Paul VI.
Papst Paul VI. (bürgerlich Giovanni Battista Enrico Antonio Maria Montini; * 26. September 1897 in Concesio bei Brescia; † 6. August 1978 im päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo) war von 1963 bis 1978 nach kirchlicher Zählung der 262. Papst der römisch-katholischen Kirche. Wegen seiner prägenden Rolle für den Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils, seiner Beschlussfassung und der Umsetzung der Entscheidungen gilt er manchen als eigentlicher „Konzilspapst“. Wahrscheinlich hat keiner seiner Vorgänger jemals eine so umfassende kirchliche Gesetzgebung durchgesetzt, wenn auch die gesamte Neufassung des nachkonziliaren Gesetzbuches (Codex Iuris Canonici) erst 1983 publiziert wurde.
Papst Franziskus sprach Paul VI. am 19. Oktober 2014 selig.<ref>Seligsprechung im Vatikan: Paul VI. - Reaktionär oder Reformer? Tagesschau.de 19. Oktober 2014. Abgerufen am 19. Oktober 2014.</ref> Sein Gedenktag in der Liturgie ist der 26. September.<ref>Papst Paul VI. seliggesprochen. RadioVaticana.va 19. Oktober 2014. Abgerufen am 19. Oktober 2014.</ref>
Inhaltsverzeichnis
Leben
Giovanni Battista (Giambattista) Montini war der Sohn von Giorgio Montini (1860–1943), einem Zeitungsverleger und Politiker, und von Giuditta Montini (1874–1943), geborene Alghisi.<ref>Jörg Ernesti: Paul VI.: Der vergessene Papst, S. 28-30; Herder-Verlag, Freiburg 2012.</ref> Er studierte zunächst in Brescia 1916–1920 Katholische Theologie und wurde dort 1920 zum Priester geweiht.<ref>Ernesti: Paul VI., S. 35, S. 369, Freiburg 2012</ref> Anschließend studierte Montini in Rom an der Päpstlichen Diplomatenakademie und an der Päpstlichen Universität Gregoriana von 1920 bis 1923 ziviles und kanonisches Recht sowie Philosophie.<ref>Ernesti, Paul VI., S. 37f, S. 369, Freiburg 2012</ref>
Kirchlicher Werdegang
Seit 1922 arbeitete Montini im vatikanischen Staatssekretariat, wo er, abgesehen von einer kurzen Tätigkeit an der Warschauer Nuntiatur, bis 1954 wirkte. Nebenamtlich war Montini von 1925 bis 1933 Generalassistent des katholischen Studentenverbandes Italiens (FUCI). Als solcher hatte er Auseinandersetzungen mit dem faschistischen Regime. Von 1937 an war Montini als Substitut ein enger Mitarbeiter von Staatssekretär Pacelli, dem späteren Pius XII., den er auf seinen Auslandsreisen begleitete. Während Montini sich nach dem Tode von Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione 1944 als Substitut vorwiegend den innerkirchlichen Aufgaben widmete, beschäftigte sich sein Kollege Domenico Tardini mit den kirchenpolitischen Aufgaben. Dabei verkörperte Tardini eher die Tradition, während Montini für viele bereits „die Zukunft“ darstellte.
