Limerick (Gedicht)


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Ein Limerick ist ein kurzes, in aller Regel scherzhaftes Gedicht in fünf Zeilen mit dem Reimschema aabba und einem (relativ) festen metrischen Schema.

Charakteristika

Das Gedicht beginnt mit einem Hinweis auf die oft geographische Existenz oder besondere Beschaffenheit einer Person (1. Zeile) in einem ganz bestimmten Zustand (2. Zeile). Es folgen zwei kurze endgereimte Zeilen mit einer scheinbar logischen Fortsetzung dieser Einleitung (3. und 4. Zeile), wobei ihr Inhalt jedoch ausschließlich durch die willkürlich gewählten Reimwörter bestimmt ist. Die 5. Zeile schließt das Gedicht ab mit einer Variation der 1. Zeile; das Reimwort der 1. Zeile wird hier stets wiederholt. Oft enthält die 5. Zeile ein pointiertes Urteil über die genannte Person, das sich eines ausgesuchten Adjektivs (incongruous, imprudent, futile, ecstatic, horrid, bewildered, whimsical etc. / dt. ungefähr, abhängig vom Kontext: unpassend, unvorsichtig, vergeblich, ekstatisch, schrecklich, verwirrt, wunderlich), ja manchmal sogar eines Neologismus („ombliferous“) bedient.

Die um 1820 in England entstandene Form erhielt die geschilderte Struktur durch Edward Lear, ihren ersten und bis heute bekanntesten Meister: A Book of Nonsense (London 1843) mit 107 Limericks, die Lear zusätzlich illustrierte. Bei ihm sind die Zeilen 1 und 2 sowie die Zeilen 3 und 4 zu je einer Langzeile mit Binnenreim zusammengefasst.

Lear, A Book of Nonsense, Blatt 47: <poem style="margin-left:5em;"> There was an Old Man of Apulia, whose conduct was very peculiar;

              He fed twenty sons upon nothing but buns,
                    That whimsical Man of Apulia.

</poem> Deutsch erschienen Edwards Limericks zum Beispiel in "Edward Lears Kompletter Nonsens" in der Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger.

Diese ‚klassische‘ Form bei Edward Lear wurde in alle Sprachen exportiert und bis heute mannigfaltig variiert. Vor allem die 5. Zeile wird inzwischen meist zu einer weiteren Pointierung verwendet, nicht nur, wie bei Lear, zu einer rhetorischen Rückkehr zur 1. Zeile.

Geschichte

Für die Herkunft des Namens gibt es verschiedene Hypothesen:

  • Den Namen könnte die irische Stadt Limerick gegeben haben.
  • Der Name könnte abgeleitet sein von dem irischen Soldatenlied Will you come up to Limerick aus dem 18. Jahrhundert.
  • Eine weitere Erklärung verweist auf die Sammlung von Nursery Rhymes (Kinderreimen) in Mother Goose’s Melody von 1765, in der rhythmisch ähnliche Formen vorkommen.

<poem style="margin-left:5em;"> Hickory, dickory, dock! The mouse ran up the clock.

   The clock struck one –
   The mouse ran down.

Hickory, dickory, dock! </poem> In einem bestimmten Typ solcher Kinderreime (gemeint sind jene, die mit "There was a ..." beginnen) finden sich auch inhaltliche Anklänge. <poem style="margin-left:5em;"> There was a man of Thessaly, and he was wond’rous wise, He jump’d into a quickset hedge, and scratched out both his eyes.<ref>The Big Book of Nursery Rhymes, ed. by Walter Jerrold, London 1903, S.213</ref> </poem>

Zu unterscheiden ist zwischen dem ersten Auftreten von Vorläufern der Form und dem Auftreten der Bezeichnung Limerick im frühen 19. Jahrhundert. Bereits im Mittelalter bei Thomas von Aquin<ref>Anthony Kenny: Thomas von Aquin, Freiburg 1999, Fußnote S. 31: „Thomas scheint sogar, vielleicht ohne es zu merken, eine neue Versform geschaffen zu haben: den Limerick.“ Belegt wird dies durch die Verse „Sit vitiorum meorum evocatio …“, siehe la:Limericus</ref> gab es eine ähnliche Reimform. In der Form (angenäherte) Beispiele finden sich auch bei Shakespeares Trinklied in Othello oder Ophelia’s Song in Hamlet.

