DDR-Justiz


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Die Justiz der Deutschen Demokratischen Republik wurde im Geiste der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie weniger als Kontrollorgan staatlichen und privaten Handelns, sondern vielmehr als Vollstreckungsorgan des Willens der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gesehen.<ref name="Justiz in den deutschen Staaten">Rainer Schröder: Justiz in den deutschen Staaten seit 1933 (forum historiae iuris)</ref> Das Idealbild des DDR-Rechtes war im Gegensatz zu dem im westlichen Recht deutlich hervortretenden marktwirtschaftlichen Wettbewerbsmodell eher das geregelte und friedliche Zusammenleben aller Bürger.<ref name="Justiz in den deutschen Staaten" /> Im Bereich der unpolitischen Streitentscheidungen entwickelte die DDR-Justiz dabei eine erhebliche Funktionstüchtigkeit und durch die große Bereitschaft der Richter, sich auch mit Einzelfällen zu befassen, sogar eine gewisse Bürgernähe in der Entscheidungsfindung.<ref name="Justiz in den deutschen Staaten" /> In politisch angesehenen Prozessen wurde allerdings weitgehend ein strikter Gehorsam gegenüber den Vorgaben der Partei geübt. Rechte von Oppositionellen wurden nicht nur in Strafverfahren erheblich beschnitten.<ref name="Justiz in den deutschen Staaten" /> Bei besonders wichtigen Strafverfahren griff die SED dahingehend in die Rechtsprechung ein, dass die Staatsanwaltschaft ihre Urteilsanträge der Staats- und Parteiführung zur Genehmigung vorzulegen hatte.

Nach der sozialistischen Staats- und Rechtstheorie (Lehrfach in der juristischen universitären Ausbildung der DDR) ist der Staat(sapparat), bestehend aus Verwaltung, Polizei, Justiz und Armee, ein Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse. Die in deren Sinne angepasste Gesetzgebung dient der Aufrechterhaltung der errungenen Macht. In konsequenter Durchsetzung dieser Lehre wurde die DDR-Justiz personell gestaltet und für deren Handeln entsprechende Normen (Gesetze und Verordnungen) geschaffen. Die Justizorgane der DDR waren Bestandteil der Ausführung der „Diktatur des Proletariats“. Diese Diktatur sah sich durch die „sozialistische Demokratie“ legitimiert, deren wesentlicher Bestandteil das Wahl- und Eingabenrecht war. Nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED nahm diese Partei für sich in Anspruch, praktisch die alleinige Interessenvertreterin der „Werktätigen“ zu sein und beeinflusste sowohl die Gesetzgebung als auch die personelle Gestaltung der gesamten Justizorgane.

