Philippe Pétain


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Henri Philippe Benoni Omer Joseph Pétain (* 24. April 1856 in Cauchy-à-la-Tour, Département Pas-de-Calais; † 23. Juli 1951 in Port-Joinville, Île d’Yeu) war ein französischer Militär, Diplomat und Politiker.

Aufgrund seiner Abwehrerfolge in der Schlacht von Verdun während des Ersten Weltkriegs avancierte Pétain zum gefeierten Nationalhelden („Held von Verdun“) und wurde 1917 Oberbefehlshaber der französischen Armee. Als Marschall von Frankreich und Generalinspekteur der Armee prägte er die Verteidigungsdoktrin seines Landes in der Zwischenkriegszeit entscheidend mit.

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und der französischen Niederlage übernahm er von 1940 bis 1944 als autoritärer Chef de l’État (Staatschef) die Führung des mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich kollaborierenden Vichy-Regimes. Wegen dieser Zusammenarbeit wurde er 1945 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Herkunft

Philippe Pétain wurde 1856 in Cauchy-à-la-Tour, einer Gemeinde im Département Pas-de-Calais im Norden Frankreichs, als viertes von fünf Kindern des Bauern Omer-Venant Pétain und dessen Ehefrau Clotilde geboren. Aufgrund des frühen Todes seiner Mutter im Jahre 1858 und der Vernachlässigung durch die Stiefmutter wuchs er allerdings im Haushalt seiner streng religiösen Großmutter auf. Sein Großonkel, ein katholischer Geistlicher, der unter Napoleon Bonaparte in der Grande Armée gedient hatte, weckte bei dem Jungen Interesse für das Militär.

Als Schüler am katholischen Privatkolleg Saint-Bertin in Saint-Omer erhielt Pétain eine von Religiosität und Disziplin geprägte Ausbildung.

Militärlaufbahn

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Pétain als Offizier (vor 1918)

1876 erfolgte die Aufnahme Pétains in die nationale Militärschule Saint-Cyr, die er nach zwei Jahren als 229. von 336 Absolventen seines Offiziersjahrgangs abschloss. Er trat als Unterleutnant der Infanterieeinheit Chasseurs à pied (Jäger) bei und diente zwischen 1878 und 1900 an unterschiedlichen Standorten. Für damalige Verhältnisse eher unüblich, wurde er nicht in den französischen Kolonien eingesetzt, sondern seine Verwendung erfolgte ausschließlich im Mutterland. Von 1888 bis 1890 absolvierte Pétain die Generalstabsausbildung an der Pariser Militärakademie, die er im Rang eines Hauptmanns verließ.

Um 1900/01 machte Pétain, der inzwischen zum Major und Bataillonskommandeur aufgestiegen war, aufgrund seiner unkonventionellen Ablehnung einer reinen Offensivstrategie als Instrukteur an der Militärschule in Châlons-sur-Marne auf sich aufmerksam. Beeindruckt von der enormen Feuerkraft der neuen Maschinengewehre, hielt er die strategische Offensive für nicht mehr vertretbar. Da er mit dieser Haltung im Gegensatz zur taktischen Doktrin der französischen Armeeführung (Offensive à outrance) stand, behinderte dies seinen weiteren militärischen Aufstieg und er wurde als Instrukteur abgelöst. Als Angehöriger des 5. Infanterieregiments in Paris wirkte Pétain, trotz der kritischen Betrachtung seiner taktischen Ideen, zwischen 1904 und 1907 sowie zwischen 1908 und 1911 als Dozent für Infanterie-Taktik an der Pariser Militärakademie.

1911 übernahm Pétain im Rang eines Obersts das 33. Infanterieregiment in Arras, wo der junge Charles de Gaulle seinem Stab angehörte. Als man ihm am 20. März 1914 den Befehl über die 4. Infanteriebrigade übertrug, verwehrte ihm das Kriegsministerium die damit üblicherweise einhergehende Beförderung zum Brigadegeneral.

Erster Weltkrieg

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Die Oberbefehlshaber der Alliierten: Pétain, Haig, Foch, Pershing (v.l.)

