Medienikone


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Datei:Aldrin Apollo 11.jpg
Buzz Aldrin beim ersten Betreten des Mondes am 21. Juli 1969

Als Medienikone werden in Kulturwissenschaften und Medienwissenschaften medial herausragend präsente Bilder bezeichnet. Sind sie dauerhaft im kollektiven Bildgedächtnis eingeschrieben, können sie als „Ikonen des kollektiven Bildgedächtnisses“ bezeichnet werden.

Grundlagen und Abgrenzungen

Der Begriff „Medienikone“ ist abgeleitet von der „Ikone“ (von griechisch εἰκών eikón ‚Bild, Abbild‘), die ein in der orthodoxen Kirche kultisch verehrtes, nach kanonischen Vorgaben angefertigtes und rituell geweihtes Heiligenbild bezeichnet.<ref>Zitiert nach Kathrin Raminger: Ikone: Wie lässt sich dieser Gattungsbegriff auf einer allgemeinen Ebene in der Kunst- bzw. Bildwissenschaft anwenden? Was zeichnet ikonische Bilder aus und wie wirken sie?</ref>

Der Verfall der Aura des Kunstwerks, wie ihn Walter Benjamin im Jahr 1936 im Hinblick auf moderne Reproduktionstechniken beschrieb, kann als Ent-Ikonisierung interpretiert werden. Bereits in den Massenkulturen des 20. Jahrhunderts entstanden jedoch Bilder, die – religiösen Ikonen entfernt vergleichbar – übergeordnete Werte und Sinndeutungsmuster symbolisch verdichteten und, begünstigt durch neue Arten der Vervielfältigung, eine Aura des Mythischen erlangten.<ref name="Gerhard Paul 8,4">Gerhard Paul: Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 8, 4</ref>

In den 1990er Jahren wurde in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit die Bilderflut der Massenmedien zum Thema. Diskutiert wurden die Verwendung, Wirkung und Interpretation der Bilder und das veränderte Denken in Bildern und über Bilder. „In Kenntnis der Bedeutung, die Bilder in der modernen Mediengesellschaft gewonnen haben, ist der Begriff ‚Ikone‘ in der Umgangssprache seit etwa den 1990er Jahren aus seinem eng definierten Zusammenhang mit den Heiligenbildern der Ostkirche herausgelöst worden.“<ref name="Gerhard Paul 8,3">Gerhard Paul: Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute. Göttingen 2011, S. 8, 3</ref> 1994 verwendet Gottfried Boehm in Wiederkehr der Bilder<ref> Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder. Visualisierungskonzepte in den Wissenschaften. In: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild?. München 1994, S. 11–38.</ref> den dafür bezeichnenden Begriff Ikonische Wende (iconic turn). Aus der Diskussion um „die neue Macht der Bilder“<ref> Christa Maar, Hubert Burda (Hrsg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Dumont, Köln 2004.</ref> entsteht ein neuer Begriff für Bilder, die kulturell prägend aus der Bilderflut herausragen: die Medienikonen.

Es waren „… besondere, technisch und elektronisch generierte Bilder, die die Kraft besaßen, Geschichte zu machen und zu schreiben. Aufgrund ihrer Reproduzierbarkeit und Verbreitungsgeschwindigkeit waren sie zugleich in der Lage, Gesellschaften zu durchdringen und Grenzen zu überspringen, also tendenziell omnipräsent und global zu sein. […] Von den Bildern oder Ikonen der Bildenden Kunst unterscheiden sich Medienikonen vor allem dadurch, dass sich die Eigenheiten und Gesetzmäßigkeit ihrer medialen Bildträger strukturell in sie eingeschrieben haben.“<ref>Gerhard Paul: Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute. S. 7, 2</ref> Davon zu unterscheiden sind wiederum Bilder aus der Bildenden Kunst, die, medial vermarktet und konsumiert, selbst zu Medienikonen geworden sind.

Medienikonen sind die Bilder und Bildsequenzen, die aus der seit Beginn der Mediengesellschaft des 20. Jahrhunderts technisch und elektronisch generierten Bilderflut herausragen, außerordentliche Erinnerungskraft besitzen und ständig reproduziert, verehrt, verteidigt oder attackiert werden.<ref>Gerhard Paul, S. 8, 1</ref> Gemeinsam ist ihnen die mediale Wirkmächtigkeit:

  • Sie greifen gestaltend in den historischen Prozess ein, „machen“ also Geschichte.
  • Sie formen den Prozess der Erinnerung an ebendiese Geschichte, „schreiben“ also Geschichte.
  • Sie verfügen über eine eigene Geschichte, ihre Bildgeschichte.<ref>Gerhard Paul, S. 7.</ref>

Ikonen des Fotojournalismus

Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler David D. Perlmutter erwähnt (in Photojournalism and foreign policy<ref>David D. Perlmutter: Photojournalism and foreign policy</ref>) Unterschiede und Merkmale, die in der Diskussion um Medienikonen ähnlich zu berücksichtigen sind.

