Leibeigenschaft
Die Leibeigenschaft oder Eigenbehörigkeit bezeichnet eine vom Mittelalter bis in die Neuzeit verbreitete persönliche Verfügungsbefugnis eines Leibherrn über einen Leibeigenen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 32</ref>
Leibeigene waren zu Frondiensten verpflichtet und durften nicht vom Gutshof des Leibherrn wegziehen. Sie durften nur mit Genehmigung des Leibherrn heiraten<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 125</ref> und unterlagen seiner Gerichtsbarkeit.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 139</ref> Meist waren Leibeigene auch Grundhörige und oft war der Grundherr zugleich der Leibherr des Bauern. Grundhörige bewirtschafteten Grund und Boden ihres Grundherrn (Inwärtseigen) und schuldeten ihm als Gegenleistung Naturalabgaben und Hand- und Spanndienste.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 35</ref> Die Leibeigenschaft verstetigte die Grundherrschaft, ähnlich wie die Erbuntertänigkeit, vergrößerte die Pflichten der Bauern und bewirkte eine doppelte Abhängigkeit der Bauern. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Handhabung und Zwecksetzung bildet die Leibeigenschaft keinen einheitlichen Rechtsbegriff.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 49</ref> Das Bild eines unter gleichförmigen Bedingungen vor sich hin vegetierenden Bauernstandes hat die Geschichtswissenschaft aufgegeben.<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 9</ref> Die Leibeigenschaft lag ihrer Ausgestaltung nach oft zwischen Sklaverei und Hörigkeit. Sklaverei und Leibeigenschaft sind heute gleichermaßen geächtet.<ref>Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken, Art. 7, hier auf den Seiten der Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft.</ref> Leibeigenschaft in Form der Gutsherrschaft im ostelbischen Deutschland wurde aber wie Sklaverei empfunden und ihr gleichgesetzt.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 31</ref> Grundherrschaft und Leibherrschaft wurden in dem fast einhundertfünfzigjährigen Prozess der Bauernbefreiung abgelöst.<ref>Schneider: Bauernbefreiung. S. 61</ref>
Inhaltsverzeichnis
Wortherkunft
Das Wort stammt von der mittelalterlichen Formel mit dem lïbe eigen.<ref>Duden – leibeigen. Abgerufen am 28. August 2013. </ref> Erst im 14. Jahrhundert war die Formulierung in Umschreibungen der Unfreiheit aufgekommen (arme lüte die mit dem libe nit ir aigen sind) und wurde im 15. Jahrhundert formelhaft, wobei es das noch bis ins 16. Jahrhundert verwendete eigen verdrängte.<ref>Wörterbuchnetz – leibeigen. Abgerufen am 28. August 2013. </ref>
Bedeutung und einzelne Aspekte
Das Zusammenfallen von Grundherrschaft und Leibherrschaft, zu der auch die Gerichtsherrschaft, das Kirchenpatronat und die Polizeigewalt gehörte, ermöglichte beispielsweise in Schleswig und Holstein die Verstärkung der Grundherrschaft zur umfassenden Gutsherrschaft des ritterlichen Adels.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 85</ref> In Württemberg diente die Leibeigenschaft zur Einziehung des Mortuariums – des besten Stückes Vieh beim Tod des männlichen Leibeigenen und des Bestkleids beim Tod der weiblichen Leibeigenen<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 190</ref> und zum Aufbau einer landesherrlichen, frühstaatlichen Territorialherrschaft des höheren Adels, aber nicht zur Bindung des Leibeigenen an eine frühkapitalistische Gutswirtschaft.<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 31</ref> Die Todfallabgaben wandelten sich im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu Geldabgaben.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 120.</ref>
Die Leibeigenschaft wird heute nur noch durch Urkunden vermittelt. Eine typische Formulierung zur Bezeichnung der Leibeigenschaft in einem Kaufvertrag des Jahres 1363 lautet: „beide, luete und gutter und alle andre aygen luete und gueter, ez sin zinsluete, eigenluete oder vogtluete, die in vorbenannte statt, doerffer und wiler und darzue gehoeren.“<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 23</ref>
Die Beteiligten
Grundherren waren hoher und niedriger Adel, Klöster,<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 20</ref> Fürstbistümer, Domkapitel oder Städte.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 108</ref>
Es gab verschiedene Gruppen von Leibeigenen; zu den privilegierteren gehörten die Hufner, denen Grundstücke verschiedener Größen überlassen waren: Voll- Halb- und Viertelhufner. Sie waren grundhörig und hatten ein widerrufliches Besitzrecht an dem ihnen zur Bewirtschaftung überlassenen Boden. Sie waren auch frondienstpflichtig, aber nicht eigenhändig, und durften ihre Insten auf die Güter schicken. Der Hufner hatte selbständig zu wirtschaften, war Unternehmer und konnte es zu einem bescheidenen Wohlstand bringen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 103</ref>
Die Insten waren Leibeigene des Gutsherrn und Bedienstete des Hufners. Sie arbeiteten für ihn und leisteten die Frondienste des Hufners auf dem Gutshof eigenhändig ab. Sie hatten als Instenwohnung einen winzigen Grundbesitz zur Selbstversorgung, den Kohlhof.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 104</ref> Zum Gesinde, das auch auf dem Gutshof wohnte und arbeitete, gehörten Jungen, Knechte und Mägde bis zum Großknecht. Sie waren nur Kümmerexistenzen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 107</ref>
Ein Fundament der Leibeigenschaft und der Gutswirtschaft war die Gerichtsherrschaft.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 140 </ref> Die Gerichtsherrschaft erstreckte sich auf die Straf- und die Zivilgerichtsbarkeit; hinzu kam noch die Polizeigewalt des Gutsherrn.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 131 </ref> Ein weiterer Schwerpunkt der Leibeigenschaft waren die Dienstverpflichtungen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 109</ref>
Die Dienstverpflichtungen
Die Hufner arbeiteten nur auf ihren eigenen Hufen, die Insten und das Gesinde auf dem Land des Gutes. Der Hufner hatte als Grundhöriger die Naturalabgaben zu leisten und die Bespannung bereitzustellen (Rossfron). Geschuldet waren hauptsächlich landwirtschaftliche Arbeiten.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 115-117</ref> Zu den Spanndiensten gehörten das Pflügen und Eggen, aber auch Baufuhren und Kriegsfuhren. Das Bereithalten von Zugtieren (zum Beispiel Pferde und Ochsen) bedeutete auch, dass der Hufner mehr Zugtiere ernähren musste als er selbst brauchte. Zwischen 1733 und 1804 scheiterten die Versuche des Besitzers eines Rittergutes in Sachsen, den grundhörigen Bauern eine Verpflichtung zum Abbau von Steinkohlen aufzuerlegen. In Sachsen erstreckte sich das Bergregal nicht auf die Steinkohle.<ref>Reichel/Schauer, Döhlener Becken, S. 190</ref>
Die Fronen waren ungemessen; als angemessen galt die jeweils bisherige Übung. Geschriebenes Recht zur Bemessung der Fronen gab es nicht.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 115-117</ref> Wer die Arbeiten nicht nach den Vorstellungen des Gutsherrn ausführte, konnte ohne Inanspruchnahme eines Gerichts körperlich gezüchtigt werden. Das Züchtigungsrecht war keine Kriminalstrafe, sondern Ausfluss der Dienstberechtigung des Gutsherrn.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 117</ref>
Leibeigene konnten Eigentum erwerben und vererben. Es beschränkte sich meist auf bewegliche Habe. Leibeigene konnten bei Gutswirtschaft einen bescheidenen Wohlstand erreichen, aber kein Vermögen erwerben. Darlehensverpflichtungen durften Leibeigene nicht auf sich nehmen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 120 f. </ref> Nur mit Einwilligung des Gutsherrn konnten Leibeigene ein Handwerk ausüben.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 124</ref> Leibeigene konnten öffentliche Ämter bekleiden, wie das des Schultheißen einer mittleren Stadt. Auch dort, wo die Leibeigenschaft der Territorialstaatsbildung diente, wurde die Bezeichnung „Leibeigener“ als Schimpfwort aufgefasst.<ref>Ulbrich: Leibherrschaft. S. 176</ref>
Örtliche Bindung an Grund- und Leibherrn
Heiraten durften Leibeigene nur mit Genehmigung des Gutsherrn und gegen eine Heiratsabgabe. Ohne Trauschein des Gutsherrn durften Pfarrer keine kirchlichen Trauungen vornehmen. Damit eine Ehe gegen den Willen des Gutsherrn nicht erzwungen werden konnte, war Geschlechtsverkehr unter Ledigen verboten. Die Eheschließung alleine ließ auch die Leibeigenschaft nicht wegfallen.<ref>Ullmann: Holsteinische Leibeigene. S. 110, 125</ref> In Württemberg durften Leibeigene eines Leibherrn untereinander heiraten.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 195</ref> Überwiegend war die „ungenoßsame“ Ehe mit Leibeigenen eines anderen Leibherrn verboten. Bei der Frau bestand die Gefahr, dass sie mit dem Ehemann abzog, und dem Leibherrn die Erwartung auf die Kinder entging. Die Ehe war allerdings nicht unwirksam, sondern wurde mit einer Geldstrafe in Höhen des entgangenen Vorteils oder höher bestraft.<ref>Ulbrich: Leibherrschaft. S. 157</ref> Besonders in Orten mit mehreren Herren veranlassten die Eheverbote die bäuerliche Bevölkerung zur Ablehnung der Leibeigenschaft.