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand Pétain erstmals im aktiven Kampfeinsatz Verwendung. Als Kommandeur seiner Brigade tat er sich in der Schlacht bei Saint-Quentin hervor und wurde am 30. August 1914 zum Général de brigade befördert. Anschließend erhielt er den Befehl über die 6. Infanteriedivision, mit welcher er sich im Verlauf der Marneschlacht erfolgreich für höhere Aufgaben empfehlen konnte. Damit begann der späte militärische Aufstieg Pétains, der im Alter von 58 Jahren vor Kriegsbeginn noch kurz vor seiner Pensionierung gestanden hatte.

Am 20. Oktober 1914 übertrug man Pétain das Kommando über das XXXIII. Armeekorps und er erhielt die Auszeichnung Ritter der Ehrenlegion. Mit seinem Korps nahm er an der Lorettoschlacht im Artois teil, ehe er am 21. Juni 1915 an die Spitze der 2. Armee berufen und zum Général d’armée befördert wurde. Die gescheiterten Durchbruchsversuche seiner Armee im Verlauf der Herbstschlacht in der Champagne bewiesen, dass Pétain mit seinen Theorien Recht behalten hatte, die er als Instrukteur an der Militärakademie aufgestellt hatte. Als Konsequenz lehnte er die Durchführung weiterer verlustreicher Offensiven ab und empfahl eine defensive Kriegsführung, wodurch er wiederholt im Gegensatz zum französischen Oberkommando unter General Joseph Joffre stand.

Am 26. Februar 1916 betraute das Oberkommando Philippe Pétain mit der Verteidigung im Frontsektor von Verdun. In diesem Frontabschnitt stand die französische Verteidigung unter starkem Druck, da die deutsche Armee mit einer massiven Großoffensive einen Durchbruch und somit die Kriegsentscheidung herbeizuführen suchte (Schlacht um Verdun). Mit Maßnahmen wie dem Ausbau der Sperrfeuerstellung, effektiver Organisation des Nachschubs über die Voie Sacrée und der Entwicklung des Noria-Reservesystems erwies sich Pétain als kompetenter Heerführer, dem es gelang, die deutschen Angriffe auf Verdun abzuwehren. Durch seine Zuversicht und unerschütterliche Standhaftigkeit, mit der er seine Truppen immer wieder angetrieben hatte, erlangte Pétain 1916 landesweite Bekanntheit. Seine berühmten Tagesbefehle («Courage!… On les aura!» „Nur Mut!… Wir kriegen sie noch!“ und «Ils ne passeront pas!» „Sie werden nicht durchkommen!“) trugen in der Zwischenkriegszeit zu seiner Aura als „Retter Frankreichs“ bei. Pétain, der verlustreiche und aussichtslose Sturmangriffe weitestgehend vermieden hatte und nach wie vor gegen die Doktrin der Offensive à outrance stand, wurde seiner Abwehrerfolge zum Trotz am 1. Mai 1916 durch General Robert Nivelle ersetzt. Mit der Ernennung Nivelles setzte das Oberkommando auf einen Vertreter der offensiven Verteidigungsstrategie. Pétain übernahm den Oberbefehl über die Heeresgruppe Mitte (Groupe d’Armées du Centre), in deren Zuständigkeitsbereich Verdun lag.

Als infolge der gescheiterten Offensive an der Aisne im Frühjahr 1917 große Teile der demoralisierten französischen Nordarmeen meuterten und dem gesamten Frontabschnitt der Zusammenbruch drohte, ersetzte Staatspräsident Raymond Poincaré den bisherigen Oberbefehlshaber des Heeres, General Nivelle, am 17. Mai 1917 durch den populären Pétain. Durch zahlreiche Frontbesuche erkannte dieser die Notwendigkeit von Veränderungen im Dienstverhältnis der einfachen Soldaten. Weniger durch drakonische Disziplinarmaßnahmen als vielmehr durch eine Verbesserung der Nachschuborganisation gelang es Pétain, die Kampfmoral der Truppen allmählich wiederherzustellen und ein Übergreifen der Meutereien auf andere Frontabschnitte zu verhindern. Um hohe Verlustzahlen zu vermeiden, beschränkte sich Pétain in den folgenden Monaten gemäß seiner Maxime „Feuerkraft tötet“ («Le Feu tue») auf eine defensivere Kriegsführung.

