Interpol


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25px Dieser Artikel behandelt die Polizeiorganisation; für die gleichnamige Band, siehe Interpol (Band).
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Internationale kriminalpolizeiliche Organisation–Interpol
ICPO–Interpol
 
Das Generalsekretariat von Interpol in Lyon.
Englische Bezeichnung The International Criminal Police Organization–Interpol
Organisationsart internationale Polizeiorganisation
Sitz der Organe

Lyon, Frankreich

Vorsitz Präsidentin Mireille Ballestrazzi

Generalsekretär Jürgen Stock

Mitgliedstaaten 190:

200px

Amts- und Arbeitssprachen

Englisch, Französisch, Arabisch, Spanisch

Gründung

1923

www.interpol.int

Die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation–Interpol, kurz ICPO–Interpol oder Interpol (von englisch International Criminal Police Organization), ist eine internationale Organisation zur Stärkung der Zusammenarbeit nationaler Polizeibehörden. Sie wurde 1923 als Internationale kriminalpolizeiliche Kommission in Wien gegründet und hat ihren Sitz in Lyon. Derzeit hat Interpol 190 Mitgliedstaaten.<ref>Mitgliedsstaaten auf interpol.int (Memento vom 27. September 2011 im Internet Archive), abgerufen am 20. Januar 2012</ref>

Organisation

Ziele, Funktionen und Finanzierung

Die größte Polizeiorganisation der Welt ist juristisch ein Verein, eingetragen nach französischem Privatrecht – kein völkerrechtlicher Vertrag liegt ihr zugrunde, kein Parlament hat die Tätigkeit von Interpol je ratifiziert.<ref name="SZMagazin" /> Es besteht keine externe Kontrolle über Interpol.<ref>Albrecht Randelzhofer: Rechtsschutz gegen Maßnahmen von INTERPOL vor deutschen Gerichten?, in: Ingo von Münch (Hrsg.): Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht: Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, Walter de Gruyter: Berlin 1981, S. 531–555. ISBN 3-11-008118-0.</ref> Die Aufgabe von Interpol ist die umfassende Unterstützung aller kriminalpolizeilichen Behörden und anderer Einrichtungen, die zur Verhütung oder Bekämpfung von Verbrechen beitragen können, unter der Berücksichtigung nationaler Gesetze und der Menschenrechte.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, Article 2</ref> Die Hauptfunktionen der Organisation sind die Gewährleistung eines globalen Kommunikationssystems, die Bereitstellung von Datenbanken für die Informationsverarbeitung, die Benachrichtigung der Mitgliedstaaten über gesuchte Personen, die Koordinierung gegenseitiger Unterstützungsmaßnahmen durch Entsendung von technischen Spezialisten und Zurverfügungstellung von Ausrüstung (technische Hilfe) und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung, Aus- und Fortbildung, Ausrüstung, Einsatz von Personal und Hilfsmitteln. Interpol wird durch jährliche Zahlungen der Mitgliedstaaten finanziert, das Budget für 2008 betrug 47,6 Millionen Euro.<ref>INTERPOL: an overview (PDF)</ref>

Organe

Generalversammlung

Die Generalversammlung (General Assembly) ist das höchste Organ von Interpol. Jeder Mitgliedstaat verfügt über eine Stimme, bei Abstimmungen reicht eine einfache Mehrheit, bei Änderungen der Verfassung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Die Generalversammlung tritt mindestens einmal im Jahr zusammen, eine außerordentliche Einberufung ist möglich.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, The General Assembly</ref> Dabei werden alle wichtigen Entscheidungen über die generelle Verfahrensweise, Ressourcen, Methoden, Finanzen und Programme getroffen. Die Zusammensetzung des Exekutivkomitees (Executive Committee) wird ebenso in der Generalversammlung bestimmt.<ref>Interpol General Assembly (Memento vom 3. August 2012 im Webarchiv archive.is)</ref> Das Exekutivkomitee besteht aus einem Präsidenten, drei Vizepräsidenten und neun Delegierten der Generalversammlung.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, The Executive Committee</ref> Die Hauptaufgabe des Exekutivkomitees ist die Überwachung der Durchführung von Entscheidungen der Generalversammlung und der Administration des Generalsekretärs. Andere Aufgaben sind die Vorbereitung von Sitzungen der Generalversammlung, die Unterbreitung von Programmen an diese und die Bearbeitung von zugewiesenen Zuständigkeiten.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, Article 22</ref>