Auswahl von Richtern und Staatsanwälten

Die Justiz hatte nach Auffassung der SED eine besondere Rolle inne „zur Erziehung zur Staats- und Arbeitsdisziplin und damit zur Stärkung des Selbstbewusstseins unserer Bürger“.<ref>Walter Ulbricht am 5. März 1954, zitiert nach Falco Werkentin: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht. Berlin 1997, S.48.</ref> Deshalb wurde großen Wert auf die Auswahl „bewusster Genossen“ für die Justizlaufbahnen Richter und Staatsanwälte gelegt. Sie sollten zunächst in der Volkswirtschaft bei einer Berufsausbildung oder einem Vorpraktikum Lebenserfahrung sammeln und wurden dann an die wenigen Jurastudienplätze der Universitäten delegiert. Das Jurastudium gehörte zu den am stärksten reglementierten und politisch-ideologisch ausgerichteten Studiengängen in der DDR, so mussten Kurse wie Wissenschaftlicher Kommunismus/ Grundlehren der Geschichte der Arbeiterbewegung<ref name="Mampel: DDR-Verf.">Siegfried Mampel: Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Frankfurt am Main 1982, S. 1261.</ref> oder Marxistisch-leninistische Ethik<ref name="Mampel: DDR-Verf." /> belegt werden. In den Anfangsjahren der DDR wurden so genannte Volksrichter in mehrmonatigen Kursen ausgebildet, um die belasteten Juristen aus der Zeit des Nationalsozialismus schnell zu ersetzen. Die Richter „mit einer gefestigten sozialistischen Persönlichkeit und festem Klassenstandpunkt“ wurden jeweils für vier, später für fünf Jahre auf Vorschlag des Justizministers von der örtlichen Volksvertretung (Rat des Kreises beziehungsweise Bezirkes), Richter am Obersten Gericht von der Volkskammer gewählt, was in der Praxis auf eine Ernennung hinauslief, da kaum jemand abgelehnt wurde. Aufgrund dieser Praxis waren die Richterstellen nicht übermäßig begehrt. Da Richter zu einem hohen Prozentteil SED-Mitglieder waren, mussten sie nicht nur Recht sprechen, sondern auch „aktiv Parteibeschlüsse verwirklichen“<ref name="ReferenceA">zitiert nach Vollnhals, Clemens: Die Macht ist das Allererste. In: Justiz im Dienste der Parteiherrschaft, S. 235</ref> und die „Einheit und Reinheit der Partei“<ref name="ReferenceA" /> schützen. Wer als Richter mit seiner Rechtsprechung unangenehm auffiel, schied zum nächsten Wahltermin aus dem Richteramt aus oder wurde (sehr selten) abberufen und durfte beispielsweise als einer der zahlreichen Justiziare in einem Betrieb oder einer Behörde arbeiten. In Ausnahmefällen wurde der nicht parteikonforme Richter sogar abgeurteilt, wie im Falle des Teterower Kreisrichters Uwe Gemballa, der anderthalb Jahre Haftstrafe wegen staatsgefährdender Hetze erhielt, da er in seinen Urteilen zu unabhängig war.<ref>Zitiert nach Fricke, Karl Wilhelm: DDR- Juristen im Konflikt zwischen Gehorsam, Verweigerung und Widerstand. In: Engelmann, Roger und Vollnhals, Clemens (Hrg.): Justiz im Dienste der Parteiherrschaft. Ch. Links, Berlin 1999, S.223</ref> Ebenso wurden Schöffen und Mitglieder der Konflikt- und Schiedskommissionen gewählt.

Rechtsanwälte

Zum Ende der DDR gab es etwa 530 Rechtsanwälte, die seit 1953 meist in Kollegien auf Bezirksebene zusammengefasst waren. Die Zulassung zum Anwaltsberuf erfolgte durch den Aufnahmebeschluss durch das Kollegium. Einzelzulassungen waren sehr selten (etwa 20 republikweit!) und wurden meist für Rechtsanwälte auf Spezialgebieten wie insbesondere Staatsdelikten (Republikflucht, Ausreisen etc.) vergeben. Rechtsanwalt war auch in der DDR ein privilegierter Beruf mit recht hohem Einkommen bei relativer Selbständigkeit. Von den Einnahmen mussten 40 % als Kostenpauschale an das Rechtsanwaltskollegium abgeführt werden (Haftpflichtfonds inklusive). Bis in die 1950/60er Jahre herrschte in der Justiz eine große Anwaltsfeindlichkeit, die Pflichtverteidiger hatten zumindest in politischen Strafverfahren keine echte Einwirkungsmöglichkeit. Der Rechtsanwalt blieb grundsätzlich ein Fremdkörper im sozialistischen Rechtssystem der DDR. 1980 wurde das Kollegiengesetz eingeführt, das die seit 1953 bestehende Verordnung ersetzte.

Von 1988 bis 1989 war Gregor Gysi Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in Ost-Berlin und gleichzeitig Vorsitzender der 15 Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR. Sein Stellvertreter war Rechtsanwalt Hans-Dieter Ramstetter, Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte des Bezirks Leipzig.

Eine Sonderstellung hatte der DDR-Bevollmächtigte für humanitäre Fragen, Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, mit Anwaltszulassung in Ost- und Westberlin, der seine Honorare nur von der Bundesrepublik (in DM) bekam. Eine Sonderrolle spielte auch der Strafverteidiger und Publizist Friedrich Karl Kaul, der als Rechtsanwalt zur Verteidigung von Linken scharfzüngig vor bundesdeutschen Strafgerichten auftrat. Er war zudem Leiter der Rechtsratgebersendung Fragen Sie Professor Kaul beim Fernsehen der DDR.