Während der deutschen Frühjahrsoffensive 1918 traten große Divergenzen zwischen Pétain und dem ihm übergeordneten Marschall Ferdinand Foch, Leiter des Alliierten Obersten Kriegsrates, auf. Während Foch eine großangelegte Gegenoffensive plante, wollte Pétain die Front zunächst stabilisieren und auf das Eintreffen amerikanischer Truppen warten, um eine numerische Überlegenheit sicherzustellen. Schließlich gingen die Alliierten mit amerikanischer Unterstützung und dem massiven Einsatz der neuen Panzerwaffe im Sommer 1918 erfolgreich zum Gegenangriff über (Hunderttageoffensive), der das Deutsche Reich am 11. November 1918 zur Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne zwang. Durch diesen Waffenstillstand wurden Pétains Planungen für eine Offensive in Lothringen hinfällig.

Zwischenkriegszeit

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Pétain als Marschall von Frankreich (Gemälde von Marcel Baschet, 1926)

Nach Kriegsende zählte Pétain neben Ferdinand Foch zu den angesehensten französischen Befehlshabern. Per Dekret ernannte ihn die Nationalversammlung zum Marschall von Frankreich, die höchste militärische Auszeichnung, die das Land zu vergeben hatte, und am 8. Dezember 1918 verlieh ihm Staatspräsident Poincaré in Metz den Marschallstab. Als weiteren Ausdruck der öffentlichen Wertschätzung wohnte Pétain der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles (28. Juni 1919) bei und wurde in die Akademie der Moralischen und Politischen Wissenschaften aufgenommen. Sein hohes Ansehen im Ausland manifestierte sich durch militärische Ehrerweisungen aus allen verbündeten Staaten.

Am 23. Januar 1920 wurde Pétain Vizepräsident des Obersten Kriegsrats (Conseil Supérieur de la Guerre), der höchsten militärischen Institution Frankreichs, womit er im Kriegsfalle unmittelbar den Oberbefehl ausgeübt hätte. Zusätzlich übernahm er das Amt des Generalinspekteurs der Armee (1922 bis 1931) und prägte in dieser Funktion die Verteidigungsdoktrin des Landes entscheidend mit. Sich auf seine Erfahrungen aus dem Grabenkrieg stützend, plädierte Pétain für den Ausbau starker Verteidigungsbefestigungen entlang der französisch-deutschen Grenze. Gegen den Widerstand verschiedener junger Offiziere wie Charles de Gaulle, die eine mobile motorisierte Kriegsführung forderten, setzte sich Pétain entschieden für die Errichtung der Maginot-Linie ein.

Als der sich zum Rifkrieg ausgeweitete Aufstand der Rifkabylen die französische Kolonialherrschaft in Marokko bedrohte, betraute die Regierung Painlevé Marschall Pétain am 3. September 1925 mit dem Oberbefehl über die spanisch-französischen Expeditionsstreitkräfte. Unter massivem Truppeneinsatz gelang es Pétain, die Rif-Republik militärisch zu schlagen und zu erobern. Nach der Kapitulation der Rifkabylen am 27. Mai 1926 wurde die französisch-spanische Kolonialherrschaft in Marokko wiederhergestellt. Für seine Verdienste wurde Pétain vom spanischen König Alfons XIII. in Toledo mit der Medalla Militar ausgezeichnet.

Am 9. Februar 1931 vollzog der 75-jährige Marschall Pétain seinen Abschied aus der Armee und übergab seine Funktionen an General Maxime Weygand. Im selben Jahr trat er die Nachfolge Ferdinand Fochs als Mitglied der renommierten Académie française an.

Dem Ausscheiden aus der Armee zum Trotz stellte Pétain auch weiterhin eine bedeutende Persönlichkeit auf der politischen Bühne dar. Seine ungebrochene Autorität als „Held von Verdun“ war in der französischen Gesellschaft fest verankert und verschiedene rechte Gruppierungen buhlten um die Gunst des Marschalls, der bereits in den 1920er Jahren eine Tendenz zu autoritären, antiparlamentarischen politischen Ansätzen entwickelt hatte. Im Oktober 1931 nahm Pétain in den Vereinigten Staaten als offizieller Vertreter Frankreichs an der 150-Jahr-Feier zur Schlacht von Yorktown teil, die den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen England entschied. Dabei betonte er – in demonstrativer Abgrenzung gegenüber Großbritannien – das Bündnis zwischen Frankreich und den USA.