Pius XII. hatte 1952 die Namen seiner beiden Mitarbeiter Montini und Tardini an die Spitze der neuen Kardinalsliste gesetzt und teilte dies im Januar 1953 den damals anwesenden Kardinälen im Konsistorium mit („Iam erant nomina in primis a Nobis scripta.“). Nachdem diese abgelehnt hatten, ernannte der Papst die beiden 1952 zu Pro-Staatssekretären (ohne Bischofsrang und ohne Kardinalswürde). Montini, der im Namen des Papstes oft Reden geschrieben und gehalten hatte, schickte er zwei Jahre später, nach dem Tod Kardinal Alfredo Ildefonso Schusters, überraschend als Erzbischof nach Mailand. Der Anlass seiner Entfernung aus Rom könnten Differenzen mit Pius XII. gewesen sein. Nach anderer Meinung habe Pacelli seinem Mitarbeiter bewusst pastorale Erfahrungen mitgeben wollen. Die Bischofsweihe wurde Montini am 12. Dezember 1954 im Petersdom von Kardinal Eugène Tisserant gespendet; der Papst, durch Krankheit verhindert dies selbst zu tun, beteiligte sich an der Feier aber mit einer Ansprache über Funk.<ref name = Lazzarini-1>Andrea Lazzarini: Papst Paul VI. Sein Leben und seine Gestalt, S. 169; Herder, Freiburg/Basel/Wien 1964</ref> Montini widmete sich nun mit aller Kraft der Großstadtseelsorge in der norditalienischen Metropole. Sein Hauptaugenmerk galt der Arbeiterwelt und dem Bau neuer Kirchen, wofür er sein Privatvermögen hergab.
Während des Pontifikats des bereits schwer kranken Pius XII. hatte Montini, wegen seiner Nähe zum linken Flügel der italienischen Partei Democrazia Cristiana (um Amintore Fanfani) als „sozial-liberal“ verdächtigt, starke Gegner in der römischen Kurie und ihrer Umgebung. So unterstützte er die einmal als innovativ angesehene Laienorganisation Opus Dei auch gegen Aktivitäten führender, damals integralistisch orientierter Jesuiten.
Wirken als Kardinal
Nach dem Tode von Papst Pius XII. wurde Montini als „papabile“ gehandelt, obwohl er nicht Kardinal war. Den Kardinalshut bekam er erst am 15. Dezember 1958 durch Johannes XXIII. und wurde damit als Kardinalpriester mit der Titelkirche Santi Silvestro e Martino ai Monti in das Kardinalskollegium aufgenommen. In dieser Zeit bereiste Montini 1960 Brasilien und die USA, 1962 besuchte er in Afrika Ghana, den Sudan, Kenia, den Kongo, Rhodesien, Südafrika und Nigeria. Urlaube verbrachte der Kardinal mehrmals in der Benediktinerabtei Kloster Engelberg in der Schweiz.<ref name = Lazzarini-2>Lazzarini: Papst Paul VI., S. 90–92; Herder, Freiburg 1964</ref>
Im Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils, bei dem Montini Mitglied der Kommission für die außerordentlichen Aufgaben war, hielt er sich (im Bewusstsein der Risiken dieser Zusammenkunft) in der Öffentlichkeit und in der Konzilaula auffallend zurück und sprach nur zweimal zu den versammelten Bischöfen. Hinter den Kulissen entfaltete der Kardinal jedoch eine rege Überzeugungstätigkeit, was die programmatische Gestaltung des Konzils anging. Johannes XXIII., der seinen Mitarbeiter sehr schätzte, hatte absichtlich keine enge Richtung vorgegeben, damit dieses Konzil eine Eigendynamik entwickeln konnte. Diese Offenheit führte aber unter den Teilnehmern zu einer anfänglichen Richtungslosigkeit. Montini gelang es, diese kritische Phase zu überwinden. Von einigen Kardinälen wurde er dadurch bereits als möglicher Nachfolger des Papstes angesehen.
Pontifikat und Konzil
Nach dem Tod Johannes’ XXIII. am 3. Juni 1963 trat am 19. Juni das Kardinalskollegium zum Konklave zusammen. Bereits im fünften Wahlgang am 21. Juni wurde Montini zum Papst gewählt (mit 65 von 80 Stimmen, so Giulio Andreotti)<ref>Giulio Andreotti: Meine sieben Päpste. Begegnungen in bewegten Zeiten, S. 124; Herder, Freiburg 1982. ISBN 3-451-19654-9.</ref> und nahm den Papstnamen Paul VI. an. Die Krönungszeremonie fand am 30. Juni auf dem Petersplatz statt. Im Jahr 1964 legte Paul VI. die Tiara ab und führte sie nur noch in seinem Wappen. Er war der letzte Papst, der damit gekrönt wurde.
