Internationaler Gerichtshof
Internationaler Gerichtshof | ||
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Dienstgebäude des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (2006) | ||
Englische Bezeichnung | International Court of Justice (ICJ) | |
Französische Bezeichnung | Cour internationale de Justice (CIJ) | |
Sitz der Organe | ||
Vorsitz | Richter Ronny Abraham (Frankreich), Präsident des Internationalen Gerichtshofs | |
Gründung |
1945 | |
www.icj-cij.org |
Der Internationale Gerichtshof (kurz IGH; französisch Cour internationale de Justice, CIJ; englisch International Court of Justice, ICJ) ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und hat seinen Sitz im Friedenspalast in Den Haag (Niederlande). Seine Funktionsweise und Zuständigkeit sind in der Charta der Vereinten Nationen geregelt, deren Bestandteil das Statut des Internationalen Gerichtshofs ist (BGBl. 1973 II S. 430, 505).
Inhaltsverzeichnis
Zuständigkeit
Parteien vor dem Internationalen Gerichtshof können nur Staaten sein, jedoch keine internationalen Organisationen und andere Völkerrechtssubjekte. Zugang zum Gericht haben nur Vertragsstaaten des IGH-Statuts. Dies sind zum einen gemäß Artikel 93 Absatz 1 der Charta der Vereinten Nationen alle UN-Mitglieder und zum anderen solche Staaten, die kein Mitglied der UN sind, aber das Statut ratifiziert haben. Das Gericht ist nur dann für die Entscheidung eines Falles zuständig, wenn alle beteiligten Parteien die Zuständigkeit anerkannt haben. Eine solche Anerkennung kann durch Erklärung für das jeweilige Verfahren, durch Verweis in einem völkerrechtlichen Vertrag oder in abstrakter Form durch eine Unterwerfungserklärung erfolgen. Solche Erklärungen unterliegen allerdings häufig weitgehenden Vorbehalten, wie beispielsweise der im sogenannten Connally-Vorbehalt formulierten Einschränkung der von 1946 bis 1986 geltenden Unterwerfungserklärung der Vereinigten Staaten, dass die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IGH durch die USA nicht gelten sollte für Angelegenheiten, die nach Auffassung der USA der Zuständigkeit ihrer nationalen Gerichte unterliegen würden. Die Entscheidungen des IGH sind für die jeweiligen Parteien inter partes bindend. Unterorganisationen der Vereinten Nationen können mit jeweiliger Ermächtigung durch die Generalversammlung beim IGH Rechtsgutachten zu relevanten Themen anfordern. Die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat der UNO können über jede Rechtsfrage ein Gutachten anfordern. Zwar kam es bis 2003 nur zu 76 Urteilen und 24 Rechtsgutachten, doch war der IGH wesentlich an der Fortentwicklung des Völkerrechts beteiligt.
Deutschland hat 2008 wie bisher 70<ref>Liste der Staaten, welche die obligatorische Zuständigkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts anerkennen, online (englisch), abgerufen am 29. Oktober 2014.</ref> andere Staaten eine Unterwerfungserklärung<ref>Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven: C.N.357.2008.TREATIES-1; BT-Drs. 16/9218 (PDF; 73 kB)</ref> abgegeben und kann seitdem in allen völkerrechtlichen Streitfragen einen anderen Staat, der ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben hat, verklagen oder selbst von diesem verklagt werden. Vorher war das nur möglich, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen beiden Parteien bestand, in der der Internationale Gerichtshof ausdrücklich benannt wurde, oder wenn zumindest Einigkeit bestand, den Streit vor ihm auszutragen. Von der Unterwerfungserklärung hat Deutschland Streitkräfteeinsätze im Ausland und die Nutzung deutscher Hoheitsgebiete für militärische Zwecke ausgenommen.<ref>Zur Kritik an diesen Vorbehalten siehe etwa den offenen Brief der Gewerkschaft ver.di vom 10. Juni 2008.</ref>
Luxemburg hatte bereits 1930 die Gerichtsbarkeit des StIGH als obligatorisch anerkannt.<ref>LNTS Bd. C S. 154 (vgl. Art. 36 Abs. 5 des IGH-Statuts)</ref> Hinsichtlich des IGH folgten die Schweiz 1948,<ref>UNTS Bd. 17 S. 116 (Memento vom 1. Dezember 2011 im Internet Archive); → dt. Fassung</ref> Liechtenstein 1950,<ref>UNTS Bd. 51 S. 120 (Memento vom 1. Dezember 2011 im Internet Archive); LGBl. 1950 Nr. 6/1</ref> Österreich 1971.<ref>UNTS Bd. 778 S. 302 (Memento vom 1. Dezember 2011 im Internet Archive); BGBl. Nr. 249/1971</ref>
Geschichte
Der Internationale Gerichtshof wurde 1945 gegründet. Er arbeitet unter der Charta der Vereinten Nationen als „Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen“ (Art. 92). Der Gerichtshof ging aus dem von 1922 bis 1946 bestehenden Ständigen Internationalen Gerichtshof hervor. Am 15. Oktober 1946 ermöglichte der Sicherheitsrat mit der Resolution 9 auch Nichtmitgliedsstaaten des Statuts eine Anrufung des Gerichtshofs.