Ein Wegzug vom Gut ohne Einwilligung des Gutsherrn war in Schleswig und Holstein nicht vorgesehen. Der Gutsherr hatte gegenüber Dritten ein Wiedereinforderungsrecht am Leibeigenen. Zwischen Territorialherren bestanden Auslieferungsverträge und andere Adlige<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 197 f. </ref>, Städte, und Handwerkszünfte durften nur Leibeigene aufnehmen, die einen Freibrief des Gutsherrn vorweisen konnten.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 110</ref> In Württemberg wiederum gab es mehrfach neue Regeln: 1455 schien Wegzugsfreiheit geherrscht zu haben; der Wegziehende musste sich lediglich verpflichten, eine Mannsteuer zu bezahlen.<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 88</ref> 1523 betrug die Mannsteuer in einem Falle 36 Heller (In Schwäbisch Hall geprägte Silberpfennige).<ref>Keitel: Herrschaft über Land und Leute. S. 89</ref> 1495 gab es ein Wegzugsverbot aus dem Herrschaftsbereich des Leibherrn<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 183</ref>, 1514 eine allgemeine Erlaubnis zum Wegzug mit zwanzigjähriger Übergangsfrist.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 224</ref> 1520 wurde diese Erlaubnis vorgezogen<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 225</ref>, 1537 wurde sie wieder zurückgenommen.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 227</ref> 1551 wurde das Wegzugsrecht neu zugesagt<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 229</ref> und 1598 endgültig zurückgenommen.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 229</ref> Das Wegzugsrecht bedeutete aber nicht, dass das Leibeigentum endete oder durch eine fremde Ortsherrschaft gebrochen wurde; es galt in Süddeutschland vielmehr der Grundsatz der Vorrangigkeit der Leibeigenschaft.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 209</ref> Abgaben des Leibeigenen, wie die Mannsteuer, durfte der Leibherr auch in ihm nicht gehörigen Orten einnehmen. Die Leibhennen, mit denen die Leibeigenschaft jährlich von neuem anerkannt wurde, wurden mit hohem Verwaltungsaufwand von Hühnervögten als „Fasnachthennen“ außerhalb der Grundherrschaft und Ortsherrschaft eingezogen und im Hühnerbuch eingetragen<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 240</ref>, ebenso die Mannsteuer.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 93</ref>
Die Altersversorgung der Hufner gewährte der Gutsherr dadurch, dass der Hufner eine Altenteilskate auf seiner Hufe beziehen konnte, und sich selbst versorgen konnte.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 127</ref> Arzt- und Medizinkosten hatte der Gutsherr zu übernehmen, der Aufwand hierfür blieb gering. Wo ein Kloster ein Spital eingerichtet hatte, konnte der Abt verpflichtet sein, kranke Eigenleute ins Spital aufzunehmen.<ref>Ulbrich, Leibherrschaft, S. 301</ref>
Nach Aufkommen des Schulwesens wurde seitens des Gutsherrn eine gering ausgestattete Schule eingerichtet; auf Voll- und Halbhufner, Insten, Kätner und Handwerker wurde die Naturalvergütung und der geringe Geldbetrag für den Lehrer umgelegt. Das Gesinde hatte nichts zu bezahlen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 129</ref>
Verlust der Freiheit
Die Leibeigenschaft wurde durch die Geburt begründet; ausschlaggebend war der Stand der Mutter.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 132</ref> Hatte ein Witwer Kinder aus mehreren Ehen, konnte dies sogar zur Wegnahme von Kindern führen.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 193</ref>
Freie konnten in Unfreiheit geraten. Die „Verjährung“ des freien Standes trat ein, wenn sich ein Freier in einer Gegend niederließ, wo die ländliche Bevölkerung leibeigen war. Selbst frei geborene Kinder wurden leibeigen, wenn ihre Eltern nach der Geburt leibeigen wurden.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 133</ref> Wer sich als Freier nicht mehr wirtschaftlich halten konnte, konnte sich in Leibeigenschaft begeben. Um Wirksamkeit zu erlangen, musste diese Erklärung in einem Ergebebrief schriftlich abgegeben werden.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 133</ref> Auch Masseneide nach vorgefertigten Mustern kamen vor, mit denen Untertanen sich verpflichteten, sich dem Leibherrn mit Leib und Gut nicht zu entfremden, in Württemberg 1282/1283 und 1296/1297<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 179</ref>, und in Basel 1499.<ref>Ulbrich, Leibeigenschaft, S. 160</ref>
Die Aufhebung der Leibeigenschaft konnte durch Freilassung gegen Entgelt und nach Belieben des Gutsherrn erfolgen.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 135</ref> Die Abwesenheit vom Gut hatte die Verjährung des Leibeigentums zur Folge. Bei Ledigen betrug die Frist 31 Jahre, sechs Wochen und drei Tage; bei Verheirateten zehn Jahre.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 135</ref>
In Württemberg kam es in Ausnahmefällen zum Austausch von Leibeigenen zwischen einzelnen Leibherren, insbesondere in angrenzenden Territorien.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 224</ref> Ein Wechsel kam auch auf Initiative von Leibeigenen vor, meist wenn sie heiraten und deshalb wegziehen wollten, aber kein Geld für einen Freikauf hatten.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 216</ref>
Leibeigene konnten mit Gütern und auch einzeln verkauft werden. Meist verkaufte verarmender niedriger Adel Leibeigene an solventen höheren Adel.<ref>Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 214</ref>
Von der Leibeigenschaft zu unterscheiden ist das Heuerlingswesen.
Abgrenzung von Sklaverei und Leibeigenschaft
Zur Abgrenzung der Sklaverei von der Leibeigenschaft gibt es im Wesentlichen drei Auffassungen, nämlich die der Unterschiedlichkeit, der Ähnlichkeit und der Identität von beiden.