Generalsekretariat

Datei:Siège Interpol Lyon.JPG
Dienstgebäude in Lyon

Das Generalsekretariat hat seinen Sitz in Lyon und ist für die praktische Arbeit das wichtigste Organ. Es wird vom Generalsekretär geleitet, der das von ihm ausgewählte Fach- und Verwaltungspersonal einsetzt. Im Generalsekretariat werden die tägliche Administration der internationalen Polizeikooperation und die Beschlüsse durchgeführt.<ref>Interpol Secretary General</ref> Dabei fungiert das Generalsekretariat als zentrale Koordinationsstelle zwischen den nationalen Zentralbüros.

Nationales Zentralbüro

Jeder Mitgliedstaat hat ein Nationales Zentralbüro/Landeszentralbüro (National Central Bureau/LZB) zu ernennen. Dieses dient der Koordination zwischen der Interpol und den einzelnen Staaten. Zu diesem Zweck muss das Büro Verbindungen zu den Behörden des Landes, zu anderen nationalen Büros und zum Generalsekretariat bereitstellen.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, National Central Bureaus</ref> In manchen Staaten wird die Funktion des Nationalen Zentralbüros/Landeszentralbüros von der inländischen Zentralstelle für kriminalpolizeiliche Ermittlungen wahrgenommen. In anderen Ländern wurde hingegen eine eigene Dienststelle nur für den Interpol-Aufgabenbereich eingerichtet, beispielsweise in den USA. In Deutschland und Österreich agiert das jeweilige Bundeskriminalamt (BKA und BK) zugleich als Nationales Zentralbüro/Landeszentralbüro.

Bei den Beratern (Advisers) handelt es sich meist um international anerkannte Experten.

Notices und Diffusions

Hinsichtlich der Suchaufträge wird zwischen Notices („Ausschreibungen“) und Diffusions („Durchgaben“) unterschieden. Notices werden von den Mitgliedsstaaten oder den akkreditierten internationalen Organisationen zentral an Interpol geleitet und von dort an die übrigen Mitglieder verteilt. Im Gegensatz dazu werden Diffusions vom veranlassenden Land direkt an gewünschte Länder zugestellt und von Interpol zusätzlich in den Datenbanken erfasst. Beide Suchauftragsarten sind in sieben Kategorien aufgeteilt und werden gemäß der farblichen Kategorisierung „Buntecken“ genannt. <ref>International Notices system (engl.) (Memento vom 13. Juli 2012 im Internet Archive) (PDF, 1,02 MB)</ref>

Notice-Kategorie deutsche Bezeichnung Details
Red Notice Rote Ausschreibung Ersuchen um Festnahme oder vorläufige Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung.
Blue Notice Blaue Ausschreibung Sammlung von zusätzlichen Informationen über die Identität oder Aktivitäten einer Person im Bezug auf ein Verbrechen.
Green Notice Grüne Ausschreibung Bereitstellung von Warnungen und kriminalistischen Informationen über Personen, die Straftaten begingen und diese wahrscheinlich in anderen Ländern wiederholen werden.
Yellow Notice Gelbe Ausschreibung Hilfe bei der Ortung vermisster Personen, häufig Jugendlicher, oder Hilfe bei der Identifizierung von Personen, die sich nicht selbst identifizieren können.
Black Notice Schwarze Ausschreibung Suche nach Informationen bezüglich unidentifizierter Leichen.
Orange Notice Orange Ausschreibung Warnt Polizei und andere internationale Organisationen über potentielle Bedrohungen von versteckten Waffen, Paketbomben oder anderem gefährlichen Material.
Purple Notice Lila Ausschreibung Verbreitung von Informationen über Tatvorgehen, Gegenstände, Apparate und geheime Verstecke und Methoden, die Kriminelle anwenden.
Interpol-United Nations Security Council Special Notice Interpol-United Nations Security Council Special Notice Ausgegeben für Gruppen und Einzelpersonen, die Ziel der UN-Sanktionen gegen al-Qaida oder die Taliban sind.