Der 1949 abgeschlossene Korfu-Kanal-Fall, eine Klage Großbritanniens gegen Albanien, war der erste Fall, in dem der Gerichtshof ein Urteil fällte.<ref>Encyclopedia of the Nations: The International Court of Justice – Some case histories of disputes submitted to the court. Abgerufen am 8. November 2009. </ref>
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die meisten Urteile des Gerichtshofs befolgt werden, auch wenn der Gerichtshof für die Durchsetzung seiner Entscheidungen auf den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angewiesen ist (Art. 94 Abs. 2 der Charta der Vereinten Nationen). Mehrere Staaten haben aber in der Vergangenheit Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs nicht anerkannt oder befolgt, u. a.:
- 1971, die Republik Südafrika verstößt gegen den Beschluss zur Aufgabe der Besetzung Namibias.
- 1973, Frankreich verstößt gegen eine einstweilige Verfügung der Richter im Zusammenhang mit den damaligen oberirdischen Atomwaffentests auf dem Mururoa-Atoll im Pazifik.
- Marokko ließ kein Referendum über die staatliche Zugehörigkeit der ehemaligen spanischen Kolonie West-Sahara ausrichten, das jedoch im Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1975 empfohlen wurde.
- 1984, die USA erklären das Gericht im Fall „Militärische und paramilitärische Aktivitäten in und gegen Nicaragua“ für nicht zuständig, da eigene Sicherheitsbelange einer Anerkennung des Urteils entgegenstünden.
- 2006 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in der Entscheidung Sanchez-Llamas v. Oregon in ausdrücklicher Abweichung von der Rechtsprechung des IGH im Avena-Fall (Mexiko gegen Vereinigte Staaten) die Anwendung von Präklusionsvorschriften des amerikanischen Rechts bestätigt, die eine Geltendmachung der Verletzung der Pflicht zur Information über konsularischen Schutz gegenüber Ausländern in zweiter Instanz oder in Verfahren vor Bundesgerichten praktisch unmöglich machen.