Unterschiedlichkeit
Der historische Materialismus geht von einer entwicklungsgeschichtlichen Unterschiedlichkeit aus. Danach gehörte unter dem System der Sklaverei das gesamte erarbeitete Produkt dem Eigentümer des Sklaven, und dieser gab dann dem Sklaven soviel davon ab, dass er am Leben bleiben konnte. Unter dem Feudalismus geht zunächst dem Leibeigenen oder Grundhörigen das gesamte Produkt seiner Arbeit zu, jedoch muss er einen Teil an Sachgut oder Geld an den Feudalherrn abgeben. Dies bedeutet, dass nicht nur der Unterdrücker und Ausplünderer, sondern auch der Unterdrückte und Ausgeplünderte am Produkt beteiligt ist. Das Mehrprodukt geht mehr oder weniger an den Feudalherrn, aber die Tatsache, dass ein Teil des Produkts dem Hörigen zu Recht zukommt, und dieser Teil vielfach durch höhere Arbeitsleistung erhöht werden kann, macht das feudale System zu einem fortschrittlichen gegenüber dem antiken und erlaubt überhaupt zunächst seine Existenz.<ref>Kuczynski: Wirtschaftsgeschichte I. S. 117 bis 119</ref>
Die in Mecklenburg, Vorpommern und Holstein herrschende Unterdrückung der Bauern im 18. Jahrhundert, die Lenin „Leibeigenensklaverei“ nenne, sei charakteristisch für die Phase des Niedergangs des Feudalismus.<ref>Kuczynski: Wirtschaftsgeschichte I. S. 207 f.</ref> Diese Phase sei aber nur eine Art konterrevolutionärer Nachgeburt des Feudalismus<ref>Kuczynski: Wirtschaftsgeschichte I. S. 119</ref> und nicht wesensbestimmend.
Ähnlichkeit
Auch internationale Verträge und nationale Strafvorschriften, die diese umsetzen, gehen von der Verschiedenheit von Sklaverei und Leibeigenschaft aus, ordnen aber die gleiche Rechtsfolge an, nämlich ein absolutes Verbot. Nach dem Sklavereiabkommen vom 25. September 1926<ref>BGBl 1972, II, S. 1096</ref> ist Sklaverei der „Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden.“ Erst dreißig Jahre später fügt das Zusatzübereinkommen vom 7. September 1956 über die Abschaffung der Sklaverei<ref>BGBl 1958 II, S. 203 ff.</ref> die Legaldefinition für die Leibeigenschaft hinzu: „Leibeigenschaft ist die Lage oder Rechtstellung einer Person, die durch Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung verpflichtet ist, auf einem einer anderen Person gehörenden Grundstück zu leben und zu arbeiten und dieser Person bestimmte entgeltliche oder unentgeltliche Dienste zu leisten, ohne ihre Stellung selbständig ändern zu können.“<ref>BGH, Urteil vom 11. Mai 1993, 1 StR 896/92 zu § 234 StGB</ref>
Vom Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft sprechen Art. 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 und Art. 4 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention,<ref>BGBL 1952 II, S. 686; 1968 II, S. 1116</ref> ebenso Art. 5 Abs. 1 der 2009 ratifizierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union.<ref>Amtsblatt 2007, C 303/01 vom 14. Dezember 2007</ref> Eine Strafvorschrift zu Sklaverei und Leibeigenschaft enthält seit 1866 mit fast demselben Wortlaut der durchgehend gleich gezählte § 234 des Strafgesetzbuchs des Norddeutschen Bundes, des Deutschen Reichs und der Bundesrepublik Deutschland.
Identität
Die Identität von Leibeigenschaft und Sklaverei vertrat die öffentliche Meinung ab dem 18. Jahrhundert<ref>Schneider: Bauernbefreiung. S. 7</ref>, und auch Art. 148 des Zweiten Teils, 7. Titels, vierten Abschnitts des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 spricht davon, dass „die ehemalige Leibeigenschaft, als eine Art der persönlichen Sklaverey, auch in Ansehung der unterthänigen Bewohner des platten Landes nicht mehr statt findet.“
Geschichte
Entstehung
Schon im Altertum war bei den germanischen Stämmen der Unterschied zwischen Freien und Unfreien ausgeprägt. Die Entstehungsgründe der Unfreiheit waren Kriegsgefangenschaft oder Unterdrückung, die dann durch Geburt und Verheiratung weitergegeben wurde, und die freiwillige Ergebung, die bereits bei Tacitus Erwähnung findet.
Frühformen von Grundhörigkeit und Leibeigenschaft im Frankenreich
Im Fränkischen Reich bildeten sich unter den Freien verschiedene Stände, und es gab bereits zur Zeit der Merowinger unter den Unfreien verschiedene Abstufungen. Danach ließen sich drei Stufen der Unfreien unterscheiden, die Ministerialen, die zins- und dienstpflichtigen Leute, die Grundhörigen, und die eigentlichen Unfreien, deren vollständige Unfreiheit durch die Abstammung von unfreien Eltern, durch Verheiratung mit einem Unfreien und durch die gerichtliche Überweisung insolventer Schuldner oder Verbrecher an den Gläubiger oder an die Verletzten, aber auch durch freiwillige Unterwerfung unter die Schutzgewalt eines Leibherrn begründet wurde.
Die Grundhörigen wirtschafteten als selbständige Bauern auf dem Land eines Grundherrn und hatten als Gegenleistung für die Überlassung des Landes und den Schutz Geld, Ackerfrüchte, und teilweise Handwerksprodukte zu liefern. Sie waren zur Mithilfe auf dem Herrenhof und zu Spann- und Fuhrdiensten verpflichtet.<ref>Riche, Karolinger, S. 125</ref> Die Belastung war dabei von Grundherrschaft zu Grundherrschaft unterschiedlich.<ref>Riche, Karolinger, S. 124</ref> Leibeigene arbeiteten als Gesinde auf dem Lande des Grundherrn. Ein Teil von ihnen erhielt aber auch Bauernstellen; dies konnte für den Grundherrn billiger sein. So konnten Leibeigenschaft und Grundhörigkeit zusammenfallen. Der Leibeigene hatte wie ein selbständiger Bauer Grundabgaben und Frondienste zu leisten. Eine Entlassung aus der Leibeigenschaft war möglich.<ref>Riche, Karolinger, S. 124</ref>
Schon im 9. Jahrhundert begannen Grundherrschaft und Leibeigenschaft gehäuft zu werden, auch weil viele vormals Freie die Leibeigenschaft vorzogen, um sich der militärischen Dienstpflicht zu entziehen, die unter den Karolingern zunehmend in Anspruch genommen wurde. Viele freie Bauern schenkten und verkauften ihre Felder und Bauernstellen an adlige und klösterliche Großgrundbesitzer, um dem ansonsten geschuldeten Heeresdienst zu entgehen, und wurden auf diese Weise zu Grundhörigen.<ref>Lamprecht, Deutsche Geschichte, S. 86</ref> Der Anteil der Grundhörigen und Leibeigenen vergrößerte sich; der Anteil der Freien sank. In der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts verfiel die Geldwirtschaft und es wurden nur noch kleine Münzen geprägt. Der Verlust des Geldes hatte im kollektiven Bewusstsein und in der Wirklichkeit die Naturalwirtschaft zur Folge.<ref>Lamprecht, Deutsche Geschichte, S. 83</ref> Selbst königliche Amtsträger erhielten kein in Geld bemessenes Salär, sondern stattdessen Nutzungsrechte an Grundbesitz.<ref>Lamprecht, Deutsche Geschichte, S. 101</ref> Diesen brachten die Könige von den Freien im achten und neunten Jahrhundert an sich. Seinen Wert erhielt der Grundbesitz erst durch dauerhaft gebundene menschliche Arbeit, welche nicht in Geld entlohnte Knechte, Mägde, Tagelöhner und Schnitter zu leisten hatten, sondern Grundhörige und Leibeigene.
