Kriegsherr


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Kriegsherr war im veralteten deutschen Sprachgebrauch der Monarch, wenn er das Recht zur Kriegserklärung aus eigenem Entschluss hatte.<ref> So noch Brockhaus Konversations-Lexikon, Bd. 10, Leipzig 1894.</ref> Daraus auf Umwegen abgeleitet und mit neuer Wortbedeutung bezeichnet „Kriegsherr“ (englisch Warlord) heute einen militärischen Anführer, der in einem mehr oder weniger begrenzten Gebiet, das zumeist formal Teil eines größeren Staates ist, politische Macht ausübt. Seine Stellung beruht in der Regel auf keinen formalen Vollmachten, sondern auf der Möglichkeit, aufgrund der ihm geltenden Loyalität bewaffneter Verbände Macht bzw. Herrschaft auszuüben. Charakteristisch ist daher eine hohe Instabilität, da es einem warlord letztlich an Legitimität mangelt und er aus diesem Grund in hohem Maße von (meist militärischen) Erfolgen und Machtdemonstrationen abhängig ist. Ein solcher „Kriegsherr“ bzw. warlord ist daher nicht mit einem „Feldherrn“, einem Kommandeur einer großen regulären Truppe, zu verwechseln.

In der Funktion als Inhaber der höchsten Befehls- und Kommandogewalt (Oberbefehl) über die gesamten Streitkräfte des Deutschen Reiches wurde der deutsche Kaiser als „Oberster Kriegsherr“ bezeichnet.<ref>Wilhelm Deist: Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr. In: Wilhelm Deist: Militär, Staat und Gesellschaft. München: Oldenbourg, 1991, ISBN 3-486-55920-6 (broschiert), ISBN 3-486-55919-2 (Gewebe), S. 2.</ref>

Definition

Warlord mit Kriegsherr zu übersetzen, ist zwar linguistisch korrekt, jedoch inhaltlich unvollständig. Der „Warlord“ ist mehr als ein Condottiere. Korrekter wäre die Übersetzung mit Kriegsfürst. Sie ist aber irreführend, weil Warlords keinem Adelsgeschlecht entstammen und nicht ausschließlich vom Kriegshandwerk leben, sondern auch in legalen und illegalen Wirtschaftszweigen aktiv sind.<ref>Conrad Schetter: Kriegsfürstentum und Bürgerkriegsökonomien in Afghanistan. (PDF; 720 kB). In: Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Außenpolitik, AIPA 3/2004. S. 3f. Abgerufen am 8. November 2010.</ref>

Im China der Ersten Republik (1912–1949) wurde der englische Begriff warlord in der heutigen Bedeutung geprägt.<ref>Vgl. einführend David Bonavia: China's Warlords. Hong Kong 1995.</ref> Teile des chinesischen Festlands wurden von Kriegsherrn kontrolliert, die die Autorität der formell existierenden Zentralregierung in Nanjing nicht oder nur bedingt anerkannten, sondern mit Hilfe eines militärischen Anhangs Gebiete oft wechselnder Größe kontrollierten.

Heute wird der Begriff des Kriegsherrn in allgemeinerem Sinne verwendet. Üblicher ist inzwischen auch im Deutschen die Verwendung des englischen Begriffs.

Warlords sind oft vor allem auf die lokale Kontrolle und Sicherung ihres Machtbereiches bedacht. Ein Warlord kann nur dann seine Position erreichen, wenn das Gewaltmonopol des Staates (zumindest lokal) zusammenbricht (Staatszerfall). Diese Situation tritt oft im Zusammenhang mit Bürgerkriegen auf; aber auch der Fall eines Machtvakuums, etwa nach einem Krieg oder dem Abzug von Besatzungstruppen, schafft die Bedingungen, unter denen Kriegsherren möglich werden. Bei Erfolg entwickeln sie sich unter Vernachlässigung ursprünglicher Ziele regelmäßig zu „Gewaltunternehmern“ (Georg Elwert). Elwert hat demgemäß das Aufkommen von Kriegsherren unter dem Gesichtspunkt der Entstehung von „Gewaltmärkten“ in „zerfallenden Staaten“ untersucht.<ref>Vgl. Georg Elwert: Markets of Violence. In: Georg Elwert, Stephan Feuchtwang, Dieter Neubert (Hrsg.): Dynamics of Violence. Processes of Escalation and De-Escalation in Violent Group Conflicts. Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 85–102.</ref>

Historische Beispiele für Kriegsherren/Warlords

China

Das China in der Zeit der Drei Reiche – ca. 220 bis 280 n. Chr. – war von Kriegsherren geprägt, ehemaligen Kommandeuren und Beamten, die nach dem Zerfall der Han-Dynastie die Macht in ihren Provinzen übernahmen und diese als Machtbasis nutzten, um ihren Einfluss zu erweitern. Die Periode wurde auch literarisch verarbeitet. Der klassische chinesische Roman „Die Geschichte der drei Reiche“ ist eines der bedeutsamsten Werke der chinesischen Literatur und bis heute eines der beliebtesten.

