sektionen aufgeteilt, und zwar die Boulevards Bourdon und Saint Antoine (heute: Boulevard Beaumarchais; 750 m), des Filles-du-Calvaire (210 m), du Temple (405 m), Saint-Martin (470 m), Saint Denis (210 m), de Bonne Nouvelle (347 m), Poissonière (351 m), Montmartre (215 m), des Italiens (390 m), des Capucines (440 m) und de la Madelaine (220 m).<ref>A und W Calignani, The History of Paris, 1825, S. 178 f.</ref> Die nördlichen Boulevards wurden 1704 fertiggestellt, die südlichen erst 1761.<ref>A und W Calignani, a.a.O., S. 178</ref> Die Kernsektion hiervon – zwischen dem Boulevard de la Madeleine an der La Madeleine und dem Boulevard Beaumarchais am Place de la Bastille – werden seit 1785 Grands Boulevards genannt. Der Boulevard Beaumarchais hatte einen 18 Meter breiten Mittelstreifen<ref>Hildegard Schröteler-von Brandt, Stadtbau- und Stadtplanungsgeschichte, 2008, S. 78</ref> und wurde am 7. Juni 1670 als einer der ersten in Auftrag gegeben. Die südlichen sind 8.257 Meter lang mit ursprünglich 7 Sektionen, nämlich den Boulevards de l’Hôpital (1.395 m; am 9. August 1760 fertig), des Gobelins (heute Boulevard Auguste-Blanqui; 1.040 m), de la Glacière (jetzt Boulevard Auguste-Blanqui), Saint-Jacques (575 m), d’Enfer (heute: Boulevard Raspail; 2.370 m), du Montparnasse (1.632 m) und des Invalides (1.245 m).
Darüber hinaus wurden die äußeren Boulevards („boulevard extérieurs“) – wiederum mit einer nördlichen und südlichen Sektion – am Verlauf der zwischen 1784 und 1797 errichteten Zollgrenze angelegt. Die Rotunde vom Parc Monceau gehört hierzu. Ab 1780 begann auf den Pariser Boulevards eine systematische Straßenreinigung. Am 10. April 1783 schrieb ein königliches Dekret auch für bereits bestehende Straßen eine Breite von mindestens 27 Metern vor, was notfalls durch Abriss von Häusern zu realisieren war. Bis 1850 waren die Straßen schotterähnlich asphaltiert und die Bürgersteige („trottoirs“) asphaltiert, Gaslaternen („becs intensifs“) wurden 1878 installiert. Der typische Flaneur der Boulevards wurde als boulevardier bezeichnet. Im Jahr 1860 entschied allerdings eine Nomenklaturkommission, dass ab sofort die Bezeichnung Boulevard ringförmig verlaufenden Straßen vorbehalten bleiben sollte: daher die Bezeichnung der Boulevards des Maréchaux einerseits und der Name Avenue de l'Opéra andererseits.
Die längsten Boulevards in Paris sind heute Saint-Germain (3.150 m), Malesherbes (2.650 m) und Haussmann (2.530 m). Sie werden von der längsten Straße in Paris übertroffen, der rue de Vaugirard (4.360 m), die schon 1523 nachgewiesen ist. Die breiteste Pariser Straße ist ebenfalls kein Boulevard, sondern mit 120 Metern die Avenue Foch.
Außerhalb Frankreichs
Die Pariser Boulevards bildeten die Grundform der weltweit mehrspurig angelegten Boulevards.<ref>Allan B. Jacobs/Elizabeth Macdonald/Yodan Rofé, The Boulevard Book: History, Evolution, Design of Multiway Boulevards, 2002, S. 12</ref> Die Straßenbautechnik unterscheidet drei Arten von Boulevards:<ref>Allan B. Jacobs/Elizabeth Macdonald/Yodan Rofé, a.a.O., S. 5</ref>
- Boulevards mit Mittelstreifen: der Mittelstreifen trennt die beiden Fahrtrichtungen und ist baumbestanden oder sonst wie begrünt und/oder dient als Fußgängerweg und/oder als Parkplatz (Boulevard de Clichy);
- Boulevards mit Bepflanzung an den Seitenstreifen (Boulevard Saint-Michel) und
- Boulevards, die den Durchgangsverkehr vom lokalen Verkehr trennen, indem der Durchgangsverkehr im Mittelstreifen geführt wird und der örtliche Verkehr auf paralleler separierter Strecke fährt (autobahnähnliche Verkehrsführung; Boulevard périphérique).
