Ontogenese


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Die Begriffe Ontogenese oder Ontogenie (von altgriechisch ὀντογένεση; Kompositum aus ὄν on, „das Seiende“ und γένεσις génesis, „Geburt“, „Entstehung“) gehen auf Ernst Haeckel (1866) zurück.<ref name="GMO" /> Hierunter wird die Entwicklung eines Einzelwesens bzw. eines einzelnen Organismus verstanden im Gegensatz zur Stammesentwicklung (Phylogenese). Der zeitliche Verlauf der Entwicklung wird Entwicklungsgeschichte genannt. Diese Entwicklungsgeschichte beschreibt einzelne Stadien der Entwicklung beginnend mit der Keimesentwicklung bis zum voll entwickelten Lebewesen und schließt auch die Stadien der altersbedingten Rückbildung mit ein.<ref name="RLX">Ontogenese. In: Norbert Boss (Hrsg.): Roche Lexikon Medizin. 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München 1987, ISBN 3-541-13191-8, S. 1273; vgl.a. fernladbaren Text 2003 des Hoffmann-La Roche-Lexikons</ref><ref name="ATNA" /><ref name="GMT" /><ref name="PSB">Ontogenese, Ontogenie. In: Willibald Pschyrembel: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 154-184. Auflage. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1964, S. 629.</ref><ref name="EWG">Ontogenese. In: Helmut Ferner: Entwicklungsgeschichte des Menschen. 7. Auflage. Reinhardt, München 1965, S. 12.</ref><ref name="PWB" /><ref name="WBM">Ontogenie. In: Zetkin-Schaldach: Wörterbuch der Medizin. dtv, München 1980, ISBN 3-423-03029-1, S. 1008.</ref> Ernst Haeckel hatte sich bereits einige Jahre vor dem Erscheinen seines Buches mit der Lehre Darwins befasst und nimmt sie in sein Werk mit auf.<ref name="GMO" />

Mehrzeller und Einzeller

Die Individualentwicklung beginnt beim Menschen und den Metazoa mit der befruchteten Eizelle und endet mit dem Tod. Eine besondere Fragestellung ergibt sich für die Entwicklung anderer Lebewesen, insbesondere der Einzeller, vgl. dazu die Systematik der Biologie. Die frühere Einteilung in Metazoa und Protozoa ist heute überholt. Einzeller können sich in der Regel unendlich fortpflanzen (vgl. a. → Omnipotenz). Es gibt allerdings Organismen, die sich an der Schwelle von der Ein- zur Mehrzelligkeit befinden, siehe → Volvox. Bei diesen gehört der Tod bereits zum normalen Lebenszyklus. Haeckel sprach nicht von Mehrzellern, sondern von der Entwicklungsgeschichte organischer Individuen (1906, S. 165).<ref name="GMO" /><ref name="GDE">Beginn des Daseins bei mehrzelligen Lebewesen. In: Otto Grosser bearb. von Rolf Ortmann: Grundriß der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 6. Auflage. Springer, Berlin 1966, S. 1.</ref> Ontogenese bedeutet daher in der von Ernst Haeckel naturwissenschaftlich verstandenen Auffassung nicht etwa die Entstehung des Lebens überhaupt, wie die Wortbedeutung etwa vermuten lassen könnte. Der Begriff bezieht sich vielmehr auf bereits vorhandenes Leben (Einzeller als mindestes Stadium der Entwicklung). Die ersten wissenschaftlich-ontogenetischen Experimente wurden daher 1888 von Wilhelm Roux an Froscheiern im zweizelligen Furchungsstadium durchgeführt.<ref>Wilhelm Roux: nach: Dietrich Starck: Embryologie. Stuttgart: Thieme-Verlag 1955.</ref><ref name="AHU">Friedrich Vogel: Allgemeine Humangenetik. Springer, Berlin 1961; S. 232.</ref>

