Indigene Bevölkerung Brasiliens
Die indigene Bevölkerung Brasiliens umfasst eine Vielzahl verschiedener ethnischer Gruppen, die das Gebiet des heutigen Brasilien schon vor der Eroberung durch die Portugiesen im Jahr 1500 bewohnten. Brasilien ist das Land mit den meisten unkontaktierten Völkern weltweit.
Inhaltsverzeichnis
Ursprung der indigenen Bevölkerung Brasiliens
Nach der gängigsten Theorie liegt der Ursprung der indigenen Völker Brasiliens in Asien. Während der letzten Eiszeit vor etwa 30.000–40.000 Jahren wanderten Menschen über die Beringstraße nach Nordamerika und besiedelten den Kontinent. Wahrscheinlich gab es zu einem kleinen Teil auch Immigration von Südostasien und Melanesien. Im Laufe der Zeit gelangten sie über den schmalen Landstreifen des heutigen Panama nach Südamerika, u. a. auch nach Brasilien. Das Land wurde dabei vor ungefähr 10.000 Jahren erreicht.
Kürzlich entdeckte Steinmalerei und Überreste von Siedlungen widerlegen diese Theorie jedoch und gehen davon aus, dass die indigene Bevölkerung Brasiliens auf bis vor 50.000 Jahren zurückzuverfolgen ist. In Piauí wurden archäologische Funde entdeckt, die etwa 60.000 Jahre alt sind. Weitere Fundorte erstrecken sich bis in die argentinischen Pampas, wo die Funde auf über 10.000 Jahre Alter geschätzt werden. Auch ein Fund von über 11.000 Jahre alten menschlichen Gebeinen im brasilianischen Luzia, Minas Gerais, unterstützt diese neue Theorie. Das Skelett weist deutlich polynesische Züge auf, was auf eine Bevölkerung aus dem südpazifischen Raum hindeutet. Diese Umstände verlangen eine Erweiterung der bisher angenommenen Theorie.
Das einschneidendste Ereignis in der Geschichte der brasilianischen Völker ist die Ankunft der Europäer um 1500 und die darauffolgende Kolonialisierung Amerikas. Zu dieser Zeit existierten geschätzte 1.000 Völker, die sich aus fünf Millionen Menschen zusammensetzten. Heute gibt es nur noch 350.000 indigene Menschen, die in etwa 215 Völkern zusammen leben.
Kolonialzeit
Die ersten Kontakte zwischen Europäern und Indigenen in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts verliefen relativ friedlich, da sie durch Neugier auf das Fremde und dem Tausch von landestypischen Waren dominiert wurden. Verbindungen (zumeist ohne offizielle Ehe) zwischen Portugiesen und Einheimischen oder Sklaven waren nicht ungewöhnlich und so begann schon früh in der Geschichte eine „Verschmelzung“ der Ethnien und Kulturen. Eine Liste der noch heute zu findenden indigenen Völker in Brasilien ist am Ende dieses Eintrags zu finden.
Nach den ersten Kontakten begann jedoch die Versklavung der Indigenen durch die Übermacht der europäischen Bevölkerung. Infolge der Kontakte und durch eingeführte Krankheiten, gegen die die Menschen vor Ort keine Abwehrkräfte hatten entwickeln können, dezimierte sich ihre Zahl im Laufe der Zeit drastisch. Im 17. Jahrhundert bereits gab es so wenige Indigene, dass Sklaven aus Afrika eingeführt wurden, um der Nachfrage gerecht zu werden. Missionare machten die Indigenen sesshaft und bekehrten sie zum Christentum. Außerdem wollten die Geistlichen die Menschen schützen, sodass auf ihren Druck hin 1609 die Sklaverei verboten wurde. Zwei Jahre später, auf Grund der wirtschaftlichen Probleme im Land, wurde sie aber wieder eingeführt. In den Siedlungen, die mehr und mehr überfüllt waren, kam es häufig zu tödlichen Epidemien. Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts waren ganze Landstriche am Amazonas entvölkert. 1755 wurde die Sklaverei zwar erneut verboten, doch weil die Jesuiten, die die Indigenen bis zuletzt schützen wollten, gleichzeitig ausgewiesen wurden, mussten weiterhin viele Menschen unter Zwangsarbeit leiden. 1808 wurde im Süden des Landes die Sklaverei wieder erlaubt und hielt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an.
20. Jahrhundert
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sank die Zahl der rein indigenen Bevölkerung Brasiliens erstmals unter eine Million. Dazu trug auch der Kautschukboom bei, infolgedessen zehntausende Angehörige indigener Völker durch Gewalt und Sklaverei ums Leben kamen.<ref>survivalinternational.de</ref> Durch die Rodung des Regenwaldes wird ihr Lebensraum immer stärker verkleinert. Die Brandrodung des Regenwaldes ist auch für Epidemien, Umsiedlung und die Zerstörung ihrer Kultur verantwortlich.
Ein Beispiel sind die Guarani, die das größte Volk des Landes darstellen. Vor dem Kontakt mit den Europäern belief sich ihre Zahl auf 1,5 Millionen, heute leben in Brasilien nur noch 30.000 Guaraní. Die Guarani sind auf der Suche nach dem Land ohne Übel, in dem sie in Frieden leben können und haben sich daher an einer Reihe von Orten niedergelassen. Sie sind heute in sieben Bundesstaaten Brasiliens zu finden. Durch den Verlust ihres Landes an europäische Siedler stieg die Suizidrate des Volkes und ist nun eine der höchsten im ganzen Land.<ref>Informationen über die Guarani von www.survivalinternational.de</ref>
Rechtliches
Die Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens sind zwar durch Gesetze geregelt, werden jedoch häufig missachtet. Zum Schutz der indigenen Völker Brasiliens wurde 1901 die Behörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio) von Cândido Rondon als „Serviço de Proteção ao Índio“ (kurz SPI; deutsch: Dienst zum Schutz der Indios) gegründet. Trotz der guten Motive gelang es der Organisation häufig nicht, für den Schutz der indigenen Bevölkerung zu sorgen. Rondon war bis 1930 zugleich der erste Vorsitzende der Stiftung. Die SPI wurde 1967 zu FUNAI und untersteht dem brasilianischen Justizministerium.
