Mystik


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25px Dieser Artikel behandelt den Begriff Mystik aus der Religionspsychologie. Für die ehemalige Power- und Speed-Metal-Band siehe Mystik (Band).
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Die mittelalterliche Mystikerin Birgitta von Schweden (14. Jahrhundert)

Der Ausdruck Mystik (von griechisch μυστικός mystikós ‚geheimnisvoll‘, und dies zu myō ‚Mund oder Augen schließen‘) bezeichnet Berichte und Aussagen über die Erfahrung einer göttlichen oder absoluten Wirklichkeit sowie die Bemühungen um eine solche Erfahrung.

Das Thema Mystik ist Forschungsgegenstand innerhalb der Theologien der Offenbarungsreligionen und der Religionswissenschaften, in Kultur-, Geschichts- und Literaturwissenschaft, in der Medizin, Philosophie und Psychologie. Allerdings kann ein übergreifender fachwissenschaftlicher Konsens zur Begriffsbestimmung bisher nicht festgestellt werden.

Im alltäglichen Sprachgebrauch sowie in populärer Literatur steht das Thema Mystik meist in Beziehung zu religiösen oder spirituellen Erlebnissen, die als solche wissenschaftlich nicht objektivierbar sind („echte“ mystische Erfahrung). Die Literatur, in welcher der Ausdruck Mystik auch in unterschiedlichem Sinne verwendet wird, ist vielfältig. Trotz aller definitorischen Unklarheiten lassen sich Merkmale identifizieren, die zumeist für typisch gehalten werden können. Auch ist für mehrere Personen unstrittig, dass diese als Mystiker gelten.

Begriffsbestimmung

Religionsgeschichtliche Perspektive

Religionsgeschichtlich versteht man unter Mystik eine Form religiösen Erlebens im Diesseits, das auf „ein Wirklichkeitsganzes“ oder auf eine Gotteswirklichkeit hin ausgerichtet ist. Mystische Erfahrungen werden unter Verwendung kontextspezifischer Begriffe, Bilder und Formulierungen ausgedrückt.

In theistischen Religionen ist mystische Erfahrung auf die göttliche Wirklichkeit bezogen. Strömungen des Judentums, des Christentums, des Islams und des Hinduismus kennen auch als Gotteserfahrung mitgeteilte mystische Erlebnisse. Sie finden in unterschiedlichen Begriffen und Wendungen Ausdruck, die oftmals auch in Grundschriften dieser Religionen Verwendung finden: Licht, Geistestaufe, Feuer (Mose), Pfingstwunder, Liebe (Briefe des Johannes), göttliches Du, Gott als innerstes Innen (bei Augustinus), göttliche Mutter (Ramakrishna).

Nichttheistische Traditionen wie Buddhismus, Jainismus und Daoismus bringen mystische Erfahrungen mit einer absoluten Wirklichkeit in Verbindung, ohne sich auf eine göttliche Person oder Wesenheit zu beziehen.

Begriffsgeschichte

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Der deutsche Ausdruck Mystik, der in seiner substantivischen Form erst im 17. Jahrhundert entsteht, geht zurück auf das altgriechische μυστικός (mystikós) geheimnisvoll, welches sich auf das griech. Substantiv μυστήριον (mysterion) – lat. mysterium (‚Geheimnis‘, aber auch ‚Geheimlehre‘ oder ‚-kult‘) bezieht. In diesem Zusammenhang steht auch das griech. Verb μυέειν (myéein), was einweihen, beginnen oder initiiert werden bedeutet. Das Stammwort ist aber im griech. μύειν (myein) zu sehen, was ‚sich schließen‘, ‚zusammen gehen‘ heißt, wie beispielsweise der Lippen und Augen in Eleusis bei den ‚Mysterien‘.“<ref>Bernhard Uhde: West-östliche Spiritualität. Die inneren Wege der Weltreligionen. Eine Orientierung in 24 Grundbegriffen (unter Mitarbeit von Miriam Münch), Freiburg 2011, 66-76 (Mystik), hier S. 66.</ref>