Paul VI. führte das von seinem Vorgänger Johannes XXIII. einberufene Zweite Vatikanum zu Ende. Es war nach außen ein großer Erfolg für die katholische Kirche, da ihre Selbstkorrektur von Andersdenkenden positiv aufgenommen wurde.
«Da questo centro cattolico romano nessuno è, in via di principio, irraggiungibile; in linea di principio tutti possono e debbono essere raggiunti. Per la Chiesa cattolica nessuno è estraneo, nessuno è escluso, nessuno è lontano. […] questo Nostro universale saluto rivolgiamo anche a voi, uomini che non Ci conoscete; uomini, che non Ci comprendete; uomini, che non Ci credete a voi utili, necessari, ed amici; e anche a voi, uomini, che, forse pensando di far bene, Ci avversate! Un saluto sincero, un saluto discreto, ma pieno di speranza; ed oggi, credetelo, pieno di stima e di amore.»
„Von diesem römisch-katholischen Zentrum aus ist niemand von Prinzips wegen, unerreichbar; auf der Linie dieses Prinzips können und müssen alle erreicht werden. Für die katholische Kirche ist niemand fremd, niemand ausgeschlossen, niemand fern. Diesen Unseren universellen Gruß richten Wir auch an Euch, Menschen, die Ihr Uns nicht kennt; Menschen, die Ihr Uns nicht versteht; Menschen die Ihr Uns nicht für Euch nützlich, notwendig und freundlich glaubt; und auch an Euch, Menschen, die Ihr, für Euch denkend, auf diese Weise Gutes zu tun, Uns anfeindet! Ein aufrichtiger Gruß, ein besonderer Gruß, aber voll von Hoffnung; und heute, glaubt es, voller Wertschätzung und Liebe.<ref>Epilogo del Concilio Ecumenico Vaticano II, 8. Dezember 1965 (Volltext in italienisch)</ref>“
Dieses kurze Zitat fasst die Absichten des Papstes gut zusammen, es waren aber noch andere Problemfelder anzugehen. Paul VI. verwirklichte eine Reihe der von dem Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen Maßnahmen, wie die Liturgiereform. Liberale Theologen bemängeln zwar, dass Montini einer durchgreifenden Demokratisierung der Kirche energischen Widerstand entgegensetzte. Damit folgte er dem „petrinischen Prinzip“ seiner Vorgänger, begriff den Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Amt also als Voraussetzung des Dialogs (Enzyklika Ecclesiam Suam von 1964). Ferner reformierte der Papst 1965 das Heilige Offizium und schuf daraus die Kongregation für die Glaubenslehre. Mit seiner Enzyklika Populorum progressio (1967) und dem apostolischen Schreiben Octogesima adveniens (1971) leistete er einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der katholischen Soziallehre. Am 30. Juni 1968 formulierte Paul VI. das Credo des Gottesvolkes.
Montini hatte weder die Volkstümlichkeit seines Vorgängers noch das Charisma seiner Nachfolger. Geschwächt durch Alter und Krankheit bot er besonders in der Spätphase seines Pontifikats mehr ein Bild der Hilflosigkeit. Er verfügte aber viele Reformen, ohne davon Aufhebens zu machen. Zur Abschaffung der über 400 Jahre währenden Institution des Index der verbotenen Bücher genügte 1965 ein Nebensatz in der Anordnung zur Umgestaltung des Heiligen Offiziums. Die apostolischen Schreiben Marialis cultus (1974) und Evangelii nuntiandi (1975, im Anschluss an die Bischofssynode) nahmen aktuelle theologische Entwicklungen auf und waren Ausdruck eines zugleich moderneren und stärker aus der Bibel schöpfenden Verständnisses der Marienverehrung und der Aufgabe der kirchlichen Verkündigung und Mission.