Philosophie

Von Ernst Haeckel (1834–1919) wird auch die Philosophie auf das Prinzip der Entwicklung gegründet. Haeckel fasste seine Lehre als Monismus zusammen. Es gibt für ihn keine a priorischen Erkenntnisse, sondern nur durch Erfahrung früherer Generationen konstitutionell gewordene Fähigkeiten.<ref name="PWB">ontogenetisch. In: Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 21. Auflage. Alfred-Kröner, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-01321-5, S. 503. (zum Lemma „Haeckel, Ernst“, S. 254)</ref> Der Monismus sollte jedoch insbesondere auch zum besseren Verständnis der Ontogenese beitragen. In den dargestellten Entwicklungsprozessen, die Haeckel auf vergleichendem und „genetischem“ Wege gewann, erkannte er ein allgemeines Lebensprinzip. Haeckel verstand „genetisch“ nicht im Sinne der Mendelschen Regeln, obwohl Gregor Mendel als „Vater der Genetik“ seine Ergebnisse im gleichen Jahr (1866) veröffentlichte wie auch Haeckel seine „Generelle Morphologie“. Haeckel verstand unter „genetisch“ vielmehr die aus der vergleichenden Zusammenstellung vieler einzelner Erfahrungen induktiv „ableitbaren“ allgemeinen Gesetze und Erkenntnisse, daher sein Buchtitel „Generelle Morphologie“. Diese Erkenntnisse gewann er aufgrund biologisch verwandten und somit ähnlichen Beobachtungsmaterials. Haeckel war überzeugt, dass seine „Gesetze“ nicht nur auf Pflanzen und Tiere, sondern insbesondere auch auf den Menschen und das menschliche Seelenleben übertragen bzw. generalisiert werden konnten (1909, S. 27–29).<ref name="GMO" /> Diese Sicht wurde beispielsweise von Konrad Lorenz (1903–1989) aufgegriffen, vgl. Kap. Rezeption.

Versteht man von der Wortbedeutung her betrachtet unter „Ontogenese“ die Herstellung einer Beziehung zwischen „Sein und Zeit“, so ist man damit u. a. auch an die Fundamentalontologie von Martin Heidegger erinnert und an seine Hinwendung zur Metaphysik als Grundlagenwissenschaft.<ref>Martin Heidegger: Sein und Zeit. [1926] - Max Niemeyer-Verlag, Tübingen 151979, ISBN 3-484-70122-6.</ref><ref name="WIM">Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? [1929] Vittorio Klostermann Frankfurt 101969; zu Stw. „Biologische Metapher zur Kennzeichnung der Metaphysik: Grund–Wurzel–Stamm–Zweige“: S. 7.</ref> Wird Entwicklung mit Schöpfung gleichgesetzt, so ergibt sich damit auch der Gedanke der Epigenese.<ref>Friedrich Ludwig Boschke: Die Schöpfung ist noch nicht zu Ende. Econ-Verlag, 1962.</ref>

Psychologie

Gestaltpsychologie

Entsprechend dem umfassenden Geltungsanspruch der Haeckelschen Lehre (Materialistischer Monismus) hat sich u. a. die Gestaltpsychologie mit dem Prinzip der Entwicklung befasst. Dabei nahm man an, dass es durch Differenzierung zu einer Spezialisierung durch Ausgliederung von eher diffusen Teilfunktionen kommt und durch Zentralisierung zu einer Neuordnung und Vereinheitlichung von gestaltgebender Organisation durch Aufbau und Abbau. Anstelle eines Monismus hat die Gestaltpsychologie den vereinheitlichenden Begriff des Feldes vertreten.<ref name="FLP">Entwicklung. In: Peter R. Hofstätter (Hrsg.): Psychologie. Das Fischer Lexikon. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-436-01159-2, S. 102, 164 f.</ref>

