Tramadol


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Strukturformel
(1R,2R)-Tramadol   (1S,2S)-Tramadol
1:1-Gemisch aus (1R,2R)-Tramadol (links) und (1S,2S)-Tramadol (rechts)
Allgemeines
Freiname Tramadol
Andere Namen
  • IUPAC:(±)-(1R*,2R*)-2-(Dimethylaminomethyl) -1-(3-methoxyphenyl)cyclohexanol
  • (±)-cis-2-(Dimethylaminomethyl) -1-(3-methoxyphenyl)cyclohexanol
  • Latein: Tramadolum
Summenformel C16H25NO2
CAS-Nummer
  • 27203-92-5 und deren Metabolite, insbesondere die am Sauerstoff demethylierten Derivate (Nortramadole), besitzen unterschiedlich starke pharmakologische Wirkungen [μ-Opioid-Bindung Ki(μM)]:<ref name="Schäfer">Bernd Schäfer: Naturstoffe der chemischen Industrie, Elsevier, 2007, S. 255.256, ISBN 978-3-8274-1614-8.</ref>

    • (1R,2R)-Tramadol: 5,1
    • (1S,2S)-Tramadol: 120
    • (1R,2R)-Nortramadol: 0,02
    • (1S,2S)-Nortramadol: 1,8

    Hervorzuheben ist die geringe organotoxische Wirkung von Tramadol (und fast aller anderen zentral wirkenden Analgetika/Opioiden); ganz im Gegensatz zu entzündungshemmenden Schmerzmitteln wie NSAR, die in hohem Maße Magen (z. B. Acetylsalicylsäure), Darm, Niere, Leber und andere Organe schädigen können. Dagegen steht die mit bis zu 30 % recht hohe Non-Responder-Rate; dies bedeutet, dass 30 Prozent der Personen, die Tramadol einnehmen, nicht darauf reagieren bzw. nicht die erwartete schmerzstillende Wirkung eintritt.

    Tramadol wird bei oraler Gabe zu etwa 95 % resorbiert. Die orale Bioverfügbarkeit wird mit 60 bis 75 % und die Plasmahalbwertszeit mit etwa 5 bis 6 Stunden angegeben.

    Anwendungsgebiete

    Tramadol ist angezeigt zur Behandlung von mäßig starken bis starken Schmerzen und kann peroral, rektal und intravenös verabreicht werden.

    Bei der Einnahme von mehreren unterschiedlich starken Opioiden wird das schwächere Präparat nicht verdrängt, weshalb die WHO eine aufbauend dreistufige Schmerztherapie mit entweder schwachen Opiaten (Stufe 2) oder starken Opiaten (Stufe 3) empfiehlt.

    Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete wird Tramadol im sogenannten Off-Label-Use zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms verwendet.

    Eine weitere Off-Label-Anwendung ist die Behandlung von ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss).<ref>Safarinejad, Mohammad Reza MD; Hosseini, Seyyed Yoosof MD: Safety and Efficacy of Tramadol in the Treatment of Premature Ejaculation: A Double-blind, Placebo-Controlled, Fixed-Dose, Randomized Study. In: Journal of Clinical Psychopharmacology, 2006, 26:27–31.</ref><ref>Salem, E. A., Wilson, S. K., Bissada, N. K., Delk, J. R., Hellstrom, W. J. and Cleves, M. A. (2008), Tramadol HCL has Promise in On-Demand Use to Treat Premature Ejaculation. In: The Journal of Sexual Medicine, 5: 188–193, doi:10.1111/j.1743-6109.2006.00424.x.</ref>

    Nebenwirkungen

    Nebenwirkungen wie Schwitzen, Sedierung und Verwirrtheit können auftreten, ebenso wie Schläfrigkeit und verschwommene Sicht. In therapeutischer Dosierung hat Tramadol wegen seiner geringen μ-Selektivität keinen beachtenswerten Einfluss auf die Atmung und den Pulmonalarteriendruck. Häufig wird eine starke Übelkeit beobachtet sowohl bei oraler Gabe als auch bei zu schneller Injektion. Blutdruck und Pulsfrequenz werden kaum beeinflusst. Von Krampfanfällen wurde berichtet, insbesondere bei Gabe von Dosen oberhalb der therapeutischen Dosis.

    Ebenso zeigen neuere Studien ein erhöhtes Risiko schwerer Hypoglykämien<ref>L.S. Nelson, D. Juurlink: Tramadol and Hypoglycemia: One More Thing to Worry About. In: JAMA Internal Medicine, 2015, 175(2), S. 194–195, doi:10.1001/jamainternmed.2014.5260</ref> und Hyponatriämien<ref>J.P. Fournier, H. Yin, J.-L Montastruc, L. Azoulay: Tramadol for Noncancer Pain and the Risk of Hyponatremia. In: The American Journal of Medicine, 2015, 128(4), S. 418–425 doi:10.1016/j.amjmed.2014.10.046</ref> mit teils tödlichem Ausgang.

    Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen

    Pharmakologische

    Tramadol kann bei Verwendung zusammen mit Bupropion und MAO-Hemmern schwerwiegende Nebenwirkungen entwickeln.

    Wechselwirkungen treten auch auf mit oralen Antikoagulantien,<ref>Scher ML, et al. Potential interaction between tramadol and warfarin. In: Ann Pharmacother 1997; 31: 646–647.</ref> Alkohol, Benzodiazepinen (Dämpfung des Atemzentrums bis hin zum möglichen Atemstillstand) und serotoninergen Stoffen (Gefahr des Serotonin-Syndroms <ref>Woggon, Brigitte (2005) Behandlung mit Psychopharmaka (2. Auflage). Bern: Hans Huber. ISBN 3-456-83538-8.</ref><ref>arznei-telegramm (1/2002): Serotonin-Syndrom unter Analgetikum Tramadol (Tramal u. a.).</ref>). Zu serotoninergen Stoffen zählen SSRI-Antidepressiva wie z. B. Fluoxetin und Citalopram und auch illegale Drogen wie Ecstasy und Kokain. Auch rezeptfreie Zubereitungen aus Johanniskraut (Johanniskrauttee, Johanniskrautextrakt in Kapseln usw.) können ein Serotonin-Syndrom auslösen.

    Chemisch-physikalische

    Tramadol-Injektionslösungen sind mit parenteralen Darreichungsformen von Diazepam, Diclofenac, Flunitrazepam, Glyceroltrinitrat, Indometacin, DL-Lysinmonoacetylsalicylat, Midazolam, Piroxicam und Phenylbutazon unverträglich, wenn sie in der gleichen Spritze aufgezogen werden; es kommt zur Ausflockung.<ref>Abanmy NO, et al. Compatibility of tramadol hydrochloride injection with selected drugs and solutions. In: Am J Health Syst Pharm 2005; 62: 1299–1302.</ref>

    Gewöhnung und Abhängigkeitspotential

    Als Agonist (u. a.) des μ-Opioidrezeptors besteht grundsätzlich ein Abhängigkeitspotential, besonders bei nicht-bestimmungsgemäßem Gebrauch. Generell sollte die Dosis nach dem Grundsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“ gegen den Schmerz titriert werden.

    Chemie und Isomerie

    Tramadol wird industriell rein synthetisch hergestellt.<ref name="Schäfer"/> Die chemische Synthese von Tramadol ist in der Literatur<ref name="Kleemann">Pharmaceutical Substances, Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher und Dieter Reichert, 4. Auflage (2000) 2 Bände erschienen im Thieme-Verlag Stuttgart, dort Seiten 2085 bis 2086, ISBN 978-1-58890-031-9; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.</ref> beschrieben. Tramadol [2-(Dimethylaminomethyl)-1-(3-methoxyphenyl)cyclohexanol] besitzt zwei stereogene Zentren am Cyclohexanring. Von 2-(Dimethylaminomethyl)-1-(3-methoxyphenyl)cyclohexanol gibt es also vier Konfigurationsisomere: (1R,2R)-Form (1S,2S)-Form, (1R,2S)-Form und die (1S,2R)-Form. Bei der Synthese entstehen die (1R,2R)-Form und die (1S,2S)-Form als Hauptprodukt in gleicher Menge. In geringerer Menge wird bei der Synthese das Racemat aus der (1R,2S)-Form und der (1S,2R)-Form gebildet. Die Isolation der (1R,2R)-Form und (1S,2S)-Form und somit die Abtrennung des Nebenprodukt-Racemates aus (1R,2S)-Form und der (1S,2R)-Form gelingt über die fraktionierende Kristallisation der Hydrochloride. Arzneilich verwendet wird Tramadol als Racemat aus der (1R,2R)-Form und der (1S,2S)-Form in Form seines Hydrochlorids. Die (1R,2R)-Form wird auch (+)-Tramadol, die (1S,2S)-Form (–)-Tramadol genannt.

    Die Trennung des Racemates aus der (1R,2R)-Form und der (1S,2S)-Form mit (R)-(–)- oder (S)-(+)-Mandelsäure ist in der Literatur<ref name="Zynovy">Zynovy Itov und Harold Meckler: A Practical Procedure for the Resolution of (+)- and (−)-Tramadol. In: Organic Process Research & Development 2000, 291-294.</ref> beschrieben, findet jedoch keine industrielle Anwendung, da Tramadol als Enantiomerengemisch benutzt wird, obwohl die unterschiedliche physiologische Wirkung der (1R,2R)- und (1S,2S)-Enantiomere belegt<ref name="Burke">D. Burke und D. J. Henderson: Chirality: a blueprint for the future, British Journal of Anaesthesia 88 (2002) 563-576.</ref> ist.