Der Ausdruck Mysterium wurde anfangs nur auf die Geheimlehre und den Geheimkult selbst bezogen und später auch generell im Sinne von etwas Dunklem und Geheimnisvollem verwendet (siehe dazu auch franz. mystérieux – dt. mysteriös). Im Neuen Testament bezieht sich der Ausdruck Mysterium auf den verborgenen göttlichen Heilsplan, den Gott in Menschwerdung, Tod und Auferstehung seines Sohnes erfüllt und offenbart hat (1 Kor 2,7; Eph 1,9-11; 3,4-9; 5,32f; Kol 1,26f). Weil dieses Mysterium schon im ‚inneren‘ oder ‚mystischen‘ Sinn des Alten Testaments vorausgebildet ist, kommt es zur Ausbildung einer mystischen Schriftauslegung, so schon in den Evangelien (vgl. bes. Lk 24,31f.44-47) und bei Paulus (vgl. 1 Kor 10,4; 2 Kor 3,6-18), dann vor allem bei Origenes, Ambrosius und Augustinus. Das lat. sacramentum nimmt den griechischen Begriff Mysterium wieder auf, woraus sich dann die drei christlichen Sakramente der rituellen Einweihung (Initiation) herausbilden: Taufe, Firmung (Myronsalbung) und Eucharistie. Der klassische Ort der Taufe ist die Feier der Osternacht.

Auch mystisch-esoterische Geheimlehren konnten nicht auf eigene Initiative erfahren werden, sondern bedurften immer der rituellen Einweihung durch einen Führer oder esoterischen Lehrer. Dieser hieß Mystagoge (von griech agogein = führen, leiten).<ref>Benseler: Griechisch deutsches Wörterbuch; Pape: Griechisch Deutsch; Duden: Herkunftswörterbuch</ref> In der Spätantike findet der Ausdruck auch im philosophischen Kontext Verwendung, wenn der verborgene Sinn einer Äußerung angesprochen ist, und wird insbesondere von Proklos auf den Bereich des Göttlichen bezogen.<ref>Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Artikel Mystik, mystisch. In: Band 6, 628 mit exemplarischen Belegen</ref>

Im Mittelalter lebt die persönliche mystische Gotteserfahrung schon im Diesseits vor allem in den Klöstern. Höchstes Ziel des monastisch-mystischen Strebens bleibt diese Gotteserfahrung in der unio mystica, der mystischen Vereinigung mit Gott, im weiteren Sinn die Suche nach einem „Bewusstsein der unmittelbaren Gegenwart Gottes“ (Bernard McGinn). Die mystisch-geistliche Schriftauslegung bleibt dabei Grundlage bei der Suche nach unmittelbarer Gottesnähe, so insbesondere die Auslegung des Hohenliedes (etwa durch Bernhard von Clairvaux).

In der Zeit der Reformation wird in der protestantischen Theologie der vierfache Schriftsinn weitgehend auf den Literalsinn eingeschränkt. Im katholischen Raum kann sich die spanische Mystik (Ignatius von Loyola, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz) entwickeln. Im 17. Jahrhundert bildet sich die substantivische Verwendung des Begriffs heraus im Sinne einer spezifischen Variante religiöser Praxis und einer spezifischen Sorte religiöser Literatur: Es wird nicht mehr von „mystischer Theologie“ als einem konstitutiven Bestandteil religiösen Denkens gesprochen, sondern von „Mystik“ als einem Typus außergewöhnlicher Verfahren, so der Mystikforscher Michel de Certeau. Ähnlich wie hin und wieder Mystik selbst bezeichnen davon abgeleitete Ausdrücke wie Mystizismus und mystisch in der heutigen Umgangssprache bei abwertender Einstellung auch als ‚unverständlich‘, ‚rätselhaft‘ oder ‚irrational‘ empfundene Darstellungen.

Mystik in den Weltreligionen

Buddhistische Mystik

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In der buddhistischen Mystik, die insbesondere in den Strömungen des Mahayana verbreitet ist, geht es wie in allen buddhistischen Schulen nicht um direkte Erfahrung eines göttlichen Wesens. Die Natur des Geistes wird als nicht-dual verstanden. Dies ist jedoch in der Regel nicht bewusst und wird durch das Anhaften am Ich verschleiert. Aus dieser grundlegenden Unwissenheit entsteht die Vorstellung eines unabhängig von anderen Phänomenen existierenden Ichs. Damit geht das Auftreten der Geistesgifte Verwirrung/Unwissenheit, Hass, Gier, Neid und Stolz einher, die Ursachen allen Leidens. Ziel ist es, die Geistesgifte in ursprüngliche Weisheit umzuwandeln, die Ich-Vorstellung aufzulösen und die den unerleuchteten Wesen eigene Aufspaltung der Phänomene in Subjekt und Objekt zu überwinden. Die den fühlenden Wesen innewohnende, bis dahin verschleierte Buddha-Natur wird als immer schon zugrunde liegend erkannt. Wer dies erreicht, wird erleuchtet oder schlicht Buddha genannt. Praktiken wie Meditation, Gebet, Opferdarbringungen, verschiedene Yogas und spezielle tantrische Techniken sollen dies ermöglichen.