Bisherige Verfahren
Unter Beteiligung deutschsprachiger Staaten
Deutschland rief den IGH bisher viermal an. Im ersten Verfahren (1967–69 unter Beteiligung Dänemarks<ref>North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Denmark)</ref> und der Niederlande<ref>North Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Netherlands)</ref>) ging es um Schürfrechte im Festlandsockel unter der Nordsee. Im zweiten Fall (1972–74; Gegner war hier Island) wurde über das Fischereiwesen geurteilt.<ref>Fisheries Jurisdiction (Federal Republic of Germany v. Iceland)</ref> Das dritte Verfahren war der „Fall LaGrand“ gegen die Vereinigten Staaten (1999–2001).<ref>LaGrand (Germany v. United States of America)</ref> Im vierten Verfahren reichte Deutschland 2008 Klage gegen Italien ein, weil Deutschland von italienischen Gerichten zu Entschädigungsleistungen wegen NS-Verbrechen verurteilt worden war. Griechenland war dem Verfahren 2011 beigetreten, da auch griechische Gerichte Deutschland wegen NS-Verbrechen zu Entschädigungen verurteilt hatten, die Vollstreckung dieser Urteile aber nicht in Griechenland, sondern nur in Italien zulässig war. Der Gerichtshof erkannte 2012 auf eine Verletzung der Immunität Deutschlands durch Italien – auch wegen der Vollstreckung der griechischen Forderungen. Italien wurde darüber hinaus vom IGH dazu verurteilt, die Gerichtsentscheidungen, die gegen Deutschland ergangen waren, außer Kraft zu setzen.<ref>Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening)</ref>
Als beklagte Partei war Deutschland bisher zweimal an Verfahren beteiligt. 1999–2004 ging es um den Kosovo-Konflikt.<ref>Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Germany)</ref> Gegenstand der 2001 vom Fürstentum Liechtenstein eingereichten Klage<ref>Certain Property (Liechtenstein v. Germany)</ref> war der Umgang mit liechtensteinischem Vermögen auf dem Territorium der früheren Tschechoslowakei, das im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als deutsches Auslandsvermögen behandelt und zur Begleichung deutscher Kriegsschulden genutzt worden sei. Das Verfahren endete 2005 mit der Entscheidung, dass die Ansprüche Liechtensteins nicht gegen Deutschland zu richten seien. Der während des Verfahrens am Gerichtshof amtierende deutsche Richter Bruno Simma nahm wegen persönlicher Befangenheit nicht an der Entscheidung teil, da er zuvor als Rechtsberater der deutschen Regierung in diesem Fall tätig war. Anstelle von Simma war Carl-August Fleischhauer, der bis 2003 am Gericht gewirkt hatte, in diesem Verfahren Ad-hoc-Mitglied des Gerichts.
Liechtenstein war bisher an zwei<ref>Certain Property (Liechtenstein v. Germany) (s.o.); Nottebohm (Liechtenstein v. Guatemala) (1951–55)</ref> und die Schweiz an drei<ref>Interhandel (Switzerland v. United States of America) (1957–59); Status vis-à-vis the Host State of a Diplomatic Envoy to the United Nations (Commonwealth of Dominica v. Switzerland) (2006); Jurisdiction and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters (Belgium v. Switzerland) (2009-2011)</ref> Verfahren beteiligt. Österreich und Luxemburg sind vor dem IGH noch nicht in Erscheinung getreten.
International bedeutsame Fälle
- Beschwerde der USA 1980 wegen der Inhaftierung amerikanischer Diplomaten im Iran<ref>http://www.icj-cij.org/docket/files/64/6291.pdf</ref>
- Streit zwischen Tunesien und Libyen über die Abgrenzung des Festlandsockels zwischen ihnen<ref>http://www.icj-cij.org/docket/files/71/6527.pdf</ref>
- Beschwerde von Pakistan im Namen der Bevölkerung von Kaschmir<ref>http://www.icj-cij.org/docket/files/60/11625.pdf</ref>
- Streit über den Verlauf der Seegrenze zwischen den USA und Kanada im Golf von Maine<ref>http://www.icj-cij.org/docket/files/67/6369.pdf</ref>
- Beschwerde der Bundesrepublik Jugoslawien gegen die Mitgliedsstaaten der NATO wegen deren Handelns im Kosovo-Krieg (abgelehnt am 15. Dezember 2004 wegen Unzuständigkeit, weil Jugoslawien zur Zeit der Antragstellung keine Partei des IGH-Statut war)<ref>http://www.icj-cij.org/docket/index.php?pr=371&code=yus&p1=3&p2=3&p3=6&case=114&k=25</ref>
- Beschwerde der Republik Mazedonien, dass Griechenland durch sein Veto gegen Mazedoniens Beitritt zu NATO und EU das Interimsabkommen vom 13. September 1995 zwischen den beiden Ländern<ref>No. 32193 (Memento vom 18. Dezember 2008 im Internet Archive)</ref> verletzt habe<ref>http://www.icj-cij.org/docket/files/142/16841.pdf</ref>
Mitglieder
Die 15 Richter des Gerichts, die alle unterschiedlicher Nationalität sein müssen, werden gemeinsam von der UN-Generalversammlung und dem UN-Sicherheitsrat für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt, wobei eine spätere Wiederwahl möglich ist. Die Amtszeit der Richter endet am 5. Februar des angegebenen Jahres. Bei der Wahl achten die Staaten auf eine vorher in Form von Verständigungen festgelegte geografische Repräsentation der fünf Weltregionen. Das bedeutet, dass nach einer bestimmten Rotation freie Richterstellen durch Kandidaten aus einer Region besetzt werden. Alle drei Jahre wird ein Drittel der Richter neu gewählt. Bei ihrer Rechtsprechung vertreten die Richter nicht ihr Land, sondern müssen völlig unabhängig urteilen. Maßstab ist das Völkerrecht.