Dabei nahmen die Stadtplaner außerhalb Frankreichs jedoch nicht immer Rücksicht auf die technischen Voraussetzungen der ursprünglichen Pariser Boulevards, insbesondere auf Ringform und Baumbestand. Boulevards im engeren Sinne konnten nur in Städten entstehen, die einstmals eine Stadtmauer oder ähnliche kreisförmige Stadtbefestigungen aufwiesen.
Dazu gehörte die Wiener Ringstraße, deren Geschichte am 20. Dezember 1857 begann. Kaiser Franz Joseph I. traf die Entscheidung zur „Auflassung der Umwallung und Fortifikationen der inneren Stadt, so wie der Gräben um dieselbe“<ref>Fred Hennings, Ringstraßen-Symphonie, 1. Satz 1857–1870, Es ist mein Wille, 1963, S. 15</ref> und ordnete den Bau eines Boulevards an dieser Stelle an. Der Bau begann am 29. Februar 1864, die Eröffnung fand am 1. Mai 1865 durch Kaiser Franz Joseph I. statt. Auch die Kölner Ringe bilden ein für Boulevards typisches Straßensystem, das sich am Verlauf der alten Kölner Stadtmauer orientierte. Die Stadt hatte am 5. Mai 1881 den inneren Befestigungsring erworben, und die 104 Hektar große Freifläche sollte in Anlehnung an die Pariser Stadtplanung und die Wiener Ringstraße als Prachtboulevard angelegt werden.<ref>Hans-Joachim Völse, Köln, 2008, S. 18</ref> Nach der am 3. Juni 1884 erfolgten Genehmigung des von Josef Stübben entworfenen Bebauungsplans („Kette festlicher Räume“) begann man mit dem Bau der repräsentativen Kölner Ringstraße. Die 10 Abschnitte waren ursprünglich zwischen 32 Meter und 114 Meter breit<ref>Peter Fuchs (Hrsg.), Chronik zur Geschichte der Stadt Köln, Band 2, 1991, S. 158</ref> und wurden am 11. Juni 1886 eröffnet. Sie sind zwar teilweise auch baumbestanden, haben jedoch heute ihren bepflanzten Mittelstreifen (wie er auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring noch vorhanden ist) teilweise verloren.
Straßen wurden jedoch auch dann Boulevards genannt, wenn ihnen diese baulichen Voraussetzungen fehlten. In den USA beispielsweise werden die grid patterns überwiegend in Avenues und Streets aufgeteilt. Boulevards sind hier die Ausnahme und sollen allenfalls ihre verkehrsmäßige Bedeutung betonen (wie der Santa Monica Boulevard in Los Angeles).
Andere berühmte Boulevards
Europa
- Andrássy út in Budapest
- Avenida da Liberdade in Lissabon
- Boulevardring und Gartenring, Moskau
- Bulevardul Unirii in Bukarest
- Gran Vía, Madrid
- Königsallee in Düsseldorf
- Königstraße in Stuttgart
- Kurfürstendamm in Berlin
- La Rambla in Barcelona
- Leopoldstraße in München
- Maximilianstraße in München
- Mönckebergstraße in Hamburg
- Newskij Prospekt in Sankt Petersburg
- Ostwall in Krefeld
- Oxford Street in London
- Passeig de Gràcia, Barcelona
- Unter den Linden in Berlin
- Wallring in Recklinghausen
Nordamerika
- Sunset Boulevard und Wilshire Boulevard, Los Angeles
- Las Vegas Strip (“Las Vegas Boulevard”), Las Vegas
Sonstiges
Populäre Veranstaltungen auf Straßen wurden etwa ab 1777 ebenfalls „Boulevard“ genannt (Boulevardtheater), wohl entstanden durch den Pariser Boulevard du Temple, wo Pantomimen, Seiltanz oder Tiervorführungen stattfanden. Auch die Boulevardzeitung geht ursprünglich auf den massenweisen Straßenverkauf zurück.
Literatur
- Walburga Hülk/Gregor Schuhen: Haussmann und die Folgen. Vom Boulevard zur Boulevardisierung, Narr Verlag, Tübingen 2012, ISBN 978-3-8233-6661-4.
- Boulevards: Die Bühnen der Welt. Berlin, Siedler 1997, ISBN 3-88680-554-9
Weblinks
Einzelnachweise
<references/>he:שדרה