Leibeigenschaft in der organisierten Grundherrschaft
In manchen deutschen Territorien, darunter Mecklenburg, wurden nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges viele vorher freie oder hörige Bauern in die Leibeigenschaft gedrängt. Besonders in Mecklenburg kam es danach zum Bauernlegen großen Ausmaßes. Bauernhöfe wurden durch die ritterschaftliche Gutsherrschaft eingezogen und dem eigenen Grundbesitz einverleibt, die Bauern gerieten in Abhängigkeit. In Bern, Solothurn und Basel wurden zwischen 1500 und 1525 den Leibeigenen nach Bauernunruhen Freibriefe ausgestellt. Allerdings wurden sie schon 1532 veranlasst, ihre Freibriefe wieder zurückzugeben.<ref>Ulbrich, Leibherrschaft, S. 179</ref> Freilich schärfte sich in den Bauernkriegen der Blick dafür, dass ein gesellschaftliches Zusammenleben auch ohne Leibeigenschaft denkbar war. Vor allem die Heiratsbeschränkungen schürten den Unmut und waren eine wichtige Ursache für den Deutschen Bauernkrieg von 1524 bis 1526.
Von der Grundherrschaft zum Territorialstaat
In Süddeutschland wurde teilweise das Wegzugsrecht gewährt und mit dem Grundsatz kombiniert, dass eine fremde Grund- und Ortsherrschaft das Verhältnis zum Leibherren nicht bricht. Dies erlaubte, dass der Leibherr Rechte aus seiner Leibherrschaft wie einzelne Dienstberechtigungen und Besteuerungsrechte auf fremdem Territorium geltend machen konnte. Ein gegenseitiges „Nachjagerecht“ wurde zwischen Basel und Solothurn 1430 vertraglich vereinbart.<ref>Ulbrich, Leibherrschaft, S. 163</ref>
Hatte ein Grundherr viele Leibeigene anderer Herren auf seinem Territorium, so floss aus seiner Ortsherrschaft Steuer- und sonstige Leistungskraft ab. 1534 lebten in der habsburgischen Ortsherrschaft Rheinfelden 470 Leibeigene der benachbarten Stadt Basel, während nur 70 Rheinfelder Leibeigene in Basel wohnten. Dieser Zustand war für Basel vorteilhaft, denn seine Leibeigenen in Rheinfelden durften keinen Krieg gegen Basel führen und schieden für eine militärische Auseinandersetzung aus. Für Rheinfelden war der Abfluss an Leistungskraft so erheblich, dass es Basel die Leibeigenen gegen vier Dörfer abkaufte. Basel konnte auf diese Weise sein Territorium vergrößern. Die mindermächtigen Ortsherrschaften wurden durch fremde Leibeigene daran gehindert, geschlossene Verwaltungsräume zu schaffen. Die mächtigeren Ortsherrschaften konnten auf ihrem Gebiet im Laufe der Zeit immer mehr Hoheitsrechte bis hin zu Formen der Souveränität erwerben.<ref>Ulbrich, Leibherrschaft, S. 171 bis 178</ref>
Im 17. und 18. Jahrhundert, als die Heiratsbeschränkungen faktisch kaum mehr existierten, gab es nur noch wenig Widerstand gegen die Leibeigenschaft. Es konnte sogar vorkommen, dass Leibeigene Angebote zur Ablösung ihrer Leibeigenschaft ausschlugen, obwohl sie dazu finanziell ohne weiteres in der Lage gewesen wären. Vor allem in Gebieten mit starker territorialer Zersplitterung, z. B. in Oberschwaben, erwies sich der juristische Schutz als wichtige Absicherung. Da die Leibeigenschaft eine gegenseitige Verpflichtung war, konnte sie nicht gegen den Willen des Leibeigenen aufgekündigt werden. Wenn jemand nicht in der Lage war, die Todfallabgaben aufzubringen, zeigten sich die Herrschaften in aller Regel kulant, indem sie Nachlässe gewährten, ganz verzichteten oder die Todfallabgabe durch eine symbolische Handlung (z. B. Wallfahrt) abgelten ließen. Bei schlechten Ernten waren die Gutsherren verpflichtet, ihre Leibeigenen zu konservieren, d. h. zu unterhalten und wenn nötig mit neuem Saatgut zu versorgen. Der Leibeigenenmord von Bürau machte 1722 aber auch deutlich, wie rechtlos und den Launen ihrer Herren preisgegeben die Leibeigenen noch im 18. Jahrhundert waren: Der Gutsherr Heinrich Rantzau auf Bürau hatte die Frau, den Sohn und den Knecht eines vermeintlich straffälligen, aber entwichenen Untertanen totprügeln lassen. Dies muss allerdings als extreme Ausnahme gesehen werden, da der Grundherr auch für Rechtsverstöße gegen seine Untergebenen zur Rechenschaft gezogen werden konnte.
Ende der Leibeigenschaft/Eigenbehörigkeit
Im Zuge der Feudallastenablösung wurde die persönliche Leibeigenschaft in Deutschland ab Anfang des 19. Jahrhunderts meist als erste Feudalverpflichtung aufgehoben. Länger blieb die Grundherrschaft mit ihren Fronen und Naturalabgabeverpflichtungen erhalten, weil diese als Gegenleistung für die Nutzung des Bodens und der Höfe des Grundherrn angesehen wurden.<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 93</ref>
Ausgangspunkt der Feudallastenablösung war in Deutschland die Wahrnehmung des gesunkenen Wohlstandes nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763)<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 13</ref>, und den Missernten und Preissteigerungen in den Jahren 1771 und 1772.<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 60</ref> Die beiderseitigen Beschränkungen in den Rechtsverhältnissen zwischen Bauern und Feudalherren wurden für ein großes Hindernis für die Wiederherstellung der Landwirtschaft gehalten.<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 111</ref> Außerdem hatten praktische Versuche wie die des Hans Graf zu Rantzau bewiesen, dass die Bauernbefreiung auch für den Gutsherrn ökonomisch vorteilhaft war, weil durch Pacht ein sichereres Einkommen zu erlangen war als durch den Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte bei gleichzeitiger Unterhaltung der Leibeigenen auch bei Arbeitsunfähigkeit.
Die Ziele der Reformer waren unterschiedlich und teilweise gegenläufig. Die einen beabsichtigten, die schon bestehenden Güter zu einer kapitalistisch-großbetrieblichen, fast industriellen Landwirtschaft nach englischem Vorbild umzuformen. Die anderen wollten einen fest angesessenen, zahlreichen, wohlhabenden mittelständischen Vollbauernstand als Stütze und Hauptkraft des Landes.<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 116 f.</ref> Die Wirkung der Reformen lässt sich nicht eindeutig bestimmen, weil sich ab 1850 die nicht vorhergesehene Industrialisierung durchsetzte und einen großen Bedarf an Landesprodukten auslöste, ebenso einen großen Bedarf an Arbeitskräften, die in der Landwirtschaft freigesetzt wurden.<ref>Schneider, Bauernbefreiung, S. 118, 195</ref>
Die Aufhebung der Leibeigenschaft geschah unter anderem auch mit Freilassungsbriefen, die der jeweilige Landesherr an den Freizulassenden richtete. Teilweise wurde die Leibeigenschaft aber auch nur für ablösbar erklärt und es konnte entweder der Leibeigene oder für ihn der Staat die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigungssumme für die entgehenden Leistungen an den früheren Leibherren übernehmen. Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde das Verhältnis zum Gutsbesitzer häufig in einen Erbpachtvertrag umgewandelt.
Am längsten und am strengsten erhielt sich die Leibeigenschaft in Russland und Rumänien. In Russland wurde ihre Aufhebung erst unter Zar Alexander II. vorbereitet, nachdem frühere Versuche unter den Zaren Alexander I. und Nicolaus I. die Aufhebung nur wenig gefördert hatten. Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland erfolgte im Jahre 1861. In Rumänien wurde die Leibeigenschaft im Jahre 1863 abgeschafft. Freie Bauern in dem Sinne, keine Leibeigenen oder Eigenleute zu sein, waren in Tirol bereits im ausgehenden Mittelalter die gesellschaftliche Norm.
Leibeigenschaft in den deutschen Gebieten
Baden
1525 wurde die Leibeigenschaft, die zuvor schon weit zurückgetreten war, in Baden wieder eingeführt. 1783 folgte der badische Markgraf Karl Friedrich dem Vorbild Kaiser Josephs II. und hob die Leibeigenschaft in der Markgrafschaft Baden auf.