Psychoanalyse

Die von Sigmund Freud (1856–1939) begründete Psychoanalyse ist verständlicherweise schon aus zeitgeschichtlichen Gründen dem Gedanken der Entwicklung aufgeschlossen. Seit 1874 war Freud mit naturwissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Nach einer ersten zoologischen Arbeit bei Carl Claus im Jahr 1876 promovierte Freud unter der Leitung von Ernst Wilhelm Brücke am Physiologischen Institut in Wien mit einer neurophysiologischen Arbeit.<ref>Sigmund Freud: Über das Rückenmark niederer Fischarten. Promotionsarbeit bei Ernst Wilhelm Brücke, Wien 1879.</ref> Über seine Ausbildung und seine Beziehung zum Beruf des Arztes schreibt Freud:

„Eher bewegte mich eine Art von Wißbegierde, die sich aber mehr auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte bezog und auch den Wert der Beobachtung als eines Hauptmittels zu ihrer Befriedigung nicht erkannt hatte [...]. Die damals aktuelle Lehre Darwins zog mich mächtig an, weil sie eine außerordentliche Förderung des Weltverständnisses versprach [...].“

Sigmund Freud: Selbstdarstellung.<ref>Sigmund Freud: Selbstdarstellung. Schriften zur Geschichte der Psychoanalyse. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-596-26096-5, S. 40.</ref>

Freud hat selbst für die individuelle Entwicklung jedes Menschen als Einzelwesen vier charakteristische Phasen herausgearbeitet. Sie sind Bestandteil seiner Lehre von der infantilen Sexualität.

Granville Stanley Hall (1846-1924) war einer der ersten Psychologen, welche die Psychoanalyse als wissenschaftliches Forschungsprogramm anerkannten. Das psychogenetische Grundgesetz wurde 1904 von ihm beschrieben. Er bezog sich dabei auf das biogenetische Grundgesetz von Ernst Haeckel. Während sich Haeckel auf die biologische Stammesgeschichte bezieht, beruft sich Hall auf die Völkerkunde (Ethnologie). Hall war Schüler von Wilhelm Wundt (1832–1920), der bereits Werke über die Völkerpsychologie verfasst hatte.<ref>Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythos und Sitte. 10 Bände. Engelmann; Leipzig 1900–1920.</ref>

Analytische Psychologie

Carl Gustav Jung (1875-1961) verwendete den Begriff „ontogenetisch“, um damit die Kollektivpsyche zu verdeutlichen. Er sah das Unbewusste nicht nur als Produkt der Verdrängungsmechanismen an, sondern als schöpferische Instanz. Nimmt man an, dass die Entwicklung der Gehirne in der Menschheit einen gewissen durchschnittlichen Grad an Differenzierung erreicht haben, so kann dies nicht nur als Resultat der Ontogenese betrachtet werden, sondern muss auch als Ergebnis der Phylogenese angesehen werden. Es handelt sich um Entwicklungsstufen, die der Menschheit kollektiv gemeinsam sind. Bereits die äußere Ähnlichkeit der Gehirne als Organe lässt diese Annahme vermuten. Die Kollektivpsyche stellt somit den festen, sozusagen automatisch ablaufenden, ererbten und überpersönlichen Anteil der individuellen Seele dar. Es handelt sich um das, was Pierre Janet (1859–1947) als die „unteren Anteile“ (parties inférieures) der psychischen Funktionen dargestellt hat. Die oberen Anteile der seelischen Funktionen (parties supérieures) werden durch das Bewusstsein und das persönliche Unbewusste wahrgenommen.<ref>Pierre Janet: Les Névroses. 1909</ref><ref name="JGW7">Carl Gustav Jung: Zwei Schriften über Analytische Psychologie. Gesammelte Werke. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 7, ISBN 3-530-40082-3; (a) S. 155, § 235; S. 284, § 455 - zu Stw. „ontogenetisch“; (b) S. S. 92, § 130 - zu Stw. „Abgrenzung der analytischen und synthetischen Methode“;.</ref>