Ein zu DDR-Zeiten bekannter Rechtsanwalt in Berlin war Friedrich Wolff. Er war Pflichtverteidiger in vielen politischen Prozessen in der DDR, so bei den Schauprozessen in Abwesenheit gegen Politiker der Bundesrepublik mit NS-Vergangenheit vor dem Obersten Gericht der DDR: gegen Theodor Oberländer (1960) und Hans Globke (1963). Er verteidigte nach 1990 u. a. Erich Honecker (Staats- und Parteichef der DDR), Hans Modrow (letzter SED-Ministerpräsident der DDR) und Werner Großmann (letzter Chef der DDR-Auslandsaufklärung). Friedrich Wolff war auch Nachfolger Kauls mit der Fernsehsendung „Alles was Recht ist“.

Während der Wende 1989/1990 engagierten sich einige Rechtsanwälte in den politischen Parteien und Organisationen: Gregor Gysi, Lothar de Maizière, Wolfgang Schnur, Rolf Henrich und Peter-Michael Diestel (damals Betriebsjustiziar bei Leipzig).

Staatssicherheit als Strafverfolgungsbehörde

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) war in der DDR, neben Polizei und Zoll, laut Strafprozessordnung von 1968 ein eigenes Untersuchungsorgan, also eine Strafverfolgungsbehörde. Die Hauptabteilung (HA) IX (Zentrale Ermittlungsabteilung), zuständig unter anderem für Ermittlungsverfahren in allen Fällen mit politischer Bedeutung (z.B. Hauptabteilung IX/11 (Aufklärung und Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen)) in der Berliner Zentrale des Ministeriums und die fachlich nachgeordneten Abteilungen IX in den MfS-Bezirksverwaltungen besaßen die entsprechenden polizeilichen Befugnisse. Außerdem unterhielt das MfS in Berlin sowie bei jeder Bezirksverwaltung in Gestalt seiner Abteilungen XIV eigene U-Haftanstalten. In der Strafvollzugseinrichtung (StVE) Bautzen II verfügte das MfS über Offiziere im besonderen Einsatz in Schlüsselstellungen und damit über besondere Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber den politischen Gefangenen. Die besondere Stellung des MfS in Bautzen II brachte diesem Gefängnis die Bezeichnung „Stasi-Knast“ ein. Bautzen II unterstand aber administrativ – wie alle Strafvollzugsanstalten der DDR – dem Ministerium des Innern. Das Personal bestand überwiegend aus Angehörigen der Deutschen Volkspolizei.

Amnestien

Anlässlich von Republikjahrestagen wurden wiederholt Amnestien für geringfügige Straftäter gewährt, dies geschah 1972, 1979 und 1987.

Gesellschaftliche Gerichte (Konfliktkommissionen und Schiedskommissionen)/Eingabewesen

Hauptartikel: Gesellschaftliche Gerichte

"Gesellschaftliche Gerichte" waren in der DDR mit Laienrichtern besetzte Gerichte der "sozialistischen Rechtspflege".

Die beiden Formen der gesellschaftlichen Gerichte waren die

Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 regelte dann in Artikel 92:

„Die Rechtsprechung wird in der Deutschen Demokratischen Republik durch das Oberste Gericht, die Bezirksgerichte, die Kreisgerichte und die gesellschaftlichen Gerichte im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben ausgeübt.“

Artikel 92, VerfDDR68 (Hervorhebung nicht original)<ref>Text der DDR-Verfassung 1968</ref>

Außerdem war für Anliegen der Bürger das Eingabewesen mit der Einzelentscheidung auf Grundlage des Eingabengesetzes stark ausgebaut, nachdem 1952 mit der Auflösung der Länder die als „bürgerlich“ geltende Verwaltungsgerichtsbarkeit abgeschafft wurde.