Durch die Ernennung zum Kriegsminister in der kurzlebigen Regierung der Nationalen Einheit von Premierminister Gaston Doumergue (9. Februar bis 8. November 1934) fand Pétain endgültig Eintritt in die zivile Politik.

Um die Beziehungen zum nationalistischen Franco-Spanien zu verbessern, wurde Pétain am 2. März 1939 zum außerordentlichen französischen Botschafter ernannt und blieb auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf seinem Posten.

Staatschef in Vichy-Frankreich (1940 bis 1944)

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Frankreich nach dem Waffenstillstand von Compiègne (1940)
Datei:Flag of Philippe Pétain, Chief of State of Vichy France.svg
Persönliche Standarte des Staatschefs von Vichy

Der Beginn des Westfeldzugs am 10. Mai 1940 und der überraschende Frontdurchbruch der deutschen Wehrmacht bei Sedan unter Umgehung der Maginot-Linie stürzten die französische Regierung in eine schwere Krise. Der schnelle deutsche Vormarsch Richtung Paris ließ das politische System Frankreichs innerhalb weniger Tage zusammenbrechen. Um das Vertrauen und den Verteidigungswillen der Bevölkerung zu stärken, berief Premierminister Paul Reynaud den populären Marschall Pétain am 18. Mai in die Regierung und ernannte ihn zu seinem Stellvertreter. Wenig später, nach dem Fall der Hauptstadt Paris am 14. Juni und angesichts der drohenden Niederlage, plädierte Reynaud für eine Fortsetzung des militärischen Widerstands, zur Not aus den Kolonien heraus. Pétain hingegen hielt eine Fortsetzung des Krieges für aussichtslos und plädierte für eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen. Da Reynaud mit seiner Ansicht im Kabinett in der Minderheit blieb, trat er am 16. Juni von seinem Amt zurück. Staatspräsident Albert Lebrun beauftragte daraufhin den mittlerweile 84-jährigen Pétain mit der Bildung einer neuen Regierung und bereits am nächsten Tag sondierte dieser die Bedingungen für einen Waffenstillstand beim Deutschen Reich. In seiner ersten Radioansprache an das französische Volk warb Pétain am 17. Juni um Verständnis:

„Sicher des Vertrauens des gesamten Volkes, stelle ich meine Person Frankreich zur Verfügung, um sein Leid zu mildern […] Ich teile Ihnen heute mit schwerem Herzen mit, dass es Zeit ist, diesen Kampf zu beenden. Ich habe mich diese Nacht an den Gegner gewendet, um ihn zu fragen, ob er bereit ist zusammen mit uns, unter Soldaten, nach dem Kampf und in Ehre, die Mittel zu suchen, um den Feindseligkeiten ein Ende zu setzen.“<ref>Philippe Pétain auf Lignemaginot.com</ref>

Der ohne Verhandlungen am 22. Juni geschlossene deutsch-französische Waffenstillstand von Compiègne teilte Frankreich unter anderem in einen unter deutscher Militärverwaltung stehenden Nord- und Westteil sowie einen unbesetzten Südteil (etwa 40 Prozent der Landesfläche). Die Kosten der deutschen Besatzung hatte Frankreich zu tragen, die inneren Verhältnisse der französischen Kolonien blieben unangetastet und die Kriegsflotte sollte nicht demobilisiert werden.

