George Smiley
George Smiley ist eine literarische Figur des britischen Schriftstellers John le Carré. Er ist die Hauptfigur der fünf Romane Schatten von Gestern (Call for the Dead, 1961), Ein Mord erster Klasse (A Murder of Quality, 1962), Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy, 1974), Eine Art Held (The Honourable Schoolboy, 1977) und Agent in eigener Sache (Smiley’s People, 1979) sowie eine Nebenfigur in den Romanen Der Spion, der aus der Kälte kam (The Spy Who Came in from the Cold, 1963), Krieg im Spiegel (The Looking Glass War, 1965) und Der heimliche Gefährte (The Secret Pilgrim, 1990). Mit Ausnahme von Ein Mord erster Klasse, einem klassischen Whodunit-Krimi, sind alle Bücher der Spionageliteratur zuzurechnen.
Smiley ist ein Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, der in den Romanen am Cambridge Circus beheimatet ist und daher den Beinamen Circus (je nach Übersetzung auch Rondell) trägt. Im Verlauf der Romane steigt er bis zum Leiter des Circus auf. Smiley ist ein Antiheld. Er ist klein, dick, bebrillt, liebt deutsche Barocklyrik und führt eine unglückliche Ehe, in der er regelmäßig von seiner Frau Ann betrogen wird. Auf der anderen Seite zeichnet er sich durch die brillante Planung seiner Einsätze sowie seine Menschlichkeit aus, die ihn immer wieder in Konflikte mit der nachrichtendienstlichen Tätigkeit bringt. In Verfilmungen wurde die Figur von fünf Schauspielern dargestellt; am bekanntesten wurde die Interpretation von Alec Guinness in zwei Fernsehserien der BBC.
Inhaltsverzeichnis
Chronologie
Vorgeschichte
Dem Roman Schatten von Gestern ist Smileys Curriculum Vitae vorangestellt. Smiley entstammt einer durchschnittlichen britischen Familie, besuchte eine bescheidene Mittelschule und ein ebenso bescheidenes College in Oxford mit dem Ziel einer akademischen Karriere im Bereich der deutschen Barockliteratur. 1928 (in Dame, König, As, Spion wurde das Datum auf 1937 verlegt, um Smileys Auftritte in den 1970er Jahren plausibler zu machen<ref>Davin Monaghan: The Novels of John le Carré. The Art of Survival. Basil Blackwell, New York 1985, ISBN 0-631-14283-5, S. 127.</ref>) wurde er, auf Empfehlung seines Lehrers, vom britischen Geheimdienst unter Leitung Steed-Aspreys angeworben. In dessen Auftrag sichtete er als Dozent an einer kleinen deutschen Universität potentielle britische Spione, während er zunehmende Verachtung für die Umtriebe der Nationalsozialisten und ihre Bücherverbrennungen entwickelte. In den Kriegsjahren spionierte er in der Tarnung eines Waffenhändlers in Schweden, der Schweiz und Deutschland, bis er 1943 als ausgebrannter Spion nach England zurückkehrte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heiratete Smiley zur allgemeinen Überraschung Lady Ann Sercomb, die schöne Sekretärin Steed-Aspreys, die im Gegensatz zu ihrem Mann aus einer gesellschaftlich hochangesehenen Familie stammte. Bereits zwei Jahre später verließ sie ihn zugunsten eines argentinischen Rennfahrers. Smiley kehrte zurück zum Geheimdienst, der sich inzwischen stark gewandelt hatte. Maston, ein Karrierist und Weisungsempfänger des Außenministeriums, hatte den ehemals akademischen Führungszirkel beerbt. Zu alt für Agenteneinsätze gelangte Smiley bald aufs Abstellgleis.
Schatten von Gestern
Im Roman Schatten von Gestern (Call for the Dead, 1961) quittiert Smiley den Dienst beim Circus, um den vermeintlichen Selbstmord Samuel Fennans, eines Beamten des britischen Außenministeriums, aufzuklären. Er enttarnt einen ostdeutschen Agentenring unter Leitung seines ehemaligen Studenten Dieter Frey, den er selbst einst zur Spionage führte. Während der Ermittlung wird Smiley von dem Agenten Peter Guillam und dem Polizeiinspektor Mendel unterstützt, die in der Folge zu seinen engsten Vertrauten werden.