Siehe auch: Tathata und Dzogchen

Christliche Mystik

Hauptartikel: Christliche Mystik

Die mystische Auslegung der Heiligen Schrift zielt auf die Erkenntnis der Gotteswirklichkeit. Große Bedeutung für mystische Texte haben biblische Metaphern wie die Reinheit des Herzens in der Seligpreisung der Bergpredigt: „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8), oder das Einwohnen Gottes bzw. Christi im Herzen (Eph 3,17; Gal 2,20; Joh 14,15-23). Solche Metaphern finden sich sowohl bei östlichen wie bei den westlichen Kirchenvätern<ref>Beispielsweise bei Origenes, In Joh. 20, 12, GCS 4, 342</ref> wie auch in späteren Texten der Mystik. Das „Gott schauen“ (vgl. auch Pfingstwunder, Taufe im Heiligen Geist, Bekehrungserlebnis des Paulus) noch zu Lebzeiten kann als das klassische mystische Erlebnis schlechthin angesehen werden.

Mittelalter: Vor den früheren Mystikern dieser Epoche zu nennen wäre Meister Eckhart,<ref>Meister Eckhart, Pr. 44, DW 2, 345.</ref> denn die Lektüre seines Werkes vermag ein verbreitetes Missverständnis bezüglich dessen zu klären, was Mystik bedeutet: Eckharts Schriften sind nicht ‚mysteriös‘, als vielmehr durchdrungen von präziser Logik, die dazu höchsten poetischen Ansprüchen genügt, herausragend darunter die Predigt zur „Seligkeit der Armen im Geiste“.<ref>pinselpark.org</ref> Auch diese Schrift stellt einen Bezug zur Bergpredigt her, jedoch erlangt sie die mystische (Mystik von griechisch „myein“: ‚Schließe die Augen, Ohren, den Mund‘ (- alle Körperöffnungen) um Gottes Wille inwendig zu erforschen) Schau Gottes in selbem Maße wie über das Herz, über das Denken. Frühere christliche Theologen wie Augustinus im Anschluss an Paulus als einen der ersten Kirchenväter, verbanden die christliche Lehre mit der Eucharistie, d.h. der Einverleibung Christi in Form von geweihtem Brot und Wein, der symbolische Leib und das symbolische Blut des Sohns Gottes. Daran knüpfte Thomas von Aquin an: die Kirche selbst sei der mystische Leib Christi.<ref>Summa Theologiae, II, q. 8 a. 1 c. 3 c.</ref> Dies war und ist nicht selbstverständlich, denn zumeist wurde und wird der Ausdruck „mystischer Leib“ direkt auf die eucharistische Szene des letzten Abendmahls Jesu bezogen verstanden, so stellt die Kirche als der wahre Leib Christi eine Erweiterung oder Abweichung dar, je nach Perspektive.<ref>M. Schmaus: Der Glaube der Kirche. Band V/1, 2. Auflage. 1992, 119.154</ref> Um diese im Anschluss an Augustinus unter den Theologen ausgebrochene Diskussion zu beenden, bestimmte die katholische Glaubensenzyklika Mystici Corporis von Pius XII. (1943), der mystische Leib Christi und die Römisch-katholische Kirche seien „ein und dasselbe“. Der christliche Mystiker Angelus Silesius erhöht wiederum die Gottesmutter mystisch: „Maria wird genannt ein Thron und Gotts Gezelt,/ Eine Arche, Burg, Turm, Haus, ein Brunn, Baum, Garten, Spiegel,/ Ein Meer, ein Stern, der Mond, die Morgenröt, ein Hügel./ Wie kann sie alles sein? Sie ist eine andre Welt.“<ref>Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann. IV, 42.</ref> Die Gottesmutter Maria repräsentiert die Welt des Leiblichen, die mit der Welt des Geistes ‚hochzeitlich‘ verbunden ist. Diese Analogie zeigt sich auch in den ‚Marien-Samstagen‘: „Der engen Beziehung zwischen Samstag und Maria im katholischen Christentum entspricht in der jüdischen Mystik die enge Beziehung zwischen dem Sabbat und der Schechina.“<ref>Klaus W. Hälbig: Die Hochzeit am Kreuz. Eine Hinführung zur Mitte. München 2007, S. 583.</ref><ref>Joseph Ratzinger bezeichnet den Sabbat als „die Zusammenfassung der Thora, des Gesetzes Israels“; Joseph Ratzinger: Unterwegs zu Jesus Christus, Augsburg 2004, S. 29 (vgl. „Wer immer den Šabbat hält, erfüllt die ganze Thora“ - Rabbi Schimon ben Jochai).</ref>