Die rechtliche Grundlage für die indigene Bevölkerung Brasiliens ist im „Estatuto do Indio“ („Indianerstatut“) geregelt. Dieses Statut ist für die indigene Bevölkerung gültig und dem brasilianischen Zivilgesetzbuch für die „nicht-indigene Bevölkerung“ gleichgestellt. Das brasilianische „Indianerstatut“ verfügt über die zivil- und strafrechtliche Situation der indigenen Bevölkerung. Dabei wird unterschieden, ob es sich um integrierte, teilweise integrierte oder isolierte Indigene handelt.
Als integrierte Indigene werden solche eingestuft, die nach Bräuchen und Art der westlichen Bevölkerung leben, also Geld als Zahlungsmittel verwenden, Portugiesisch sprechen, in Städten oder Ortschaften leben, Auto fahren, als Angestellte arbeiten usw. Als isolierte Indigene werden solche eingestuft, die keinen oder seltenen Kontakt zur Mainstream-Gesellschaft haben, nach ihren Riten und Gebräuchen leben und die mit den westlichen Umgangsformen nicht oder wenig vertraut sind. Isolierte Indigene sind gesetzlich nicht handlungsfähig, sie sind vom Staat bevormundet. Rechtsgeschäfte, die von Fremden mit diesen Menschen abgeschlossen werden, sind nicht rechtsgültig, es sei denn, dass der Indigene die gesamte Tragweite des Geschäftes verstanden hat und ihm daraus keine Nachteile entstanden sind oder entstehen werden. Strafrechtlich ist ein „isolierter Indigener“ nicht belangbar. Begeht er ein Strafdelikt, muss dennoch von einem Anthropologen abgeklärt werden, ob er genügend „zivilisiert“ ist, sodass er den strafbaren Charakter seiner Handlung nach „westlichen Gebräuchen“ kannte. Für Delikte, die von „isolierten Indigenen" in ihrer eigenen Umgebung bzw. in ihrem Volk verübt werden, toleriert das „Indianerstatut“ die Gerichtsbarkeit des entsprechenden Volkes. Das bedeutet, dass das Volk selbst Gericht halten kann, wobei aber durch das „Indianerstatut“ grausame Strafen, wie auch die Todesstrafe, verboten sind. „Integrierte“ Indigene unterliegen der gängigen Rechtsprechung des brasilianischen Staates, wobei das „Indianerstatut“ vorsieht, dass strafrechtlich verurteilte Menschen möglichst eine Strafe in Halbgefangenschaft und in einer Zweigstelle der FUNAI, die geografisch in der Nähe des Wohnortes des Verurteilten liegt, verbüßen können. Voll integrierte Indigene verbüßen eine Strafe wie sonstige strafrechtlich Verurteilte. Neben dem anthropologischen Gutachten hat der entsprechende Richter einen großen Spielraum für sein eigenes Ermessen.
Isolierte Völker
Noch heute werden in Brasilien regelmäßig indigene Völker, die jeden Kontakt zur „Außenwelt“ aufgrund schlechter Erfahrungen meiden, entdeckt. Dies geschieht in vielen Fällen beim Überflug des Amazonas-Regenwaldes in geringer Höhe oder aufgrund von Informationen, die benachbarte Gruppen den zuständigen Behörden oder Nichtregierungsorganisationen zutragen. Zuletzt bestätigten Mitte Juni 2011 Behörden die Existenz eines bisher noch nicht gesichteten isolierten Volkes mit ungefähr 200 Angehörigen. Das Dorf befindet sich im Javari-Tal nahe der Grenze zu Peru und wurde von FUNAI während eines Überflugs über das Gebiet gesichtet.<ref>Brasilien bestätigt Existenz eines unkontaktierten Volkes</ref>
Liste indigener Völker Brasiliens
Die Schwierigkeit in der Kategorisierung der brasilianischen Indigenen besteht darin, dass während der fünf Jahrhunderte seit Beginn der Kolonialisierung des Landes die indigene Bevölkerung oft gezwungen war, ihre angestammte Kultur und Lebensweise aufzugeben. Die Zerstörung ihrer Lebensräume im Urwald, das Verbot ihrer Religion und Umsiedlungen, um nur einige Faktoren zu nennen, trugen zu dieser Nivellierung im Charakter zwischen den ethnischen Gruppen bei.
Man unterscheidet heute etwa 200 bis 220 verschiedene indigene Volksgruppen, die in Brasilien leben. Nachfolgend eine Liste einiger indigener Gruppen.
Legende: gelblich: gegenwärtige Reservate; grünlich: abgegrenzte Gebiete unter Verwaltung der FUNAI; rötlich: geplante Reservatsgebiete
Weblinks
- FUNAI, Fundação Nacional do Índio im Portal do Cidadãos – Povos Indígenas, portugiesisch
- Information über die indigene Bevölkerung Brasiliens auf www.survivalinternational.de, deutsch
- Website des Instituto Socioambiental (ISA), mit Listen der Ethnien und der territorialen Verteilung; englisch, portugiesisch, spanisch
Einzelnachweise
<references />