Umstritten ist in der Öffentlichkeit bis heute die Enzyklika Humanae vitae von 1968, in der Paul VI. zwar die Eigenverantwortung der Eltern billigte, die Verurteilung künstlicher Methoden der Empfängnisverhütung aber aufrechterhielt. Das Schreiben erhielt insofern eine besondere Aufmerksamkeit, als die Markteinführung der Antibabypille wenige Jahre zurücklag. Daher bekam der Papst von Gegnern der Enzyklika den spöttischen Beinamen „Pillen-Paul“.<ref>Drei Päpste, zwei Konklave und ein angeblicher Giftmord. Kirchensite.de, Bistum Münster 5. August 2008. Abgerufen am 9. Februar 2015</ref> Infolge der durch Paul VI. veranlassten Veränderungen, insbesondere der Liturgiereform im Anschluss an das Zweite Vatikanum, spalteten sich die Priesterbruderschaft Pius X. um den Erzbischof Marcel Lefebvre mit rund 120.000 Anhängern sowie verschiedene sedisvakantistische Kreise (mit je einigen Dutzend oder einigen hundert Anhängern) ab. Im Ganzen konnte erstmals nach einem Konzil der Neuzeit die Einheit der Kirche (mit heute ca. 1,2 Mrd. Katholiken) gewahrt werden.
Auslandsreisen als Papst
In dieser Form eine Neuheit waren die Auslands- und Pilgerreisen Pauls VI. Als Montini am 4. Dezember 1963, zum Schluss der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanums, den darauf nicht vorbereiteten Konzilsvätern ankündigte, er werde vom 4. bis 6. Januar 1964 eine Reise ins Heilige Land unternehmen, kam dies überraschend, da seit 150 Jahren keiner seiner Vorgänger mehr (und um 1814 zuletzt Pius VII. nur unter dem Zwang Napoléon Bonapartes) italienischen Boden verlassen hatte. Es sollte die erste Pilgerfahrt sein, die je ein Papst ins Heilige Land unternahm, noch dazu in einer Zeit, als dieses Territorium politisch umstritten und gefährlich war. Zudem schien es dem Protokoll eine schwer lösbare Aufgabe, die Vorbereitung in nur vier Wochen zu bewältigen. Die Reise, die zu den heiligen Stätten in Israel und Jordanien führte, fand weltweite Beachtung. In Jerusalem traf Paul VI. mit Patriarch Athinagoras von Konstantinopel zusammen, was 1965 zur Aufhebung der gegenseitigen Exkommunikationen zwischen den Patriarchaten von Konstantinopel und Rom führte. Mit der Reise hatte die katholische Kirche überdies faktisch den Staat Israel anerkannt.
Es war der Auftakt für viele Auslandsreisen des Papstes und seiner Nachfolger. Im Jahre 1964 kam Paul VI. noch nach Indien und sprach am 4. Oktober 1965 vor der UNO-Vollversammlung in New York. Der Friedensappell des Papstes dort gehört zu seinen meistbeachteten politischen Reden. Weitere Reisen führten ihn 1967 nach Fátima und Istanbul, 1968 nach Kolumbien. Am 10. Juni 1969 war Paul VI. in Genf. Er sprach vor der internationalen Arbeitsorganisation ILO anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens und vor dem Ökumenischen Rat der Kirchen (Notre nom est Pierre.). Vom 31. Juli bis zum 2. August 1969 kam Paul VI. nach Uganda; es war dies nicht Montinis erster Afrikabesuch, aber der erste eines Papstes. 1970 kam er unter anderem auf die Philippinen und nach Australien. Am 27. November 1970, dem zweiten Tag seiner letzten Auslandsreise durch Asien und Ozeanien, entging Paul VI. in der philippinischen Hauptstadt Manila nur knapp dem Messerattentat des vermutlich geistesgestörten bolivianischen Kunstmalers Benjamín Mendoza y Amor Flores, der sich als Priester verkleidet hatte. Der Papst wurde dabei vom späteren US-amerikanischen Erzbischof Paul Marcinkus und seinem Privatsekretär Pasquale Macchi vor Schlimmerem bewahrt. Der Attentäter wurde später zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Dialog und Diplomatie