So unterscheidet er zwischen „discrete icon“ und „generic Icon“ (vgl. Katharina Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung.<ref>Katharina Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung</ref>) Beim generic icon können die Akteure, die Situation oder die Orte wechseln, das Motiv bleibt jedoch dasselbe. Als Beispiel nennt Perlmutter den Bildtypus „Hungerndes Kind in Afrika“. Dagegen ist das discrete icon ein einzelnes Foto, mit bestimmten Bildelementen und unter anderem folgenden Merkmalen:

Datei:AbuGhraibAbuse-standing-on-box.jpg
Der „Kapuzenmann“ erfüllt die Kriterien eines discrete icon
  • Berühmtheit: Das Foto wird zumindest innerhalb einer Generation wiedererkannt. Politiker, Medienleute oder Wissenschaftler schreiben ihm außergewöhnliche Bedeutung zu.
  • Augenblicklichkeit: Das Foto wurde schnell berühmt und wird noch nach Jahren publiziert.
  • Ereignisrelevanz: Das Foto geht aus einem relevanten Ereignis hervor.
  • Komposition: Das Foto hat eine auffällige und überzeugende Komposition.
  • Profit: Das Foto ist ein rentables kommerzielles Produkt.
  • Darstellungsprominenz: Das Foto wird auf Titelseiten von Medien gedruckt.
  • Frequenz: Das Bild wird häufig abgedruckt.
  • Transponierbarkeit: Das Foto wird in verschiedenen Medien, wie Büchern oder Zeitungen, abgedruckt.
  • Ursprünglichkeit und kulturelle Resonanz: Das Foto rekurriert auf Szenen aus Religion und Geschichte und bezieht sich somit auf frühere ikonische Bilder.
  • Metonymie: Das Foto scheint einen Moment eines Ereignisses zu verdichten und symbolisch das gesamte Geschehen zum Ausdruck zu bringen.

Varianten

Datei:Mao Zedong Porträt am Eingang zur Verbotenen Stadt.jpg
Porträt Mao Zedongs am Tor des Himmlischen Friedens

Der Begriff Ikone im Sinne von Medienikone tendiert zum inflatorischen Gebrauch.<ref name="Gerhard Paul 8,3" /> Es sind weitere Varianten unterscheidbar. Schreiben sich die Bilder in das kollektive Bildgedächtnis ein, werden sie zu „Ikonen des kollektiven Bildgedächtnisses“ erklärt (populärwissenschaftlich zu „Schlüsselbildern, die die Welt bewegen“).

Manche Medienikonen werden als „Superikone“ bezeichnet, beispielsweise wenn sie, wie die Fotografie des Kapuzenmannes von Abu Ghuraib, auf das „superlativische Bild“ des gekreuzigten oder leidenden Christus verweisen, oder anderen ikonischen Vorläufern nachgebildet sind, wie das Porträt Mao Zedongs am Tor des Himmlischen Friedens, das als „Mona Lisa Chinas“ medial verwertet wurde.<ref>Gerhard Paul, S. 9, 5 f.</ref>

Die einzelnen Medien selbst haben ihre eigenen Ikonen hervorgebracht.<ref>Gerhard Paul, S. 8, 2 f.</ref> Es wird von „Ikonen der Pressefotografie“, von „Ikonen der zeitgenössischen Kunst“ und von „Ikonen der Filmgeschichte“ gesprochen.

Vielfach werden Bilder und Produkte einer bestimmten Art von Medienikonen zugeordnet: Die Coca-Cola-Flasche gilt als Werbeikone, der VW Käfer als Designikone.

Unabhängig vom Diskurs der „Ikonischen Wende“ wird der Begriff Ikone als Auszeichnung des für einen Bereich in seiner Zeit Wegweisenden, Einzigartigen und sinnbildlich Gewordenen, verwendet, etwa als „Architekturikone” (wie der Eiffelturm oder das Sydney Opera House), als „Ikone der Astronomie“ (das Hubble-Weltraumteleskop) oder als „Versand-Ikone“ (Neckermann).<ref>Versand-Ikone Neckermann ist pleite. Verlagsgruppe Handelsblatt, 18. Juli 2012, abgerufen am 4. August 2012.</ref>

Beispiele

Aus unterschiedlichen Quellen und Blickwinkeln ergeben sich unterschiedliche Zusammenstellungen von Beispielen. Im ursprünglich engeren Sinn wird nur eine bestimmte Abbildung oder Bildsequenz als Medienikone beschrieben. Im inflationären Gebrauch kommt es vor, dass bereits ein Ereignis oder eine Person zur Ikone oder Medienikone erhoben wird, sobald damit ein herausragendes Motiv in der Flut der Bilder, Abbildungen, Fotos oder Abdrucke markiert werden kann.