Im China der Ersten Republik (1912–1949) waren diese Kriegsherren in der Regel im Beamtenapparat aufgestiegene Angehörige der Gentry (niederer Land-Adel), die insbesondere in der Republik-Zeit (Herrschaft der Nationalpartei, chin. Guomindang, 1912–1949) als Gouverneure mehr oder weniger selbständig und mit eigener Hausmacht über Provinzen oder Teilgebiete Chinas herrschten. So z. B. herrschten Liu Wenhui über Sichuan, die Provinz, die sich östlich an Tibet anschließt, und der muslim-chinesische Hui-Gouverneur Ma Bufang in Amdo / Qinghai. Als eigentliche Periode der Kriegsherren gelten die Jahre 1916–1927. Nach dem Tod des chinesischen Diktators Yuan Shikai zerfiel die Autorität der Zentralregierung dermaßen, dass sie faktisch auf die Kontrolle der Hauptstadt Peking beschränkt war. Derjenige Kriegsherr, der Peking dominierte, stellte somit auch die Zentralregierung. Mit dem Nordfeldzug der Guomindang 1927 einigte Chiang Kai-shek das Land zwar formell unter der neuen nationalchinesischen Regierung in Nanjing. Faktisch wechselten aber viele Kriegsherren einfach die Seiten anstatt wirklich militärisch besiegt zu werden. Bis zu Beginn des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges 1937 gelang es der Nationalregierung nur begrenzt die lokalen Machthaber unter Kontrolle zu bringen. Diese reagierten auf derartige Versuche immer wieder mit Aufständen, und der Kriegsherr Zhang Xueliang, auch als „Junger Marschall“ bekannt, unternahm es am 12. Dezember 1936 gar, den Staatspräsidenten Chiang Kai-shek zu entführen.

Japan

In Japan war die Sengoku-Zeit von 1477 bis 1600 ebenfalls durch streitende Kriegsherren dominiert. Bedeutende Warlords waren Oda Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi, Ieyasu Tokugawa und Takeda Shingen.

Spätantike

In der neueren historischen Forschung werden im Rahmen der Betrachtung des zusammenbrechenden weströmischen Reichs in der ausgehenden Spätantike mehrere römische und nichtrömische Machthaber (wenngleich der Begriff an sich anachronistisch ist) als „Warlords“ bezeichnet. Damit soll vor allem zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um keine rechtlich legitimierte, sondern um eine rein auf militärische Macht basierte Herrschaftsausübung handelte und diese Personen auch nicht etwa als Gegenkaiser auftraten, sondern sich anfangs in die Matrix der römischen Staatlichkeit einzuordnen suchten. Im 5. Jahrhundert kam es in Westrom aufgrund der zunehmenden Schwäche der kaiserlichen Zentralgewalt<ref>Vgl. dazu Henning Börm: Westrom. Stuttgart 2013.</ref> zur Etablierung von lokalen Machthabern, die illegitim und auf militärische Macht gestützt Herrschaft in begrenzten Territorien des zusammenbrechenden Reiches ausübten. Darunter sind Römer wie Aegidius (gest. 464), Marcellinus (gest. 468) und Syagrius (~464 bis ~486),<ref>Vgl. Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford 2002.</ref> aber auch Nichtrömer wie Geiserich und Chlodwig<ref>Bernhard Jussen: Chlodwig und die Eigentümlichkeiten Galliens. Ein Warlord im rechten Augenblick. In: Mischa Meier (Hrsg.): Sie schufen Europa. Historische Portraits von Konstantin bis Karl dem Großen. München 2007, S. 141–155.</ref> zu nennen, wobei letztere teils auch gleichzeitig als Heerkönige angesehen werden. Einigen von ihnen gelang es, nach dem Zusammenbruch Westroms stabile Reiche zu bilden: aus diesen spätantiken warlords wurden schrittweise mittelalterliche Könige.

Warlords in der Gegenwart

In der gegenwärtigen Diskussion bezeichnet „Warlord“ eine Person, die militärische wie zivile Kontrolle über ein Territorium besitzt. Diese Kontrolle ist nicht politisch legitimiert, sondern gestützt auf bewaffnete Einheiten, die nur dem Warlord gegenüber loyal sind. Das Auftreten von Warlords ist besonders in gescheiterten Staaten häufig zu beobachten. Beispiele für von Warlords dominierte Länder in der jüngsten Geschichte sind Somalia (Mohammed Farah Aidid, Ali Mahdi Mohammed) seit 1991, Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo der Sudan, Syrien und Libyen. Aber auch andere Länder der Dritten Welt kennen Kriegsherren, wenn auch in geringerem Ausmaße.

Ein Warlord beherrscht als „Gewaltunternehmer“<ref>bpb-Glossar</ref> und alleiniger Machtinhaber ein mehr oder weniger regional abgegrenztes Gebiet, das sich innerhalb eines Staatsgebietes befindet. Dies ist nur möglich, wenn der Zentralstaat einem Warlord Autonomie zugesteht oder vielmehr nicht in der Lage ist, das staatliche Gewaltmonopol gegenüber dem Warlord durchzusetzen. Darum findet man Warlords oft in Krisen- bzw. Bürgerkriegsregionen.

Literatur

Anmerkungen

<references />