Ein Mord erster Klasse
In Ein Mord erster Klasse (A Murder of Quality, 1962) befindet sich Smiley noch immer außer Dienst. Auf Bitten einer früheren Kollegin untersucht er als privater Ermittler einen Mordfall in der Carne School in Dorset. Smiley blickt hinter die Fassade der britischen Eliteschule, die einst auch seine Frau Ann besuchte, und er überführt den Mörder einer Lehrersgattin.
Der Spion, der aus der Kälte kam
In loser Verbindung zum Circus, der inzwischen von einem Mann mit Decknamen Control geleitet wird, steht Smiley in Der Spion, der aus der Kälte kam (The Spy Who Came in from the Cold, 1963). Er missbilligt die Aktion, in der ein britischer Agent namens Alec Leamas einen Überläufer markiert, um Hans-Dieter Mundt auszuschalten, den Chef der DDR-Gegenspionage. Dennoch finden einige konspirative Treffen in seiner Wohnung statt, und sein Mitgefühl mit Leamas’ Geliebter ist es, das beide in Gefahr bringt.
Krieg im Spiegel
Auch in Krieg im Spiegel (The Looking Glass War, 1965) ist Smiley nur am Rande beteiligt, doch er ist wieder fester Mitarbeiter des Circus. Mit wachsender Skepsis beobachtet er die Versuche des konkurrierenden Inlandsgeheimdienstes, einen britischen Spion in die DDR einzuschleusen, um Aufklärung über eine vermutete Stationierung von Raketenwaffen zu erhalten. Obwohl er das doppelte Spiel seines Vorgesetzten Control durchschaut, stellt er sich am Ende in den Dienst der Sache.
Dame, König, As, Spion
Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy, 1974) ist der Auftakt der so genannten Karla-Trilogie (englisch: The Quest for Karla), die sich um Smileys Kampf gegen den sowjetischen Geheimdienstchef mit dem Decknamen Karla dreht. Nach Controls Tod scheidet auch Smiley aus dem Circus aus, der nun von einem Kleeblatt unter der Leitung Percy Allelines angeführt wird. Doch als sich die Gerüchte verdichten, ein sowjetischer Maulwurf habe sich im innersten Zirkel des Circus eingenistet, übernimmt Smiley auf Bitten des Ministeriums die geheime Untersuchung. Am Ende entlarvt er einen doppelten Verräter, der nicht nur im Auftrag Karlas die Aktionen des Circus sabotiert, sondern auch eine Affäre mit Smileys Frau Ann hat.
Eine Art Held
Nach der Enttarnung des Maulwurfs übernimmt Smiley selbst in Eine Art Held (The Honourable Schoolboy, 1977) die Leitung des zerrütteten Circus, den er von Grund auf neu aufbauen muss. Ein erster erfolgreicher Gegenschlag gegen den sowjetischen Geheimdienstchef Karla gelingt in Hongkong. Dennoch muss Smiley im Moment seines Triumphs die Leitung des Circus Saul Enderby überlassen, der über bessere Kontakte zum Ministerium und zu den amerikanischen Verbündeten verfügt. Mit Smiley werden auch all seine Weggefährten kaltgestellt. Von seiner untreuen Ehefrau trennt er sich endgültig.
Agent in eigener Sache
In Agent in eigener Sache (Smiley’s People, 1979) stößt der pensionierte Smiley nach dem Mord an einem estnischen Agenten noch einmal auf eine Spur Karlas. Zum ersten Mal zeigt der unnahbare sowjetische Geheimdienstchef Gefühle und damit eine Schwäche, als er einer jungen Russin ohne Wissen des Kremls eine Tarnidentität im westlichen Ausland aufbaut. Ohne Unterstützung des Circus ermittelt Smiley auf eigene Faust. Der Sturz des Widersachers wird zu seinem persönlichen Triumph, doch im Verlauf der Auseinandersetzung haben sich die Mittel der beiden Kontrahenten zunehmend angenähert.
Der heimliche Gefährte
Der Roman Der heimliche Gefährte (The Secret Pilgrim, 1990) setzt nach dem Ende des Kalten Krieges ein. Smiley, inzwischen zur Legende geworden, leitet das Komitee für Angelrecht, eine informelle Arbeitsgruppe zwischen sowjetischem und britischem Geheimdienst. Er hält eine Rede vor Rekruten der Agentenschule in Sarratt, in der er für den britischen Geheimdienst neue Herausforderungen in einer veränderten Weltordnung prophezeit.