Sonstiges

Im Zeitalter der internationalen Vernetzung gewinnt das Interpol-Generalsekretariat als Sammelstelle internationaler Datenbestände zunehmend an Bedeutung. Unter der Bezeichnung ASF (Automated Search Facility) gibt es Datenbanken für gestohlene Fahrzeuge und Ausweise. Eine weitere Datenbank für DNA-Profile, die von Tatortspuren oder Mundhöhlenabstrichen Verdächtiger stammen, ist zurzeit im Aufbau. Nach der Flutkatastrophe in Südasien am 26. Dezember 2004 half Interpol insbesondere in Thailand bei der Identifizierung von Opfern aus aller Welt.

Im Gegensatz zu vielen Darstellungen in Kriminalromanen gibt es keine eigenen Interpol-Agenten, die Verbrecher in fremde Länder verfolgen und selbsttätig ermitteln. Interpol verfügt über keine eigenen Fahnder, sondern koordiniert nur die Zusammenarbeit nationaler Ermittler. Es gilt der Grundsatz der nationalen Souveränität. Polizeiliche Exekutivmaßnahmen wie Anhaltungen, Festnahmen, das Tragen von Dienstwaffen oder die Einsichtnahme in das Strafregister dürfen nur von Sicherheitsbeamten des jeweiligen Staates ergriffen werden. Selbst wenn ausländische Polizeibeamte nur anreisen, um im Zuge einer Auslieferung einen Häftling am Flughafen zu übernehmen, müssen sie um Genehmigung ersuchen, wenn sie Waffen mitführen wollen. Das Gleiche gilt für die Durchlieferung von Häftlingen, die nicht direkt von einem fremden Land in ein anderes befördert werden können. Überlegungen wie sie derzeit bei Europol angestellt werden, ob man Polizeibeamte mit Exekutivbefugnissen auch im Ausland ausstatten sollte (Stichwort EuroCOP), sind bei Interpol kein Thema.

Ein weiteres Missverständnis ist die Annahme, das Ersuchen eines Interpol-Mitgliedstaates um Personenfahndung zur Festnahme sei einem internationalen Haftbefehl gleichzusetzen. Der Umgang mit Notices und Diffusions bleibt jedoch jedem Land überlassen – also die gesuchte Person im Inland zur Festnahme auszuschreiben oder die Interpol-Ausschreibung lediglich als Erkenntnismitteilung anzusehen. Letzteres ist oft der Fall, wenn mit dem ersuchenden Land kein bilaterales Auslieferungsabkommen besteht.

Die Verarbeitung von Daten bei Interpol wird von einer gemäß Art. 36 der Interpol-Statuten unabhängigen Kommission überwacht. Sie besteht aus fünf Personen, die sich dreimal pro Jahr treffen. Sie prüft Beschwerden, Anträge auf Einsicht in Akten und Datenbanken<ref>siehe www.interpol.int, legal material</ref> und spricht Empfehlungen aus, ob eine Fahndung aufrechterhalten werden soll.<ref name="SZMagazin">Lena Kampf: Süddeutsche Zeitung Magazin, 17. Januar 2015.</ref>

Geschichte

Die Vorgeschichte der Kommission (19. Jahrhundert bis 1914)

Im 19. Jahrhundert kam es durch die sukzessive Expansion des modernen Staates in außerstaatliche Bereiche der Gesellschaft zu ständigen Krisen. Diese wurden durch sozialistische Parteien und Bewegungen weiter verstärkt. Durch zahllose Attentate auf die Herrschafts- und Oberschicht in beinahe allen europäischen Ländern verbreitete sich der Eindruck einer anarchistischen Weltverschwörung und es kam in der Konferenz von Rom 1898 zur ersten größeren Verabredung internationaler polizeilicher Zusammenarbeit.<ref>Mathieu Deflem: History of International Police Cooperation. in Encyclopedia of Criminology, edited by Richard A. Wright and J. Mitchell Miller. New York: Routledge, 2005 Online verfügbar</ref> Bei vielen Staatsmännern kam es zur Gleichsetzung von Sozialismus und Anarchismus. Diese Umstände bildeten eine Voraussetzung für die internationale polizeiliche Kooperation.<ref>„Festzuhalten bleibt hier zunächst, daß die Kooperation gegen gemeinsame politische Gegner und nicht die gegen die gewöhnliche Kriminalität am Anfang der internationalen Kooperation von Polizeien stand.“ Heiner Busch: Grenzenlose Polizei? S. 264.</ref>