Jung war allerdings auch bemüht, die methodischen Unterschiede zwischen verschiedenen Richtungen der Psychotherapie und zugleich ihre Gemeinsamkeiten zu erfassen. Insbesondere während der Zeit des Dritten Reichs und der politischen Ausgrenzung der Psychoanalyse fühlte er sich dazu veranlasst. Es kam ihm dabei entgegen, dass er seit 1934 als Vorstandsmitglied der schweizerischen Gruppe der Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie tätig war. In seiner Begrüßungsansprache zum 10. Internationalen Ärztlichen Kongress für Psychotherapie in Oxford im Jahre 1938 gab Jung bekannt, dass das schweizerische Komitee des Verbandes versuchte, alle jene Punkte aufzustellen, in denen alle Psychotherapeuten übereinstimmen, die nach den Richtlinien der psychologischen Analyse arbeiten. Unter diesen Punkten waren gemäß Zentralblatt des Verbands 1933 genannt: 1. ärztliches Vorgehen, 2. Psychogenese, 3. Diagnose, 4. Exploration, 5. Material (sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen), 6. Ätiologie, 7. das Unbewusste, 8. Fixierung, 9. Bewusstmachen, 10. Analyse und Deutung, 11. Übertragung, 12. die ontogenetische Reduktion, 13. die phylogenetische Reduktion, 14. Therapie.<ref>Zentralblatt für Psychotherapie und ihre Grenzgebiete. IX/1-2, Leipzig 1933, S. 2</ref>

Die ontogenetische Reduktion als Rückführung von Befinden auf zeitlich zurückliegende Ereignisse der Lebensgeschichte ist damit als wichtige Methode der Psychotherapie herausgestellt.<ref name="JGW10">Carl Gustav Jung: Zivilisation im Übergang. Gesammelte Werke. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 10, ISBN 3-530-40086-6; S. 619, § 1072, Fußnote 1</ref> Zu den methodischen Unterschieden sei auf den von Jung beschriebenen Reduktionismus der Psychoanalyse verwiesen, der durch synthetische Betrachtungsweisen Jungs ergänzt wurde (vgl. a. → Deutung auf der Objektstufe).<ref name="JGW7" />

Entwicklungsbiologie

In der Entwicklungsbiologie und Medizin wird unter Ontogenese die Entwicklung des einzelnen Lebewesens von der befruchteten Eizelle zum erwachsenen Lebewesen (nach Ernst Haeckel 1866) verstanden.<ref name="GMO">Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformierte Descendenz-Theorie. Georg Reimer, Berlin 1866 2 Bde. (Teilweiser Neudruck 1906 online)</ref><ref name="GMT">Ontogenie, Ontogenesis. In: Herbert Volkmann (Hrsg.): Guttmanns Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1939, Sp. 682.</ref><ref name="ATNA">ontogeneticus, ontogenesis. In: Hermann Triepel, bearbeitet von Robert Herrlinger: Die Anatomischen Namen. Ihre Ableitung und Aussprache. 26. Auflage. Verlag von J. F. Bergmann, München 1962, S. 51.</ref> Diese Definition in engerem Sinne steht einer weiter gefassten Annahme im Sinne des biogenetischen Grundgesetzes nach Ernst Haeckel gegenüber. Sie besagt in ihrer Kurzfassung, dass die „Ontogenese eine Rekapitulation der Phylogenese darstellt“. Dies bedeutet, dass bei der Entwicklung des Einzelwesens Stadien durchlaufen werden, die mit entsprechenden Entwicklungsstufen der Stammesentwicklung übereinstimmen. Die Entwicklung eines Menschen nimmt so beispielsweise von der befruchteten Eizelle ihren Ausgang. In dieser Betrachtungsweise wird die Eizelle der stammesgeschichtlichen Entwicklungsstufe der Einzeller gegenübergestellt. In der aufsteigenden Entwicklungsreihe bestehen andererseits viele andere Gemeinsamkeiten in der individuellen Entwicklungsgeschichte mit höher entwickelten Tierstämmen bis hin zu den Vertebraten. Diese Entwicklungsreihe wird bei jedem Einzelwesen durchlaufen.<ref name="EWG" /> Heute gilt diese Theorie nur noch bedingt. In verallgemeinerter Form kann man unter Ontogenese die Geschichte des strukturellen Wandels einer biologischen Einheit verstehen (z. B. Organogenese).