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Nachdem zunächst durch Befehl der Sowjetischen Militäradministration 1947 die Verwaltungsgerichtsbarkeit wieder errichtet wurde, fiel diese zunächst der Verwaltungsreform von 1952 wieder zum Opfer. In der Folge der Babelsberger Konferenz wurde schließlich auf eine gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns vollständig verzichtet. Den Bürgern wurde lediglich die Möglichkeit eingeräumt Eingaben einzureichen. Neue Ansätze einer sozialistischen Verwaltungsgerichtsbarkeit beim Obersten Gericht traten erst im Juli 1989 in Kraft, wurden aber nicht mehr praxiswirksam.<ref>Rainer Schröder: Geschichte des DDR-Rechts: Straf- und Verwaltungsrecht. In: forum historiae iuris</ref>

Zivilrecht

Im Sachenrecht der DDR nach dem Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB) war die Trennung zwischen dem privat errichteten Gebäude und dem Grundstück (Volkseigentum) möglich, was nach der Wende 1989 bzw. der Wiedervereinigung zu rechtlichen Problemen mit den Alteigentümern führte. Meist konnten aber die Gebäudebesitzer das Grundstück preiswert dazu kaufen (so genanntes Modrow-Gesetz vom 7. März 1990). Da es keinen nennenswerten Grundstücks- oder Wohnungsmarkt gab (nur Zuweisung oder Tausch), spielten Grundbuch- und Immobilienrecht kaum eine Rolle. Generell waren die Vermögensstreitigkeiten nicht so bedeutend wie heute, da die materiellen Unterschiede zwischen den Menschen nicht so groß waren. Ehescheidungen waren einfach (ohne lange Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Ex-Ehepartner) und billig möglich, daher hatte die DDR auch eine der höchsten Scheidungsraten weltweit, aber auch eine der höchsten Heirats- und Wiederheiratsraten.

Rechtsstaatlichkeit

Eine unabhängige Justiz mit neutralen Richtern als Teil eines bürgerlich-demokratischen Systems der Gewaltenteilung gab es in der DDR nicht. Viele Richter waren zugleich Abgeordnete in der Legislative. Das Oberste Gericht galt als Parlamentsorgan der Volkskammer. Andererseits bestand gegenüber Gesetzen der Volkskammer kein richterliches Prüfungsrecht. Die Gewaltenteilung war auch nicht beabsichtigt, da es dem sozialistischen Staatsverständnis vom „demokratischen Zentralismus“ völlig widersprach. Vielmehr war die Justiz nur eines der Machtmittel der SED zum Aufbau des Sozialismus in der DDR.

Im Bereich des politisch motivierten Strafrechts herrschte Willkür, insbesondere in den Jahren des Kalten Krieges. Typische Staatsdelikte mit großen Interpretationsspielräumen (umgangssprachlich „Gummiparagraph“) durch Richter und Staatsanwälte waren z. B. „Sabotage“, „staatsfeindlicher Menschenhandel“ bzw. „staatsfeindliche Hetze“ (§§ 104, 105, 106 DDR-StGB), „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ (§ 249 DDR-StGB),<ref>§ 249 StGB der DDR vom 12. Januar 1968, auch in der Neufassung vom 4. Dezember 1988 (GBl. 1989 Nr. 3 S. 33) lautete:

Abs. I: Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.
Abs. II: Ebenso wird bestraft, wer der Prostitution nachgeht oder in sonstiger Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch asoziale Lebensweise beeinträchtigt.</ref> „Rowdytum“ oder „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ (§§ 215, 219 DDR-StGB).

Das Recht auf den gesetzlichen Richter war durch Polizei und Stasi manipulierbar durch den besonderen Gerichtsstand des Ortes der Untersuchungshaft. Höhere Gerichte hatten das Recht, jede Strafsache an sich zu ziehen, und öffentliche Geschäftsverteilungspläne waren an den Gerichten unbekannt.

Im Bereich des Zivilrechts, beispielsweise im Familien- und Scheidungsrecht, herrschte hingegen eine weitgehend vorhersehbare Justiz. Die außergerichtlichen betrieblichen Konflikt- und gesellschaftlichen Schiedskommissionen zur Regelung einfacher Rechtsstreitigkeiten hatten durchaus wegweisenden Charakter. Die ehrenamtlichen Richter hatten eine gleichberechtigte Stellung zu den Berufsrichtern.