Datei:Edward Lear, Limerick 1.jpg
Edward Lear, Limerick No. 1

Edward Lears erster Limerick auf Blatt 7 seiner Sammlung in einer deutschen Übertragung: <poem style="margin-left:5em;"> Es war mal ein Alter mit Bart Besorgt, was an Vögeln sich paart

   An Lerchen, Pirolen
   An Eulen und Dohlen:

„Sie alle tun’s in meinem Bart!“<ref>Übertragung durch Heinz Hermann Michels</ref> </poem>

In Deutschland kamen die Limericks in den 1970er Jahren durch die Volkssänger Schobert und Black erneut in Mode, die größtenteils die Werke aus Limerick Teutsch des Dichterduos Georg Bungter und Günter Frorath vertonten und vortrugen. Auch Ulrich Roski veröffentlichte auf seiner LP Der Nächste bitte (Ein Lied für die Beknackten, 1977) ein mehrstrophiges Lied in Limerickform. Der Satiriker Dieter Höss nutzte diese Gedichtform ebenfalls; bekannte Autoren sind auch Ogden Nash und Isaac Asimov. In der DDR trug die Satirezeitschrift Eulenspiegel seit 1968 zur Verbreitung des Limericks bei.

Die metrische Form

Die beiden Hauptmerkmale der Limerick-Metrik sind das anapästische Versmaß in allen Zeilen und der Längenkontrast zwischen den dreihebigen Zeilen 1, 2 und 5 einerseits und den zweihebigen Zeilen 3 und 4 andererseits. Dies erzeugt den charakteristischen Rhythmus der Gedichtform.

Die erlaubten Varianten sind zahlreich. So kann der Anfang verkürzt (akephal) und die Kadenzen klingend (weiblich, zweisilbig) oder stumpf (männlich, einsilbig) sein, wodurch das Versmaß auch als amphibrachysch gesehen werden kann. Auch können zwei Silben zu einer längeren zusammengefasst werden bzw. umgekehrt die betonte Silbe des Reimworts durch Dehnung den Platz von zwei Silben einnehmen. Auch Tonbeugungen – in scherzhaften Gedichtformen ohnehin häufiger als sonst – kommen vor. Auch reimtechnisch ist, vor allem im Englischen, mancherlei erlaubt, was strengere Regeln nicht zulassen.

Die folgenden Beispiele zeigen das Schema verschiedener rhythmischer Varianten in metrischer Notation:

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oder

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Seltener:

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Das Reimschema ist dabei jeweils aabba, das heißt die erste, zweite und fünfte Zeile reimen sich und ebenso die dritte und vierte.

Inhalt

Über das genannte Inhaltsmuster bei Edward Lear hinaus, das in der Regel keine Schlusspointe vorsieht, wird in neueren Limericks gewöhnlich die 5. Zeile mit einer Zuspitzung versehen, die oft aus einem Handlungsverlauf resultiert, also eine Klimax mit drittem a-Reimwort darstellt und nicht, wie bei Lear, eine Rückkehr zum ersten a-Reimwort ist. Man sieht an folgendem Beispiel nicht nur die neue Rhetorik des Limericks, sondern zugleich auch metrische Besonderheiten wie die gedehnte betonte Silbe der a-Reimwörter oder die sanfte Tonbeugung in „Gáragendach“:

<poem style="margin-left:5em;"> Ein Kettenraucher aus Nizza, der im Tank seines Wagens nach Sprit sah,

   der flog mit ’nem Krach
   durchs Garagendach

einem staunenden Gast in die Pizza.<ref>Ole Haldrup: Buch der Limericks. Nereus Verlag, Marburg</ref> </poem>

Ein bekanntes Beispiel für die Modifikation der Schlusspointe ist ein Cosmo Monkhouse (1840–1901) zugeschriebenes Gedicht. Besonders artistisch ist hier der Rekurs der 5. Zeile auf zwei Wörter der 2. Zeile (rhetorische Rückkehr wie bei Lear) und eine dennoch gesetzte Schlusspointe. (In der Überlieferung dieses Textes wechselt "Niger" mit "Riga" ab.) <poem style="margin-left:5em;"> There was a young lady of Niger, Who smiled as she rode on a tiger.

   They returned from the ride
   With the lady inside

And the smile on the face of the tiger. </poem> In einer deutschen Übertragung: <poem style="margin-left:5em;"> Ein blutjunges Mädchen aus Niger Ritt lächelnd mal auf einem Tiger.