Beschreibung
In der einleitenden Beschreibung von Schatten von Gestern heißt es über Smiley: „Klein, dick und von ruhiger Gemütsart schien er eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge auszugeben, die auf seinem viereckigen Gestell wie die Haut einer verschrumpelten Kröte wirkten.“ Selbst seine Frau Ann belegt ihren „direkt atemberaubend gewöhnlichen“ Ehemann mit dem Spitznamen „Frosch“. Im Circus erwirbt er sich wegen seines gekrümmten Ganges und seiner zwinkernden Kurzsichtigkeit den Beinamen „Maulwurf“, seine Sekretärin nennt ihn „Teddybär“,<ref name="schatten1">Alle Zitate nach: John le Carré: Schatten von Gestern. Ullstein, Berlin 2013, ISBN 978-3-8437-0857-9, Kapitel 1.</ref> andere Kollegen „Eule“.<ref name="aronoff16">Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 16.</ref> Seine Bewegungen wirken unbeholfen, er wird leicht rot und zeigt verschiedene Ticks, so ein nervöses Zucken des Augenlids und das häufige Putzen seiner dicken Brille mit der Krawatte.<ref>David Monaghan: Smiley’s Circus. Die geheime Welt des John le Carré. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05629-9, S. 253.</ref>
Smileys Auftreten ist ruhig, ernst und förmlich und wird von einer großen Schüchternheit überlagert. Er ist vernunftbestimmt und bemüht sich, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Nur in extremen Situationen ist ihm ein verhaltener Gefühlsausbruch anzumerken, wenn er zu zittern beginnt und sich nicht mehr klar auszudrücken vermag. Im Mittelpunkt seines Gefühlslebens steht seine Frau Ann, neben der es in Smileys Leben keine andere Frau gegeben zu haben scheint, was man umgekehrt von Ann nicht sagen kann, die ihren Mann wiederholt betrügt und für längere Phasen verlässt.<ref>David Monaghan: Smiley’s Circus. Die geheime Welt des John le Carré. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05629-9, S. 251–254.</ref> Immerhin bekennt sie, „daß es Smiley sein würde, wenn es nur einen einzigen Mann in ihrem Leben gäbe“.<ref name="schatten1" /> Erst als sie mit einem Kollegen fremdgeht, der sich als russischer Spion entpuppt, kann auch Smiley ihr nicht länger verzeihen und lebt fortan alleine im gemeinsamen Haus in der Bywater Street im Londoner Stadtteil Chelsea. Neben Ann gilt Smileys Leidenschaft der deutschen Literatur des siebzehnten Jahrhunderts und namentlich Dichtern wie Gryphius, Grimmelshausen, Lohenstein und Olearius. Er besucht einen englischen Club, der einst von Steed-Asprey gegründet wurde und keine neuen Mitglieder aufnimmt.<ref>David Monaghan: Smiley’s Circus. Die geheime Welt des John le Carré. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05629-9, S. 251–252.</ref>
Unbestritten ist Smileys fachliche Brillanz. Für eine ausgeschiedene Mitarbeiterin des Circus ist er bereits während des Krieges „der Klügste und vielleicht der Seltsamste von ihnen allen.“<ref name="mord2">John le Carré: Ein Mord erster Klasse. Ullstein, Berlin 2013, ISBN 978-3-8437-0844-9, Kapitel 2.</ref> Im Verlaufe seiner Karriere schließen sich dem zahlreiche Lobeshymnen seiner Kollegen und Untergebenen an, die ihn nach seiner Pensionierung in den Status einer Legende erheben.<ref>Rudi Kost: Über George Smiley. Poller, Stuttgart 1985, ISBN 3-87959-227-6, S. 31.</ref> Smiley liebt an seinem Beruf die Möglichkeit „akademischer Exkursionen in das Mysterium menschlichen Verhaltens, die sich aus der praktischen Anwendung seiner eigenen Schlüsse ergaben.“ Die geheimdienstliche Tätigkeit führt jedoch auch zu einem Rückzug von zwischenmenschlichen Kontakten und einer Furcht vor Falschheit, die Smiley kompensiert, indem er sich bemüht, „die Regeln der Menschlichkeit mit peinlichster Objektivität“ einzuhalten.<ref name="schatten1" /> Dabei beweist er immer wieder Tugenden wie Anstand, Liebenswürdigkeit, Mitgefühl und Integrität.<ref name="aronoff1516">Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 15–16.</ref>