Braunschweig
Im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde die Leibeigenschaft 1433 aufgehoben.<ref>Bruchmachtersen, Engelnstedt, Salder, Lebenstedt „Ortschaft Nord“ in alten Ansichten, Beiträge zur Stadtgeschichte, Hrsg. vom Archiv der Stadt Salzgitter, Band 11, Salzgitter 1994, 1. Auflage: 1-3000, ISBN 3-930292-01-7, dort Seite 9 ff. Bruchmachtersen von Reinhold Försterling, Sigrid Lux unter Mitarbeit von Günter Freutel</ref>
Bayern
Im Königreich Bayern erfolgte die Aufhebung der Leibeigenschaft 1783 und mit der Verfassung von 1808.
Hannover
Im Königreich Hannover wurde sie 1833 aufgehoben.
Hessen
Im Großherzogtum Hessen wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft per Gesetz vom 25. Mai 1811 verordnet und zum 13. Juli 1813 rechtskräftig. Es wurde eine Entschädigungsleistung der ehemaligen Leibeigenen an die vormaligen Leibherren vorgesehen.<ref>Wilhelm Goldmann, Die Gesetzgebung des Grossherzogthums Hessen in Beziehung auf Befreiung des Grundeigenthums und der Person von alten drückenden Beschränkungen und Lasten. Verlag Carl Stahl, Darmstadt 1831, S. 106.</ref>
Schleswig und Holstein
1686 verurteilte der ehemalige Reichshofrat und Besitzer der holsteinischen adligen Güter Schmoel, Hohenfelde und Oevelgönne, Christoph von Rantzau als Gerichtsherr 18 seiner Untertanen wegen Hexerei zum Tode und ließ sie unter Missachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften hinrichten. Am 19. Juli 1688 stellte Christoph Rantzau für die Leibeigenen der drei ihm gehörenden Güter Freibriefe aus, wonach diese auf ewig freigelassen sein sollten. Die Freilassung konnte als Zeichen der Reue und Wiedergutmachung empfunden worden sein und Rantzau hätte diese Wirkung beabsichtigt haben können.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 236</ref> Am 6. September 1690 wurde Rantzau wegen gravierender Mängel beim Verfahren seiner Hexenprozesse zu einer Geldstrafe von 24.000 Reichstaler verurteilt.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 242</ref>
1695 verkaufte Rantzau alle drei Güter an seinen Standesgenossen Dernath und nahm im Kaufbrief die Freilassungsbestimmungen von 1688 zurück.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 242</ref> Das von den Schmoeler Leibeigenen deswegen angerufene, in Kiel und Rendsburg tagende Landgericht vertrat die Ansicht, dass der Kaufbrief von 1695 dem Freibrief vom 19. Juli 1688 vorgeht, und eine Untersuchungskommission auf Antrag der Leibeigenen von Schmoel feststellen soll, ob sie berechtigte Beschwerden außerhalb des Kaufbriefs hätten.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 283</ref> In weiteren Instanzen, darunter dem Reichskammergericht in Wetzlar, wurde die materielle Rechtslage nicht noch einmal untersucht und es blieb dabei, dass die Freilassungsbestimmungen von 1688 aufgehoben waren.<ref>Ullmann, Holsteinische Leibeigene, S. 410</ref>
Im Herzogtum Holstein war Hans Graf zu Rantzau der erste holsteinische Gutsherr, der für seine Bauern seit 1739 Schritt für Schritt die Leibeigenschaft auf Dauer abschaffte. Andere Gutsherren folgten seinem Vorbild. Im übrigen Holstein und im Herzogtum Schleswig wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft durch Beschluss der Ritterschaft in beiden Provinzen zu Anfang des Jahrs 1796 eingeleitet. Nach Aufforderung an sämtliche Gutsbesitzer wurde sie tatsächlich beschlossen, dem König angezeigt und durch die erfolgte Resolution vom 30. Juni 1797 sanktioniert, so dass mit Ende des Jahrs 1804 auch wirklich die völlige Aufhebung erfolgte.
Lippe
Am 27. Dezember 1808 unterschrieb die Fürstin Pauline zur Lippe die Verordnung zur Aufhebung der Leibeigenschaft im Fürstentum Lippe. Die Verordnung trat am 1. Januar 1809 in Kraft.
Mecklenburg
Im Mittelalter gab es in Mecklenburg ein selbständiges Bauerntum und es bestanden Erbpachthöfe. 1607 wurde den Bauern im ritterschaftlichen Landesteil auf dem Landtag in Güstrow das bisher gewohnheitsmäßig genutzte Erbzinsrecht abgesprochen. Bauernhufen gehörten fortan den Gutsherren der Ritterschaft, wenn der Bauer sein Erbzinsgerecht nicht schriftlich vorweisen konnte. Dies war jedoch nur selten möglich, da die Erbzeitpacht seit Jahrhunderten gewohnheitsrechtlich bestand und niemand sich gezwungen sah, Urkunden anzulegen. Die Verankerung der Leibeigenschaft in Mecklenburg begann nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, welcher den Grundstein zum völligen Niedergang des mecklenburgischen Bauernstandes legte. Nach dem Krieg versuchten die Herzöge die Wirtschaft des Landes, welche überwiegend aus der Landwirtschaft bestand, wieder aufzubauen. Allerdings konnte nur etwa ein Viertel der verlassenen und verwüsteten Bauernstellen wieder besetzt und bewirtschaftet werden. Die Gutsherren konnten sich leicht gegen den stark dezimierten und ökonomisch ruinierten Bauernstand durchsetzen und das Bauernrecht verschlechtern. Die weitgehende Entvölkerung des Landes führte zum Bauernlegen in großem Ausmaß – Bauernhöfe wurden durch die ritterschaftliche Gutsherrschaft eingezogen und dem eigenen Grundbesitz einverleibt. 1646 wurde die Mecklenburgische Gesindeordnung erlassen und 1654 erweitert, darin hieß es:
- „Von Bauersleuten und deren Dienstbarkeit und Ausfolgung.
- §1 Ordnen und setzen Wir, nachdeme die tägliche Erfahrung bezeuget, daß die Bauersleute und Untertanen, Mannes und Weibspersonen, sich diese Zeit vielfältig unterfangen, sich ohn ihrer Herren und Obrigkeit Verwissen und Bewilligung zusammenzugesellen, zu verloben und zu befreien, solches aber, weil sie ihrer Herrschaft dieser Unser Lande und Fürstentume kundbaren Gebrauche nach mit Knecht- und Leibeigenschaft samt ihren Weib und Kindern verwendet und daher ihrer Person selbst nicht mächtig, noch sich ohn ihrer Herren Bewilligung ihnen zu entziehen und zu verloben, einiger Maßen befüget. Daß wir demnach solches angemaßtes heimliches Verloben und Freien der Bauerleute gänzlich hiemit wollen verboten und abgeschaffet haben.“
Damit hatte der Bauernstand zum größten Teil seine Freiheit verloren und es kam zur rechtlichen Verankerung der Leibeigenschaft. Demnach durften die Bauern ihre Arbeitsstelle nicht mehr ohne Genehmigung des Gutsherrn verlassen. Eine Heirat war ebenfalls nur mit Genehmigung des Gutsherren möglich.
Im frühen 18. Jahrhundert erreichte der Konflikt zwischen dem Landesherrn und den Landständen einen neuen Höhepunkt. 1708 hatte der Mecklenburg-Schwerinische Herzog Friedrich Wilhelm eine „Consumptions- und Steuerordnung“ zur Überwindung der Kriegsfolgen sowohl des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) als auch schon des Nordischen Krieges (1700 bis 1721) eingeführt. Neben der Besteuerung der Ritterschaft und der Geistlichen beinhaltete die „Consumptions- und Steuerordnung“ die Abschaffung der leibeigenschaftlichen Abhängigkeit der Bauern von ihren Grundherren. Die Leibeigenschaft der Bauern sollte in eine Vererbpachtung umgewandelt, Frondienste sollten durch Geldleistungen ersetzt werden.