Bei der Geschichtsschreibung der Kriminalpolizeien ist der Kampf gegen das gemeine Verbrechen die dominierende Ursache. Insbesondere schnellere Transportmittel sollten es Kriminellen ermöglicht haben, sich der Jurisdiktion zu entziehen.<ref>Hans Hoeveler: Internationale Bekämpfung des Verbrechens. S. 9–29.</ref><ref>Kurt Schaefer: Internationale Verbrechensbekämpfung. S. 31–35.</ref> Die technische Entwicklung im Bereich der Kommunikation und des Transportwesens war jedoch die Voraussetzung für eine adäquate polizeiliche Kooperation. Der Wissenschaftler John Tobias führt an, dass der schnellere Transport und die bessere Kommunikation der Verbrechensbekämpfung zugutekam.<ref>John Tobias: Crime and Industrial Society in the 19th century. S. 192.</ref> Auch wenn sich seine Studie auf England beschränkt, ist davon auszugehen, dass dies überall der Fall war. Im April 1914 wurde der Erste Internationale Polizeikongress in Monaco abgehalten, der als der Vorläufer-Kongress der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (IKPK) gilt. Die Intentionen sowie genauere Informationen sind unbekannt.

Von der ersten Gründung bis zum ersten Ende (1919–1945)

Ende 1919 versuchte der Kapitän der niederländischen Marechaussee van Houten erfolglos mit einem Brief an die bedeutendsten Polizeibehörden, eine Konferenz für internationale Verbrechensbekämpfung einzuberufen. Erst vier Jahre später sollte es dem Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober gelingen, einen Internationalen Polizeikongress in Wien abzuhalten. Als Grund wird der Anstieg der Kriminalität nach dem Weltkrieg angeführt.

Zudem hatte Schober für diese Aufgabe ideale Qualifikationen, wie zum Beispiel außenpolitische Erfahrung und diplomatische Schulung. Seine Informationspolitik als Wiener Polizeipräsident war äußerst offensiv, 1920 errichtete er einen eigenen polizeilichen Nachrichtendienst mit politischen Zielsetzungen. „In einer Instruktion wies er darauf hin, daß es keineswegs nur um potentielle Unruhestifter gehe, sondern ausnahmslos um alle politisch tätigen Personen und Gruppen.“<ref>Rainer Hubert: Schober S. 163</ref> Erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Nachrichtendienst über keine Mittel für einen Auslandsnachrichtendienst verfügte.<ref>Jagschitz, Gerhard: Die Politische Zentralevidenzstelle der Bundespolizeidirektion Wien. In: Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978: S. 73–75</ref> Dennoch gelang es, eine Art antikommunistische Interpol zu etablieren. Ob sich die Intentionen Schobers (und anderer Teilnehmer) bei der Konferenz auf den „Kampf gegen das gemeine Verbrechen“<ref>Auszug aus den Statuten der IKPK 1923, in: Hoeveler: S. 36</ref> beschränkten, ist deshalb zweifelhaft.

In Wien wurde 1923 die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK) gegründet. Am 3. September fand die erste Sitzung in der Wiener Polizeidirektion statt. Das Protokoll über zukünftige Kooperation unterschrieben Vertreter aus 15 Staaten in Europa, die Türkei, die Vereinigten Staaten sowie Japan. Der Beschluss zur Gründung der IKPK wurde am 7. September 1923 gefasst.<ref>Alexander Elster, Rudolf Sieverts (Herausgeber): Handwörterbuch der Kriminologie, Band 4, Seite 60. ISBN 978-3-11-008093-3 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche</ref> Es stellt sich die Frage, für welche Zwecke die IKPK eingesetzt wurde. Wien wurde laut dem Politikwissenschaftler Heiner Busch aufgrund der Persönlichkeit Schobers als Zentrale der IKPK gewählt, ein weiterer Aspekt dürfte die Erfahrung und das Archiv der ehemaligen k. u. k.-Dienststellen gewesen sein.