In ökumenischer Hinsicht entwickelte Paul VI. neben dem Dialog mit der Orthodoxie auch den Dialog mit der Altkatholischen Kirche weiter, die bereits Konzilsbeobachter entsandt hatte. Während frühere Päpste ab 1723 die Wahlanzeigen eines altkatholischen Erzbischofs von Utrecht regelmäßig mit einer Bannbulle quittierten, verfasste Montini 1969 erstmals an den designierten altkatholischen Erzbischof Marinus Kok einen persönlichen Glückwunschbrief.<ref>Wolfgang Krahl: Ökumenischer Katholizismus, S. 100; St. Cyprian, Bonn 1970</ref> Im Laufe seines Pontifikats wurde mehrfach versucht, für die Altkatholiken eine, das Ostkirchendekret fast wortwörtlich übernehmende, Regelung zu schaffen.<ref>Peter Neuner: Neue Aspekte zur Abendmahlgemeinschaft. In: Wolfgang Seibel SJ (Hrsg.): Stimmen der Zeit. Heft 3 März 1974, S. 172-173; Herder, Freiburg im Breisgau.</ref> Dieses vom Konzil beschlossene Dekret über die katholischen Ostkirchen Orientalium Ecclesiarum ermöglicht unter Nr. 27 und 28 die beschränkte Eucharistiegemeinschaft zwischen der katholischen und den orthodoxen Kirchen.<ref>Beschlüsse der Würzburger Synode, 5.4.1. Ostkirchen und altkatholische Kirche, S. 214. Homepage Deutsche Bischofskonferenz, abgerufen am 3. Mai 2014</ref>
In das Pontifikat Pauls VI. fällt auch eine diplomatische Öffnung den kommunistischen Teilen der Welt gegenüber. Bereits am Rande der UNO-Vollversammlung 1965 hatte es ein erstes informelles Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Andrei Andrejewitsch Gromyko gegeben. Im folgenden Jahr ersuchte Gromyko offiziell um eine Zusammenkunft mit dem Papst, zu der es am 27. April 1966 im Vatikan kam. Neben Gesprächen über die weltpolitische Gesamtlage forderte Montini bei diesem Treffen vor allem Religionsfreiheit in den Staaten des Ostblocks. In den folgenden Jahren gab es mehrere Treffen zwischen Diplomaten des Heiligen Stuhls und der Sowjetunion in Moskau und im Vatikan. Damit entfernte sich Paul VI. von der strikt antikommunistischen Haltung seit Pius XII., wonach Kontakte mit kommunistischen Staaten weitgehend abgelehnt wurden. Ziel des Papstes war es, durch die vorsichtige Annäherung den schweren Stand der katholischen Kirche im Ostblock zu mildern. Am 1. Januar 1968 führte Paul VI. für diesen Tag für die Weltkirche den Weltfriedenstag ein.
Letzte Monate und Tod
Am 16. März 1978 wurde der christdemokratische Politiker Aldo Moro von den Roten Brigaden entführt. Dieser und Montini waren seit Moros Studienzeit befreundet, er war ab 1939 in der Leitung des katholischen Studentenverbands FUCI aktiv, dessen geistlicher Leiter der spätere Papst einmal war. Paul VI. setzte sich persönlich für die Freilassung Moros ein, indem er sich mit einem handschriftlichen Brief an die Entführer wandte. Doch trotz dieser Bemühungen wurde der Politiker schließlich ermordet; Montini selbst hielt später die Messe im Rahmen des Staatsaktes für Moro.
Am 14. Juli 1978 brach Paul VI. zur päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo auf. Obwohl gesundheitlich angeschlagen, traf er sich dort mit dem neuen italienischen Staatspräsidenten Sandro Pertini. Am gleichen Abend hatte der Papst Atemprobleme und benötigte die Gabe von Sauerstoff. Am folgenden Tag (Sonntag) war Paul VI. erschöpft, wollte aber trotzdem den Angelus beten. Er war dazu jedoch nicht in der Lage und blieb stattdessen im Bett. Von dort aus nahm Montini an der abendlichen Messe teil. Nach der Kommunion erlitt der Papst einen schweren Herzinfarkt, an dessen Folgen er am 6. August 1978 gegen 21:40 starb.<ref>Vor 25 Jahren starb der Konzilspapst Paul VI. Religion.ORF.at 4. August 2003. Abgerufen am 9. Februar 2015.</ref> Paul VI. wurde in den vatikanischen Grotten bestattet, seinem Wunsch entsprechend in einem Erdgrab.