Hinsichtlich der Aufhebung der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen (§ 218 StGB der Bundesrepublik Deutschland) oder der Strafbarkeit der Homosexualität (§ 175 StGB) war die DDR-Gesetzgebung im Vergleich eher liberal. Erst 1987 jedoch wurde die Todesstrafe in der DDR abgeschafft, war allerdings seit 1981 (Werner Teske) nicht mehr vollstreckt worden. Hingegen hatte das formalisierte Eingabewesen mit seinen nicht öffentlich nachprüfbaren Einzelentscheidungen eher Willkürcharakter. In der Rechtswissenschaft war ein Meinungsstreit mit einer Vielfalt von Kommentarliteratur weitgehend unbekannt, die Gesetzestexte waren kurz und auch für Laien gut verständlich. Es gab jeweils ein Lehrbuch und einen Kommentar zum Gesetzestext, herausgegeben vom Justizministerium, und dies musste zur Ausbildung reichen. Aktuelle Debatten wurden ansatzweise in der offiziösen Monatsschrift Neue Justiz (einzige juristische Fachzeitschrift in der DDR) geführt.

Unter anderem vor dem Hintergrund von mangelnder Rechtsstaatlichkeit und Willkürherrschaft wird die DDR des Öfteren als Unrechtsstaat bezeichnet. Diese Zuschreibung wird jedoch auch kritisiert, da sie als politisch motiviert gilt und der Begriff lange Zeit vor allem für Deutschland unter der Herrschaft des Nationalsozialismus verwendet wurde.

Phase sozialistischer Selbstjustiz um 1960

Um die Zeit des Mauerbaus führte das Zentralkomitee der SED eine Art „sozialistisches Faustrecht“ ein, eine außergerichtliche Selbstjustiz, um politisch ungelegene Aktionen im Keim zu ersticken.<ref>Falco Werkentin: „Faustrecht - Eine neue Form sozialistischer Rchtspflege“. In: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht. Berlin 1995, ISBN 3-86153-069-4, S. 252 ff</ref> Die rechtliche Basis dafür waren eine Erklärung vom 4. Oktober 1960 sowie der daraus folgende Rechtspflegebeschluss vom 30. Januar 1961. Demnach müsse die sozialistische Gesellschaft und damit der einzelne Volksgenosse gegen Straftaten aktiver vorgehen als bisher.

Als beispielhafter Vorläufer für diese Praxis gilt das Urteil des Kreisgerichts Potsdam vom 15. Januar 1959, auch „Kofferradio-Urteil“ genannt. Ein Mann hatte auf seinem tragbaren Radioempfänger auf der Straße den „Westsender“ RIAS gehört, als ihn ein Passant aufforderte, auf einen DDR-Sender umzuschalten. Weil der Radiobesitzer dem Wunsch nicht nachkam, zerstörte der Passant das Gerät. Das Kreisgericht lehnte die Klage auf Schadensersatz ab, mit der Begründung:

„Gemäß § 228 BGB handelt derjenige nicht widerrechtlich, der eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um damit eine durch die fremde Sache hervorgerufene drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Nachweislich hat der Kläger das Kofferradio so laut spielen lassen, daß auch andere Passanten den Hetzkommentar des RIAS hören konnten. Er hat sich damit einer Verbreitung von Hetze gegen unseren Staat zuschulden kommen lassen.“

Das Urteil erschien in der führenden DDR-Juristenzeitung Neue Justiz<ref>Neue Justiz, 1959, S. 219</ref> und galt damit als Vorbild für Urteile in den Folgejahren. Um die Zeit des Mauerbaus herum machte sich auch die DDR-Presse für die Selbstjustiz stark. So titelte die Leipziger Volkszeitung am 16. Juni 1961: „Mit Provokateuren wird abgerechnet.“ Untertitel: „Bitte schön, kommt hervor, wenn ihr tanzen wollt.“ Der Artikel lobt die Mitarbeiter des Betriebs Eisenbau, die einen Mann krankenhausreif geschlagen hatten, weil er mit einem Bier auf die dem DDR-Regime verhassten West-Politiker Ernst Lemmer und Willy Brandt anstoßen wollte.

Am 13. August 1961 erteilte Horst Schumann einen „Kampfbefehl“, der die Selbstjustiz auf die Spitze trieb:

„Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann staatlichen Organen übergeben. [...] Jeder, der auch nur im geringsten abfällige Äußerungen über die Sowjetarmee, über den besten Freund des deutschen Volkes, den Genossen N. S. Chruschtschow, oder über den Vorsitzenden des Staatsrates Genossen Walter Ulbricht von sich gibt, muß in jedem Falle auf der Stelle den entsprechenden Denkzettel erhalten.<ref>Jochen Staadt: Die geheime Westpolitik der SED. Berlin 1993, S. 55</ref>“

Schumann war 1. Sekretär der FDJ und Mitglied des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer.