Somatogenese

Beim Embryo entwickeln sich nach und nach Organanlagen, aus denen Organe entstehen, in denen wiederum die Zellen (zu Geweben zusammengefasst) sich weiter zu verschiedenen Zelltypen spezialisieren. Dabei ergeben sich unterschiedliche Zellabstammungen.

Biogenese

Die biologische Ontogenese eines vielzelligen Organismus lässt sich in die Phasen ZeugungBlastogeneseEmbryogeneseFetogeneseGeburtSäuglings­phase → Kleinkind­phase → Juvenil­stadium → PubeszenzAdoleszenzKlimakteriumSeneszenzTod einteilen.

Rezeption

zu Lebzeiten Haeckels

Bereits zu Lebzeiten Haeckels war die Rezeption seines Werks nach anfänglichem Verschweigen seiner Thesen (1906, Vorwort S. III) lange Zeit umkämpft.<ref name="GMO" /> Haeckel selbst führte dies zum Teil auf seine eignen überwiegend spekulativen Betrachtungen zurück. Er entschied sich daher zu verschiedenen eher populärwissenschaftlich gefassten Ausgaben seiner Lehren, so seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ (1868). Diese erreichte bis 1902 insgesamt 10 Auflagen. Haeckel wandte sich hauptsächlich gegen die nach seiner Auffassung vielfach unreflektierte Anwendung seiner Forschungsergebnisse, da ihm das synthetische Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Philosophie wichtig war und ihm eine einseitig deskriptive Einstellung des Wissenschaftlers eher bedenklich erschien. Dabei berief er sich auch auf Johannes Müller (1906, S. 11).<ref>Johannes Müller: Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. II, (1837–1840) S. 522</ref> Haeckel empfand seine Grundsätze getreu seitens Karl Ernst von Baer (1792–1876) und Matthias Jacob Schleiden (1804–1881) rezipiert. Offenbar konnte er sich aber auch auf ihre vorausgehenden Arbeiten beziehen, so z. B. auf Schleiden zu Fragen der Methodik (1906, S. 30).<ref>Karl Ernst von Baer: Über Entwicklungsgeschichte der Tiere. Beobachtung und Reflexion. 1828</ref><ref>Matthias Jacob Schleiden: Beiträge zur Phytogenesis. In: Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin. 1838, S. 137–176.</ref><ref>Matthias Jacob Schleiden: Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik nebst einer methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze. 2 Teile. Leipzig 1842, 1843 u. 1850, spätere Auflagen unter dem Titel Die Botanik als inductive Wissenschaft bearbeitet; Nachdruck: Olms, Hildesheim/Zürich/New York 1998, ISBN 3-487-10530-6.</ref> Heute ist der von Haeckel verwendete Begriff der Entwicklung neu von der Entwicklungsbiologie definiert.