   Zurück kam sie auch
   Doch in seinem Bauch

Der Lächelnde war nun der Tiger.<ref>Übertragung durch Heinz Hermann Michels</ref> </poem> In einer lateinischen Version: <poem style="margin-left:5em;"> Puella Rigensis ridebat Quam tigris in tergo vehebat.

   Externa profecta
   Interna revecta

Sed risus cum tigre manebat. </poem>

Ortsname

Ein weiteres typisches Merkmal des Limericks ist das Nichtvorhandensein einer Bedeutung des oft als erstes Reimwort auftretenden Ortsnamens, denn Ortsnamen haben anders als normale Substantive keine dem Leser schon vorher vertraute semantische Ebene. Sie sind bloßer Reimklang. Dadurch wird bereits signalisiert, dass es in der zweiten Zeile nicht zu einer Erläuterung kommt, sondern zu einer willkürlichen Zusammenfügung, die dann in der 3. und 4. Zeile gesteigert wird, weil auch hier nur der Reimklang Kohärenz schafft. Das folgende Beispiel zeigt das besonders gut: <poem style="margin-left:5em;"> Ein Knabe aus Tehuantepec der lief auf der Bahn seiner Tante weg;

   sie lief hinterher,
   denn sie liebte ihn sehr,

und außerdem trug er ihr Handgepäck. </poem> Auch poetologische Rückbezüglichkeit und ausdrückliche Scheinbegründungen bedienen sich solcher Ortsangaben: <poem style="margin-left:5em;"> Ein Limerickdichter aus Aachen, nicht ahnend, was Limericks versprachen,

   der trieb es zu bunt,
   und das war der Grund,

dass Freunde zuletzt mit ihm brachen. </poem> Wie wichtig der Ortsname für die Limerick-Poetik ist, zeigt auch der Umstand, dass im alphabetischen Inhaltsverzeichnis von Limerick-Sammlungen oft nach diesem ersten Reimwort geordnet wird.

Themenvielfalt

Oft enthalten Limericks auch durchaus kohärente Überlegungen, wie das Beispiel von Isaac Asimov zeigt, das sich allerdings sehr von der Standardform entfernt. <poem style="margin-left:5em;"> „On the beach“, said John sadly, „there’s such A thing as revealing too much.“

   So he closed both his eyes
   At the ranks of bare thighs,

And felt his way through them by touch.<ref>Limerick von Isaac Asimov. In: Isaac Asimov und John Ciardi: Limericks: Too Gross/or Two Dozen Dirty Dozen Stanzas</ref> </poem> Oder der Autor belustigt sich über bestimmte theoretische Zusammenhänge: <poem style="margin-left:5em;"> There was a young lady of Wright Who travelled much faster than light.

   She departed one day
   In a relative way

And returned in the previous night.<ref>Ein Limerick aus dem Buch Eine kurze Geschichte der Zeit von Stephen Hawking zum Thema Relativität / Relativitätstheorie.</ref> </poem> In einer deutschen Übertragung: <poem style="margin-left:5em;"> Es war mal ein Mädchen erpicht, Noch schneller zu reisen als Licht.

   Kurz darauf brach sie auf
   Welch rasanter Verlauf:

Sie war nachts zuvor schon in Sicht.<ref>Übertragung durch Heinz Hermann Michels</ref> </poem> Berühmt und berüchtigt sind die Limericks (Nursery Rhymes) aus The Pearl, einer Sammlung viktorianischer Erotika, 1879 und 1880 herausgegeben in London: <poem style="margin-left:5em;"> There was a young man from Peru Who had nothing whatever to do.

   So he took out his carrot
   And buggered his parrot

And sent the result to the zoo. </poem> <poem style="margin-left:5em;"> There was a young monk from Siberia Whose morals were very inferior.

   He did to a nun
   What he shouldn’t have done

And now she’s a Mother Superior. </poem> In einer deutschen Übertragung: <poem style="margin-left:5em;"> Es war bei ’nem Mönch in Kalkutta Moralisch nicht alles in Butter.