Die hauptsächliche Tätigkeit der IKPK war die Nachrichtenverarbeitung und -übermittlung eingegangener Meldungen, weshalb das Polizeifunkwesen gefördert wurde. Ebenso wurden Zentralstellen zur Fälschungsbekämpfung und Personenerkennung eingerichtet.

Auch nach der Machtübernahme Dollfuß' und der Errichtung des österreichischen Ständestaates blieb die Organisation bestehen. Nach dem Anschluss und der Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich wurde der bisherige Interpol-Präsident Michael Skubl abgesetzt und unter Hausarrest gestellt. Sein Nachfolger wurde der österreichische Nationalsozialist Otto Steinhäusl. Nach dessen baldigem Tod wurde der Sitz der IKPK von Wien nach Berlin-Wannsee verlegt. In einem der zwei von der IKPK genutzten Häuser fand die Wannseekonferenz betreffend die Endlösung der Judenfrage statt. In Berlin wurde die IKPK durch den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich präsidiert, nach dessen Tod durch ein Attentat des tschechischen Widerstands in Prag durch den SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner, der nach dem Krieg in Nürnberg hingerichtet wurde. Die Akten der IKPK, die nach Berlin überführt wurden, etwa die so genannte internationale Zigeunerregistratur, aber auch die Akten betreffend Falschmünzerei und Passfälschung waren für die Nazis hilfreich bei der Verfolgung bestimmter Personengruppen, sowie bei ihrer massenweisen Herstellung von Falschgeld und von falschen Pässen im KZ Sachsenhausen bei Berlin.

Von der neuen IKPK bis zur IKPO (1946–1956)

Die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IKPK) wurde 1945 aufgelöst<ref>INTERPOL history (Memento vom 4. Juni 2012 im Webarchiv archive.is)</ref> und ein Jahr später auf Initiative des Generalinspekteurs der belgischen Polizei, Florent Louwage, neu gegründet. Dabei wurden neue Statuten festgeschrieben. Die genauen Gründe und Umstände für die Neugründung sind unbekannt bzw. finden keine Erwähnung. Anderson führt an, dass aufgrund des Schwarzmarktes und der Vertriebenen eine internationale Polizeikooperation dringend nötig war. Doch stellt sich die Frage, welche Hilfe die IKPK hierbei leisten sollte. Die Intention der Neugründung muss im Kontext des Ost-West-Konflikts gesehen werden, wobei die IKPK ein möglichst unpolitisches Profil wahren wollte. Ebenso sollte die vorherige Auflösung vermutlich die Distanzierung zur IKPK der Zwischen- und Kriegszeit hervorheben.

Als neuer Sitz wurde Paris gewählt; dies führte zur Dominanz der französischen Polizei über mehrere Jahrzehnte.<ref>„Die förmliche Entpolitisierung der Organisation seit 1946 und ihre Anpassung an das Völkerrecht, ist die wesentliche Voraussetzung ihres Aufstiegs zu einer tatsächlich internationalen Organisation gewesen.“ Busch: S. 276</ref> In die Statuten wurden die Menschenrechte einbezogen und an das Völkerrecht angepasst, außerdem wurde eine ausschließliche Zusammenarbeit im Bereich der gewöhnlichen Kriminalität festgelegt. Ebenso fand eine erfolgreiche Annäherung an die UN statt, 1949 erhielt die IKPK den konsultativen Status der UN als Nichtregierungsorganisation. Die Mitgliederzahl konnte schnell erweitert werden, dennoch blieb die IKPK europäisch dominiert.