Ansatzpunkte für den interreligiösen Dialog: Zahlreiche Autoren haben im Kontext der Mystik naheliegende Ansatzstellen für einen interreligiösen Dialog gesehen – insbesondere mit dem Buddhismus. Daisetz T. Suzuki beispielsweise zeigte sich bereits in den 1950er Jahren von Meister Eckhart sehr beeindruckt.

Daoistische Mystik

Hauptartikel: Daoistische Mystik

Die in China entstandene Philosophie und Religion des Daoismus besitzt in ihren verschiedenen Formen eine spezifische Mystik. Schon die ältesten Texte, die sich mit dem Dao, dem Urgrund des Daseins, befassen, das Daodejing und Zhuangzi, beschäftigen sich mit der Idee des Erlangens des Ureinen und der mystischen Innenschau sowie einer bestimmten geistigen Haltung, die den daoistischen Mystiker auszeichnet. Die ab dem 2. Jahrhundert entstandene daoistische Religion hatte dann in ihren verschiedenen Schulen einen ausgeprägten Hang zu mystischen Formen von Ritual und Magie, Meditation und Innenschau, basierend auf komplexen Annahmen über die Natur des Dao und des daraus entstandenen Kosmos.

Hinduistische Mystik

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Nach hinduistischen Lehren ist eine Einheitserfahrung mit dem göttlichen Brahman möglich. Das ist in Worten kaum wiederzugeben, da Begriffe es nicht fassen. Typische Beschreibungen bedienen sich Metaphern wie: das Bewusstsein weitet sich ins Unendliche, ist ohne Grenzen, man erfährt sich aufgehoben in einer Wirklichkeit unaussprechlichen Lichts und unaussprechlicher Einheit (Brahman). Dieser Einheitserfahrung entspricht die Lehre der Einheit von Atman (Seele) und göttlichem Brahman.

Das Einssein fassen verschiedene Vertreter unterschiedlich auf:

  • pantheistisch: Gott ist eins mit dem Kosmos und der Natur, und damit auch im Inneren des Menschen zu finden.
  • panentheistisch: Die Seelen behalten einen Eigenstand, wenngleich mit dem Brahman unauflöslich verbunden.
  • monotheistisch: Einheit in Vielfalt. Qualitative Einheit und gleichzeitige individuelle Vielfalt, die der Seele eine ewige mystische Liebesverbindung mit Gott ermöglicht (Vishishta-Advaita).

Nach hinduistischer Lehre ist die alltägliche Wahrnehmung auf vieles gerichtet, die mystische Erfahrung aber eine Einheitserfahrung. Das göttliche Eine ist in allem gegenwärtig, jedoch nicht einfachhin erfahrbar. Es zu erfahren setzt voraus, die Wahrnehmungsart zu ändern. Dazu dienen Konzentrationstechniken des Yoga, Meditation und die Askese als Enthaltung und Verzicht. Askese führt zur Freiheit gegenüber weltlichen Bedürfnissen. Dies kann Essen und Trinken, Sexualität oder Machtstreben einschränken.

Islamische Mystik

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Wichtige Vertreter der islamischen Mystik sind Yunus Emre, al-Ghazali, Hafis, Schams-e Tabrizi, Ibn Arabi und Dschalal ad-Din ar-Rumi. Im Islam gibt es in Orden organisierte Strömungen, die als (sufiyya) bezeichnet werden – ein Ausdruck, der mit dem Ausdruck tasawwuf in Verbindung steht. Beide Ausdrücke werden bisweilen mit „Mystik“ wiedergeben, weil es in diesem institutionellen Kontext ähnliche Lehren und Praktiken gibt, wie sie im westlichen Kulturraum oft mit dem Terminus „Mystik“ verbunden werden.