Sein Bruder und Nachfolger Karl Leopold suchte dies mit großer Härte gegen die Ritterschaft sowie gegen die mit ihr verbündete Seestadt Rostock durchzusetzen. Er forderte die Stände auf, ihm zum Aufbau eines stehenden Heeres zusätzliche Steuern zu bewilligen, zwang dann den Rostocker Rat zum Verzicht auf seine Privilegien und trieb seine Steuerforderungen gegenüber der Ritterschaft rücksichtslos ein. Mecklenburg-Schwerin war während des Nordischen Krieges Aufmarschgebiet und Kriegsschauplatz, und mit Hilfe eines stehenden Heeres beabsichtigte Karl Leopold den Aufenthalt fremder Truppen in Mecklenburg-Schwerin zu beenden.
Dadurch entstand ein scharfer Gegensatz zwischen dem Herzog und den Ständen.
Nach Klagen der mecklenburgischen Landstände vor Kaiser Karl VI. gegen Karl Leopolds Rechtsbrüche und autokratische Bestrebungen wurde 1717 die Reichsexekution gegen den Herzog verhängt. Da eine Beilegung des Konfliktes auch nach der Aufhebung der Reichsexekution (1727) zunächst misslang, wurde Karl Leopold schließlich 1728 vom Reichshofrat zugunsten seines Bruders Christian Ludwig II. abgesetzt.<ref>Pecar, Andreas: Tagungsbericht: Verfassung und Lebenswirklichkeit. Der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich von 1755 in seiner Zeit, Rostock 22. April 2005-23. April 2005</ref> In Mecklenburg-Strelitz bemühten sich die Landstände, den künftigen Thronfolger als Gewährsmann ihrer Sache zu gewinnen. Der Ausgang des Strelitzschen Thronfolgestreits von 1752/53 bewirkte die weitere Stärkung der Landstände.
Die politische und administrative Zersplitterung des Landes verschärft sich immer mehr. Die Macht der Herzöge ging immer mehr verloren und Leidtragender war wie stets die Bevölkerung.
Am 18. April 1755 wurde gemäß der Festlegungen des Hamburger Vergleichs von Herzog Christian Ludwig II., dem Regenten des Landesteils Schwerin, mit Vertretern der Landstände Landesgrundgesetzliche Erbvergleich (LGGEV) in Rostock abgeschlossen. Für den Landesteil Strelitz wurde der Vergleich am 11. Juli 1755 durch dessen Regenten, Herzog Adolf Friedrich IV. ratifiziert. Das 25 Artikel und 530 Paragraphen umfassende Vertragswerk bildete in der Folgezeit den Rahmen für alle gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in beiden mecklenburgischen Landesteilen und blieb als Grundgesetz der landesständischen Verfassung (in Mecklenburg-Schwerin mit kurzer Unterbrechung 1849/50) bis zum Ende der Monarchie 1918 geltendes Recht.
Der Abschluss des LGGEV stellte im Grunde einen Kapitulationsakt der fürstlichen Landesherrschaft in Mecklenburg dar. Christian Ludwig II. musste sich 1755 einem weitgehenden Verfassungsdiktat der Landstände beugen, die in diesem Vertragswerk vor allem ihre Rechtspositionen durchsetzten. Der 19. Artikel mit der Überschrift „Von den Leibeigenen Unterthanen der Ritter- und Landschaft“ enthielt in den §§ 325 bis 336 Vorschriften, die zur erneuten rechtlichen Verankerung der Leibeigenschaft der Bauern führten. Die Vorschriften beinhalteten vor allem Befugnisse der ritterschaftlichen Gutsherren gegenüber den Bauern. Die §§ 325 und 326 LGGEV verpflichteten die Bauern unter Berufung auf die Reversalen von 1621 erneut, den Gutsherren alle Hufen, Äcker und Wiesen abzutreten, für die sie ihre Erbzinsgerechtigkeit nicht nachweisen konnten, und räumten den Bauern keinerlei eigenes Besitzrecht an den von ihnen bewirtschaften Flächen ein. In § 334 wurde das Bauernlegen zur Vergrößerung des eigenen Gutshofes offiziell legitimiert:
- § 334. Was die Verlegung und Niederlegung der Bauern anlanget; So wollen Wir die Ritter- und Landschaft inclusive der Clöster und der Rostokschen Gemeinschafts-Oerter, bey ihrem Landsittlichen Eigentums-Recht über ihre Leibeigene Guts-Unterthanen, und deren innhabendes Ackerwerk und Gehögte, unbeschwert lassen, mithin ist und bleibt die Niederlegung einem jeden Guts-Herrn, der Gestalt frey und unbenommen, daß er den Bauern von einem Dorf zu anderen setzen, und dessen Ackerwerk zum Hofacker zu nehmen, oder sonst dasselbe zu nutzen, Fug und Macht haben soll;…
Lediglich die Niederlegung ganzer Dörfer bedurfte der Zustimmung des Landesfürsten, damit es zu keiner vollständigen Verarmung ganzer Landstriche kam:
- § 336. So viel aber die gänzliche Niederlegung der Dörfer und Baurschaften betrifft, aus welcher Verarmung un Verminderung der Unterthanen entstehet; So soll solche eigenmächtige Niederlegung eines Dorfes, an sich in der Regul gänzlich verboten, hingegen ein jeder Eigentums-Herr schuldig syen, solches sein Vorhaben jedesmal zuerst dem engeren Ausschuß anzuzeigen, welcher so dann an Uns seinen gutachtlichen Bericht erstattet, damit Wir darauf, wegen einer solchen, bey einem Gut vorgehenden in das allgemeine Beste einschlagenden Haupt-Veränderung, die Nothdurft weiter Landes-Fürstlich verfügen können.
Bauernlegen und die Hörigkeit der Hintersassen dienten vor allem der Sicherung der ökonomischen und sozialen Grundlagen der Ritterschaft in dem ständischen System. Anschließend kam es erneut zu Bauernlegen in großem Umfang.
Im Jahre 1816 hob Georg Ferdinand von Maltzan auf Penzlin als erster Gutsherr in Mecklenburg die Leibeigenschaft auf seinen Gütern auf, trotz der Proteste seiner Standesgenossen. 1822 wurde die Leibeigenschaft in ganz Mecklenburg rechtlich abgeschafft und die Bauern wurden von ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Landherren befreit. Die Gutsherren erhielten jedoch ein Kündigungsrecht und die Bauern verloren ihr vorher durch Geburt erworbenes Heimatrecht. In Mecklenburg fehlte das Recht der freien Ansiedlung. Wegen der Unvollkommenheit des Gesetzes und des Fehlens eines Freizügigkeits- und Niederlassungsrechts konnten die Bauern zunächst keine wirkliche Freiheit und wirtschaftliche Selbständigkeit erlangen.
Nassau
Im Herzogtum Nassau wurde die Leibeigenschaft 1808 aufgehoben.
Oldenburg
Im Herzogtum Oldenburg erfolgte die Aufhebung 1814.
Österreich
In den Ländern der Habsburger gab es große Unterschiede in Hinblick auf die Leibeigenschaft – während die Bauern in Nordtirol und in den gebirgigen Gegenden Vorarlbergs viele Freiheiten hatten, war Leibeigenschaft besonders in Böhmen, Mähren, Schlesien und Österreich nördlich der Donau weit verbreitet.