1950 zeigte sich die geringe Wirkung der Entpolitisierung vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes. Die Entführung von drei Verkehrsflugzeugen<ref>Anderson: S. 44; vgl. Busch, S. 277 schreibt dagegen von nur einem Verkehrsflugzeug, Busch zitiert dabei Anderson und ein anderes Werk.</ref> veranlasste die CSSR, die Kooperation der Interpol anzufordern. Für das Generalsekretariat handelte es sich dabei um eine kriminelle Tat. Der Vizepräsident der IKPK und Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, betrachtete die Entführer jedoch als politische Flüchtlinge,<ref>Anderson: S. 44 (siehe 32); vgl. Busch: S. 277 schreibt hier von „Freiheitskämpfern“</ref> deshalb wäre eine Kooperation gemäß den Interpol-Statuten in diesem Fall nicht zulässig. Es folgte der offizielle Austritt der USA und beinahe aller Ostblockstaaten, wobei die USA ab 1952 wieder in der IKPK durch das Finanzministerium vertreten wurden.

Internationalisierung und rechtlicher Status (1956–1984)

1956 kam es zur Neugründung, es wurde ein neuer Name gewählt und die Telegramm-Kurzanschrift Interpol wurde in den Namen aufgenommen.<ref>Brief History of INTERPOL</ref> Die Interpol wurde durch eine Reihe von Verträgen und Abkommen internationaler und erhielt den Status einer juristischen Person. Dies wurde insbesondere durch den Erhalt des Status einer zwischenstaatlichen Organisation durch die UN 1971 und durch das Sitzabkommen (Headquarters Agreement) mit Frankreich im Jahr darauf erreicht. Dieses wird zehn Jahre später überarbeitet und verlangt eine unabhängige datenschutzrechtliche Stelle zur Kontrolle. In den 1970er Jahren wurde die Interpol stark kritisiert, die Kritikpunkte waren die fehlende Beteiligung bei der Terrorismusbekämpfung und die schwerfällige Kommunikation. Der Interpol-Präsident von 1968 bis 1972, Paul Dickopf, war unter den Nazis als SS-Mann vereidigt worden und hatte nach dem Krieg zusammen mit anderen ehemaligen SS-Polizeimännern das Bundeskriminalamt in Wiesbaden aufgebaut.

Terrorismus und Informationstechnologie (1984–2002)

Die Mängel, die in den 1970er Jahren bestanden, wurden in den 1980er Jahren weitgehend beseitigt. 1984 kommt es zu einer Änderung in Bezug auf politisch motivierte Straftaten, insbesondere im Bereich des Terrorismus. Die Generalversammlung erlässt eine Resolution.<ref>Violent Crime Commonly Referred to as Terrorism</ref> Diese sieht vor, dass der politische Charakter von Straftaten im nationalstaatlichen Ermessen liegt.<ref>ICPO-INTERPOL Constitution and General Regulations, Article 3</ref> Anlässlich des bevorstehenden Umzugs nach Lyon 1989 kommt es zur Reorganisation des Generalsekretariats.

Es folgt der Ausbau der Informationsinfrastruktur, 1990 wird ein Kommunikationssystem für den Datenaustausch mit den nationalen Zentralbüros eingerichtet. Die Systeme werden in den folgenden Jahren verbessert und erweitert. Seit 2002 sind beinahe alle nationalen Zentralbüros mit dem Interpol-Hauptquartier durch das Interpol Global Communication System 24/7 (I-24/7) verbunden. 1997 wird ein Kooperationsvertrag mit der UN geschlossen, dieser gewährt der Interpol einen Beobachter-Status in der UN.<ref>Co-operation agreement between the United Nations and the International Criminal Police Organization-Interpol, Artikel 6.1</ref>

Bedeutung und Wirkung

Datei:DBP 1973 759 Interpol.jpg
Briefmarke: 50 Jahre Interpol, Briefmarke von 1973 (Entwurf: Karl Oskar Blase).

Es ist schwierig, über die Bedeutung und Wirkung der Interpol eine Aussage zu treffen. Das Problem ist die äußerst fragliche Tätigkeit der IKPK und die lange Zeit begrenzte Tätigkeit der IKPO bei politisch motivierten Straftaten. Die Bedeutung und Wirkung der Interpol ist die Pionierarbeit im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation, besonders im technischen und rechtlichen Bereich. Für die Terrorismusbekämpfung konnte die Interpol aufgrund der späten Änderung der Organisationspolitik kaum Beiträge leisten, in diesem Bereich etablierten sich eigene Organisationen.