Nach Beendigung der Kämpfe verlegte Pétain den Sitz von Nationalversammlung und Regierung von Bordeaux am 1. Juli ins unbesetzte Vichy, das de facto neue Hauptstadt Frankreichs wurde. Um den Waffenstillstand zu ratifizieren, trat die Nationalversammlung erstmals am 10. Juli in Vichy zusammen. Unter dem unmittelbaren Einfluss der katastrophalen Niederlage verabschiedeten die Abgeordneten auf Betreiben Pierre Lavals mit 569 gegen 80 Stimmen ein Gesetz, das Pétain ermächtigte, in einem oder mehreren Akten Verfassungsänderungen auszuarbeiten. Dieser Beschluss setzte die Verfassung der Dritten Republik außer Kraft und mit den ersten Konstitutionsakten brachte Pétain am folgenden Tag „eine die Rechte von Arbeit, Familie und Vaterland garantierende Verfassung für den État français“ auf den Weg und erklärte sich selbst zum Chef de l'État (Staatschef). Dabei stattete er sich mit nahezu absoluten Vollmachten gegenüber Exekutive, Legislative und Judikative aus, zu seinem Stellvertreter ernannte er Pierre Laval.

Persönlich wertete Pétain die militärische Niederlage als Zeichen eines Zerfallsprozesses der französischen Gesellschaft. Pétain beklagte die innere Zerrissenheit des Landes und den Verfall traditioneller Werte, weshalb er die Franzosen in einer Révolution nationale zu neuer Einheit und moralischer Erneuerung führen wollte. Unter der Parole «Travail, Famille, Patrie» (Arbeit, Familie, Vaterland) setzte sich das Vichy-Regime entschieden von den Prinzipien der Französischen Revolution «Liberté, Égalité, Fraternité» (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und der aus ihr gewachsenen republikanischen Tradition ab. Ziel war die Rückkehr zu einer traditionellen, patriarchalischen und hierarchischen Gesellschaftsform und deren moralische Erneuerung. Ein Merkmal dieser Bewegung war der regelrechte Personenkult, der sich um den Staatschef ausdrückte. Neues Staatssymbol wurde die Francisque, bestehend aus dem Marschallstab Pétains und zwei Liktoren-Beilen, das Lied «Maréchal, nous voilà» wurde als inoffizielle Nationalhymne nach der Marseillaise gespielt. Weiters wurde beispielsweise in einem Kirchenmagazin das Vater Unser auf seine Person umgeschrieben und der französische Klerus unterstützte ihn tatkräftig, der Bischof von Tarbes verglich ihn sogar mit dem Stern von Betlehem, der Frankreich den Weg zeigen würde. Darüber hinaus wurde sein Bildnis in jedem Stadtrathaus, anstatt der französischen Nationalfigur Marianne angebracht, sowie Münzen, Briefmarken und andere Gebrauchsgegenstände mit seinem Porträt herausgegeben, Vichy entwickelte sich zu einem politischen Wallfahrtsort um seine Person. Er wurde als Unser Vater, Unser Marschall oder als Vater aller Kinder Frankreichs bezeichnet.<ref>Charles Sowerwine: France since 1870. Culture, Society and the Making of the Republic; Pelgrave Macmillan; London, 2001/2009; S. 190/191</ref>

Um die Souveränität des Landes zu behaupten, proklamierte Pétain ein neutrales Frankreich, das zwischen den kriegführenden Parteien Äquidistanz zu halten suchte. In diesem Sinne lehnte er bei einem Treffen mit Adolf Hitler am 24. Oktober 1940 in Montoire einen Kriegseintritt Frankreichs an der Seite der Achsenmächte ab. Jedoch hielt er eine Zusammenarbeit (Kollaboration) mit dem Deutschen Reich für notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, Art und Umfang der materiellen, personellen und industriellen Ausbeutung des Landes in Grenzen zu halten und die Rückführung der fast zwei Millionen französischer Soldaten aus deutscher Kriegsgefangenschaft zu erreichen. Am 30. Oktober rechtfertigte Pétain in einer Radioansprache seine Politik:

„Ich betrete in Ehren den Weg der Kollaboration, um die Einheit Frankreichs zu erhalten […] und dies geschieht im Rahmen des Aufbaus einer neuen europäischen Ordnung. […] Diese Kollaboration muss aufrichtig sein. Sie muss jedes aggressive Denken ausschließen. Sie muss von einer geduldigen und vertrauensvollen Bemühung getragen werden. Frankreich ist durch zahlreiche Verpflichtungen gegenüber dem Sieger gebunden. Zumindest bleibt es souverän. Diese Souveränität verpflichtet es, seinen Boden zu verteidigen, die Meinungsverschiedenheiten beizulegen und den Abfall seiner Kolonien zu mindern.“<ref>Pétain, Philippe: Ansprache zur „Kollaboration“ (30. Oktober 1940) Themenportal Europäische Geschichte</ref>

Um eine Auslieferung der französischen Kriegsflotte an das Deutsche Reich zu verhindern, bombardierte die britische Royal Navy am 3. Juli 1940 in Mers-el-Kébir diese Flotte (Operation Catapult). Rund 1300 französische Seeleute verloren ihr Leben und als Reaktion brach Pétain die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien ab, hielt den Kontakt jedoch über den amerikanischen Botschafter William D. Leahy aufrecht.