Bereits im Jahre 1342, siehe Großen Freiheitsbrief, waren im Tiroler Landtag alle Stände vertreten, unter ihnen auch der Bauernstand. Dies mag ein Mitgrund sein, weshalb bereits um 1500 die Leibeigenschaft in Tirol ein Randphänomen darstellte, unter der nur mehr wenige kleine Minderheiten zu leiden hatten. Zu ihnen zählten die Imster Eigenleute welche 1563 den Landesfürsten ersuchten, sie von diesem Makel zu befreien. Vermutlich waren sie die letzten Personen in Tirol, die sich der Leibeigenschaft entledigen konnten.<ref>Wilfried Beimrohr: Die Imster Eigenleute in Tiroler Landesarchiv – Abgerufen am 14. Dezember 2015</ref>
Nach Bauernunruhen in Schlesien 1767 ordnete Kaiserin Maria Theresia eine Untersuchung der Lebensumstände Leibeigener an. Der damit beauftragte Ernst Freiherr von Locella kam zu dem Schluss, dass die von Leibeigenen zu leistenden Robotleistungen klar und zentral von Wien aus geregelt werden sollten.<ref>Karl Grünberg: Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien. Duncker & Humblot, Leipzig 1894 (http://diglib.uibk.ac.at/ulbtirol/content/structure/15311).</ref> Die Kaiserin verabschiedete daraufhin bis 1778 mehrere Patente, in denen Höchstgrenzen für die verlangten Dienste festgelegt wurden. Zudem konnten Leibeigene ab 1770 Berufung gegen die durch den Leibherrn verweigerten Heiratsbewilligungen und Loslassungen bei den Behörden einlegen.<ref>Die Geschichte der Landwirtschaft in Schlesien, familienkunde.at</ref>
Joseph II. schaffte, beginnend durch das Leibeigenschaftsaufhebungspatent für Böhmen, Mähren und Schlesien vom 1. November 1781, die Leibeigenschaft ab. 1782 wurde die Aufhebung auch für die übrigen österreichischen Länder ausgesprochen. Ehemalig leibeigene Bauern waren nun berechtigt, die Grundherrschaft zu verlassen, Familien zu gründen und sich andere Verdienstmöglichkeiten zu suchen. Bauern, die weiter in einer Grundherrschaft lebten und arbeiteten, standen nun in einer gemäßigten Abhängigkeit der Erbuntertänigkeit zum Grundherren.<ref>Der Bauer als „Volksernährer“, habsburger.net – Abgerufen am 14. Dezember 2015</ref> Seit dieser Zeit wurde, wie auch das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1812 festhält, in den habsburgischen Ländern eine Leibeigenschaft nicht mehr gestattet.<ref>Eintrag zu Leibeigenschaft in: Austria-Forum, dem österreichischen Wissensnetz – online (in AEIOU Österreich-Lexikon)</ref>
Die so genannte Erbuntertänigkeit wurde in Österreich mit Dekret vom 7. September 1848 gänzlich aufgehoben.<ref>Kaiserliches Patent betreffend die Aufhebung des Untertänigkeitsverbandes und die Entlastung des bäuerlichen Besitzes vom 7. September 1848, Ferdinand I., constitutioneller Kaiser von Österreich</ref> An die Stelle der an den Grundherren zu verrichtenden Abgaben traten staatliche Steuern.
Pommern
Für Pommern ist eine Teilung über Jahrhunderte zu konstatieren. Das betrifft auch die Fragen der Leibeigenschaft. 1616 wurde für das Herzogtum Pommern-Stettin die Bauern- und Schäferordnung erlassen, die die Leibeigenschaft und das Bauernlegen manifestierte. Für das Herzogtum Pommern-Wolgast wurde die gleiche Ordnung aber erst 1646 eingeführt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg setzte sich die Unterschiedlichkeit fort, das wurde aber erst später sichtbar. Vorpommern kam an Schweden und Hinterpommern an Brandenburg/Preußen. Nach den Verschiebungen von 1720 verkleinerte sich das Gebiet von Schwedisch-Vorpommern noch weiter. Für den preußischen Teil Pommerns, einschließlich des so genannten Alt-Vorpommern kam das preußische Recht zur Anwendung und damit die Anwendung der Leibeigenschaft. → Siehe Preußen.
Einen anderen Weg ging Schwedisch-Vorpommern. Als sich durch die napoleonische Eroberung das Heilige römische Reich deutscher Nation auflöste, führte der schwedische König kurz vorher das schwedische Recht ein. Dazu gehörte auch die Aufhebung der Leibeigenschaft. Durch die napoleonischen Kriege wurde aber die Ausführung bis nach 1815 verzögert, zumal es große Widerstände seitens der Grundherren gab. Dann aber trat für diesen Rechtsbereich das preußische Recht in Kraft, sonst gab es ja für diesen pommerschen Teil (Regierungsbezirk Stralsund) noch lange ein gesondertes Recht.
Preußen
Bereits das allgemeine preußische Landrecht von 1794 bezeichnete die Leibeigenschaft als unzulässig. Im Königreich Preußen wurde die Erbhörigkeit, Erbunterthänigkeit und Leibeigenschaft nach jahrzehntelanger stufenweiser Beseitigung erst 1807 durch Erlass des Königs im Zuge der Preußischen Reformen (Oktoberedikt) mit Wirkung zum Martinitag 1810 endgültig abgeschafft. Durch ein Edikt vom 14. Sept. 1811 wurde die Eigentumsverleihung der Bauernhöfe und die Abschaffung der Naturaldienste ausgesprochen.
Sachsen
Sachsen gehörte in den Geltungsbereich der mitteldeutschen Grundherrschaft. Die Elemente persönlicher Unfreiheit waren geringer als in den Agrarverfassungen anderer Landesherrschaften. Die Verpflichtungen der Bauern waren mehr von der Inanspruchnahme des ihnen nicht gehörenden Grund und Bodens geprägt als von persönlicher Unfreiheit. Leibeigenschaft als Rechtsinstitut gab es nicht. Im Jahre 1550 gehörten 287.000 von 550.000 Einwohnern zur ländlichen Bevölkerung. 73 Prozent der Landbevölkerung waren Bauern auf ungefähr 43.000 Bauernstellen. Zu den unterbäuerlichen Schichten gehörten mit acht Prozent der Landbewohner Gärtner und Häusler und 18 Prozent Hausgenossen (Insten). Grundherren waren ein Prozent der Landbevölkerung. Größter Grundeigentümer war der kurfürstliche Landesherr; seine größeren Güter waren die Kammergüter.<ref>Groß, Geschichte Sachsens, S. 74-76.</ref> Es gab gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Kursachsen 1077 meist adelige Grundherren. Sie übten die Lehens- Erb- und Gerichtsherrschaft aus.<ref>Groß, Bürgerliche Agrarreform, S. 26 f.</ref>
Die einzelnen Grundherren betrieben meist bescheidenere Eigenwirtschaften. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden die Eigenwirtschaften vergrößert, weil die Grundherren selber produzieren wollten, um Geldgewinne zu erzielen. Dabei kam es zu einem vom Kurfürsten als Territorialherrn stark eingedämmten „Bauernlegen“, an dem er sich aber als Grundherr selbst beteiligte.<ref>Groß, Geschichte Sachsens, S. 74-76.</ref> Die Arbeitsleistungen auf dem Gut wurden von den grundhörigen Bauern erbracht. Die „Rittergüter“ genannten Gutswirtschaften hatten eine Größe von 50 bis 300 Hektar. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurde aber von der bäuerlichen Bevölkerung selbst bewirtschaftet.<ref>Groß, Bürgerliche Agrarreform, S. 35 f.</ref> Die Frondienste wurden auf den größer werdenden Gütern zu Lasten der grundhörigen Bauern verlängert und auf neue Arbeiten erstreckt, so dass sie zunehmend als drückend empfunden wurden.<ref>Groß, Bürgerliche Agrarreform, S. 41.</ref> Der Jurist Johann Leonhard Hauschild bezeichnete die Frondienste deshalb 1771 in einer Monographie als Leibeigenschaft und forderte ihre Regulierung und Verminderung durch den kursächsischen Landesherrn.<ref>Groß, Bürgerliche Agrarreform, S. 44</ref>
Die Verschlechterung der Lebensverhältnisse nach 1788<ref>Groß, Geschichte Sachsens, S. 176</ref> und die Zerstörung der Landwirtschaft durch den Siebenjährigen Krieg<ref>Groß, Bürgerliche Agrarreform, S. 45</ref> führten zu einem Gesetz über die Ablösung der Fronen und Dienste, das 1832 in Kraft trat.<ref>Groß, Geschichte Sachsens, S. 206</ref>
Westfalen
Im Königreich Westphalen erfolgte die Aufhebung der Leibeigenschaft 1808.