Nach einer Überlieferung (Hadith) des Propheten Mohammed sagt Gott den Menschen: „Es gibt siebzig In der mystischen Einstellung fehlt alles Rationale: Es gibt keine logische Form, keinen Gegensatz, keinen Widerspruch. Alle Relativitäten des Gegenständlichen, alle Unendlichkeiten und Antinomien bestehen nicht.“<ref>Karl Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, Heidelberg 1919 (Neuauflage 1954 mit einem kritischen Vorwort des Verfassers), ISBN 3-492-11988-3, S. 85 (zum Thema Mystik und mystische Einstellung auch, S. 85–89, 119, 160–166, 191–198, 440–462)</ref> Als ein Gegenkonzept zur Mystik entwickelte Jaspers das Konzept des „Umgreifenden“,<ref>Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie, 1953, ISBN 3-492-04667-3, S. 24–31.</ref> in das der Mensch in einem ständigen Kampf auch klar denkend und sich der offenen Diskussion stellend eindringen könne.

  • Der Semiotiker Johannes Heinrichs schlägt erstmals einen semiotischen und strukturellen Mystikbegriff vor, der keine konfessionellen Voraussetzungen macht.<ref>Handlung – Sprache – Kunst – Mystik. Skizze ihres Zusammenhangs in einer reflexionstheoretischen Semiotik. In: Kodikas/Code 6, 1983, (Website johannes.heinrichs.de)</ref>
  • Übergreifende und spezielle Aspekte

    Mystik und Lebenswelt

    Zugewandtheit zu einer göttlichen oder absoluten Gesamtwirklichkeit (auch bei Abwesenheit von innerem oder äußerem biologischen Verhalten durch z. B. Fasten, Askese und Zölibat oder den Rückzug in die Einsamkeit als Eremit) hat in vielen Religionen eine lange Tradition. Seltener wird auch beansprucht, eine solche Haltung sei Vorbedingung mystischer Erfahrung. Augustinus meinte, Voraussetzung dafür sei die Gnade Gottes, Martin Luther hingegen stellte das eigene Mühen und Tun in den Vordergrund. Andere Traditionen betonen die Gleichwertigkeit von Kontemplation und aktivem Leben. Auch die christliche Mystik spricht in diesem Zusammenhang von „vita activa“ und „vita contemplativa“. Beide Seiten gehören etwa für Meister Eckhart stets zusammen. Teilweise wird auch ein wesentlicher Zusammenhang von Mystik und Politik beansprucht, wie er sich etwa bei Nikolaus von Flüe, Meister Eckhart, Martin Luther, Juliane von Krüdener, Mahatma Gandhi, Dag Hammarskjöld, Dalai Lama findet.

    In ihrem wohl bekanntesten Werk, dem 1997 erschienenen Buch Mystik und Widerstand, spricht sich die evangelisch-lutherische Theologin Dorothee Sölle für die Überwindung des vermeintlichen Gegensatzes von kontemplativer Transzendenz­erfahrung und politisch-gesellschaftlichem Engagement aus. Sie zeigt auf, dass Persönlichkeiten wie der Sklavenbefreier und Quäker John Woolman, der ehemalige Generalsekretär der UNO Dag Hammarskjöld und der Bürgerrechtler Martin Luther King ihre Kraft zum Widerstand gegen gesellschaftliches Unrecht aus ihren mystischen Erfahrungen schöpften. Mystische Erfahrung bedeute demnach kein bewusstes Abwenden von der Welt, sondern die direkte Transzendenzerfahrung fördere gerade ein demokratisches Glaubensverständnis. Auch der in der mystischen Tradition stehende Spiritualismus Thomas Müntzers wird als ein wesentlicher Auslöser der Bauernkriege angesehen.<ref>R. Kottje, B. Moeller (Hrsg.): Ökumenische Kirchengeschichte Band 2 – Mittelalter und Reformation. Mainz 1983, S. 336 ff.</ref>