Aufgrund der staatlichen Kollaboration, der autoritären Innenpolitik sowie zunehmender deutscher Repressalien verlor das Vichy-Regime ab 1942 spürbar an Rückhalt in der Bevölkerung und geriet in immer stärkere Abhängigkeit zum Deutschen Reich. Die Aufstellung einer Freiwilligenlegion zur Unterstützung der Wehrmacht im Kampf gegen den Bolschewismus in der Sowjetunion radikalisierte den kommunistischen Widerstand in Frankreich und brachte der Résistance regen Zulauf. Auf deutschen Druck hin und gegen den Rat der USA ernannte Pétain Pierre Laval am 18. April 1942 erneut zu seinem Stellvertreter und Regierungschef und in der Folge schwang sich Laval zum wichtigsten Entscheidungsträger des Vichy-Regimes auf. Der entschieden deutsch-freundliche Laval intensivierte die Kollaboration, indem er die verstärkte Gestellung französischer Zwangsarbeiter für die deutsche Kriegswirtschaft und die Deportation von Juden organisierte. Zu diesem Zweck gründete er mit der Milice française eine paramilitärische Einheit, die eng mit der deutschen Besatzungsmacht zusammenarbeitete.

Als sich im November 1942 nach der Landung der Alliierten in Nordafrika ein Angriff auf die „Festung Europa“ abzeichnete, besetzten deutsche und italienische Truppen am 11. November handstreichartig die bis dahin unbesetzte Südzone Frankreichs (Unternehmen Anton). Pétain blieb in Vichy, allerdings büßte das Regime durch die Besetzung seine ohnehin geringe faktische Macht weitgehend ein und sank endgültig auf den Status einer deutschen Marionettenregierung herab. Hitler sprach davon, dass es klug sei, „die Fiktion einer französischen Regierung mit Pétain aufrechtzuerhalten. Deshalb solle man Pétain ruhig als eine Art Gespenst beibehalten und ihn von Zeit zu Zeit etwas von Laval aufblasen lassen, wenn er etwas zu sehr zusammensinke“.<ref>Siehe Eberhard Jäckel: Frankreich in Hitlers Europa: die deutsche Frankreichpolitik im 2. Weltkrieg, Stuttgart 1966, S. 260 f.</ref> In den letzten Monaten spielte Pétain kaum noch eine politische Rolle, deckte jedoch mit seiner Autorität die Politik Lavals und die Maßnahmen der Milice.

Mit der alliierten Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 (Operation Overlord) ging die Befreiung Frankreichs in die entscheidende Phase und das unweigerliche Ende des Vichy-Regimes zeichnete sich ab. Am 20. August wurde die Regierung zunächst nach Belfort verlegt und auf deutschen Befehl hin am 7. September ins hohenzollerische Sigmaringen. Dort bezog sie im Hohenzollernschloss Quartier und bildete in der „Provisorischen Hauptstadt des besetzten Frankreich“ eine einflusslose Exilregierung. Pétain, der gezwungen worden war, Frankreich zu verlassen, beteiligte sich nicht an dieser Regierung, der nun Faschisten wie Fernand de Brinon und Jacques Doriot angehörten.

Prozess und Lebensende

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Grab Pétains auf der Île d’Yeu

Mit deutscher Genehmigung reiste Pétain am 23. April 1945 über die neutrale Schweiz nach Frankreich aus und stellte sich drei Tage später den dortigen Behörden.