   Er trieb stets mit Wonne
   Es mit einer Nonne,

Und nun ist sie Ehrwürd’ge Mutter.<ref>Übertragung durch Heinz Hermann Michels</ref> </poem> Schließlich kann man bereits vorhandene Gedichte als Limericks umfrisieren, wie etwa das berühmte Sonett Nr. 20 von William Shakespeare<ref>hier zunächst in der deutschen Übersetzung des Originals von Christa Schuenke: <poem style="margin-left:5em;"> Ein weibliches Gesicht gab die Natur Dir, Herr und Herrin meiner Leidenschaft; Ein weiches Frauenherz, doch ohne Spur Von Launen, Weiberlist und Hexenkraft. Dein Auge, strahlender und minder flirrend, Vergoldet alles, was sein Blick umfängt; Für Männeraug und Frauenherz verwirrend, Du, Mannsbild, das die Blicke auf sich lenkt. Als Weib wollt die Natur nach ihrem Plan Dich schaffen, aber sie verliebte sich In dich dabei und hängte dir was an: Ein Ding, das keinen Wert besitzt für mich.

  Gab sie das Ding dir, Frauen zu entzücken,
  Schenk mir die Liebe; sie magst Du beglücken.

</poem>William Shakespeare, Sonette, München 1996, S. 19</ref> Als Limerick: <poem style="margin-left:5em;"> Ein hermaphroditisches Wesen wär’ mir was Apartes gewesen, da fand ich ’n Teil, der macht’ mich nicht geil, an diesem befremdlichen Wesen.<ref>William Shakespeare’s Sonnets for the First Time Globally Reprinted, ed. Manfred Pfister and Jürgen Gutsch, Dozwil 2009, S. 300</ref> </poem> Der Limerick zeigt in der strengen Beschränkung auf seine fünf Zeilen, ähnlich wie das japanische Haiku-Gedicht, die Fähigkeit zur absoluten Kondensierung, die hier freilich scherzhaft gemeint ist. Zu beachten ist auch, dass der Verfasser zu einem Merkmal der Lear’schen Limericks zurückkehrt, wenn er in der Schlusszeile die apostrophierte Person qualifiziert.

Am Limerick-Dichten beteiligen sich auch die deutschen Mundarten. Hier zwei Beispiele aus der Schweiz. Das erste verfasste der Schweizer Kabarettist César Keiser (1925–2007), es stammt aus seinen sogenannten „Keisericks“. <poem style="margin-left:5em;"> Da gab’s den Herrn Stöckli aus Stocken, der wusch sich die Füsse samt Socken.

   Der Siegrist von Meggen,
   tat darob erschrecken,

und läutete sämtliche Glocken. </poem> Das zweite Beispiel ist ein berndeutscher Limerick von Mani Matter. Hier die erste Strophe einer längeren Ballade in Limericks: <poem style="margin-left:5em;"> Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama het mal am Morge früeh no im Pyjama

   ir Strass vor der Moschee 
   zwöi schöni Auge gseh 

das isch dr Afang worde vo sym Drama. </poem> Ein Verweis findet sich auch auf Nantucket.

Literatur

  • Georg Bungter, Günter Frorath: Limerick teutsch. Piper, München 1969, ISBN 3-492-01738-X.
  • Jürgen Dahl: Limericks, Limericks. Fischer Taschenbuchverlag, 1973, ISBN 3-436-00800-1.
  • Werner Hadulla: Limericks & Wie man freche Gedichte macht - Mit einem Vorwort von Dieter Hildebrandt. Edition unica, Leipzig 2012, ISBN 978-3-933287-60-1.
  • Das Große César-Keiser- und Margrit-Läubli-Cabaret-Buch. Huber, Frauenfeld 2005, ISBN 3-7193-1400-6.
  • Ole Haldrup: Buch der Limericks. Mit Zeichnungen von Horst Dubiel, 3. Auflage, 136 Seiten, Nereus Verlag, Marburg 2003, ISBN 3-9809295-0-7.
  • Ole Haldrup: Lirum, larum, Limerick: Das zweite Buch der Fünfzeiler. Mit Zeichnungen von Christine Happle. 140 Seiten. Nereus Verlag, Marburg 2004, ISBN** 3-9809295-1-5.
  • Jürgen Dahl (Hrsg.): Limericks & Clerihews. Eine Einführung in den Limerick und 222 Limericks, eine Einführung in seinen kleinen Bruder, den (vierzeiligen) Clerihew - sprich klerri.juh - und 77 Clerihews, sowie formlose Übersetzungen zur Überbrückung allfälliger Vokabelnöte. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen bei München 1981, ISBN 3-7846-0503-6. (illustriert von Paul Flora)
  • Eugen Roth: INS SCHWARZE, Limericks und Schüttelreime. Carl Hanser Verlag, München, 1968

Weblinks

Einzelnachweise

<references/>