Organisation und führende Juristen

Justizministerium

(Vorläufer: Deutsche Zentralverwaltung für Justiz 1946-49)

Gerichte

Datei:Oberstes-Gericht-DDR.jpg
Gebäude des Obersten Gerichts der DDR, Berlin-Mitte
  • Oberstes Gericht der DDR in Berlin
    • Anleitung der unteren Gerichtsinstanzen mit Richtlinien (mit Gesetzeskraft), internen Berichten, Thesen, Orientierungen und Standpunkten zur einheitlichen Rechtsanwendung in der Justiz, dies wurde den Richtern durch die Direktoren der Kreis- bzw. Bezirksgerichte in wöchentlichen Sitzungen vermittelt;
    • jeder Senat wurden jeweils von einem Oberrichter geleitet
    • Präsidenten: Kurt Schumann (1949–60, NDPD), Heinrich Toeplitz (1960–86, CDU), Günter Sarge (1986–1989, SED)
    • Vizepräsidenten: Hilde Benjamin (1949–1953); Vizepräsident und Vorsitzender des Kollegiums für Strafrecht: Walter Ziegler, (neu: 1. Vizepräsident) Günter Sarge (1977–1986)
    • Vorsitzender des Kollegiums für Zivil-, Familien- und Arbeitsrecht: Werner Strasberg
  • Bezirksgerichte in allen 15 Bezirksstädten inklusive Berlin
  • Kreisgerichte bzw. Stadtbezirksgerichte (hier waren auch die wenigen Gerichtsvollzieher angesiedelt)
  • Gesellschaftliche Gerichte: Konflikt- und Schiedskommissionen mit ehrenamtlichen Schiedsleuten

Staatsanwaltschaften

  • Generalstaatsanwalt der DDR
    • Dienstsitz des Generalstaatsanwaltes war in der Hermann-Matern-Straße (heute Luisenstraße), Berlin-Mitte.
    • Die Staatsanwaltschaft war eigenständig, d.h. nicht an die jeweiligen Gerichte angebunden, und zentralistisch organisiert. Der von der Volkskammer gewählte Generalstaatsanwalt war den von ihm berufenen Bezirksstataatsanwälten, diese den von ihnen berufenen Kreisstaatsanwälten weisungsberechtigt. Die Organisationsstruktur folgte nach der Auflösung der Länder der bezirklichen und kreislichen Gliederung der DDR. Die Berufung der Bezirks- und Kreisstaatsanwälte erfolgte nach Zustimmung der 1. Sekretäre (Leiter) der Bezirks- bzw. Kreisleitungen der SED.
    • Zudem gab es für den Bereich der NVA Militärstaatsanwälte. Sie hatten Offiziersränge und waren den Divisionsstäben zugeordnet. Vorgesetzt war der Militäroberstaatsanwalt. Dieser unterstand dem Generalstaatsanwalt.
    • Der Generalstaatsanwalt und die Bezirksstaatsanwälte hatten jeweils sachlich zuständige Abteilungen mit mehreren Staatsanwälten. Auf Kreisebene erfolgte dann lediglich eine auf einzelne Staatsanwälte zugeordnete sachliche Spezialisierung.
    • Die Aufgaben des Staatsanwalts bestanden nicht nur in der Strafverfolgung, sondern auch in der Allgemeinen Gesetzlichkeitsaufsicht (jeweils eigene Abteilung auf DDR- und Bezirksebene). Im Rahmen der Allgemeinen Gesetzlichkeitsaufsicht wurden bei den Kreisstaatsanwälten auch die Beschlüsse der betrieblichen Konfliktkommissionen einer fachlichen Kontrolle unterzogen, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten und gegebenenfalls betriebliche Probleme als Grundlage für notwendige Maßnahmen der Allgemeinen Gesetzlichkeitsaufsicht zu erkennen. Gegen Beschlüsse der Konfliktkommissionen konnte Einspruch zum Kreisgericht eingelegt werden. Auf Gesetzesverstöße konnte mit Hinweisen an die betrieblichen Leiter (Mängelbeseitigung mit Fristsetzung und Informationspflicht über Realisierung) reagiert werden.
    • Generalstaatsanwälte: Ernst Melsheimer (1949–1960, SED), Josef Streit (1962–1986), Günter Wendland (1986–1989), Harri Harrland (1989/1990), Hans-Jürgen Joseph (1–6/1990);
    • Stellvertretende Generalstaatsanwälte: Günter Wendland (bis 1986), Karl-Heinz Borchert, ab 1990 u.a. Peter Przybylski (langjähriger Pressesprecher / Staatsanwalt für Öffentlichkeitsarbeit, u.a. in DFF-Fernsehsendung Der Staatsanwalt hat das Wort); Prof. Lothar Reuter
  • Bezirksstaatsanwalt (Staatsanwalt des Bezirkes ...), in Berlin: Generalstaatsanwalt von (Groß-) Berlin
  • Kreisstaatsanwalt (Staatsanwalt des Kreises ...), in größeren Städten mit Bezirkseinteilungen (z.B. Berlin, Halle, Leipzig): Stadtbezirksstaatsanwalt