Am 14. August 1945 wurde er in Paris von einem Kriegsgericht wegen Kollaboration mit dem Feind und Hochverrat nach mehrwöchigem Prozess für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Während der Verhandlungen hatte Pétain seine Unschuld beteuert und hervorgehoben, alles ihm Mögliche zur Rettung Frankreichs getan zu haben. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Verurteilten schlug das Gericht Charles de Gaulle als provisorischem Regierungschef die Begnadigung Pétains zu lebenslanger Haft vor, die am 17. August ausgesprochen wurde. Seine bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm aberkannt. Nach kurzer Unterbringung im Fort du Portalet (Département Pyrénées-Atlantiques) wurde er im November 1945 auf die Atlantik­insel Île d’Yeu verbracht und in der Zitadelle von Port-Joinville interniert.

Philippe Pétain starb dort am 23. Juli 1951 im Alter von 95 Jahren und wurde auf dem Friedhof der Insel beigesetzt.

Die französische Regierung lehnte seinen Wunsch ab, im Beinhaus von Douaumont bei Verdun beigesetzt zu werden. Um eine Umbettung dorthin zu erzwingen, wurden die Gebeine Pétains zwei Wochen vor den Wahlen zur Nationalversammlung des Jahres 1973 von Anhängern des Marschalls entwendet, zwei Tage später von der Polizei gefunden und am 22. Februar 1973 auf Anweisung von Staatspräsident Georges Pompidou wieder auf die Île d’Yeu überführt.<ref>Time Magazine, März 1973.</ref><ref>Grabstätte von Pétain</ref>

Nachleben

Da Pétain großen Teilen der Bevölkerung sowie vor allem der politischen und militärischen Elite immer noch als Kriegsheld galt, wurde er jahrelang eher als Opfer der deutschen Besatzung gesehen und betont, dass sein Regime bei allen Fehlern auch als „Schutzschild“ gegen Nazi-Deutschland gewirkt habe. Die Verbrechen des Regimes wie etwa die Deportation der französischen Juden wurden entweder verschwiegen oder anderen Vichy-Funktionären zugeschrieben. Der Historiker Henry Rousso bezeichnete dies 1987 als das „Vichy-Syndrom“. Noch François Mitterrand (der erste sozialistische Präsident, 1981–1995) legte 1987 wie alle seine Vorgänger eine Rose zur Erinnerung an Pétain am Fort Douaumont (Verdun) nieder; als dies 1992 publik wurde, löste es einen Skandal aus. Erst Mitterrands Nachfolger Jacques Chirac verurteilte die Verbrechen des Regimes und benannte die Verantwortung des französischen Staates dafür.

In einigen rechtsextremen Kreisen, wie beim Front national (FN), gilt Pétain immer noch als Held. Allerdings vermeidet die FN-Vorsitzende Marine Le Pen anders als ihr Vater Jean-Marie Le Pen das Thema.

Im Februar 2014 wurde die Existenz eines 350-seitigen Manuskripts (darunter 77 Skizzen und Schlachtpläne) mit dem Titel La guerre mondiale 1914–1918 öffentlich bekannt.<ref>L’histoire en rafale</ref> Das Manuskript bearbeitete Pétain 1920 bis 1931, einige Jahre mit seinem damaligen Protegé Charles de Gaulle. Nach einem Streit zwischen den beiden wurde es nicht veröffentlicht.<ref>Antoine Flandrin: Un manuscrit de Pétain sur 14-18 mis au jour. In: Le Monde. Un manuscrit de Philippe Pétain découvert. In: Le Point</ref>

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Actes et écrits. Flammarion, Paris 1974 (2 Bde.).
  • La bataille de Verdun. Édition Avalon, Paris 1986, ISBN 2-906316-02-4 (Nachdr. d. Ausg. Paris 1929).
  • Discours aux Francais. 17 juin 1940–20 août 1944. Albin Michel, Paris 1989, ISBN 2-226-03867-1.

Literatur

Weblinks

Commons Commons: Philippe Pétain – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references />

VorgängerAmtNachfolger
Joseph Paul-BoncourKriegsminister von Frankreich
9. Februar8. November 1934
Louis Maurin
Paul ReynaudPremierminister von Frankreich
16. Juni11. Juli 1940
Pierre Laval
Albert LebrunFranzösischer Staatspräsident
11. Juli 194020. August 1944
Charles de Gaulle
(provisorisch)