Analyse
George Smiley ist ein Antiheld, ein Nicht-Held oder der Typ des modernen Helden des 20. Jahrhunderts. Zwar trägt er gewisse Züge des klassischen Helden, doch wirkt er in seinem beständigen Kampf für eine verlorene Sache laut Helen S. Garson eher wie ein Prinz, der ewig im Frosch gefangen bleibt.<ref>Helen S. Garson: Enter George Smiley. Le Carré’s Call for the Dead. In: Harold Bloom (Hrsg.): John le Carré. Chelsea House, New York 1987, ISBN 0-87754-703-3, S. 73–74.</ref> Smiley bildet einen vollkommenen Gegensatz zu den klassischen Protagonisten der Spionageliteratur wie James Bond. Zwar bestritt le Carré die Absicht eines Gegenentwurfs zu Ian Flemings Agenten, doch sah er in dessen Romanen ein „absolutes Zerrbild der Realität“, eine „Absurdität“ und „Obszönität“. Die Figur Bonds sei in ihrem hartgesottenen Zynismus gegenüber jeder Form von moralischer Verpflichtung „die ultimative Prostituierte. Er ersetzt Liebe durch Technik.“<ref name="aronoff16" /> Obwohl Smiley differenzierter gezeichnet ist und in seinem Privatleben zahlreiche Schwächen offenbart, erweist auch er im professionellen Einsatz die übermenschlichen Fähigkeiten eines Masterminds; sein Widersacher Karla wird ebenso ins Mythische gesteigert<ref>Christoph Schöneich: Edmund Talbot und seine Brüder. Englische Bildungsromane nach 1945. Narr, Tübingen 1999, ISBN 3-8233-5197-4, S. 193.</ref> wie ihre Auseinandersetzung, die nicht nur dem Titel nach Anklänge an die Suche nach dem Heiligen Gral weckt.<ref>Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 21–22.</ref>
Smileys Heldentum liegt laut Myron J. Aronoff in seinem Balanceakt zwischen widerstrebenden Loyalitäten, insbesondere zwischen gegensätzlichen ethischen und politischen Geboten. Er ist ein Intellektueller, der durch seinen Beruf zum Handeln gezwungen wird, ein Humanist, dessen Taten Schaden anrichten und den Tod von Unbeteiligten nach sich ziehen. Obwohl er ein Spion ist, bleibt er dennoch ein Mensch.<ref name="aronoff1516" /> David Caute nennt ihn einen Profi, der im Herzen Amateur geblieben ist, gleichzeitig Player und Gentleman.<ref>David Caute: It Was a Man. In: New Statesman vom 8. Februar 1980. Nach: Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 18.</ref> In Eine Art Held spricht Smiley sein zentrales Dilemma selbst aus: „Inhuman sein, um unsere Humanität zu verteidigen, brutal sein, um unsere Barmherzigkeit zu verteidigen, einseitig sein, um unsere Vielfalt zu verteidigen“.<ref>„To be inhuman in defence of our humanity, he had said, harsh in defence of compassion. To be single-minded in defence of our disparity.“ Zitiert nach: John le Carré: The Honourable Schoolboy. First Pocket Books, New York 2002, ISBN 0-7434-5791-9, S. 508.</ref> Für Aronoff liegt in solchen Paradoxien das grundlegende Problem von Demokratien im Umgang mit Spionage und Politik. Zwar biete le Carré keine Lösung an, er schärfe aber die Wahrnehmung seiner Leser und biete in der Figur Smileys ein Vorbild zur Bewältigung an.<ref>Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 36–38.</ref>