Enzykliken
Die fünf großen Enzykliken stehen allesamt thematisch im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und verdeutlichen aktuelle Aspekte der Glaubens- und Sittenlehre mit größerer Ausführlichkeit als in den Konzilsdokumenten möglich war. In der Folgezeit veröffentlichte der Papst weitere apostolische Schreiben, insbesondere Octogesima adveniens zur katholischen Soziallehre (1971) sowie Gaudete in Domino und Evangelii nuntiandi im Heiligen Jahr 1975.
- Ecclesiam suam (6. August 1964) über den Weg der Kirche in der heutigen Zeit
- Mense maio (29. April 1965) über die Marienverehrung im Monat Mai
- Mysterium fidei (3. September 1965) über die Eucharistie als Mitte der Kirche
- Christi matri rosarii (15. September 1966) über das Rosenkranzgebet als Mittel zum Frieden
- Populorum progressio (26. März 1967) über den gerechten Fortschritt der Völker
- Sacerdotalis caelibatus (24. Juni 1967) über die Ehelosigkeit der Priester
- Humanae vitae (25. Juli 1968) über die Weitergabe des menschlichen Lebens.
Kunstaufträge
Papst Paul VI. zeigte eine außergewöhnliche Offenheit für die zeitgenössische Kultur, vor allem für die Bildende Kunst. Schon in Mailand verkehrte Montini gerne mit Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern.<ref>August Franzen, Remigius Bäumer: Papstgeschichte, S. 420; 4. Aufl. Herder, Freiburg 1988.</ref> Mit den von ihm gesammelten Werken moderner religiöser Kunst errichtete Paul VI. eine eigene Abteilung in den Vatikanischen Museen, die er 1973 als Sammlung Moderner Religiöser Kunst eröffnete. Die Museumsabteilung umfasst etwa 800 Werke von etwa 250 internationalen Künstlern. Weitere Werke gelangten 1977 in die Sammlung, und zwar als Schenkungen zeitgenössischer Künstler anlässlich seines 80. Geburtstages am 26. September 1977.<ref>Ralf van Bühren: Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert., S. 319–323, Abb. 18; Schöningh, Paderborn 2008.</ref>
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil beauftragte Paul VI. mehrere zeitgenössische Künstler und Architekten, 1964–1977 entstanden somit neue Werke im Vatikan. „Zu diesen […] zählen vier päpstliche Grabdenkmäler und vier Bronzeportale für die Petersbasilika, der päpstliche Kreuzstab, die Vatikanische Audienzhalle mit Synodensaal und die päpstliche Privatkapelle im Apostolischen Palast.“<ref>Bühren: Kunst und Kirche., S. 310, Paderborn 2008. Zu den von Paul VI. beauftragten Kunstwerken und Gebäuden vgl. S. 310–319, Abb. 53-59</ref> Die bronzene Ferula von 1963 schuf Lello Scorzelli.
1964–1971 ließ der Papst die große vatikanische Audienzhalle durch Pier Luigi Nervi (1891–1979) errichten. Diese wird gewöhnlich nach ihrer Funktion („Aula delle Udienze Pontificie“), ihrem Architekten („Sala Nervi“) bzw. heute offiziell nach ihrem Bauherrn („Aula Paolo VI“) benannt.