Ikonen der Bildenden Kunst

Datei:Adam na restauratie.jpg
Die Erschaffung Adams, Detail aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle

Ikonen der Bildenden Kunst und Ikonen der modernen Massenmedien unterscheiden sich in ihrem Entstehungsprozess.<ref name="Gerhard Paul 8,6">Gerhard Paul, S. 8, 6</ref> Als „Superikonen” oder „superlativischen Bilder” der Kunst, die wiederum Vorbild für zahlreiche spätere Bildschöpfungen wurden, gelten etwa

Ikonen der Moderne

Stars und Idole

→ Hauptartikel: Star (Person)

Datei:Charlie Chaplin by Charles C. Zoller 4.jpg
Charlie Chaplin als Tramp, um 1917

Bei vielen Menschen wird die visuelle Erinnerung aktiviert und das Bild abgerufen, wenn die in den Medien dargestellte Person (oder ein Gegenstand oder ein Ereignis) nur genannt wird.<ref>Gerhard Paul, S. 8, 5</ref> Bekannte Persönlichkeiten aus Kunst, Sport, Wissenschaft und Politik wurden zu „Ikonen des 19., 20., 21. Jahrhunderts“, oder wie Charlie Chaplin, zur Ikone der Moderne. Zu „Pop-Ikonen“ erklärt wurden beispielsweise Sigmund Freud, der Papst und die Beatles. Andy Warhol hingegen findet Erwähnung als „Kunst-Ikone“.<ref name="Gerhard Paul 8,3" /> Der surrealistische Maler Salvador Dalí fiel durch sein exzentrisches Verhalten und seinen gezwirbelten Schnurrbart auf. Angerer der Ältere schuf 2004 ein Bild mit dem Titel Ikone Dalí.<ref>Ikone Dalí, kunstgalerie.ws, abgerufen am 24. November 2011.</ref> Einige der Persönlichkeiten und sogar erfundene Charaktere werden zu Vorbildern, wie etwa Idole in der Jugendkultur.

Ikonen der Vernichtung und des Negativen

Datei:Bundesarchiv Bild 175-04413, KZ Auschwitz, Einfahrt.jpg
Das KZ Auschwitz-Birkenau, Ansicht von innen (1945)

Bilder des Holocaust:<ref name="Gerhard Paul 8,3" />

Spätere Ikonen des Negativen:

Ausstellungen

Literatur

  • Cécile Engel (Hrsg.): Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte. DuMont, Köln 2009, ISBN 978-3-8321-9216-7. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 21. Mai bis 11. Oktober 2009, Wanderausstellung ab Frühjahr 2010, im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Sommer 2011 / Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / bis Juli 2012 im Historischen Museum Hannover
  • Gijs van Hensbergen: Guernica. the biography of a twentieth-century icon. Bloomsbury Publisher, New York u. a. 2004, ISBN 1-58234-124-9.
  • Martin Kemp: Christ to Coke: How Image Becomes Icon. Oxford University Press, 2011, ISBN 978-0-19-958111-5.
  • Johannes Kirschenmann, Ernst Wagner (Hrsg.): Bilder, die die Welt bedeuten: ‚Ikonen‘ des Bildgedächtnisses und ihre Vermittlung über Datenbanken. Kopaed, München 2006, ISBN 978-3-938028-64-3 (= Kontext Kunstpädagogik, Band 4).
  • Thomas Knieper: Geschichtsvermittlung durch Ikonen der Pressefotografie. In: Johannes Kirschenmann, Ernst Wagner (Hrsg.): Bilder, die die Welt bedeuten: ‚Ikonen‘ des Bildgedächtnisses und ihre Vermittlung über Datenbanken. Kopaed, München 2006, S. 59–76. (= Kontext Kunstpädagogik; Bd. 4)
  • Gerhard Paul: Bilder, die Geschichte schrieben: 1900 bis heute. Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, S. 7ff, ISBN 978-3-525-30024-4 (Digitalisat bei GoogleBooks).
  • Kathrin Raminger: Ikone: Wie lässt sich dieser Gattungsbegriff auf einer allgemeinen Ebene in der Kunst- bzw. Bildwissenschaft anwenden? Was zeichnet ikonische Bilder aus und wie wirken sie? (PDF der Universität Wien, 4 Seiten).

Weblinks

Einzelnachweise

<references />

Abbildungen

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