Weltanschaulich steht Smiley jeder Form von „-ismus“ fern, da – wie le Carré begründet – jede politische Ideologie nur dazu verführe, die humanitären Instinkte zu verleugnen. Sein Credo formuliert Smiley am Ende seiner Karriere in Der heimliche Gefährte:<ref>Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 32–33.</ref> „Mich hat immer nur der Mensch interessiert […] Ideologien haben mich nie im geringsten interessiert, es sei denn, sie waren wahnsinnig oder bösartig. Institutionen waren mir niemals so wichtig wie die in ihnen wirkenden Menschen, und Taktik war für mich immer nur eine Ausrede dafür, daß man keine Gefühle hatte. Dem Menschen, nicht der Masse, gehört unser Beruf.“<ref>John le Carré: Der heimliche Gefährte. List, München 2003, ISBN 3-471-78089-0, S. 383.</ref> Smiley ist laut Lynn Beene ein „liberaler Humanist“, der beständig seinen Humanismus hinterfragen muss.<ref>Lynn Beene: John le Carré. Twayne, New York 1992, ISBN 0-8057-7013-5, S. 8.</ref> Sein Individualismus ist laut David Monaghan prägend für sein Engagement gegen Nationalsozialismus und Kommunismus.<ref>David Monaghan: Smiley’s Circus. Die geheime Welt des John le Carré. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05629-9, S. 256.</ref> Für Adam Rothberg verkörpert Smiley traditionelle britische Werte, und seine Vita spiegelt den Niedergang des britischen Imperiums. Am Ende ist Smiley desillusioniert; sein früherer Patriotismus und seine Loyalität gegenüber Institutionen haben sich aufgelöst. Er weigert sich, den persönlichen und politischen Verrat länger hinzunehmen, und glaubt nur noch an eigene Normen und Ideale.<ref>Abraham Rothberg: The Decline and Fall of George Smiley. John le Carré and English Decency. In: Harold Bloom (Hrsg.): John le Carré. Chelsea House, New York 1987, ISBN 0-87754-703-3, S. 49–51.</ref>
Vorbilder
In einem TV-Interview mit Charlie Rose gab le Carré 1993 an, seine Figur George Smiley basiere auf drei Vorbildern: Vivian Greene,<ref>Vgl. den Artikel Vivian H. H. Green in der englischen Wikipedia.</ref> seinem Tutor am Lincoln College in Oxford, John Bingham,<ref>Vgl. den Artikel John Bingham, 7th Baron Clanmorris in der englischen Wikipedia.</ref> einem ehemaligen Mitarbeiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 und späteren Schriftsteller, sowie ihm selbst.<ref>John L. Cobbs: Understanding John le Carré. University of South Caroline Press, Columbia 1998, ISBN 1-57003-168-1, S. 257.</ref> Im Vorwort zu Call for the Dead aus dem Jahr 1992 führte er weiter aus, dass er Smiley Greenes große Klugheit und Binghams Einfallsreichtum und seinen Patriotismus mitgeben wollte. Dennoch sei jede literarische Figur ein Amalgam aus unterschiedlichen Quellen, die in der Vorstellungskraft des Schriftstellers so lange bearbeitet werden, bis sie am Ende stärker an sein eigenes Wesen erinnere als an irgendjemanden sonst.<ref>John le Carré: Introduction (March 1992). In: Call for the Dead. Walker & Company, New York 2004, ISBN 0-8027-1443-9, S. xv.</ref> An anderer Stelle bekundete er, er teile mit Smiley die Schüchternheit, den ausgeprägten Wunsch nach Anonymität und die gemeinsame Tätigkeit als Nachrichtenoffizier und Deutschlehrer. Smiley sei auch eine Vaterfigur für ihn, doch eine, die in völligem Gegensatz zu seinem leiblichen Vater stehe.<ref>Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 15.</ref>
In der Öffentlichkeit wurde spekuliert, der Nachname könne dem britischen Nachrichtendienstoffizier Colonel David Smiley<ref>Vgl. den Artikel David Smiley in der englischen Wikipedia.</ref> entlehnt worden sein.<ref>Colonel David Smiley. In: The Daily Telegraph vom 9. Januar 2009.</ref> Und insbesondere der ehemalige Geheimdienstchef Maurice Oldfield,<ref>Vgl. den Artikel Maurice Oldfield in der englischen Wikipedia.</ref> der dem MI6 von 1973 bis 1978 vorstand, wurde immer wieder mit Smiley in Verbindung gebracht.<ref>Sir Maurice Oldfield Dead at 65; Famed Ex-Chier of Britain’s M.I.6. In: The New York Times vom 12. März 1981. Gestorben: Sir Maurice Oldfield. In: Der Spiegel vom 16. März 1981.</ref> Le Carré bestritt dieses Gerücht wiederholt.<ref>Miriam Gross: The Secret World of John le Carré. In: Matthew J. Bruccoli, Judith S. Baughman (Hrsg.): Conversations with John Le Carré. University Press of Mississippi, Jackson 2004, ISBN 1-57806-668-9, S. 70.