Sonstiges
Papst Paul VI. erhob mit Albino Luciani (Ernennung 1973), Karol Wojtyla (Ernennung 1967) und Joseph Ratzinger (Ernennung 1977) jene drei Bischöfe zu Kardinälen, die später seine Nachfolger werden sollten. Montini selbst (wie jeweils seine sämtlichen sechs Vorgänger im 20. Jahrhundert) war von seinem unmittelbaren Vorgänger zum Kardinal ernannt worden. (siehe Liste der Kardinalskreierungen)
Nachwirkung
Die Papstforschung urteilte über Paul VI., er sei zu Lebzeiten von vielen verkannt und angefeindet worden, obwohl er es sich nicht leicht gemacht habe. Im Rückblick wird vielerorts anerkannt, dass Montini manche seiner Vorgänger an Reformeifer übertroffen hat. Er bahnte hiermit den Weg für seine Nachfolger. Der mit dem Papst befreundete französische Philosoph Jean Guitton gelangte früh zu der Einschätzung, die Leistung des Pontifikats werde von der Nachwelt noch entdeckt werden.
Die Fortführung und den Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) benannte Montini bereits drei Tage vor Amtseinführung und Krönung (30. Juni 1963) als die zentrale Aufgabe seines Pontifikats. Als konzil-interpretierender „Gesetzgeber“ war Paul VI. der „eigentliche Konzilspapst“, „nicht nur, weil er sämtliche Beschlüsse des Zweiten Vatikanum in Kraft setzte, sondern auch, weil seine gesamte Amtszeit von der ungeheuren Aufgabe geprägt war, das Konzil ins Leben der Kirche zu überführen. Entsprechend groß ist die Bedeutung des Montini-Pontifikates für alle Fragen der Rezeption und Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils“.<ref>Michael Bredeck: Das Zweite Vatikanum als Konzil des Aggiornamento., S. 350, Paderborn 2007; vgl. Bühren: Kunst und Kirche., S. 302 f, Paderborn 2008.</ref>
Nach ihm ist die Auszeichnung Internationaler Preis Paul VI. benannt, das Istituto Paolo VI in seinem Heimatort Concesio bei Brescia erforscht sein Pontifikat. Zusammen mit der École francaise de Rome hat das Institut 1984 ein umfassendes Werk über ihn, Paul VI et la modernité dans l’Église, herausgegeben.
Johannes Paul II. eröffnete am 11. Mai 1993 das Seligsprechungsverfahren Pauls VI. Im Dezember 2012 stellte Papst Benedikt XVI. den heroischen Tugendgrad fest und erhob Montini zum ehrwürdigen Diener Gottes.<ref>Paul VI. auf dem Weg zur Seligsprechung. RadioVaticana.va 20. Dezember 2012. Abgerufen am 9. Februar 2015.</ref> Im Dezember 2013 bestätigte der Heilige Stuhl die Anerkennung einer medizinisch nicht erklärbaren Heilung auf Fürsprache Pauls VI.<ref>Pope Paul VI's miracle Healing called 'unexplainable' putting former Pontiff closer to Sainthood. (englisch) HuffingtonPost.com 13. Dezember 2013. Abgerufen am 9. Februar 2015.</ref> Mitte Februar 2014 erkannte die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse die Heilung eines ungeborenen Kindes als Wunder an.<ref>Theologians approve Paul VI “Miracle”. (englisch) Vaticaninsider, LaStampa.it 21. Februar 2014. Abgerufen am 9. Februar 2015.</ref> Am 10. Mai gab der Heilige Stuhl bekannt, dass Paul VI. am 19. Oktober 2014 seliggesprochen werde.<ref>Papst Paul VI. wird am 19. Oktober seliggesprochen. Religion.ORF.at 11. Mai 2014. Abgerufen am 9. Februar 2015.</ref>
Ehrungen
Literatur
- Ulrich Nersinger: Paul VI. ein Papst im Zeichen des Widerspruchs, Patrimonium-Verlag, Aachen 2014, ISBN 978-3-86417-027-0.
- Jörg Ernesti: Paul VI.: Der vergessene Papst, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-451-30703-4.
- Ralf van Bühren: Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils (Konziliengeschichte, Reihe B: Untersuchungen), Verlag Ferdinand Schöningh,Paderborn 2008, ISBN 978-3-506-76388-4.
