EU-Skepsis


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Der Begriff EU-Skepsis oder EU-Kritik bezeichnet eine skeptische oder kritische, oft eine opponierende, negierende oder aversive Haltung gegenüber dem Prozess der europäischen Integration, gegenüber den Zielen der Europäischen Union oder gegenüber deren politischem System und seinen supranationalen Institutionen. Der Begriff selbst ist umstritten, da manche ihn als negativ wertend empfinden. EU-Skeptiker verwenden daher häufig andere Bezeichnungen, etwa Europarealismus. Im wissenschaftlichen Diskurs werden zur Bezeichnung EU-skeptischer Haltungen auch die Begriffe Alter-Europäismus und Euroskeptizismus verwendet, im Fall noch stärkerer grundsätzlicher Opposition auch Anti-Europäismus und Europhobie.<ref>Kein Integrationsfortschritt ohne Kritik. Die Funktion eurokritischer Positionen für die Weiterentwicklung der europäischen Integration., Simon Lang, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, 12. März 2010. Abgerufen am 16. Dezember 2013. Die Arbeit wurde auch veröffentlicht in: Birte Wassenberg, Frédéric Clavert, Philippe Hamman (Hrsg.): Contre l’Europe? Anti-européisme, euroscepticisme et alter-européisme dans la construction européenne de 1945 à nos jours (Volume I): les concepts (Studien zur Geschichte der Europäischen Integration, Band 11), Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2010, S. 61-92.</ref>

Die genaue Bedeutung des Begriffs EU-Skepsis oder EU-Kritik ist ohne weitere Erläuterungen sehr allgemein und unscharf, denn er kann sich sowohl auf eine allgemeine Ablehnung der europäischen Einigung als solcher als auch auf eine Kritik an Einzelaspekten dieses Prozesses beziehen, etwa lediglich auf die Kritik oder die Ablehnung bestehender Institutionen der EU und den Einsatz für mehr Subsidiarität oder Intergouvernementalismus. Häufig wird mit EU-Skepsis der Wunsch verbunden, nationalstaatliche Souveränität zu bewahren oder wiederherzustellen. Ein anderes Konzept als Ergebnis EU-skeptischer Diskurse ist der europäische Föderalismus, der ebenfalls das bestehende System der EU kritisiert, dieses jedoch durch einen vollständigen europäischen Bundesstaat ersetzen will.<ref>Kein Integrationsfortschritt ohne Kritik. Die Funktion eurokritischer Positionen für die Weiterentwicklung der europäischen Integration, Kapitel 2: Europakritische Positionen in den Integrationstheorien. Simon Lang, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, 12. März 2010, S. 108 ff. (S. 11 ff. im PDF). Abgerufen am 4. Januar 2014.</ref>

EU-Skepsis wird bisweilen auch missverständlicherweise mit Europaskepsis synonym verwendet, obwohl durchaus ein Unterschied zwischen Skepsis gegenüber der konkreten Ausgestaltung der EU und weitergehender grundsätzlicher Skepsis gegenüber dem europäischen Einigungsprozess besteht.

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Vielsprachiger Protest gegen die EU-Verfassung

EU-skeptische Parteien im Europäischen Parlament

EU-skeptische Positionen werden von einigen europäischen Parteien vertreten, die seit 1994 eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament bilden. Seit 2014 trägt diese den Namen Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD); mit 48 Mitgliedern ist sie die kleinste Fraktion im EP. Ihre wichtigsten Mitgliedsparteien sind die britische UKIP mit 24 Abgeordneten sowie die italienische MoVimento 5 Stelle mit 17 Abgeordneten. Die Haltung der EFDD-Fraktion zur europäischen Integration ist nicht eindeutig; die meisten ihrer Mitglieder lehnen jedoch die Mitgliedschaft ihrer jeweiligen Nationalstaaten in der Europäischen Union ab oder fordern deren Umwandlung in einen rein intergouvernementalen Staatenbund.