Wenn bei einem Rechtsstreit kein Staatsangehöriger eines beteiligten Staates Mitglied des Gerichts ist, kann auf Antrag ein von diesem Staat vorgeschlagener Richter ad hoc am Verfahren teilnehmen. Dann erhöht sich die Anzahl der Mitglieder auf bis zu 17.
Seit dem 6. Februar 2015 gehören dem Internationalen Gerichtshof folgende Richter an:
- Ronny Abraham, Frankreich (bis 2018), Präsident (bis 2018)
- Abdulqawi Ahmed Yusuf, Somalia (bis 2018), Vizepräsident (bis 2018)
- Hisashi Owada, Japan (bis 2021)
- Peter Tomka, Slowakei (bis 2021)
- Mohamed Bennouna, Marokko (bis 2024)
- Antônio Augusto Cançado Trindade, Brasilien (bis 2018)
- Christopher Greenwood, Vereinigtes Königreich (bis 2018)
- Xue Hanqin, Volksrepublik China (bis 2021)
- Joan E. Donoghue, Vereinigte Staaten (bis 2024)
- Giorgio Gaja, Italien (bis 2021)
- Julia Sebutinde, Uganda (bis 2021)
- Dalveer Bhandari, Indien (bis 2018)
- Patrick Lipton Robinson, Jamaika (bis 2024)
- James Crawford, Australien (bis 2024)
- Kirill Geworgjan, Russland (bis 2024)
Präsidenten
Literatur
(chronologisch)
- Hans Wehberg (1918): The Problem Of An International Court Of Justice. At The Clarendon Press. Volltext auf Archive.org
- Arthur Eyffinger, Arthur Witteveen, Mohammed Bedjaoui: La Cour internationale de Justice 1946–1996. Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag und London 1999, ISBN 90-411-0468-2
- Shabtai Rosenne: The World Court: What It is and How It Works. 6. Auflage, Nijhoff, Leiden 2003, ISBN 90-04-13633-9
- Constanze Schulte: Compliance with Decisions of the International Court of Justice. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-927672-2
- Moritz Karg: IGH vs. ISGH. Die Beziehung zwischen zwei völkerrechtlichen Streitbeilegungsorganen. Nomos, Baden-Baden 2005, ISBN 3-8329-1445-5
- Andreas Zimmermann u. a. (Hrsg.): The Statute of the International Court of Justice: A Commentary. Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 0-19-926177-6
Weblinks
- Offizielle Website des Internationalen Gerichtshofs (französisch/englisch)
- Einzelheiten zur Geschichte des Gerichtshofs dort unter der Rubrik „History“ (englisch)
- kalenderblatt.de: Internationaler Gerichtshof gegründet
- Statut des Internationalen Gerichtshofs
- Statut des Internationalen Gerichtshofs (deutsch)
Einzelnachweise
<references />
Generalversammlung | Sicherheitsrat | Wirtschafts- und Sozialrat | Treuhandrat | Internationaler Gerichtshof | Sekretariat
1946: Resolution 9 | Resolution 11 | 1999: Resolution 1278 | 2010: Resolution 1914 | Resolution 1926
Rechtshinweis | Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten! |
Koordinaten: 52° 5′ 12″ N, 4° 17′ 44″ O{{#coordinates:52,0866|4,2955|primary
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