</ref> Allerdings war er gemeinsam mit Alec Guinness in Vorbereitung zur BBC-Verfilmung Tinker Tailor Soldier Spy mit Oldfield zusammengetroffen, und der Schauspieler übernahm einige von dessen Verhaltensmustern in der Verfilmung.<ref>John le Carré: Over lunch, he turned himself into a spy. In: The Guardian vom 11. Oktober 2002.</ref> Für le Carré blieb Guinness’ Spiel eine „unschlagbare Verkörperung“ Smileys. Die Aneignung seiner Schöpfung durch Guinness und das Fernsehpublikum verstellte dem Autor jedoch auch den eigenen Zugang zur Figur und trug dazu bei, dass le Carré in Agent in eigener Sache mit Smiley abschloss.<ref>John le Carré: Vorwort. In: Agent in eigener Sache. Zeitverlag, Hamburg 2012, ISBN 978-3-8419-0162-0, S. 9.</ref>
Verfilmungen
Die Rolle des George Smiley wurde von insgesamt fünf Schauspielern in britischen Film- und Fernsehproduktionen verkörpert. Der erste Smiley-Darsteller war der als Maigret bekannt gewordene Rupert Davies in Der Spion, der aus der Kälte kam (1965). Er spielte neben Richard Burton als Alec Leamas nur eine Nebenrolle. Ein Jahr später folgte Anruf für einen Toten, die Verfilmung von Schatten von Gestern mit James Mason in der Hauptrolle, die allerdings in Charles Dobbs umbenannt wurde. 1979 und 1982 spielte Alec Guinness George Smiley in zwei BBC-Fernsehserien nach den Romanen Dame, König, As, Spion und Agent in eigener Sache. 1991 reihte sich Denholm Elliott in der TV-Produktion Der Mörder mit den Silberflügeln nach dem Krimi Ein Mord erster Klasse in die Darstellerriege ein. 2011 übernahm Gary Oldman die Rolle Smileys in der Neuverfilmung Dame, König, As, Spion.
- Rupert Davies 2 Allan Warren.jpg
Rupert Davies
(ca. 1962) - James Mason (1971) by Erling Mandelmann.jpg
James Mason
(1971) - Sir Alec Guinness Allan Warren (2).jpg
Alec Guinness
(1972) - Gary Oldman 2011.jpg
Gary Oldman
(2011)
Rezeption
Als David C. Jewitt und Jane Luu das erste transneptunische Objekt im Kuipergürtel entdeckten, wollten sie es nach le Carrés Helden Smiley benennen. Allerdings gab es bereits einen nach einem amerikanischen Astronomen benannten Asteroiden 1613 Smiley, weshalb das Objekt (15760) 1992 QB1 unbenannt blieb.<ref>Govert Schilling: The Hunt for Planet X. New Worlds and the Fate of Pluto. Copernicus, New York 2009, ISBN 978-0-387-77804-4, S. 152–153.</ref>
Literatur
- Myron J. Aronoff: George Smiley. Liberal Sentiment and Skeptical Balance. In: Myron J. Aronoff: The Spy Novels of John le Carré. Balancing Ethics and Politics. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-21482-0, S. 15–38 (als Leseprobe online).
- Helen S. Garson: Enter George Smiley. Le Carré’s Call for the Dead. In: Harold Bloom (Hrsg.): John le Carré. Chelsea House, New York 1987, ISBN 0-87754-703-3, S. 73–80.
- Gerhard Henschel: Der melancholische Held. George Smiley – Rückblick auf einen Meisterspion. In: du Nr. 3/1998, S. 56–60.
- Rudi Kost: Über George Smiley. Poller, Stuttgart 1985, ISBN 3-87959-227-6.
- David Monaghan: Smiley’s Circus. Die geheime Welt des John le Carré. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-05629-9.
- Davin Monaghan: The Recurring George Smiley. In: David Monaghan: The Novels of John le Carré. The Art of Survival. Basil Blackwell, New York 1985, ISBN 0-631-14283-5, S. 123–171.
- Abraham Rothberg: The Decline and Fall of George Smiley. John le Carré and English Decency. In: Harold Bloom (Hrsg.): John le Carré. Chelsea House, New York 1987, ISBN 0-87754-703-3, S. 49–63.
Weblinks
- George Smiley in der Internet Movie Database (englisch)
- John le Carré: A Brief History of George Smiley by John Le Carré In: The Guardian vom 22. Mai 2009. Ausschnitt des ersten Kapitels von Call for the Dead (englisch)
Einzelnachweise
<references />