Die Interpol-Statuten verbieten eigentlich Hilfestellungen bei politisch motivierten Delikten und militärischen bzw. religiösen Angelegenheiten – eine Voraussetzung für die reibungslose Zusammenarbeit von Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen und Religionen. Dieser Grundsatz kam u. a. zur Anwendung, als Italien um Mitfahndung nach den Südtirol-Aktivisten der 60er-Jahre ersuchte. Dies änderte sich insbesondere seit einer Resolution 1984 (siehe Geschichte).

Journalistische Recherchen aus Deutschland kritisieren, dass Interpol zunehmend von korrupten und autoritären Staaten missbraucht würde. Um politische Dissidenten weltweit aufzuspüren, würde der Deckmantel der Verfolgung angeblicher Straftäter benutzt.<ref name="SZMagazin" />

Im Februar 2012 kam Interpol in die Kritik, da es, entgegen seiner Statuten, angeblich an der Auslieferung des religionskritischen Journalisten Hamsa Kaschgari an Saudi-Arabien beteiligt gewesen sei.<ref>„Interpol accused after journalist arrested over Muhammad tweet“, in: The Guardian, 10. Februar 2012. Abfragedatum: 13. Februar 2012.</ref> Interpol bestreitet, gegen Kaschgari einen Haftbefehl ausgestellt zu haben.

Im Sommer 2013 geriet Interpol wegen der Annahme von millionenschweren Kooperationsverträgen mit der Industrie in Kritik. Bei den zwischen 2011 und 2013 abgeschlossenen Verträgen mit der Fifa, dem Tabakmulti Philip Morris und 29 westlichen Pharmaunternehmen wie Sanofi, die 26 Prozent des Etats von Interpol in Höhe von 78 Millionen Euro erbringen<ref name="SZMagazin" />, wurde vor allem die mangelnde Transparenz sowie die Missachtung von möglichen Interessenkonflikten bei der Verfolgung von Straftätern kritisiert.<ref name="zeit-2013-10-21">Vorlage:Internetquelle/Wartung/Zugriffsdatum nicht im ISO-FormatVorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatRobert Schmidt und Mathieu Martiniere: Interpol: Wer hilft hier wem? In: zeit.de. 21. Oktober 2013, abgerufen am 15. Dezember 2014.</ref><ref name="zeit-2013-06-07">Vorlage:Internetquelle/Wartung/Zugriffsdatum nicht im ISO-FormatVorlage:Internetquelle/Wartung/Datum nicht im ISO-FormatRobert Schmidt und Mathieu Martiniere: Tabakindustrie: Interpol, die Lobby und das Geld. In: zeit.de. 7. Juni 2013, abgerufen am 15. Dezember 2014.</ref><ref>www.slate.fr</ref><ref>www.lyoncapitale.fr</ref>

Siehe auch

Literatur

  • Malcolm Anderson: Policing the World: Interpol and the Politics of International Police Co-operation. Clarendon: Oxford, 1989. ISBN 0-19-827597-8.
  • Christoph Arbeithuber: Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation. INTERPOL. Dissertation. Linz, 1996.
  • Nadia Gerspacher: The Roles of International Police Cooperation Organizations, in: European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 13 (2005) S. 413–434.
  • Michael Fooner: INTERPOL: Issues in World Crime and International Criminal Justice. Plenum: New York, 1989. ISBN 0-306-43135-1.
  • J. Jäger: Verfolgung durch Verwaltung. Internationales Verbrechen und internationale Polizeikooperation 1880-1933. Konstanz: UVK 2006
  • R. Kendall (Hrsg.): Interpol: 75 Years of International Police Co-operation. Kensington: London, 1998.
  • Rutsel Silvestre J. Martha: The Legal Foundations of INTERPOL. Hart: Oxford, Portland, 2010. ISBN 978-1-84946-040-8.
  • Albrecht Randelzhofer: Rechtsschutz gegen Maßnahmen von INTERPOL vor deutschen Gerichten?, in: Ingo von Münch (Hrsg.): Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht: Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, Walter de Gruyter: Berlin, 1981, S. 531–555. ISBN 3-11-008118-0.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Interpol – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons Commons: Interpol – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references/>

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