Wied
Die Aufhebung der Leibeigenschaft im Fürstentum Wied erfolgte 1791. Nach einem verlorenen Untertanenprozess hätte der regierende Fürst Friedrich Karl mehrere 100.000 Reichstaler an seine Bauern zahlen müssen. Da er den Betrag nicht aufbringen konnte, stimmte er stattdessen der Aufhebung der Leibeigenschaft zu.
Württemberg
Im Spätmittelalter war die Leibeigenschaft in Württemberg der gewöhnliche Rechtszustand der nichtadligen Bevölkerung.<ref> Keitel, Herrschaft über Land und Leute, S. 182</ref> Ihre Aufhebung im Königreich Württemberg erfolgte 1817 entschädigungslos.
Leibeigenschaft in anderen Ländern
Italien
Erstmals wurde Leibeigenschaft 1256 in der Stadt Bologna abgeschafft, wie mit dem Liber Paradisus im Palazzo d'Accursio nachgewiesen wird.<ref>Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa bis um die Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts. Archiviert vom Original am 21. Dezember 2011, abgerufen am 28. August 2013. </ref><ref>Contemporary Perspectives on Natural Law: Natural Law as a Limiting Concept (S. 34)</ref><ref>Lay Confraternities and Civic Religion in Renaissance Bologna (S. 2)</ref>
Frankreich
Hier wurde die Leibeigenschaft mit dem Beginn der Französischen Revolution 1789 endgültig abgeschafft. Zuvor war sie in der Domaine royal bereits 1779 aufgehoben worden.
Russland
In Russland begann die Leibeigenschaft sich ab 1601 durchzusetzen, nachdem Zar Boris Godunow die Bewegungsfreiheit der Bauern eingeschränkt hatte. Schon 1606 kam es unter Iwan Issajewitsch Bolotnikow zu einem großen Bauernaufstand gegen die Leibeigenschaft. Aber erst unter Peter I. wurde sie 1723 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, die – wie vieles in Peters Gesetzgebung – im Wesentlichen auf einem westeuropäischen Modell beruhte. Unter Katharina der Großen im späten 18. Jahrhundert verschärfte sich die Situation für die Bauern nochmals; die Leibeigenschaft wurde nun auch auf die bisher noch freien Bauern der Ukraine ausgeweitet. Im Gegensatz zu den meisten westeuropäischen Formen der Leibeigenschaft waren die russischen Leibeigenen nur nach dem Willen ihres Herrn an die Scholle gebunden. Wollte er anders, konnten sie auch ohne Grund und Boden verkauft werden. Erst unter dem Reformzaren Alexander II. wurde die Leibeigenschaft der abwertend als „Muschiki“ bezeichneten Bauern am 19. Februarjul./ 3. März 1861greg. abgeschafft, etwa 50 Jahre später als in Westeuropa. Oft folgte hierauf keine Freiheit für die Bauern, sondern eine verschärfte wirtschaftliche Abhängigkeit (Schuldenfalle), jedoch ohne dass sie den alten Rechtsschutz genossen.<ref>Hauptinhalte der 1861er Gesetze, Mitte der Website, Abschnitt Alexander II.</ref> Diese Situation wurde nie zufriedenstellend gelöst und wurde zu einer der Ursachen für den Erfolg der Oktoberrevolution.
Siehe auch
Literatur
- Ernst Moritz Arndt: Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen. Verlag der Realschulbuchhandlung, Berlin 1803, ISBN 978-3-487-13445-1, ersichtlich in der Google-Buchsuche.
- Peter Blickle: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland. 2., durchgesehene Auflage. Beck, München 2006, ISBN 3-406-50768-9.
- Anne-Marie Dubler: Leibeigenschaft im Historischen Lexikon der Schweiz.
- Paul Freedman, Monique Bourin (Hrsg.): Forms of Servitude in Northern and Central Europe. Decline, Resistance and Expansion. Brepols, Turnhout 2005, ISBN 2-503-51694-7 (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 9).
- Hans-Werner Goetz: Leibeigenschaft. In: Lexikon des Mittelalters. Band 5, 1989. S. 1845–1848.
- Volker Griese: Schleswig-Holstein. Denkwürdigkeiten der Geschichte. Historische Miniaturen. Norderstedt 2012, ISBN 978-3-8448-1283-1 (darin das Kapitel: Alle für Einen, Einer für Alle. Aufstand der Leibeigenen, Depenau 1707).
- Reiner Groß: Die Bürgerliche Agrarreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weimar 1968.
- Reiner Groß: Geschichte Sachsens. 4. Auflage, Edition Leipzig, Leipzig 2012, ISBN 978-3-361-00674-4.
- Christian Keitel: Herrschaft über Land und Leute. Leibherrschaft und Territorialisierung in Württemberg, 1246–1593. DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2000, ISBN 3-87181-428-8 (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Band 28, zugleich Dissertation an der Universität Tübingen, 1998–1999).
- Jan Klußmann (Hrsg.): Leibeigenschaft. Bäuerliche Unfreiheit in der frühen Neuzeit. Böhlau, Köln u. a. 2003, ISBN 3-412-05601-4 (= Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft 3).
- Jürgen Kuczynski: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte, Von der Urzeit bis zur sozialistischen Gesellschaft. Berlin 1951
- Karl Lamprecht: Deutsche Geschichte. Band 2. Berlin, Gärtner u. a. 1892.
- Wolfgang Reichel, Manfred Schauer: Das Döhlener Becken bei Dresden. Geologie und Bergbau. Sachsen – Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden u. a. 2007, ISBN 978-3-9811421-0-5 (Bergbau in Sachsen – Bergbaumonographie 12).
- Pierre Riché: Die Welt der Karolinger. Aus dem Franzischen übersetzt von Cornelia und Ulf Dirlmeier. 3. durchgesehene Auflage. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-020183-1 (Reclam-Taschenbuch 20183), (Originalausgabe: La vie quotidienne dans l’empire Carolingien. Hachette, Paris 1973 (Hachette Littérature)).
- Karl H. Schneider: Geschichte der Bauernbefreiung. Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-018735-7 (Reclams Universal-Bibliothek – Reclam Sachbuch 18735).
- Samuel Sugenheim: Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa bis um die Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, St. Peterburg 1861, ersichtlich in der Google-Buchsuche.
- Claudia Ulbrich: Leibherrschaft am Oberrhein im Spätmittelalter. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1979, ISBN 3-525-35369-3 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 58).
- Ingo Ullmann: Die rechtliche Behandlung holsteinischer Leibeigener um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Schmoeler Leibeigenschaftsprozesse von 1738 bis 1743 sowie von 1767 bis 1777. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2007, ISBN 978-3-631-55736-5 (= Rechtshistorische Reihe Band 346, zugleich Dissertation an der Universität Kiel 2006).
Weblinks
- Eintrag zu Leibeigenschaft in: Austria-Forum, dem österreichischen Wissensnetz – online (in AEIOU Österreich-Lexikon)
- Eintrag zu Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, ABGB in: Austria-Forum, dem österreichischen Wissensnetz – online (in AEIOU Österreich-Lexikon)
- Aufhebung der Leibeigenschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien vom 1. November 1781 im Wortlaut (Memento vom 24. August 2007 im Internet Archive)
Einzelnachweise
<references/>