- Michael Bredeck: Das Zweite Vatikanum als Konzil des Aggiornamento. Zur hermeneutischen Grundlegung einer theologischen Konzilsinterpretation (Paderborner theologische Studien, 48), Paderborn 2007.
- Jean Mathieu-Rosay: Die Päpste im 20. Jahrhundert. Primus-Verlag, Darmstadt 2005, ISBN 3-89678-531-1.
- Peter Hebblethwaite: Paul VI. The First Modern Pope, New York: Paulist Press 1993, ISBN 0-8091-0461-X.
- Luitpold A. Dorn: Paul VI. Der einsame Reformer, Graz: Verlag Styria 1989, ISBN 3-222-11808-6.
- August Franzen, Remigius Bäumer: Papstgeschichte, 4. Aufl., Herder-Verlag, Freiburg 1988, ISBN 978-3-451-08578-9.
- Aimé-Georges Martimort: Le rôle de Paul VI dans la réforme liturgique, in: Le rôle de G. B. Montini – Paul VI dans la réforme liturgique. Journée d’études, Louvain-la-Neuve, 17 octobre 1984 (Pubblicazioni dell’Istituto Paolo VI 5), Brescia 1987, S. 59–73
- Philippe Levillain (Hg.): Paul VI et la modernité dans l’église (Collection de l’École francaise de Rome, Bd. 72), Rom 1984
- Iosif R. Grigulevic: Die Päpste des XX. Jahrhunderts, Leipzig: Urania-Verlag 1984
- Wilhelm Sandfuchs: Paul VI. Papst des Dialogs und des Friedens, Würzburg: Echter-Verlag 1978, ISBN 3-429-00588-4
- Gustl Kernmayr: Papst Paul VI. Das Abenteuer seiner Jugend, München / Wien: Franz Schneider 1971
- Jean Guitton: Dialog mit Paul VI., Frankfurt/Main: Fischer 1969
- Georg Huber: Paul VI., Paderborn: Bonifacius-Druckerei 1964
- Corrado Pallenberg: Paul VI. Schlüsselgestalt eines neuen Papsttums, München: List Verlag 1965
- Andrea Lazzarini: Papst Paul VI. Sein Leben und seine Gestalt, Freiburg/Basel/Wien: Herder 1964
- Franz Burda (Hrsg.): Papst Paul VI. im Heiligen Land, Offenburg: Burda-Verlag 1964
- Wilhelm Sandfuchs (Hrsg.): Papst Paul VI. In nomine Domini (Arena-Bildtaschenbuch; Bd. 7), Würzburg: Arena Verlag 1963
- Josef A. Slominski / Scampi Leone: Paul VI. Aus der Schule dreier Päpste, Recklinghausen: Paulus Verlag 1963
Weblinks
- Literatur von und über Paul VI. im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Paul VI. in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Die wichtigsten von Papst Paul VI. verfassten Schriften, Briefe und Ansprachen (teilweise auf Deutsch)
- Gesamtwerk
Einzelnachweise
<references />
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
---|---|---|
Johannes XXIII. | 20pxPapst 1963–1978 | Johannes Paul I. |
Alfredo Ildefonso Kardinal Schuster OSB | Erzbischof von Mailand 1954–1963 | Giovanni Kardinal Colombo |
Domenico Tardini | Substitut des Vatikanischen Staatssekretariates 1937–1953 | Angelo Dell’Acqua |
Personendaten | |
---|---|
NAME | Paul VI. |
ALTERNATIVNAMEN | Montini, Giovanni Battista Enrico Antonio Maria (wirklicher Name) |
KURZBESCHREIBUNG | italienischer Geistlicher, Papst, Bischof von Rom, Staatsoberhaupt des Vatikans |
GEBURTSDATUM | 26. September 1897 |
GEBURTSORT | Concesio bei Brescia |
STERBEDATUM | 6. August 1978 |
STERBEORT | Castel Gandolfo |