Neben der EFD-Fraktion gibt es im Europaparlament außerdem die Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (ECR, 56 Abgeordnete). Sie wurde nach der Europawahl 2009, am 22. Juni 2009, gegründet. Die in ihr versammelten Parteien könnte man als nationalkonservativ bezeichnen. Ihre größten Gründungsparteien sind die britische Conservative Party (25 Abgeordnete), die polnische PiS (15 Abgeordnete)<ref>Durch Austritte aus der Partei waren 2014 noch 11 Abgeordnete in der Fraktion von denen nur 6 in der Partei PiS verblieben</ref> und die tschechische ODS (9 Abgeordnete). Auch die ECR-Parteien sind EU-skeptisch, lehnen jedoch nicht unbedingt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ab, sondern setzen sich lediglich für eine Bewahrung oder Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte ein. Seit der Europawahl 2014 ist auch die AfD Mitglied dieser Fraktion, die sich als "euro-kritisch", jedoch nicht unbedingt als "euroskeptisch" darstellt. <ref>http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-parlament-konservative-nehmen-afd-in-fraktion-a-974723.html</ref> Die (bisher fraktionslose) österreichische FPÖ bekundete 2009 ihr Interesse an einer Mitgliedschaft in der EFD-Fraktion.<ref>Der Standard, 3. Juli 2009: EU-Rechtsaußen-Fraktion hat Vorbehalte gegen FPÖ.</ref> Sie trat nicht bei.<ref>Mölzer: Rechtsdemokraten sind starker Faktor im Europäischen Parlament fpoe.at 24. Juni 2010 </ref>

Auch in der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL, 34 Abgeordnete) sind EU-skeptische Positionen verbreitet. Ihre Mitglieder haben aber gegenüber den Institutionen der EU keine einheitliche Haltung. Während die nationalen Mitgliedsparteien der Europäischen Linken aus den südlichen und nördlichen Ländern traditionell EU-skeptisch sind, vertraten die mitteleuropäischen Parteien bisher eher EU-freundliche Positionen.

Außerdem vertreten zahlreiche der 35 fraktionslosen Abgeordneten im Europaparlament mehr oder weniger deutlich EU-skeptische Positionen. Die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität löste sich 2007 nach internen Streitigkeiten auf.

Geschichte und Argumentationslinien

Die Kritik an den supranationalen Institutionen war bereits früh ein Bestandteil der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses. So fürchtete etwa die deutsche SPD in den fünfziger Jahren, die europäische Integration könnte ein Hindernis für die deutsche Wiedervereinigung werden; später betrieb sie eine integrationsfreundliche EU-Politik. Charles de Gaulle, französischer Staatspräsident von 1958 bis 1969, vertrat in den 1960er Jahren eine strikt intergouvernementalistische EU-Politik, die auf die Schwächung der supranationalen Kommission und eine Umwandlung der Europäischen Gemeinschaften in einen Staatenbund abzielte. Am Deutlichsten war die Ablehnung einer supranationalen Integration in Großbritannien, das fürchtete, auf diese Weise seine – tatsächliche oder gefühlte – politische Großmachtstellung zu verlieren. Darum schloss sich das Vereinigte Königreich zunächst auch den Europäischen Gemeinschaften nicht an und gründete stattdessen die rein intergouvernementale EFTA. Erst nach deren Scheitern bemühte sich Großbritannien um einen EG-Beitritt, der am 1. Januar 1973 erfolgte. Auch danach vertrat es bei weiteren Integrationsschritten meist zurückhaltende Positionen. Dennoch wurde die grundsätzliche Notwendigkeit einer europäischen Integration in allen westeuropäischen Ländern nur von einer Minderheit in Frage gestellt. Auf Seiten der politischen Linken (Kommunisten) wurde die Integration von den an der Sowjetunion orientierten Parteien abgelehnt, von den größeren eurokommunistischen Parteien jedoch im Wesentlichen befürwortet. Erst seit dem Ende des Kalten Krieges gewannen auch in den postkommunistischen Parteien EU-skeptische Ansichten an Gewicht.

In der Öffentlichkeit spielte EU-Skepsis während der Anfangsphase der europäischen Integration nur eine geringe Rolle. Der Einigungsprozess wurde von den Medien meist wohlwollend, aber nicht mit allzu viel Aufmerksamkeit verfolgt. Man spricht daher von einem permissive consensus, mit dem die Bevölkerung die von ihren Regierungen verfolgte Integration hinnahm. Erst seit den 1980er Jahren intensivierte sich die öffentliche Debatte über die EU, wodurch auch EU-skeptische Positionen stärker Gehör fanden. Insbesondere schlug sich dies in den Referenden nieder, mit denen in mehreren Mitgliedstaaten verschiedene EU-Vertragsreformen abgelehnt wurden, nämlich 1992 der Vertrag von Maastricht in Dänemark, 2000 der Vertrag von Nizza in Irland, 2005 der EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden und 2008 der Vertrag von Lissabon wiederum in Irland.