Militärjustiz

  • Militärkollegium beim Obersten Gericht der DDR
  • Militärobergerichte in den drei NVA-Militärbezirken Berlin, Leipzig, Neubrandenburg
  • Militärgerichte
  • Militärstaatsanwaltschaften, seit 1956

Staatliches Vertragsgericht

Hauptartikel: Staatliches Vertragsgericht

beim Ministerrat der DDR

Staatliches Notariat

  • seit 1952 jeweils an den Bezirksgerichten und wenige Einzelnotare

Wichtigste Strafanstalten unter Verwaltung des MdI

Datei:Roter-Ochse1.jpg
Strafvollzugsanstalt „Roter Ochse“ Halle (Saale)

Die in der DDR verwendeten Bezeichnungen Zuchthaus (Verwirklichung von Freiheitsstrafen über 2 Jahren - wegen Verbrechensverurteilungen) und Gefängnis (Verwirklichung von Freiheitsstrafen unter 2 Jahren - wegen Vergehensverurteilungen) entfielen mit der Einführung des StGB von 1968. Fortan wurden die Einrichtungen zum Vollzug der Freiheitsstrafen für Männer als Strafvollzugseinrichtungen (StVE) und für Frauen als Strafvollzugsabteilungen (StVA) bezeichnet.

Die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen wurde nicht durch das MdI, sondern durch das MfS verwaltet.

Amt für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR (AfR)

beim Ministerrat. Es wurde von 1964 bis 1982 von Hermann Kleyer (1911–1995) geleitet.

Bedeutende Gesetzgebung

Maßgebliche Personen

Vereinigungen

Vereinigung der Juristen der DDR (VdJ), gegründet 16. Juli 1949 in Berlin: Präsident: meist der jeweilige Präsident des Obersten Gerichts; Vizepräsidenten: Friedrich Wolff (1985–1990); Generalsekretär: Ulrich Roehl (1976–1990), Zentralvorstand und Sekretariat; Mitglied der Association Internationale des Juristes Démocrates in Brüssel

Gesellschaft für Völkerrecht in der DDR, Präsident Harry Wünsche (*1929, †2008),<ref>Bock, S./Muth, I./Schwiesau, H.: DDR-Außenpolitik. Ein Überblick. Daten, Fakten; Personen (III), Berlin, 2010, S. 368; ISBN 978-3-643-10559-2</ref> ab 1965 Generalsekretär, 1973 bis Mai 1990 Präsident; ab Mai 1990 gewählter Präsident Prof. Reinhard Müller (* 1954);<ref>Michael Stolleis: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990 (= Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 4). Verlag C. H. Beck, München 2012, S.583; ISBN 978-3-406-63203-7; Google Books (Snippet)</ref> Vizepräsidenten u. a.: Prof. Herbert Kröger (1965-89); Prof. Gerhard Reintanz

Die Gesellschaft für Seerecht der DDR (1972–1990), Präsidenten: Jörgen Haalck (1972–1976),<ref>Beiträge zum Seerecht. Eine Gedenkschrift für Jörgen Haalck 1924–1976. Gesellschaft für Seerecht der DDR, Rostock 1978; DNB-Portal</ref> Ralf Richter (1976–1990); Vizepräsidenten u.a.: Prof. Gerhard Reintanz.