posthume Rezeption

Konrad Lorenz (1903–1989) hat die von Haeckel geforderte Untersuchung einer vergleichenden Psychologie anhand von Tierreihen in Angriff genommen, siehe Kap. Philosophie. Der Begriff Ontologie wird dabei allerdings in seinem hier zitierten Werk ohne ausdrücklichen Bezug auf das Werk Haeckels verwendet.<ref>Konrad Lorenz: Über tierisches und menschliches Verhalten. Bd. 1, Dt. Buchgemeinschaft, Berlin 1967, © Piper & Co. München 1965, zu Stw. „Ontogenese“: S. 117, 230, 247, 252, 275, 573, 575, 584, 586, 594.</ref> Lorenz unterschied in Anlehnung an Heinrich Ernst Ziegler (1858–1925) die angeborene Triebhandlung der Tiere von erworbenen Handlungen wie Dressuren und verstandes­mäßigen Handlungen.<ref>Heinrich Ernst Ziegler: Der Begriff des Instinktes einst und jetzt. Jena 1920.</ref> Diese Bestimmungen eines späteren Verhaltens von Tieren durch äußere Beeinflussung hauptsächlich seitens der Artgenossen zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Ontogenese bringt nach Lorenz die Entwicklungsvorgänge des triebmäßigen Verhaltens in eine Analogie aus der körperlichen Entwicklungslehre. Diese Analogie ist in der Genetik als Induktion bekannt. Lorenz bezieht sich dabei auf Hans Spemann (1869–1941). Spemann ist bekannt durch Versuche der Verpflanzung von Ektoderm­zellen, die sich in ein Stück Rückenmark entwickelten, während sie sonst zu einem Stück Bauchhaut geworden wären. Eine Rückverpflanzung war allerdings dann nicht mehr auf dem Wege der erneuten Induktion möglich, da das Gewebe inzwischen determiniert war. Es entwickelte sich dann ein Monstrum.<ref>Hans Spemann: Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung. Springer, Berlin 1936.</ref><ref>Hans Spemann und Hilde Mangold: Über Induktion von Embryonalanlagen durch Implantation artfremder Organisatoren. In Arch. mikr. Anat. und Entw. mech. 100, 599-638 (1924)</ref> Lorenz weist darauf hin, dass es eine unter Biologen und Psychologen weit verbreitete Auffassung sei, Triebhandlungen bzw. instinktmäßiges Verhalten als Vorläufer dessen zu betrachten, was wir als erlernt oder verstandesmäßig betrachten.

Kritik

Sowohl theologisch, philosophiegeschichtlich, soziologisch als auch aus biologischer Sicht hat die Theorie Haeckels Kritik hervorgerufen. Es stehen sich vor allem kreationistische und epigenetische Auffassungen gegenüber. Als Vertreter des Kreationismus sei hier Erich Blechschmidt angesehen.<ref>Erich Blechschmidt: Ontogenese des Menschen. Kinetische Anatomie. Verlag Kiener, 2012, ISBN 978-3-943324-03-7.</ref> Philosophiegeschichtliche und rein logische Einwände gibt es gegen den Begriff der Entwicklung. Der Soziologe Reimer Gronemeyer weist auf die Kritiker Otto Rank, Jeremy Rifkin, und Pierre P. Grassé hin. Diese Kritik richtet sich gegen die marktwirtschaftlichen Grundannahmen zu Lebenszeiten von Charles Darwin (1809–1882) und ihre bedenkenlose Übertragung auf die Biologie. Die natürliche Zuchtwahl sei mit der künstlichen verwechselt worden. In England sei seit 1750 mit der künstlichen Zuchtwahl in der Viehwirtschaft experimentiert worden. Das einseitige Ziel sei die rücksichtslose Ertragssteigerung gewesen. Das könne aber der Natur nicht unterschoben werden. Andererseits wurden Gedanken des Überlebens des Tauglichsten bereits durch Empedokles (ca. 483–424 v. Chr.) geäußert. Es ist somit als umstritten anzusehen, zu welchem Ziel die Natur eine Artenvielfalt entwickelt. Naturwissenschaft kann keine teleologischen Fragen beantworten. Ontogenese beschreibt demnach, wie verschiedene Entwicklungsstadien auseinander hervorgehen, nicht aber immer zweifelsfrei warum. Gleiches gilt dann auch für die phylogenetische Artenvielfalt. Weitere kritische Einwände richten sich gegen die nachweisbare Existenz der Zwischenglieder der Entwicklung. So könne z. B. Archäopteryx nicht als Bindeglied zwischen Reptilien und Vögeln gelten, da beide schon zu gleicher Zeit lebten. Ein kritischer Einwand gegen die Selektionslehre bestehe weiter darin, dass Arten mit niedriger organisierten Eigenschaften heute noch überleben, obgleich sie durch den Kampf ums Dasein doch unterlegen sein müssten.<ref name="SLH">Reimer Gronemeyer: Ohne Seele, ohne Liebe, ohne Haß. Econ, Düsseldorf 1992, ISBN 3-430-13531-1, S. 75–84.</ref>

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Ontogenese – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource Wikisource: Ernst Haeckel – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

<references />