Außer in Großbritannien sind EU-skeptische Positionen heute in Skandinavien und in den mittel- und osteuropäischen Ländern recht verbreitet, die nach dem Ende des Kalten Krieges der Europäischen Union beitraten (EU-Erweiterung 2004). Die Gründe für die Ablehnung einer supranationalen Integration sind dabei vielfältig. Ein oft vertretenes Argument ist die Sorge um die nationale Unabhängigkeit: So wird in Großbritannien häufig die Zerstörung der britischen Lebensart befürchtet; besonders in Mittelosteuropa wird nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die nationale Souveränität und Würde betont. Umgekehrt fürchten EU-Skeptiker in Westeuropa durch die rasche EU-Erweiterung eine zu große Heterogenität im Wertesystem der EU und begründen damit ihre Ablehnung einer intensiveren Integration.

Daneben werden teilweise ökonomische Argumente angeführt. Zum Beispiel wird behauptet, dass die Brüsseler EU-Bürokratie die wirtschaftliche Dynamik bremse und daher besser durch eine reine Freihandelszone zu ersetzen sei. Insbesondere in Osteuropa wurde außerdem im Zuge der ökonomischen Integration ein Ausverkauf nationaler Vermögensgüter an die wirtschaftlich stärkeren westeuropäischen Unternehmen befürchtet. In den westeuropäischen Ländern steht dem die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten die Angst vor dem Abbau sozialer Standards entgegen.

Außerdem wird häufig mit dem Demokratiedefizit der Europäischen Union argumentiert. Dabei vertreten EU-Skeptiker oft die Ansicht, dass die EU das Subsidiaritätsprinzip ('Entscheidungen sollten stets vom kleinstmöglichen Gemeinwesen getroffen werden') verletze, da viele politische Entscheidungen sinnvoller auf nationaler Ebene getroffen werden könnten.

Auch eine Verschwendung der verwalteten Gelder und verteilten Subventionen wird kritisiert, ebenso wie Korruption und Vetternwirtschaft.<ref>Klaus-Peter Schmid: Zuviel des Guten. In: Zeit Online vom 3. Mai 1996.</ref><ref>Florian Diekmann, Philipp Wittrock: Privilegien für EU-Beamte: Brüssels Bürokraten kassieren in der Krise. In: Spiegel Online vom 2. August 2012.</ref><ref>Daniel Hannan: Die EU und das Geld: Korrupt, teuer, verschwenderisch, ineffizient. In: Spiegel Online vom 19. März 2007.</ref>

Literatur

  • Timm Beichelt: EU-Skepsis als Aneignung europäischer Politik (PDF; 311 kB), in Berliner Debatte Initial, 2/2010.
  • Frank Decker, Florian Hartleb: L’euroscepticisme en Allemagne. Les partis politiques et l’Union Européenne, in: Laure Neumayer/Antoine Roger/Frédéric Zalewski (eds.): L’Europe contestée: ‘populisme’ et ‘euroscepticisme’ dans l’Union européenne élargie, Paris: Michel Houdiard Éditeur 2008, S. 34-54.
  • Florian Hartleb: Euroskeptizismus in West- und Osteuropa, in: Martin H.W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.): Jahrbuch für öffentliche Sicherheit 2008/2009, Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft 2009, S. 479-484.
  • Florian Hartleb: A thorn in the side of European elites: The new Euroscepticism, Centre for European Studies, Brüssel 2011, (download: http://www.1888932-2946.ws/ComTool6.0_CES/CES/E-DocumentManager/gallery/Research_Papers/athornintheside-1.pdf)
  • Florian Hartleb: Euroskeptische Parteienfamilie, in: Uwe Jun/Benjamin Höhne (Hrsg.): Parteienfamilien. Identitätsbestimmend oder nur noch Etikett?, Arbeitskreis Parteienforschung der DVPW, Budrich Verlag: Opladen, Berlin & Toronto 2012, S. 302-325.
  • Michael Melcher: Awkwardness and Reliability. Die britische Europapolitik von 1997-2013. Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag: Band 61. Tectum, Marburg 2014. ISBN 978-3-8288-3472-9.

Weblinks

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Einzelnachweise

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