    Fehlgeleitetes Interesse für klassische Texte der Mystik und Kontemplation schließt unethisches politisches Handeln nicht aus. So soll Heinrich Himmler ständig eine Ausgabe der Bhagavad Gita bei sich getragen haben.<ref>Peter Padfield: Himmler – Reichsführer SS. Macmillan, London 1990, ISBN 0-333-40437-8 und Holt, NY, ISBN 0-8050-2699-1, S. 402, nach einer Aussage von Felix Kersten</ref> Auch sollen er und seine „Elite“ regelmäßig ein Ritual vollzogen haben, das sie Meditation nannten.<ref>Richard Breitman: Himmler und die Vernichtung der europäischen Juden. Schöningh, Paderborn 1996, S. 193.</ref>

    Auch Traditionen des Zen betonen, dass Spiritualität und Alltag nicht entkoppelt werden dürfen. So beschreiben etwa die Verse „Der Ochse und sein Hirte“ den Entwicklungsweg eines Zen-Schülers im alten Japan und enden mit der Rückkehr auf den Marktplatz. Auch der Zen-Meister Willigis Jäger betont: „Ein spiritueller Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg.“

    Abgrenzung zur Prophetie

    Mystische Erfahrung wird in der christlichen Mystik auch als Mysterium oder unio mystica bezeichnet, im buddhistischen Kulturraum wird sie etwa als Satori oder Kensho benannt, im hinduistischen Raum als Nirvikalpa Samadhi. Im Judentum und Christentum wird sie auch als Glaubens­erfahrung verstanden.

    Je nach Tradition und Definition werden „echte“ mystische Erfahrungen von ihrer jeweiligen Auswirkung (z. B. in Form von Prophetie oder göttlichen Eingebungen) abgegrenzt.

    Mystik und Unsagbarkeit

    Viele Berichte von mystischer Erfahrung betonen, dass kein Begriff und keine Aussage auch nur annähernd passen. Das Erfahrene ist, auch abhängig von soziokulturellen Bedingungen, höchstens umschreibbar. Bei gleichzeitiger Nichtbenennbarkeit und dem Verlangen, von der Erfahrung dennoch nicht nur zu schweigen, bedient sich Mystik oft auch metaphorischer Stilmittel.

    • Verschiedene biblische Texte sprechen die Nichtabbildbarkeit und Unnennbarkeit Gottes im Diesseits und die Erkenntnis während einer mystischen Erfahrung (z. B. Taufe im Heiligen Geist) im Jenseits (vgl. z. B. Jüngstes Gericht im Reich Gottes) an. (Beispielsweise 1 Tim 6,16: „Gott, der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat.“, 1 Kor 13,12: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen.“)
    • Von Thomas von Aquin, dem wirkungsgeschichtlich bedeutenden mittelalterlichen Theologen, wird legendarisch berichtet, er habe nach einer mystischen Erfahrung seine Bücher verbrennen wollen, da er dadurch erkannt habe, dass alle Gott zuschreibbaren Begriffe mehr falsch als richtig sind. Tatsächlich reflektiert die thomanische Analogielehre die Beschreibbarkeit und Unbeschreibbarkeit Gottes.
    • Buddha hat das mystisch Erfahrene nicht als göttlich, aber auch nicht als natürlich bezeichnet. Die höchste Wirklichkeit sei kein göttliches Wesen, das mit Verstand und Willen ausgestattet sei und handele, sondern alles überstrahlender Friede und Glückseligkeit. Die höchste Wirklichkeit bewahre Menschen auch nicht vor Unglück oder befreie nicht aus Lebensgefahren, wenn man sie in Gebeten inständig darum bäte, sondern in der Welt geschehe viel unabänderliches Leid, und dennoch sei alles in dieser höchsten Wirklichkeit geborgen. Die höchste Wirklichkeit erschaffe nicht die vielen Weltdinge, wie die Quelle einen Bach hervorbringe oder wie ein Künstler sein Kunstwerk erschaffe. Über die Entstehung der Weltdinge sei nichts wissbar. Die höchste Wirklichkeit sei einfach da als souveräne, unantastbare, absolut erfüllende Wirklichkeit, die Menschen prinzipiell wahrnehmen können. Aus der mystischen Erfahrung heraus werden alle Phänomene auch als Leerheit (Nichts) beschrieben, in dem Sinne, dass sie leer von einem ihnen innewohnenden Sein sind. Das mystisch Erfahrene wird auch als Wirklichkeit beschrieben, in der es kein Leid, keinen Tod und keine Entwicklung mehr gibt, die eine absolute Erfüllung und Seligkeit bedeutet – ganz anders jedoch, als man sich Glückseligkeit vorstellen könnte und zu sagen wüsste.
    • Laozi nennt die allem Sein zugrunde liegende Wirklichkeit Dao. „Das Dao ist namenlos verborgen/ und doch ist es das Dao, das alles erhält und vollendet.“ Er meint, dass über die höchste Wirklichkeit keine rationale Aussage gemacht werden könne, sie jedoch erfahrbar sei. Wer dem Dao folge und in Übereinstimmung mit seiner Natur handle, „zu dem kommen die zehntausend Dinge. Sie kommen zu ihm und leiden keinen Schaden, finden Frieden, finden Ruhe, finden Einigkeit.“
    • In philosophisch-theologischen Traditionen können als wichtige Vertreter Nikolaus von Kues, Meister Eckhart und Hildegard von Bingen genannt werden.