    Das Hydrochlorid des Racemates aus der (1R,2R)-Form und der (1S,2S)-Form, das Grünenthal in Deutschland als Arzneistoff entwickelte, wurde im ursprünglichen Patent<ref name="Flick">(a) K. Flick und E. v. Frankus, U.S. Patent 3 652 589 (Grünenthal GmbH) 28. März 1972; Chemical Abstracts 76 (1972) 153321. (b) K. Flick und E. Frankus, U.S. Patent 3 830 934 (Grünenthal GmbH) 20. August 1974; Chemical Abstracts 82 (1974) 21817.</ref> und in den allermeisten Veröffentlichungen<ref name="Frankus">Beispiele: E. v. Frankus, E. Friedrichs, S. M. Kim und G. Osterloh, Arzneimittel-Forschung / Drug Research 28 (1978) 114-121. (b) K. Flick, E. v. Frankus und E. Friedrichs, Arzneimittel-Forschung / Drug Research 28 (1978) 107-113. (c) Y. A. Ardakani und M.-R. Rouini, Journal of Pharmaceutical and Biomedical Analysis 44 (2007) 1168-1173.</ref> fälschlicherweise als (±)-trans-Tramadol beschrieben. Im Zuge des Zulassungsverfahrens in den Vereinigten Staaten wurde der Name in (±)-cis-Tramadol geändert.<ref name="Oradell">Physicians Desk Reference; Medical Economics Data, Oradell, N.J., 54 (2000) 2218–2219.</ref> Alternativ kann der racemische Arzneistoff (±)-cis-Tramadol auch als (±)-(1R*,2R*)-Tramadol bezeichnet werden, wobei mit (1R*,2R*) die relative Stereochemie angegeben ist, es sich also um ein 1:1-Gemisch der (1R,2R)-Form und der (1S,2S)-Form handelt.

    Tramadol als scheinbarer Naturstoff

    2013 veröffentlichten Wissenschaftler aus Frankreich, der Schweiz und Kamerun die Entdeckung, dass Tramadol in der Wurzelrinde der afrikanischen Arzneipflanze Nauclea latifolia enthalten ist.<ref>Boumendjel, A; Sotoing Taïwe, G; Ngo Bum, E; Chabrol, T; Beney, C; Sinniger, V; Haudecoeur, R; Marcourt, L; Challal, S; Ferreira Queiroz, E; Souard, F; Le Borgne, M; Lomberget, T; Depaulis, A; Lavaud, C; Robins, R; Wolfender, JL; Bonaz, B; De Waard, M: Occurrence of the Synthetic Analgesic Tramadol in an African Medicinal Plant. In: Angewandte Chemie International Edition. 52, Nr. 45, November 2013, S. 11780–11784. doi:10.1002/anie.201305697.</ref> Weitere Untersuchungen im Jahr 2014 durch deutsche und kamerunische Wissenschaftler ergaben jedoch, dass das Vorkommen von Tramadol in Nauclea latifolia eine Folge davon ist, dass in der betreffenden Region Rinder regelmäßig mit dem Wirkstoff behandelt werden und es so zu einer Kreuzkontamination des Bodens durch Urin und Fäkalien der Tiere kommt, und die Pflanze das Tramadol hieraus aufnimmt und anreichert.<ref>Souvik Kusari, Simplice Joel N. Tatsimo, Sebastian Zühlke, Ferdinand M. Talontsi, Simeon Fogue Kouam, Michael Spiteller: Tramadol—A True Natural Product?. In: Angewandte Chemie International Edition. September 2014. doi:10.1002/anie.201406639.</ref>

    Handelsnamen

    Monopräparate

    Adamon (A), Amadol (D), Contramal (A), Cromatodol (A), Ecodolor (CH), Jutadol (D), Lanalget (A), Noax (A), Nobligan (A), T-long (D), Tradolan (A), Tradonal (CH), Tramagit (D), Tramal (D, A), Tramundin (D, CH), Travex (D), Ultram, zahlreiche Generika (D, A, CH)

    Kombinationspräparate

    Mit Paracetamol: Dolevar (D), Zaldiar (D, A, CH, B)

    Weblinks

    Einzelnachweise

    <references/>

    Gesundheitshinweis Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt keine Arztdiagnose. Bitte hierzu diese Hinweise zu Gesundheitsthemen beachten!