Staatliche Auszeichnung: Medaille Verdienter Jurist der DDR, 1979 eingeführt mit 5.000 Mark Prämie "für hervorragende Verdienste bei der Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit und langjährige Arbeit in den Organen der Rechtspflege." ausgezeichnet wurden u. a. Hilde Benjamin und Erich Mielke

Juristenausbildung und Forschung

Bis in die 1950er Jahre gab es die althergebrachte zweistufige Ausbildung als Student und Referendar zum Volljuristen mit zwei Staatsexamen, danach folgte die Umstellung zum Diplomjuristen. Es erfolgten über die Jahrzehnte viele verschiedene Versuche die juristische Theorie und Praxis zu vereinen, so dass die Studienordnung häufig geändert wurde. Der Zugang zum Studium war schließlich nur im Rahmen einer Delegierung des Ministeriums für Justiz oder des Generalstaatsanwaltes möglich. Hochschulausbildung zum Diplom-Juristen in vier Jahren (zzgl. ein Assistenzjahr für künftige Richter/Staatsanwälte und Notare): Universitäten mit Juristischer Fakultät beziehungsweise Sektion: Berlin (Richter und Rechtsanwälte, Notare), Jena (Staatsanwälte und zeitweilig Zollfahndung), Halle und Leipzig (Wirtschaftsjuristen).

Die zweite Hochschulreform vom September 1951 gilt als weiterer wichtiger Wendepunkt in der Juristenausbildung. Die SED wollte von nun an die Hochschulausbildung ausschließlich in die eigenen Hände nehmen. So begann der Abbau der universitären Selbstverwaltungen zugunsten eines eigens eingerichteten 'Staatssekretariats, später Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen'. Insbesondere ab 1974 war die juristische Ausbildung nach mehreren Reformen allenfalls noch "Nebenprogramm". Der Anteil der politischen Ausbildung erhöhte sich auf insgesamt 43 % während der Ausbildungszeit.<ref>Mirko Laudon: Marxistische Juristenausbildung in der DDR, Strafakte.de vom 25. Mai 2013.</ref>

Justizsekretäre wurden an der Juristischen Fachschule in Weimar ausgebildet.

Die sogenannte Juristische Hochschule (JHS) oder Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in Potsdam-Eiche, war die höchste Ausbildungsstätte zur Ausbildung von Stasi-Offizieren, Abschluss Diplom-Jurist. Die Ausbildung stellte nur dem Namen, nicht aber dem Inhalt nach ein juristisches Studium dar.<ref>Erläuterungen zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 - Einigungsvertrag -, Deutscher Bundestag, 11. Wahlperiode, Drucksache 11/7817 vom 10. September 1990, S. 23 (PDF; 4,0 MB).</ref>

Forschung: Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften „Walter Ulbricht“ (ASR) in Potsdam-Babelsberg: Rektoren: Herbert Kröger (1955–64), Gerhard Schüßler (1972–1984), Horst Steeger (1984–1990) Ausbildung von Diplom-Staatswissenschaftlern (Mitarbeitern im Staats- und Parteiapparat), Institut für rechtswissenschaftliche Forschung, bis ca. 1960 Ausbildung von sogenannten Volksrichtern, Weiterbildung von Justizmitarbeitern. Bedeutenden Einfluss auf die sozialistische Staatsrechtslehre und den Staatsaufbau unter Walter Ulbricht hatte Karl Polak (1905–1963), zuletzt Mitarbeiter im ZK der SED und Mitglied des Staatsrates, 1959 erschien sein Standardwerk Zur Dialektik in der Staatslehre.

Zeitschrift: Neue Justiz. Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft. Herausgegeben vom Ministerium der Justiz der DDR ab 1949.

Zitate

„Unsere Juristen müssen begreifen, dass der Staat und das von ihm geschaffene Recht dazu dienen, die Politik von Partei und Regierung durchzusetzen.“

SED-Vorsitzender Walter Ulbricht auf der sog. Babelsberger Konferenz im April 1958

Siehe auch

Literatur

Weblinks

DDR-Gesetze

Einzelnachweise

<references />