    Literatur

    Nachschlagewerke
    • Peter Dinzelbacher (Hrsg.): Wörterbuch der Mystik. 2. Auflage. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-45602-8.
    Allgemeine Literatur
    Christentum
    Islam (und Sufismus)
    Judentum (auch Kabbala)
    • Joseph Dan: Jewish Mysticism and Jewish Ethics. 1986.
    • Joseph Dan: Jewish Mysticism. Band 1: Late Antiquity. 1998; Band 2: The Middle Ages. 1998.
    • Moshe Idel, M. Ostow (Hrsg.): Jewish Mystical Leaders and Leadership. 1998.
    • Daniel C. Matt (Hrsg.): Das Herz der Kabbala. Jüdische Mystik aus zwei Jahrtausenden. Barth, Bern 1996, ISBN 3-502-65450-6.
    • Gershom Scholem: Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zu Grundbegriffen der Kabbala. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07809-7.
    • Gershom Scholem, Jonathan Garb, Moshe Idel: Kabbalah. In: Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Band 11, S. 586–692.
    Buddhismus
    • Daisetz T. Suzuki: Der westliche und der östliche Weg. Über christliche und buddhistische Mystik. Neuauflage. Ullstein, Frankfurt am Main 1995.
    • R. C. Dwivedi: Buddhist mysticism. In: R. C. Pandeya (Hrsg.): Buddhist Studies in India. 1975, S. 100–120.
    • R. C. Dwivedi: Buddhist mysticism. In: K. L. Sharma, R. S. Bhatnagar (Hrsg.): Philosophy, Society and Action. Essays in Honor of Prof. Daya Krishna. Jaipur 1984, S. 152–171; auch in: Akhila Bhāratīya Sanskrit Parishad. 16-18 (1984-86), S. 97–114.
    • Subhadra A. Joshi: Buddhist mysticism: a comparative study. In: Kalpakam Sankaranarayanan, Motohira Youtoniya, Shubhadra A. Joshi (Hrsg.): Buddhism In India and Abroad. An Integrating Influence in Vedic and Post-Vedic Perspective. Bombay 1996, S. 104–113.
    • Trevor Ling: Buddhist mysticism. In: Religious Studies. 1 (1966), S. 163–176.
    • Hajime Nakamura: Intuitive awareness: issues in early mysticism. In: Japanese Journal of Religious Studies. 12 (1985), S. 119–140.
    • A. K. Sarkar: Indian Buddhism and Chinese mysticism. In: Bulletin of the Ramakrishna Mission Institute of Culture. 39 (1988), S. 99–107.
    • P. M. Rao: Buddhism and mysticism. In: Mahābodhi (Colombo). 65 (1957), S. 83–88.
    • Pramod Kumar Singh: Some observations on Buddhist mysticism. In: Journal of the Indian Council for Philosophical Research. 22/1 (2005), S. 129–140.
    • Pramod Kumar Singh: Buddhist mysticism: a few observations. In: Indian Philosophical Quarterly. 33 (2006), S. 221–230.
    • Marco S. Torini: Apophatische Theologie und göttliches Nichts. Über Traditionen negativer Begrifflichkeit in der abendländischen und buddhistischen Mystik. In: Tradition und Translation. Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. De Gruyter, Berlin u. a. 1994, S. 493–520.

    Weblinks

    Wiktionary Wiktionary: Mystik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
    Sonstiges

    Einzelnachweise

    <references />